Das Gefühlszentrum Gehirn: Funktion, Schäden und Auswirkungen

Das Gehirn ist ein komplexes Organ, das für die Steuerung nahezu aller Körperfunktionen verantwortlich ist, einschließlich unserer Emotionen. Das sogenannte Gefühlszentrum, auch limbisches System genannt, spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Verarbeitung von Emotionen. Schäden in diesem Bereich können weitreichende Folgen für das emotionale Erleben und Verhalten haben.

Aufbau und Funktion des limbischen Systems

Das limbische System ist ein entwicklungsgeschichtlich alter Bereich des Gehirns, der sich zwischen dem Neocortex (Teil der Großhirnrinde) und dem Hirnstamm befindet. Es besteht aus verschiedenen Hirnarealen, die eng miteinander verbunden sind und wie ein Ring um die Basalganglien und den Thalamus liegen. Zu den wichtigsten Bestandteilen gehören:

  • Amygdala (Mandelkern): Die Amygdala ist ein Kerngebiet im Temporallappen, das eine Schlüsselrolle bei der Bewertung des emotionalen Gehalts von Situationen spielt. Sie reagiert besonders auf Bedrohungen und ist an der Entstehung von Angst beteiligt. Die Amygdala bewertet innerhalb des Limbischen Systems Gedächtnisspuren (Erinnerungen) mit Emotionen.
  • Hippocampus: Der Hippocampus ist für die Bildung und Speicherung von Erinnerungen zuständig. Er ermöglicht es uns, Ereignisse im richtigen Kontext abzuspeichern und wieder abzurufen.
  • Gyrus cinguli: Der Gyrus cinguli ist ein Teil der Großhirnrinde und ist beteiligt an der Steuerung der Atem- und Pulsfrequenz und des Blutdrucks. Er übernimmt eine wichtige Rolle bei der Regulation von vitalen Vorgängen, wie Verdauung und Fortpflanzung. Speziell der anteriore (vordere) Bereich wird zudem mit Aufmerksamkeit, Konzentration und Motivation in Verbindung gebracht.
  • Hypothalamus: Der Hypothalamus ist das Zentrum des autonomen Nervensystems und steuert viele motivationale Zustände und kontrolliert vegetative Aspekte wie Hunger, Durst oder Sexualverhalten.
  • Nucleus accumbens: Der Nucleus accumbens gehört zum Belohnungssystem des Gehirns und spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Freude und Motivation.

Das limbische System reguliert das Affekt- und Triebverhalten gegenüber der Umwelt. Alle eingehenden sensorischen Informationen werden im limbischen System koordiniert und finden hier ihre emotionale Antwort. Besonders eng ist zum Beispiel der Geruchssinn mit dem limbischen System verknüpft. Auch überlebenswichtige vegetative Funktionen wie Atmung, Schlaf-Wach-Rhythmus sowie Motivation werden durch unser Limbisches System gesteuert.

Die Rolle des limbischen Systems bei der Entstehung von Emotionen

Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.

Neurowissenschaftler unterscheiden oft zwischen Emotionen, also der körperlichen Reaktion auf einen äußeren Reiz hin, und Gefühlen, bei denen das Gehirn die Reaktionen des Körpers verarbeitet. Nur Emotionen, die in die Hirnrinde gelangen, werden als bewusste Gefühle wahrgenommen. Angst, Ärger, Glück und Trauer aktivieren unterschiedliche Hirnareale. Die Muster sind bei Frauen und Männern nahezu gleich.

