Wie denken, fühlen und handeln wir? Neurowissenschaftler erforschen die Grundlagen des Menschseins und gehen Fragen nach, wie das Gehirn unsere Beziehungen beeinflusst, was unsere Gewohnheiten und Entscheidungen antreibt oder wie Erinnerungen verarbeitet werden. Die Erkenntnisse beeinflussen die Bildung, politische Entscheidungen und die Entwicklung neuer Technologien. Um diese einer breiten Öffentlichkeit in verständlicher Form zugänglich zu machen, gibt es innovative Ansätze wie Comics, die komplexe neurowissenschaftliche Themen aufbereiten.
"Neurocomic": Eine aberwitzige Reise durch bizarre Gehirnlandschaften
"Neurocomic" ist ein Wissenschaftscomic, der den Leser auf eine faktenreiche und fantastische Expedition ins menschliche Gehirn mitnimmt. Geschrieben und gezeichnet wurde der Comic von den Hirnforschern Matteo Farinella und Hana Roš. Der Leser reist durch verschlungene Neuronenwälder in die Tiefen einer Synapse und begegnet Neurotransmittern mit Superkräften und fabelwesenhaften Substanzen, die das Gehirn bedrohen. Auch der Hippocampus in Form eines Seepferdchens, der Pawlowsche Hund und die großen Erforscher des Nervensystems und des Gehirns, wie Santiago Ramón y Cajal, Hans Berger und Eric Kandel, kreuzen den Weg.
Die Geschichte beginnt damit, dass ein Mann unverrichteter Dinge seines Weges spaziert, als er urplötzlich aufgelesen wird - im wahrsten Sinn des Wortes: Er wird von den Seiten des Buches, in dem er offenbar lebt, weggesaugt und purzelt an einen ihm zunächst unbekannten Ort. Die Umgebung erinnert an einen dichten Wald voller feingliedrig verzweigter, kahler Bäume. Mittendrin stößt er auf einen altmodisch gekleideten Herrn, der die Gewächse skizziert. Dieser klärt ihn auf, dass die Bäume Neuronen sind und er sich im Dschungel des Nervensystems befindet: „Du bist im Gehirn! Dem Kern deiner ureigenen Existenz…“. Der Herr entpuppt sich als Santiago Ramón y Cajal, der für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Hirnforschung einen Nobelpreis erhielt und als Vater der Neurowissenschaften gilt.
Während Cajal noch über das Geheimnis des menschlichen Geistes schwadroniert, stürmt ein Mann mit Schnauzer durch die dalíeske Szenerie: Camillo Golgi, der italienische Nobelpreisträger, der Cajal nicht die Lorbeeren alleine lassen will - schließlich hatte er eine Methode gefunden, um Neuronen überhaupt zum ersten Mal unter dem Mikroskop sichtbar zu machen.
Während der namenlose Protagonist unverhofft (und ziemlich unfreiwillig) durch Nervenzellen katapultiert wird und immer weiter in die Tiefen der Gehirnwindungen eindringt, übernehmen die historischen Kapazunder der Hirnforschung den Erklärpart. So schicken die Neurophysiologen Charles Scott Sherrington und Bernard Katz den Gehirnreisenden, ausgerüstet mit einem Fallschirm und eingesperrt in ein Vesikel aus Neurotransmittern, durch eine Synapse - natürlich erst, nachdem sie ihm deren Funktionsweise erklärt haben. Unser Mann ist aber trotzdem sichtlich überfordert, als er auf eine Reihe von skurrilen Kriegern trifft, die sich als Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin oder G.A.B.A. Nachdem er im elektrischen Ozean von einem Riesenkraken angefallen wird, klaubt ihn ein gut gelaunter Eric Kandel am Strand auf. Der 1929 in Österreich geborene Medizinnobelpreisträger, der vor den Nazis in die USA flüchtete, klärt den schon ziemlich mitgenommenen Protagonisten über die verschiedenen Arten des Gedächtnisses auf. Unterstützt wird er dabei von einer Gitarre spielende Nacktschnecke und einem Seepferdchen, das den Hippocampus, den Archivar des Gehirns, darstellt. Hoch oben auf einer Klippe trifft der Held auf Hans Berger, den deutschen Neurologen, der 1924 das Elektroenzephalogramm (EEG) erfand, womit er erstmals Gehirnwellen messen konnte.
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Die Verwebung von Fiktion, Fakten und Illustrationen, wie sie in keinem Lehrbuch zu finden sind, macht „Neurocomic“ so ansprechend. Farinella und Roš nehmen diese Grauzonen als Sprungbrett, um ihre Fantasie spielen zu lassen und nehmen dabei Anleihen bei Künstlern wie Hieronymus Bosch, M. C. Escher und Jim Woodring.
"Das Gehirn": Eine Graphic Novel für Neulinge?
Dr. Matteo Farinella und Dr. Hana Roš bringen uns mit „Das Gehirn“ eine Welt näher, die vielen von uns eher verschlossen bleibt. Auf knapp 130 Seiten reisen wir mit einem namenlosen Protagonisten (der in ein Gehirn „aufgelesen“ wird und eigentlich nur nach Hause will) quer durch unser Rechenzentrum und erfahren alles über die Funktionsweise von Rezeptoren, Neurotransmittern und Vesikeln.
