Das Rückenmark (Medulla spinalis) ist ein essenzieller Bestandteil des zentralen Nervensystems (ZNS) und dient als Hauptleitungsweg, der das Gehirn mit dem restlichen Körper verbindet. Es ermöglicht die Kommunikation zwischen dem Gehirn und der Peripherie, indem es sensorische Informationen zum Gehirn leitet und motorische Befehle vom Gehirn an die Muskeln übermittelt.
Anatomie des Rückenmarks
Lage und Aufbau
Das Rückenmark liegt geschützt im Wirbelkanal innerhalb der knöchernen Wirbelsäule und erstreckt sich vom Foramen magnum im Os occipitale (Hinterhauptsbein) bis zur Höhe des ersten oder zweiten Lendenwirbels (L1 oder L2). Es ist etwa 45 Zentimeter lang und hat einen Durchmesser von ungefähr einem Zentimeter. Am unteren Ende verjüngt sich das Rückenmark zum Conus medullaris und endet als dünner Strang, dem Filum terminale. Unterhalb des Rückenmarks ziehen die Spinalnerven wie ein Pferdeschwanz im Liquorraum nach unten zu ihren Austrittsstellen. Dieser Bereich wird als Cauda equina bezeichnet.
Von der Seite betrachtet, ähnelt die Wirbelsäule einem "Doppel-S", was die Voraussetzung für den aufrechten Gang des Menschen ist. Die Wirbelsäule besteht aus 34 Wirbeln, die sich in fünf Abschnitte unterteilen:
- Halswirbelsäule (Zervikalbereich): 8 Halssegmente (C1-C8). Die ersten beiden Wirbel, Atlas (C1) und Axis (C2), ermöglichen die Drehung des Kopfes.
- Brustwirbelsäule (Thorakalbereich): 12 Brustsegmente (T1-T12). An jedem Brustwirbel ist eine Rippe befestigt.
- Lendenwirbelsäule (Lumbalbereich): 5 Lendensegmente (L1-L5). Die Lendenwirbel sind besonders groß und robust, da sie einen großen Teil des Körpergewichts tragen.
- Kreuzbein (Sakralbereich): 5 Kreuzbeinsegmente (S1-S5), die miteinander verschmolzen sind. Das Kreuzbein verbindet die Wirbelsäule mit dem Becken.
- Steißbein (Coccygealbereich): 1-3 Steißbeinsegmente, die ebenfalls miteinander verbunden sind.
Die Wirbel bestehen aus einem Wirbelkörper (vorne) und einem Wirbelbogen (hinten), der den Wirbelkanal umschließt. Zwischen den Wirbeln liegen Bandscheiben, die als Stoßdämpfer dienen und die Beweglichkeit der Wirbelsäule ermöglichen.
Graue und weiße Substanz
Im Querschnitt zeigt das Rückenmark eine charakteristische Struktur mit einem H-förmigen Bereich grauer Substanz im Zentrum, umgeben von weißer Substanz.
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- Graue Substanz: Besteht hauptsächlich aus Nervenzellkörpern (Neuronen). Sie ist in drei Abschnitte unterteilt: Vorderhorn, Hinterhorn und Zwischenhorn.
- Vorderhorn: Enthält Motoneurone, die für die Ansteuerung der Skelettmuskulatur zuständig sind. Hier befinden sich verschiedene Kerngruppen, wie der Nucleus phrenicus (im Zervikalmark) und Kerngruppen für die Arm- und Handmuskulatur (im Halsmark).
- Hinterhorn: Empfängt sensorische Informationen aus der Peripherie.
- Zwischenhorn: Enthält Nervenzellen des autonomen Nervensystems (vegetative Nervenzellen).
- Weiße Substanz: Besteht hauptsächlich aus myelinisierten Axonen, die auf- und absteigende Nervenbahnen bilden. Diese Bahnen leiten Informationen zwischen dem Gehirn und dem Rückenmark. Die Buchstaben C, T, L und S geben an, wo sich die zu jeder Region gehörenden Fasern befinden.
Rückenmarkshäute (Meningen)
Das Rückenmark wird von drei bindegewebigen Membranen, den Meningen, umhüllt:
- Dura mater spinalis: Die harte äußere Hülle.
- Arachnoidea spinalis: Die weiche Zwischenhaut.
- Pia mater spinalis: Die zarte Innenhaut, die direkt am Rückenmark anliegt.
Zwischen der Arachnoidea und der Pia mater befindet sich der Subarachnoidalraum, der mit Liquor cerebrospinalis (Nervenwasser) gefüllt ist.