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Schäden im limbischen System: Ursachen und Folgen

Schädigungen des limbischen Systems können verschiedene Ursachen haben, darunter:

  • Traumatische Hirnverletzungen: Verletzungen des Gehirns, beispielsweise durch Unfälle oder Gewalteinwirkung, können das limbische System direkt schädigen. Bei einem Unfall mit Schießpulver verletzte sich im Jahr 1848 ein Arbeiter namens Phineas Gage in den USA schwer: Eine Eisenstange schoss ihm unterhalb der linken Augenbraue ins Gesicht und durchbohrte sein Gehirn. Verblüffenderweise überlebte er und trug - mit Ausnahme eines verlorenen Auges - keine funktionellen Schäden davon. Allerdings war er nicht derselbe Mensch wie vor dem Unfall: Im Gegensatz zu früher war er jetzt respektlos, ungeduldig, unzuverlässig und wurde leicht wütend. Ursache war die starke Beschädigung seines präfrontalen Cortex.
  • Neurologische Erkrankungen: Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose können das limbische System im Laufe der Zeit beeinträchtigen.
  • Psychische Störungen: Bestimmte psychische Störungen, wie Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen, können mit Veränderungen in der Struktur und Funktion des limbischen Systems einhergehen.
  • Tumore: Das Limbische System kann Tumoren, Blutungen und Entzündungsherde entwickeln.
  • Alkoholmissbrauch: Krankheiten wie das Korsakow-Syndrom nach Alkoholmissbrauch sind zum Teil eine Folge von Störungen im Limbischen System. Hier sind die Schaltkreise, die zu Hirnarealen führen, welche die Übertragung in die Großhirnrinde ermöglichen, gestört.

Die Folgen von Schäden im limbischen System können vielfältig sein und hängen von der Art und dem Ausmaß der Schädigung ab. Mögliche Symptome sind:

  • Emotionsstörungen: Schwierigkeiten beim Erkennen, Verarbeiten und Ausdrücken von Emotionen. Die betroffenen Patienten werden gleichgültig, und das soziale Verhalten ist undifferenziert.
  • Gedächtnisprobleme: Schwierigkeiten beim Abspeichern und Abrufen von Erinnerungen. Defekte im Limbischen System behindern das Abspeichern von Gedächtnisinhalten und Erinnerungen. Gedächtnisstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Phobien können ebenfalls oft auf Schädigungen des Limbischen Systems zurückgeführt werden.
  • Verhaltensänderungen: Veränderungen im Sozialverhalten, wie z.B. Aggressivität, Reizbarkeit oder sozialer Rückzug. Die möglichen Folgen sind dranghafte sexuelle Handlungen und Aggressivität (hemmungslose Wutausbrüche) ohne adäquaten Anlass.
  • Motivationale Defizite: Verminderte Motivation und Antriebslosigkeit.
  • ** vegetative Dysfunktion:** Störungen von vegetativen Funktionen wie Atmung, Schlaf-Wach-Rhythmus oder Sexualverhalten.

Das Beispiel der Zwangsstörung

Die Zwangsstörung ist ein Beispiel für eine psychische Erkrankung, bei der Fehlfunktionen im limbischen System eine wichtige Rolle spielen. Bei Zwangsstörungen spielt ein kleines Hirnareal in der Nähe des Stammhirns eine wichtige Rolle: Der so genannte Nucleus accumbens. Er gehört zum Gefühlszentrum des Gehirns. Er bewertet ein- und ausgehende Informationen und leitet sie dann an die Großhirnrinde weiter. Bei dieser Gewichtung von Informationen scheint bei Zwangspatienten etwas schief zu laufen. Sonst würde ihnen die Berührung einer Türklinke keine übertriebene Angst vor Schmutz machen und ein schief abgelegter Bleistift für sie nicht nach Unordnung aussehen.

Martina Wehner leidet seit sie fünf Jahre alt ist unter einer Zwangserkrankung. Das Karussell in ihrem Kopf kann sie nicht anhalten. Als Kind quält sie ständig der Gedanke, dass alle Menschen, die sie gern haben, ihr auch etwas schenken müssten. In der dritten Klasse hat sie bereits ihren ersten Kinderpsychiater. Später zwingen die Gedanken sie auch zu Handlungen, die sie eigentlich gar nicht ausführen will. Wehner:"Da hatte ich dann Angst vor Einbrechern und da habe ich dann stundenlang abends die Türen kontrolliert, ob die alle zu sind. Von ganz oben, dem Dachgeschoss bis ins hinterste Kellerloch und das nicht nur einmal, sondern fünfmal so eine Tour gemacht."

