Alkoholiker Gehirn MRT: Auswirkungen von Alkoholkonsum auf das Gehirn

Die Auswirkungen von Alkoholkonsum auf den Körper sind vielfältig, insbesondere auf das Gehirn. Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) spielen eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung dieser Auswirkungen. Dieser Artikel beleuchtet die Veränderungen im Gehirn von Alkoholikern, die durch MRT sichtbar gemacht werden können, sowie die Diagnose und Behandlung von alkoholbedingten Hirnschäden.

Strukturelle und funktionelle Veränderungen im Gehirn von Alkoholikern

Studien haben gezeigt, dass im Gehirn von rückfälligen Alkoholpatienten strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten vorkommen. Eine Studie (Archives of General Psychiatry 2012; 69(8): 842-852) ergab, dass Patienten, die nach einer dreimonatigen Abstinenzphase rückfällig wurden, im Vorderhirn verstärkt graue Substanz verloren hatten. Bei abstinent gebliebenen Patienten könnte diese Besonderheit als Warnsignal fungieren und einen Rückfall bei Konfrontation mit Alkohol verhindern. Zukünftige Studien könnten Faktoren der Alkoholabhängigkeit, wie genetische Mechanismen, mit in Betracht ziehen.

Ein Forscherteam des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und des Instituto de Neurociencias de Alicante (Spanien) konnte nachweisen, dass alkoholbedingte Schädigungen im Gehirn noch für mindestens sechs Wochen fortschreiten, auch wenn der Betroffene in der Zwischenzeit völlig abstinent war. Bisher war man davon ausgegangen, dass sich alkoholbedingte Schäden schnell zurückbilden, wenn man mit dem Trinken aufhört. Von den Schädigungen betroffen ist vor allem die weiße Substanz des Gehirns, die eine wichtige Rolle für Lernen und Gedächtnisbildung spielt.

In einer Studie, die an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am ZI durchgeführt wurde, untersuchten die Forscher bei mehr als 90 Patienten die Veränderung im Nervengewebe nach dem Alkoholentzug. Dazu benutzten sie eine spezielle Methode der Magnetresonanztomographie (MRT), durch die Diffusionsvorgänge von Wassermolekülen im Gehirn dargestellt werden können (Diffusion Tensor Imaging, DTI). Bei den Patienten konnten auf diese Weise ausgedehnte mikrostrukturelle Schädigungen nachgewiesen werden. Überraschenderweise stellten die Forscher fest, dass die Schädigungen selbst über einen Zeitraum von mindestens sechs Wochen nach der Entgiftung noch fortschreiten. Die Forscher glauben, dass dies durch eine alkoholbedingte Entzündungsreaktion im Gehirn verursacht werden könnte. Diese Reaktion könnte auch für die hohe Rückfallrate von Patienten, insbesondere während der frühen Phase der Abstinenz, eine Rolle spielen.

Um Alkohol als den ursächlichen Faktor der beobachteten Hirnveränderungen feststellen zu können, untersuchten die Forscher mit der gleichen Methodik eine Gruppe von Ratten. „Die Tiere zeigten im MRT genau die gleichen Hirnveränderungen wie die Patienten. Dies erlaubt es, den Ursachenzusammenhang klar festzustellen, was allein durch klinische Beobachtungen am Patienten nicht möglich gewesen wäre“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Sommer, stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Psychopharmakologie und Oberarzt an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am ZI. Andere Einflussfaktoren wie Rauchen, Ernährung, Schweregrad des Entzugs oder weitere Erkrankungen und geistige Einschränkungen konnten die Forscher so ausschließen.

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Die im Vergleich zu Menschen kurze und eher gemäßigte Trinkperiode der Tiere deutet darauf hin, dass permanente Gehirndefizite nach übermäßigem Alkoholkonsum viel früher auftreten können, als derzeit angenommen. Da sich solche frühen Anzeichen von Gehirnschädigungen durch übermäßigen Alkoholkonsum mit Hilfe von Standard-MRT-Aufnahmen nicht erkennen lassen, arbeitet das mit Hilfe des EU-Programms Horizon 2020 geförderte Forscherteam nun an der Entwicklung einer MRT-basierten Screening-Methode zum Nachweis der Schädigung. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen zudem, wie wichtig langfristige Abstinenzperioden sind, um bleibende Schäden zu verhindern.

