Das indoktrinierte Gehirn: Studien und Erkenntnisse zur Anfälligkeit für Ideologien

Einführung

Ideologien sind ein allgegenwärtiges Phänomen und stellen eine Schattenseite jeder Zivilisation dar. Menschen sind unterschiedlich empfänglich für Ideologien, seien es unumstößliche Hierarchien, allmächtige Götter, die Segnungen entfesselter Märkte, ein sozialistisches Wunderland, die guten Absichten eines Führers oder die Einzigartigkeit ihrer Nation. Die Frage, warum sich manche Menschen von Ideologien verführen lassen, während andere weitgehend immun sind, ist Gegenstand zahlreicher Studien und Untersuchungen.

Die psychologischen Grundlagen der Ideologieanfälligkeit

Angeborene Neigungen und Persönlichkeitsmerkmale

Studien an Zwillingen haben gezeigt, dass eine Neigung zu bestimmten politischen Einstellungen zu über 50 Prozent auf vererbte Anlagen zurückzuführen ist. Eineiige Zwillinge, die einander genetisch sehr ähnlich sind, zeigen auch häufiger übereinstimmende Ansichten über die Welt als zweieiige Zwillinge.

Die Neurowissenschaftlerin Leor Zmigrod von der Universität Cambridge hat die psychologischen Profile von Menschen untersucht, um herauszufinden, wer besonders anfällig für Ideologien ist. In ihren Studien mussten die Teilnehmer Persönlichkeitsuntersuchungen, Wahrnehmungs- und Denkaufgaben absolvieren. Dabei zeigten sich erstaunliche Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und ideologischen Überzeugungen.

Kognitive Flexibilität und Routinen

Menschen mit geringerer kognitiver Flexibilität, die Schwierigkeiten haben, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, neigen eher dazu, an ihren Ansichten festzuhalten und das Vertraute zu suchen. Wer im Kartentest mit wechselnden Regeln schlecht abschnitt, äußerte auffallend oft Sympathie für Autoritäten. Je eindeutiger Befragte angaben, Routinen zu schätzen, umso ausgesprochener zeigten sie in der Regel nicht nur autoritätsgläubige und konservative, sondern auch nationalistische Einstellungen.

Angst und Bedrohung

In bedrohlichen Situationen werden Menschen empfänglicher für simple Weltbilder, die Sicherheit bieten. Das Gehirn schaltet unter Stress in einen Überlebensmodus, der schnelle Urteile begünstigt und Gedankenaufwand minimiert. Studien haben gezeigt, dass Menschen unter dem Eindruck von Gewalt, Krieg oder Terrorismus eher bereit sind, sich autoritären Führungen unterzuordnen und Ungleichheit zu rechtfertigen.

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Wahrnehmungsmechanismen

Die elementaren Mechanismen der Wahrnehmung und des Denkens beeinflussen unsere Überzeugungen. Wer beispielsweise bei Wahrnehmungstests langsam auf unklare Muster reagiert, neigt eher zu autoritärem Denken. Die Aktivierung der Mustererkennung kann dazu führen, dass Menschen Zusammenhänge entdecken, wo keine sind, und so den Hang zur Paranoia verstärken.

Beispiele für Ideologieanfälligkeit in der Politik

Brexit und die Wahl von Donald Trump

Die Abstimmung der britischen Wähler für den Austritt aus der Europäischen Union und die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten im Jahr 2016 werden oft als Beispiele für Ideologieanfälligkeit angeführt. In beiden Fällen präsentierten die Befürworter simple Lösungen und Versprechen, die den Fakten nicht standhielten. Trotzdem fanden sie großen Anklang bei Wählern, die sich nach einfachen Antworten und einer Rückkehr zu vermeintlich besseren Zeiten sehnten.