Menschen mit einer Zwangsstörung sind in ihren Gedanken und Handlungen gefangen. Sie können nicht einfach damit aufhören, ihre Kontrollgänge zu machen, sich ständig die Hände zu waschen oder die Bleistifte auf ihrem Schreibtisch sorgfältig auszurichten. Denn hinter den Zwängen steckt immer eine starke Angst: Wolfgang Huff betreut an der psychiatrischen Universitätsklinik Köln schon seit Jahren Patienten mit Zwangsstörungen. Huff:"Ich gebe mal ein Beispiel: Wenn ein Mensch, ein Zwangspatient, den Gedanken hat, dass er verschmutzt ist, und ihn diese Angst immer wieder begleitet, dann führt er Waschrituale aus und kann dann über diese Waschrituale sich kurzfristig versichern, dass er eben nicht schmutzig ist, weil er etwas dagegen getan hat. Andererseits kommen der Gedanke und die Angst davor, schmutzig zu sein, sofort nach dem Waschen wieder, was ein erneutes Waschen zur Folge hat. Es gibt also einen Kreislauf, aber diese Zwangshandlungen sind dann eben aus Gedanken entstehende Handlungen, die diese Gedanken wieder etwas neutralisieren können. Im Hintergrund steht immer eine Angst, das ist das Wesen der Zwangsstörung und sowohl Zwangsgedanken als auch Zwangshandlung sind die Folgen der Angst."

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Therapieansätze bei Schäden im limbischen System

Die Behandlung von Schäden im limbischen System richtet sich nach der Ursache und den spezifischen Symptomen. Mögliche Therapieansätze sind:

  • Medikamentöse Behandlung: Medikamente können eingesetzt werden, um Symptome wie Depressionen, Angstzustände oder Aggressivität zu lindern.
  • Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, emotionale Probleme zu bewältigen, Verhaltensänderungen zu fördern und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
  • Neurorehabilitation: Bei neurologischen Erkrankungen kann eine Neurorehabilitation helfen, verlorengegangene Funktionen wiederzuerlangen und die Lebensqualität zu verbessern.
  • Tiefe Hirnstimulation: In einigen Fällen kann eine tiefe Hirnstimulation in Betracht gezogen werden. Bei einem "stereotaktischen Eingriff" führt ein Neurochirurg Elektroden in die Tiefen des Gehirns ein. Die Elektroden sind an eine Art Hirnschrittmacher angeschlossen, der unter der Schulter oder im Bauchraum implantiert ist. Dieser Hirnschrittmacher sendet über die Elektrodendrähte Impulse, die die krankhafte Aktivität im Gehirn der Patienten blockieren sollen. Diese Methode wurde bislang vor allem bei Parkinsonpatienten angewandt. Erst seit wenigen Jahren erproben Mediziner das Therapieverfahren auch bei psychisch Kranken. Denn auch bei Depression, Zwangsstörungen und Angsterkrankungen sind Fehlfunktionen im Gehirn die Ursache.

Martina Wehner hat nach etlichen erfolglosen Therapien und Medikamentenversuchen schließlich von der tiefen Hirnstimulation erfahren und sich für diesen Eingriff entschieden. Weltweit sind nur etwa 50 Zwangskranke mit der tiefen Hirnstimulation behandelt worden. Noch weniger Patienten mit einer Angststörung oder einer Sucht haben bislang solche Elektroden erhalten. Vereinzelt wurde die tiefe Hirnstimulation auch bei Komapatienten oder seltenen Erbkrankheiten eingesetzt.