Moderate Mengen Alkohol und ihre Auswirkungen

Laut einer aktuellen Studie hinterlassen auch moderate Mengen Alkohol bei regelmäßigem Konsum Spuren im Gehirn. Ein Forschungsteam hat MRT-Aufnahmen einer großen Stichprobe ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass schon vergleichsweise geringe Mengen Alkohol mit einer Reduzierung des Gehirnvolumens in Zusammenhang stehen. Die Forscherinnen und Forscher haben das Volumen der weißen und grauen Substanz im Gehirn gemessen. Die graue Substanz besteht aus Nervenzellen, während die weiße Substanz aus Nervenfasern besteht, die Nervenzellen miteinander verbinden.

Schon bei vergleichsweise geringfügigen Konsumunterschieden fand das Team Unterschiede in der Gehirnstruktur. Zudem steige das Risiko nicht gleichmäßig mit jedem getrunkenen Glas. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Abbau der weißen und grauen Substanz mit steigendem Konsum überproportional zunimmt.

Das Forschungsteam veranschaulicht ihre Ergebnisse am Beispiel einer 50-jährigen Person. Trinkt die Person maximal ein kleines Bier (0,2l) am Tag, würde sich kein messbarer Effekt im Gehirn im Vergleich zu einer alkoholabstinenten Person niederschlagen. Steigert diese Person ihren Konsum aber von zwei auf drei kleine Bier am Tag, sei der Rückgang der weißen und grauen Substanz vergleichbar mit einer Alterung um etwa dreieinhalb Jahre. Der Effekt sei nicht linear. „Es wird schlimmer, je mehr man trinkt“, erklärt Daviet.

Vorzeitiges Altern des Gehirns

Schon eine Flasche Bier am Tag lässt die graue sowie die weiße Substanz im Gehirn schrumpfen, wenn Sie über einen langen Zeitraum regelmäßig konsumieren. Die Veränderungen, die Alkohol in den Gehirnsubstanzen verursacht, sind jedoch nicht linear: Je mehr man trinkt, desto schneller schrumpft das Gehirn. Ein Beispiel: Erhöht eine 50-jährige Person ihren täglichen Alkoholkonsum von einem 0,25l Glas Bier auf eine 0,5l Flasche Bier, entsprechen die Veränderungen im Gehirn einer Alterung von zwei Jahren.

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Die Folgen der Hirnalterung machen sich vor allem durch ein geschwächtes Erinnerungsvermögen bemerkbar. So kann es häufiger dazukommen, dass sie Kleinigkeiten wie Ihren Hausschlüssel vergessen oder immer öfter mehr als einmal auf Ihre Einkaufsliste schauen müssen. Aber der Alkohol beeinträchtigt auch andere kognitive Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Orientierung oder die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass regelmäßiger Alkoholkonsum von bereits fünf bis sechs Standardgläsern pro Woche die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert.

Erhöhtes Demenzrisiko

Im Gehirn verursacht ein regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen außerdem Veränderungen, die das Risiko einer Demenzerkrankung stark erhöhen. Studien zeigen, dass sich das Demenzrisiko deutlich erhöht, wenn man regelmäßig viel Alkohol trinkt. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet.

Von 15 Alkoholikern, die mindestens drei Jahre abhängig waren und dann abstinent wurden, nahm bei 14 innerhalb von sieben Wochen das Hirnvolumen um durchschnittlich knapp zwei Prozent zu, so Professor Andreas J. Bartsch von der Universität Würzburg und seine Kollegen. Die Hirnvolumina waren zu Beginn und am Ende der Studie per MRT bestimmt worden. Nur bei einem Patienten nahm das Hirnvolumen leicht ab - dieser war bereits seit 25 Jahren abhängig. Bei der Volumenzunahme handele es sich keinesfalls um eine simple Rehydratation, so der Neuroradiologe Bartsch mit Verweis auf den unveränderten Wassergehalt der Gehirne. Zudem korrelierte die Volumenzunahme mit einem verbesserten Hirnstoffwechsel. Das ergab sich aus der Messung bestimmter chemischer Marker für die Hirnfunktion per MR-Spektroskopie. Zu den Markern zählten Cholin- und die N-Acetylaspartat (NAA)-Werte. Das zerebelläre Cholin stieg bei den abstinenten Patienten signifikant um durchschnittlich 20 Prozent, und zwar direkt proportional zur Volumenzunahme. Beide Marker sprächen für eine Regeneration von Neuronen und Gliazellen innerhalb weniger Wochen, so Bartsch.