Blutversorgung
Das Rückenmark wird von einer vorderen und zwei paarigen hinteren Spinalarterien versorgt. Die Spinalarterien entspringen aus den Arteriae vertebrales und anderen zuführenden Gefäßen. Die A. sulcocommissuralis zweigt von der A. spinalis anterior ab und versorgt die vorderen zwei Drittel des Rückenmarks. Das venöse Blut wird über die Venae spinales posteriores in die Vena vertebralis (Halsbereich) bzw. die (Hemi-)Azygosvenen (Thorakalbereich) drainiert.
Spinalnerven
Die Spinalnerven sind paarige Nerven, die aus dem Rückenmark austreten und die Verbindung zum peripheren Nervensystem herstellen. Es gibt 31 bis 33 Spinalnervenpaare, die segmental angeordnet sind:
- 8 Zervikalnerven (C1-C8)
- 12 Thorakalnerven (T1-T12)
- 5 Lumbalnerven (L1-L5)
- 5 Sakralnerven (S1-S5)
- 1-3 Coccygealnerven (Co1-Co3)
Jeder Spinalnerv entsteht aus der Vereinigung einer vorderen Wurzel (Radix anterior) und einer hinteren Wurzel (Radix posterior). Die vordere Wurzel enthält motorische Fasern, die vom Vorderhorn des Rückenmarks zu den Muskeln ziehen. Die hintere Wurzel enthält sensorische Fasern, die Informationen von der Peripherie zum Hinterhorn des Rückenmarks leiten. Die Spinalnerven verlassen den Wirbelkanal durch die Foramina intervertebralia.
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Die vorderen Äste der Spinalnerven bilden im Bereich des Halses, der Lenden- und der Kreuzbeinwirbelsäule Nervenplexus, in denen sich die Informationen aus den einzelnen Rückenmarkssegmenten auf mehrere Nerven verteilen.
Funktion des Rückenmarks
Das Rückenmark hat zwei Hauptfunktionen:
- Leitung von Nervenimpulsen: Es leitet sensorische Informationen von der Peripherie zum Gehirn und motorische Befehle vom Gehirn zu den Muskeln. Die aufsteigenden (sensiblen) Bahnen leiten Signale aus der Körperperipherie zum Gehirn, während die absteigenden (motorischen) Bahnen Signale vom Gehirn zur Muskulatur übermitteln.
- Reflexzentrum: Es dient als Reflexzentrum für bestimmte unwillkürliche Reaktionen, wie z.B. den Kniesehnenreflex oder den Rückziehreflex bei Schmerz. Reflexe sind schnelle, automatische Reaktionen auf einen Reiz, die ohne Beteiligung des Gehirns ablaufen.
Aufsteigende Bahnen (sensorisch)
- Hinterstrangbahnen (Fasciculus gracilis und Fasciculus cuneatus): Leiten feine Mechanosensorik und Propriozeption (Lage- und Bewegungsempfinden) von den unteren (Fasciculus gracilis) und oberen (Fasciculus cuneatus) Extremitäten und dem Rumpf zum Gehirn.
- Tractus spinothalamicus anterior: Leitet protopathische Sensibilität (langsame Schmerzempfindungen), grobe Mechanosensorik.
- Tractus spinothalamicus lateralis: Leitet protopathische Sensibilität (schnelle Schmerzempfindungen, Temperatur).
- Tractus spinocerebellaris posterior und anterior: Leiten Propriozeption zum Kleinhirn.
- Tractus cuneocerebellaris: Leitet Propriozeption von den oberen Extremitäten zum Kleinhirn.
- Trigeminoafferentes System: Leitet sensible Informationen aus dem Gesichtsbereich.
Absteigende Bahnen (motorisch)
- Tractus corticospinalis lateralis (Pyramidenbahn): Steuert die Willkürmotorik des Körpers.
- Tractus corticospinalis anterior (Pyramidenbahn): Steuert die Willkürmotorik des Körpers (vor allem Rumpfmuskulatur).
- Tractus corticonuclearis (Pyramidenbahn): Steuert die Willkürmotorik für Kopf und Hals.
- Tractus rubrospinalis: Aktiviert Flexoren und hemmt Extensoren, spielt eine Rolle bei der Feinmotorik.
- Tractus vestibulospinalis lateralis: Vermittelt Reflexe des Lage- und Gleichgewichtssinns, aktiviert Extensoren und hemmt Flexoren.
- Tractus vestibulospinalis medialis: Hemmt Motoneurone, beeinflusst die Muskulatur des Nackens und des oberen Rückens.
- Tractus reticulospinalis medialis: Aktiviert Extensoren und hemmt Flexoren.
Reflexe
Reflexe sind unwillkürliche Reaktionen auf einen Reiz, die im Rückenmark verschaltet werden. Es gibt Eigenreflexe und Fremdreflexe.
- Eigenreflex: Rezeptor und Effektor liegen im gleichen Organ (z.B. Muskeldehnungsreflex). Ein Schlag auf die Muskelsehne dehnt den Muskel, was eine Kontraktion des Muskels auslöst.