Wer Fachtermini eher meidet und Wert auf eine Dummy-freundliche Erklärweise legt, ist hier leider falsch, denn „Das Gehirn“ ist trotz seiner Aufmachung als Graphic Novel weder für jüngere noch Gehirn-unerfahrene Leser geeignet. Die Kapitel sind durchdacht aufgebaut und der Einbau von berühmten Wissenschaftlern der Hirnforschung, die alle die eine oder andere grandiose Entdeckung gemacht haben, ist eine tolle Idee. Nur leider wird hier der Leser ohne Vorwissen mit Begrifflichkeiten nahezu überschüttet, teilweise werden Termini auch erst später erklärt, obwohl sie bereits früher gezeigt wurden. Allerdings sollte das nicht Sinn der Sache sein, wenn man schon komplizierte Themen auf eine Graphic Novel herunterbricht. Für Neulinge ist „Das Gehirn“ als Einstieg vielleicht etwas viel, dennoch kann ich es empfohlen werden - die tolle Aufmachung konditioniert perfekt, begeistert zu sein!
"Hallo Maestro" - Comicreihe: Reise in den menschlichen Körper
Maestro bricht auf zu einem neuen Abenteuer, um eine fremde Welt zu erkunden: den menschlichen Körper! Dabei begegnet er allen Bewohnern eures Körpers. Von den roten Blutkörperchen die durch euer Herz fließen, über die Gedanken in eurem Gehirn bis hin zu den weißen Blutkörperchen, die dafür sorgen, dass Bakterien und Viren keine Chance haben! Auch Maestros Freunde Adam, Eva und Jumbo sind natürlich wieder mit von der Partie und werden noch viele weitere Freundschaften schließen.
Im zweiten Kapitel der „Hallo Maestro“-Comicreihe reisen wir einmal quer durch unseren Körper. Vom Herzen über das Gehirn, Knochen und Skelett und in jeden noch so verborgenen Winkel. Das bewährte Rezept aus lehrreichen Visualisierungen und lustigen Episoden der liebgewonnenen Charaktere bleibt natürlich erhalten, und „Es war einmal… das Leben“ präsentiert sich komplett in modernen, kindgerechten Zeichnungen. Ihr zweites Abenteuer führt Maestro und seine mutigen Freunde in die geniale Schaltzentrale unserer Körper. Das Gehirn ist unglaublich kompliziert - werden sie sich darin zurechtfinden?
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"Science Streets": Neurowissenschaften im öffentlichen Raum
In Leipzig werden im Jahr 2026 Comics zum Thema Neurowissenschaften hängen. Das Gemeinschaftsprojekt des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften mit Künstlern und Illustratoren wird von der Daimler und Benz Stiftung in der Förderlinie „Innovative Wissenschaftsvermittlung“ mit rund 30.000 Euro unterstützt. Mit dem Projekt „Science Streets“ sollen Menschen außerhalb der sogenannten Wissenschaftsblase erreicht werden.
Ab Juni 2026 werden im Leipziger Stadtzentrum zehn verschiedene Neuro-Comics an rund 200 Orten an den Start gehen, etwa auf Litfaßsäulen, im öffentlichen Nahverkehr und auf Bildschirmen am Hauptbahnhof. Die Comics sollen in enger Kooperation zwischen Neurowissenschaftlern und Künstlern entwickelt werden. Erstere haben die Aufgabe, das Forschungsfeld mit wichtigen Ergebnissen, aber auch offenen Fragen vorzustellen und ihre Arbeit in leicht verständlicher Sprache zu präsentieren. Die Illustratoren werden die Inhalte in eine ansprechende Grafik übersetzen, wobei einheitliche Designrichtlinien für einen Wiedererkennungswert der Marke "Science Streets" einzuhalten sind. Jeder Comic enthält einen QR-Code, der den Betrachter einlädt, das vorgestellte wissenschaftlichen Thema bei Interesse zu vertiefen.
Zum Abschluss des vierwöchigen „Science Streets“-Projekts ist ein Event mit Ausstellung, Vorträgen und Diskussionen geplant. So können Interessierte noch tiefer in die faszinierende Welt der Neurowissenschaften eintauchen.
Die Macht der Bilder: Comics als Brücke zur Wissenschaft
Comics bieten eine einzigartige Möglichkeit, komplexe wissenschaftliche Themen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Durch die Kombination von Text und Bild können abstrakte Konzepte visualisiert und somit leichter verständlich gemacht werden. Der humorvolle und spielerische Ansatz von Comics kann zudem das Interesse an der Wissenschaft wecken und eine emotionale Verbindung zum Thema aufbauen.
Die Beispiele von "Neurocomic", "Das Gehirn" und "Science Streets" zeigen, dass Comics ein wertvolles Instrument für die Wissenschaftsvermittlung sein können. Sie ermöglichen es, die faszinierende Welt des Gehirns und der Neurowissenschaften auf eine unterhaltsame und informative Weise zu erkunden.
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