Das Korsakow-Syndrom

Das Korsakow-Syndrom ist meist die Folge eines jahrelangen, exzessiven Alkoholkonsums. Es kommt zu einer Hirnschädigung, die mit Symptomen wie Gedächtnis- und Orientierungsproblemen einhergehen kann. Charakteristisch sind insbesondere Gedächtnisstörungen, Desorientierung und Verhaltensauffälligkeiten wie Lügen. Da es zu irreversiblen Hirnschädigungen kommt, lässt sich die Erkrankung nicht heilen. Grundsätzlich hängt die Lebenserwartung vom Grad der Schädigung des Hirns und der konsequenten Alkoholabstinenz Betroffener ab. Insbesondere bei fehlender Behandlung ist die Prognose schlecht.

Das Korsakow-Syndrom entsteht aufgrund eines Mangels an Vitamin B1 (Thiamin). Insbesondere ein langjähriger Alkoholmissbrauch geht oft mit einem Vitaminmangel einher: Zum einen kommt es bei Menschen mit Alkoholsucht oft zu einer Mangelernährung. Zum anderen führt Alkoholismus dazu, dass der Magen-Darm-Trakt das Vitamin schlechter aufnehmen kann.

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Besonders typisch sind beim Korsakow-Syndrom Störungen des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit. Insbesondere das Kurzzeitgedächtnis wird in Mitleidenschaft gezogen. Betroffene leiden mitunter an verschiedenen Formen des Gedächtnisverlustes (Amnesie): anterograde Amnesie und retrograde Amnesie. Aufgrund der Gedächtnisstörungen kommt es bei Betroffenen oft zu weiteren Verhaltensänderungen und Symptomen wie Konfabulationen und Orientierungsstörungen.

In den meisten Fällen verläuft das Korsakow-Syndrom chronisch. Die Symptome bleiben dann dauerhaft bestehen und die Betroffenen sind lebenslang beeinträchtigt. Verbesserungen können nur bedingt und im Einzelfall erzielt werden. Insgesamt ist die Prognose ungünstig. Viele Menschen mit Korsakow-Syndrom können ihren Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen und sind auf Betreuung angewiesen.

Die Diagnose erfolgt anhand der typischen Symptome in Kombination mit einigen Untersuchungen. Insbesondere chronischer Alkoholmissbrauch gibt einen Hinweis auf die Erkrankung. Auffällig können etwa ein gestörtes Kurzzeitgedächtnis, die fehlende Orientierung und die mangelnde Merkfähigkeit sein. Auch Gespräche mit Angehörigen oder Pflegepersonal können bei der Diagnosestellung helfen. Wichtig ist zudem eine gründliche körperliche Untersuchung. Viele Betroffene leiden unter weiteren Folgeerkrankungen durch Alkoholkonsum, wie etwa einer Leberzirrhose. Anhand des Blutbilds lässt sich zudem feststellen, ob tatsächlich ein Vitamin-B1-Mangel vorliegt.

Ist das Korsakow-Syndrom voll ausgeprägt, geht es in der Therapie vor allem darum, die Symptome zu lindern. Durch die Gabe von Vitamin B1 und strikter Alkoholabstinenz kann sich der Zustand einiger Patient*innen leicht verbessern. Ein voll ausgeprägtes Korsakow-Syndrom führt jedoch in der Regel zu bleibenden Hirnschäden. Mithilfe eines neuropsychologischen Trainings und psychotherapeutischer Behandlung können Betroffene zusätzlich unterstützt werden.