- Fremdreflex: Rezeptor und Effektor liegen nicht im gleichen Organ (z.B. Beugereflex). Ein Schmerzreiz führt zum Zurückziehen eines Körperteils.
Mögliche Erkrankungen des Rückenmarks und der Spinalnerven
Schädigungen des Rückenmarks oder der Spinalnerven können zu einer Vielzahl von neurologischen Ausfällen führen. Der medizinische Fachbegriff für eine Schädigung des Rückenmarks jeglicher Ursache lautet Myelopathie.
Ursachen von Rückenmarkserkrankungen
- Entzündliche Myelopathie (Myelitis): Entzündung des Rückenmarks, z.B. durch Viren, Bakterien oder Autoimmunerkrankungen (z.B. Multiple Sklerose).
- Vaskuläre Myelopathie: Durchblutungsstörungen des Rückenmarks, z.B. durch einen Rückenmarksinfarkt oder eine Blutung.
- Kompressionsmyelopathie: Quetschung des Rückenmarks, z.B. durch einen Bandscheibenvorfall, eine Spinalkanalstenose oder einen Tumor.
- Traumatische Myelopathie: Verletzungen des Rückenmarks, z.B. bei einem Genickbruch oder einer Rückenmarksprellung.
- Metabolische Myelopathie: Stoffwechselbedingte Schädigungen des Rückenmarks.
- Toxische Myelopathie: Schädigungen des Rückenmarks durch Gifte.
- Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Eine neurodegenerative Erkrankung, die sowohl die oberen als auch die unteren Motoneurone betrifft.
- Multiple Sklerose: Eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die zur Demyelinisierung des zentralen Nervensystems führt.
- Neuralrohrdefekte: Angeborene Fehlbildungen, die durch den fehlerhaften Verschluss des Neuralrohrs während der Embryonalentwicklung verursacht werden.
Ursachen von Spinalnervenerkrankungen
- Nervenwurzelkompression: Verlegung oder Kompression der austretenden Nervenwurzel, z.B. durch einen Bandscheibenvorfall, knöcherne Veränderungen oder Muskelverhärtungen.
- Radikulopathie: Reizung der austretenden Spinalnerven, meistens durch verhärtete Muskeln im Bereich der Wirbelsäule.
- Spinalkanalstenose: Verengung des Spinalkanals, die zu einer Kompression der Spinalnerven führen kann.
- Plexopathie: Schädigung oder Entzündung eines Nervenplexus.
- Tumoren der Spinalnerven: Gutartige oder bösartige Tumoren, die auf die Spinalnerven drücken können.
Symptome von Rückenmark- und Spinalnervenerkrankungen
Die Symptome hängen von der Lokalisation und dem Ausmaß der Schädigung ab. Mögliche Symptome sind:
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- Schmerzen: Im Rücken, in den Armen oder Beinen.
- Sensibilitätsstörungen: Taubheit, Kribbeln, Brennen oder andere Missempfindungen.
- Muskelschwäche oder Lähmungen: Bis hin zur Querschnittslähmung.
- Blasen- und Mastdarmstörungen: Inkontinenz oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen und Stuhlgang.
- Reflexveränderungen: Abgeschwächte oder gesteigerte Reflexe.
- Spastik: Erhöhte Muskelspannung und unwillkürliche Muskelkrämpfe.
- Ataxie: Koordinationsstörungen.
Diagnostik
Zur Diagnose von Rückenmark- und Spinalnervenerkrankungen werden verschiedene Untersuchungsmethoden eingesetzt:
- Neurologische Untersuchung: Beurteilung der मोटरischen und sensorischen Funktionen, der Reflexe und der Koordination.
- Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT) des Rückenmarks und der Wirbelsäule, Computertomographie (CT).
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektroneurographie (ENG) und Elektromyographie (EMG) zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und der Muskelaktivität.
- Lumbalpunktion: Entnahme von Liquor cerebrospinalis zur Untersuchung auf Entzündungen oder andere патологические Veränderungen.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache der Erkrankung. Mögliche Behandlungen sind:
- Medikamentöse Therapie: Schmerzmittel, entzündungshemmende Medikamente, Muskelrelaxantien, Kortikosteroide.
- Physiotherapie: Übungen zur Stärkung der Muskulatur, Verbesserung der Beweglichkeit und Koordination.
- Ergotherapie: Anpassung der Lebensumgebung und Hilfsmittelversorgung zur Verbesserung der Selbstständigkeit im Alltag.
- Operation: Bei Kompression des Rückenmarks oder der Spinalnerven, z.B. durch einen Bandscheibenvorfall oder einen Tumor.
- Anästhesieverfahren: Injektion von Opioid-Medikamenten in den Epidural- oder Subarachnoidalraum zur Schmerzlinderung bei der Geburt oder bei Operationen.
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