Die Rolle von Lebensumständen und wirtschaftlichen Faktoren

Üblicherweise suchen Journalisten und Politologen die Ursachen für politische Einstellungen in Lebensumständen. In den heruntergekommenen früheren Kohlerevieren Nordenglands befürworteten auffällig viele Bürger den Austritt aus der EU. Und die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten machte das uramerikanische Wort „Hillbilly“ auch in Europa bekannt. Der Kandidat, so hieß es, habe mit seiner Rhetorik die Seelen der überwiegend verarmten weißen Männer in der tiefen Provinz gestreichelt. Aber die eingängigen Erklärungen hielten den Fakten nicht stand. Selbst in Nordengland stimmten fast überall 40 Prozent der Bürger und mehr gegen den Brexit. Die Mehrheit der Befürworter lebte im reichen Südengland und waren keineswegs enttäuschte Arbeiter. An die 60 Prozent der Voten für den Brexit kamen aus der Mittelklasse. Genauso hoch war der Anteil von Trump-Wählern, die überdurchschnittlich verdienten. Für den New Yorker Bauunternehmer, der ein Dutzend Mal der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, stimmten zu 40 Prozent Frauen.

Die Rolle des Gehirns bei religiösem Fundamentalismus

Eine Studie aus den USA zeigt, dass Verletzungen in bestimmten Hirnregionen mit religiösem Fundamentalismus assoziiert sind. Die Studie basiert auf Fällen aus der sogenannten Vietnam Head Injury Study, einer Langzeitstudie von rund 2000 US-Soldaten, die im Vietnam-Krieg Kopfverletzungen erlitten hatten.

Vom präfrontalen Cortex weiß man aus früheren Untersuchungen, dass er eine große Rolle bei spirituellen Empfindungen und Religiosität spielt. Die Autoren der aktuellen Studie vertreten die Auffassung, dass religiöser Fundamentalismus weniger mit der mangelnden Befähigung zum Zweifeln zu tun hat als mit der mangelnden Offenheit für neue Ideen.

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Strategien gegen die Erstarrung des Denkens

Der US-amerikanische Ökonom Bryan Caplan hat eine unterhaltsame Übung erfunden, um erstarrtes Denken aufzubrechen. Sie besteht darin, spielerisch die Seiten zu wechseln. Schlüpfen Sie in die Rolle eines ideologischen Gegners, formulieren Sie eine der eigenen Überzeugung entgegengesetzte Meinung - und tragen Sie diese jemandem vor, der genau diese Meinung für wahr hält. Der Test ist bestanden, wenn Sie die Ihnen eigentlich widerstrebende Argumentation glaubhaft und ohne auch nur einen Anflug von Häme vortragen können.

Dabei sollen Sie weder Ihre wirklichen Überzeugungen aufgeben, noch ihrem Gegenüber nach dem Mund reden. Das Ziel ist vielmehr, dass Sie erfahren, wie Sie selbst mit fremden Meinungen umgehen. Verstehen Sie andere Standpunkte so gut, dass Sie diese als berechtigt anerkennen und zutreffend wiedergeben können? Oder empfinden Sie Positionen, die stark von den Ihren abweichen, als Ausdruck von Engstirnigkeit, Egoismus und Dummheit? In diesem Fall denken Sie wahrscheinlich ideologisch: Durch ihre Gefühle ersparen Sie sich nämlich die Mühe, sich mit der ungewohnten Perspektive auseinandersetzen zu müssen.

Fazit

Die Anfälligkeit für Ideologien ist ein komplexes Phänomen, das von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, darunter angeborene Neigungen, Persönlichkeitsmerkmale, kognitive Fähigkeiten, Angst und Wahrnehmungsmechanismen. Ideologien können die Art und Weise beeinflussen, wie wir die Welt wahrnehmen und wie unser Gehirn funktioniert. Es ist wichtig, sich dieser Mechanismen bewusst zu sein und Strategien zu entwickeln, um erstarrtes Denken aufzubrechen und die eigene Perspektive zu erweitern. Nur so können wir uns vor der Verführung durch Ideologien schützen und eine offene und tolerante Gesellschaft fördern.

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