Hauptrisikofaktor für die Erkrankung ist ein chronischer Alkoholismus. Daher gilt: Wer dem Korsakow-Syndrom vorbeugen möchte, sollte auf regelmäßigen, übermäßigen Alkoholkonsum verzichten. Menschen, die zu Alkoholmissbrauch neigen, können den Schädigungen des Gehirns durch die Zufuhr von Vitamin B1 ein Stück weit vorbeugen.

Alkohol und der Hippocampus

Eine aktuelle Studie zeigt, welche Hirnbereiche besonders leiden und welche Auswirkungen das hat. Für die Studie wurden die Gehirne von 83 Männern im mittleren Alter mit Hilfe der Magnetresonanztomographie, kurz MRT, „durchleuchtet“. Auf MRT-Aufnahmen wird die innere Struktur des Gehirns sichtbar. 48 MRT-Aufnahmen stammten von Männern mit einer Alkoholabhängigkeit, die aber seit ein bis zwei Wochen in einer Klinik in Behandlung sind.

Alkohol schädigt die Verbindung zwischen Hirnarealen. Am stärksten betroffen war eine Verbindung, die den Hippocampus mit einem Bereich verknüpft, der als präfrontaler Cortex bezeichnet wird. Diese Verbindung spielt eine wichtige Rolle, um Erinnerungen einspeichern und unbrauchbare Informationen aus dem Gehirn löschen zu können. Auch die Steuerung des Verhaltens und die Verarbeitung von Gefühlen ist davon betroffen.

Die geschädigten Hirnstrukturen hängen mit den Ergebnissen aus den Denktests zusammen. Je stärker die Verbindung durch Alkohol geschädigt war, desto länger brauchten die Teilnehmer für die Testaufgaben und umso schlechtere Leistungen erzielten sie, wenn kognitive Flexibilität gefragt war. Die Alkohol-Schäden könnten dazu führen, dass die betroffene Personen Schwierigkeiten haben, gewohntes Verhalten zu ändern. Dies könne nach Einschätzung des Forschungsteams auch den Erfolg beim Ausstieg aus den Alkoholkonsum gefährden.

Denn die Entwöhnung von Alkohol kann auch als ein Prozess des Verlernens verstanden werden. Alkoholabhängige haben gelernt, dass bestimmte Reize, wie eine Flasche Bier, positive Gefühle vermittelt. Diese gelernte Verbindung sollte im Zuge der Entwöhnung wieder gelöscht werden oder zumindest nicht mehr so präsent sein. Wenn aber die kognitive Flexibilität und die Fähigkeit des Verlernens aufgrund der Alkoholabhängigkeit gemindert sind, fällt es den Menschen mit einem Alkoholproblem schwerer, solchen Alkohol-Reizen zu widerstehen.

Genetische Faktoren und Alkoholabhängigkeit

Eine Vielzahl von Studien zeigt übereinstimmend, dass genetische Faktoren deutlich zur Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit beitragen. Dieser genetische Anteil ist offenbar in Subgruppen alkoholabhängiger Patienten mit besonders schwerem Krankheitsverlauf am stärksten ausgeprägt. Er könnte dort für die Entwicklung der Abhängigkeitserkrankung bedeutsamer sein als der Einfluss von Umweltfaktoren. Patienten mit einem derart schweren Verlauf der Alkoholabhängigkeit erkranken oft bereits vor dem 25. Lebensjahr.

Ein viel unscheinbareres Merkmal ist nach Studien von Schuckit und Mitarbeitern entscheidend an der Disposition zur Alkoholabhängigkeit beteiligt, nämlich eine teilweise genetisch bedingte, schwache Auswirkung akuten Alkoholkonsums. Prospektiv wurde bei jungen Männern und Frauen, die erstmals begonnen hatten, Alkohol zu konsumieren, die Frage untersucht, welche Charakteristika eine spätere Alkoholabhängigkeit voraussagen würden. Als wesentlicher Risikofaktor zeigte sich das Ausmaß der akuten Alkoholwirkungen, beispielsweise der eintretenden Sedierung oder der Ataxie. Dabei waren die Personen besonders gefährdet, die akut nur wenig Auswirkungen des Alkohols verspürten. Offenbar ruft Alkoholkonsum bei diesen Menschen kaum unangenehme Wirkungen hervor, sodass ein natürliches Warnsignal fehlt, das den Betroffenen anzeigt, wie gefährlich exzessiver Alkoholkonsum für sie ist. Aktuelle genetische Studien und Untersuchungen im Primatenmodell weisen darauf hin, dass die erhöhte Alkoholtoleranz Folge einer Unterfunktion der serotonergen Neurotransmission sein könnte.

Bei Menschen mit einer genetisch bedingten Verlangsamung des Alkoholabbaus steigt der toxische Metabolit Acetaldehyd an und verursacht höchst unangenehme Wirkungen, die die Betroffenen meist vor einem exzessiven Alkoholkonsum und der Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit bewahren. Die entsprechenden Genotypen, Varianten der Alkohol-Dehydrogenase und der Aldehyd-Dehydrogenase, finden sich häufiger bei Menschen aus Asien und könnten regionale Unterschiede in Trinkmustern und der Häufigkeit des Auftretens einer Alkoholabhängigkeit erklären.

Gemeinsames Kennzeichen dieser Risikofaktoren ist also, dass sie mit einer geringen Ausprägung unangenehmer Wirkungen akuten Alkoholkonsums einhergehen. Dies wird von den Betroffenen meist nicht als Gefahr, sondern eher als vermeintliche Stärke erlebt („ich kann andere unter den Tisch trinken“). Gerade jene jungen Menschen, die viel Alkohol vertragen, sind aber besonders gefährdet, auf längere Sicht alkoholabhängig zu werden. Diese wichtige Beobachtung sollte gerade in der schulischen Präventionsarbeit verstärkt beachtet werden.

Soziale Isolation und Alkoholmissbrauch

Rhesusaffen, die ohne Mütter aufwachsen müssen, zeigten in Studien als erwachsene Tiere einen exzessiven Alkoholkonsum. Als Folge der frühen sozialen Isolation findet sich bei diesen Tieren eine persistierende serotonerge Funktionsstörung, die mit der Schwere der Aggressivität und dem Alkoholkonsum korreliert. Möglicherweise konsumieren diese Tiere exzessiv Alkohol, weil dessen sedierende Wirkung dem Gefühl der Bedrohung und Angst entgegenwirkt.

In Adoptionsstudien zeigte sich, dass auch Menschen, die in ihrer frühen Kindheit lange in Heimen leben mussten, als Erwachsene häufig exzessiv Alkohol konsumieren und ein erhöhtes Risiko aufweisen, alkoholabhängig zu werden. Aus anthropologischer Sicht ist soziale Isolation einer der wichtigsten Stressfaktoren bei Menschen und Primaten. Eine erhebliche Diskrepanz zwischen Wünschen und sozialen Möglichkeiten kann zum Rückzug in einen exzessiven Alkoholkonsum beitragen, und die gesellschaftliche Ablehnung und abwertende Etikettierung abhängigen Verhaltens kann die soziale Isolation weiter verstärken.

Neurobiologische Korrelate des chronischen Alkoholmissbrauchs

In den aktuellen Klassifikationssytemen psychiatrischer Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) und der American Psychiatric Association (DSM-IV) wird der Alkoholmissbrauch nicht durch die Menge des konsumierten Alkohols, sondern durch die aufgrund von Alkoholkonsum auftretenden Folgeschäden definiert. Zu diesen zählen körperliche oder seelische Folgeschäden wie beispielsweise eine depressive Episode nach exzessivem Alkoholkonsum. Als einer der wichtigsten Schäden infolge von Alkoholkonsum ist die alkoholassoziierte Hirnatrophie zu nennen, die die graue und weiße Substanz betrifft und sich als Ventrikelerweiterung und Verbreiterung der Sulci in bildgebenden Verfahren darstellen lässt.

Bei vergleichbarem Alkoholkonsum sind Frauen von einer Hirnatrophie stärker betroffen als Männer. Die Hirnatrophie ist im frontalen Kortex und Zerebellum besonders ausgeprägt, findet sich aber auch im anterioren Hippocampus alkoholabhängiger Patienten, und zwar unabhängig vom Vorliegen eines Wernicke-Korsakow-Syndroms. Das Ausmaß der alkoholassoziierten Hirnatrophie im frontalen und temporalen Kortex ist klinisch besonders wichtig, da eine Störung der genannten Hirnareale die längerfristige Handlungsplanung und das Arbeitsgedächtnis beeinträchtigen und einen auf kurzfristige Belohnung angelegten Alkoholkonsum verstärken kann.

Bei langfristiger Abstinenz bildet sich die Atrophie zumindest partiell zurück. Damit bildet die Alkoholabhängigkeit im Gegensatz zum irreversiblen Verlauf demenzieller Prozesse (zum Beispiel beim Morbus Alzheimer) ein heuristisches Modell, welches einen direkten Einblick in die Plastizität des menschlichen Gehirns erlaubt.

Toleranzentwicklung und Entzugssymptomatik

Bedeutsame Merkmale für ein neurobiologisches Verständnis der Alkoholabhängigkeit sind einerseits die zunehmende Toleranz gegenüber den Auswirkungen des exzessiven Alkoholkonsums und das Auftreten von Entzugserscheinungen bei Unterbrechung der Alkoholzufuhr und andererseits eine Sensitivierung gegenüber den verhaltensmodulierenden Wirkungen des Alkoholkonsums.

Um das Konzept der Toleranzentwicklung zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass das Gehirn als autoregulatives Organ auf die Beibehaltung einer Homöostase eingerichtet ist. Wird diese beispielsweise durch die alkoholbedingte Sedierung aus dem Gleichgewicht gebracht, reagiert das Gehirn mit einer gegenregulatorischen Verminderung derGABAA-Rezeptoren, über die ein wichtiger Teil der sedativen Wirkungen des Alkohols vermittelt wird. Zudem blockiert Alkohol die Übertragung am glutamatergen NMDA-Rezeptor (NMDA, N-Methyl-D-Aspartat). So kann zunehmend mehr Alkohol konsumiert werden, ohne dass eine exzessive Sedierung erfolgt.

Die Kehrseite der Medaille ist die erhöhte Empfindlichkeit gegen eine Unterbrechung der Alkoholzufuhr. Denn zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Erregung und Hemmung steigt die Zahl der durch Alkohol in ihrer Funktion behinderten NMDA-Rezeptoren an. Im Entzug trifft der exzitatorische Botenstoff Glutamat auf eine erhöhte Zahl glutamaterger Rezeptoren, während sein Gegenspieler, der sedierende Neurotransmitter GABA, nur auf eine reduzierte Rezeptorenzahl einwirken kann. Damit verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Exzitation und Sedation im Gehirn und es kann zu Krampfanfällen oder anderen Entzugssymptomen kommen. In fortgeschrittenen Fällen genügt die Unterbrechung der Alkoholzufuhr während des Nachtschlafs, um eine morgendliche Entzugssymptomatik auszulösen. Diese morgendliche Entzugssymptomatik ist eines der verlässlichsten Symptome einer eingetretenen Alkoholabhängigkeit.

Alkoholische Kleinhirndegeneration (AKD)

Breitbeiniges Gehen, Torkeln und Gleichgewichtsstörungen: Treten diese Symptome bei Alkoholabhängigen auch im nüchternen Zustand auf, liegt meist eine sogenannte Alkoholische Kleinhirndegeneration (AKD) vor. Meist entwickelt sich eine Alkoholische Kleinhirndegeneration als Folgeerkrankung schädlichen Alkoholgebrauchs. Sie kann innerhalb weniger Wochen, aber auch nach langem chronischem Konsum auftreten. Je früher eine Alkoholikerin oder ein Alkoholiker aufhört zu trinken, umso größer ist die Chance, dass sich die Beschwerden bessern. Bei chronischem Alkoholmissbrauch kann das Kleinhirn allerdings dauerhaft schrumpfen.

Bei alkoholabhängigen Personen können mehrere Faktoren zum Absterben von Nervenzellen (Neuronen) im Kleinhirn beitragen: Nervenzellen benötigen Vitamin B1 (Thiamin) zur Energiegewinnung. Fehlt es, nehmen die Zellen Schaden. Auf dem Weg durch den Verdauungstrakt kann der Alkohol (Ethanol) die Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts schädigen, sodass der Körper weniger Vitamin B1 aufnehmen kann. Über den Dünndarm gelangt der Alkohol in die Blutbahn und überwindet zusammen mit seinem Hauptabbauprodukt Acetaldehyd auch die Bluthirnschranke. So können die Zellgifte im Gehirn Neuronen zerstören. Alkohol wird in der Leber zunächst in Acetaldehyd abgebaut. Zu große Mengen davon schädigen die Zellfunktionen der Leber. Ist das Organ geschwächt, kann es oft kein Vitamin B1 mehr speichern. Viele Alkoholabhängige entwickeln zudem Ernährungsgewohnheiten, die Mangelerscheinungen begünstigen.

Die Zellschäden im Gehirn zeigen sich anhand folgender Beschwerden: Fahrige, unkoordinierte Bewegungen, Probleme, gegensätzliche Bewegungen auszuführen (Bewegungen in verschiedene Richtungen), Zittern bei gezielten Bewegungen, zum Beispiel beim Versuch, ein Glas zu greifen (Intentionstremor), oder ein unleserliches, verzittertes Schriftbild, Schlaffe Muskulatur, da die Muskelspannung gestört ist. Im späteren Verlauf können Sprech- und Sprachstörungen sowie abgehacktes Sprechen auftreten.

Die Ärztin oder der Arzt befragt die betroffene Person nach ihren individuellen Trinkgewohnheiten. Eine anschließende Blutuntersuchung kann weitere Hinweise auf eine Schädigung liefern. Dabei werden im Labor vor allem das Blutbild sowie die Leber- und Gerinnungswerte bestimmt und der Vitamin-B1-Spiegel gemessen. Koordinations- und Gleichgewichtstests helfen dabei, das Ausmaß einer Kleinhirnschädigung abzuschätzen. Mittels Neurografie kann in einer neurologischen Praxis gemessen werden, wie schnell die Nervenbahnen Reize weiterleiten. Eine Computertomografie kann außerdem den Schwund des Kleinhirns sichtbar machen.

In der Regel erhalten Betroffene zunächst ein Präparat mit Vitamin B1, unterstützend hilft eine ausgewogene Ernährung. Im Rahmen einer Physiotherapie können Koordinationsfähigkeit und Gleichgewicht gezielt trainiert werden. Die wirksamste Behandlungsmethode stellt jedoch der Verzicht auf Alkohol dar.

Diagnose von Alkoholsucht

Die Diagnose von Alkoholsucht ist ein komplexer Prozess, der viele Aspekte des Lebens berücksichtigt.

  • Klinische Untersuchung: Der Arzt führt eine umfassende Anamnese (Gespräch über die Vorgeschichte der Krankheit) und körperliche Untersuchung durch, um Hinweise auf Alkoholmissbrauch und mögliche körperliche Schäden zu erkennen.
  • Labortests: Es werden Bluttests durchgeführt, um den Zustand der Leber zu beurteilen und weitere Anzeichen von übermäßigem Alkoholkonsum zu finden.
  • Bildgebende Verfahren: Bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder CT können verwendet werden, um mögliche körperliche Schäden durch Alkoholmissbrauch, wie Leberschäden, zu erkennen.
  • Spezialisierte Tests: Spezialisierte Fragebögen wie der AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test) können verwendet werden, um das Trinkverhalten und das Ausmaß der Abhängigkeit zu bewerten.
  • Genetische Faktoren: Genetische Faktoren können eine Rolle bei der Anfälligkeit für Alkoholsucht spielen. Genetische Tests können hilfreich sein, sollten aber nicht als alleinige Grundlage für eine Diagnose verwendet werden.
  • Umwelt- und Lebensstilfaktoren: Faktoren wie Stress, Trauma und der Umgang mit Alkohol im sozialen Umfeld können zur Entwicklung einer Alkoholsucht beitragen. Die Bewertung von Umwelt- und Lebensstilfaktoren kann Hinweise liefern, sollte aber nicht isoliert betrachtet werden. Solche Faktoren sind oft nur ein Teil des gesamten Krankheitsbildes.

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