Die Bedeutung des präfrontalen Cortex

Der präfrontale Cortex (PFC) ist der vordere Teil des Frontallappens und ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC spielt eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, indem er sie in das Gesamtbild integriert und daraus Schlüsse für die beste Handlung zieht. Er ist die Hirnregion, in der emotionale Reize aus dem limbischen System in bewusste Gefühle umgewandelt werden.

Der Fall von Phineas Gage, der bei einem Unfall seinen präfrontalen Cortex verlor, verdeutlicht die Bedeutung dieser Hirnregion für die Persönlichkeit und das Gefühlsleben eines Menschen.

Emotionen und der Cortex

Zumindest beim Menschen geht die Kontrolle noch ein Stück weiter. Durch die Aktivierung der Hirnrinde können Emotionen zum einen bewusst wahrgenommen werden, mit der Folge, dass wir besser verstehen, was mit uns geschieht. Zum anderen lässt sich das emotionale Erleben auch durch Gedanken beeinflussen. Wo genau welche bewussten Gefühle im Gehirn verarbeitet werden, hat António Damásio an der University of Southern California untersucht: Der Emotionsforscher forderte Probanden auf, sich Situationen vorzustellen, in denen sie Glück, Traurigkeit, Ärger oder Angst empfunden hatten - und schaute ihnen dabei mit der funktionellen Magnetresonanztomografie, einem bildgebenden Verfahren, das Hirnaktivitäten sichtbar macht, unter die Schädeldecke. Das Ergebnis: Je nach Art des Gefühls wurden andere Hirnrindenareale aktiviert. Allerdings gibt es nicht das eine Wutareal und die eine Glücksregion. Sondern die neuronalen Netzwerke, die bei bestimmten Emotionen aktiv werden, überlappen zum großen Teil und sind zumindest teilweise auch bei anderen Gefühlen aktiv. Erstaunlicherweise unterscheiden Männer und Frauen sich kaum, wenn es darum geht, wo sie Gefühle im Gehirn verarbeiten: Mehrere Studien bestätigten, dass die neuronalen Aktivierungsmuster bei beiden Geschlechtern vergleichbar sind - egal, ob es sich um positive oder negative Gefühle handelt.

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Die Rolle des limbischen Systems bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)

Der Film, der vor den inneren Auge der Betroffenen abläuft, lässt sich nicht abstellen. Immer und immer wieder durchleben Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung die traumatische Situation. Sie leiden außerdem unter Alpträumen und Konzentrationsstörungen. Häufig sind sie deswegen arbeitsunfähig.

Eine Verletzung im Gehirn bleibt selten ohne Folgen. Meistens fallen die Fähigkeiten aus, für die das betroffene Hirnareal zuständig ist. Jordan Grafman interessierte sich bei seinen Untersuchungen allerdings vor allem dafür, welche Hirnverletzungen einen Einfluss auf die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung hatten. Deswegen untersuchte er das Gehirn von 200 Vietnamveteranen mit einem Computertomographen.

Grafman:"”Wir stellten fest, dass es zwei Hirnregionen gab, bei denen eine Verletzung, die Entstehung eines Posttraumatischen Stresssyndroms verhindern konnte. Eine dieser Hirnstrukturen war der sogenannte Mandelkern. Wenn nur auf einer Gehirnhälfte der Mandelkern verletzt war, dann entwickelte der Betroffene Soldat niemals ein Posttraumatisches Belastungsstörung.""Es erscheint paradox: Eine Verletzung im Gehirn schützt vor einem schweren Leiden. Aber das gilt nicht nur für eine Verletzung im Mandelkern. Auch ein Schaden in einem Bereich im unteren mittleren Bereich des Vorderhirns, dem sogenannten ventromedialen präfrontalen Cortex, minderte das Risiko der Soldaten eine posttraumatischen Belastungsstörung zu erleiden. In diesem Hirnteil findet die verstandesmäßige Einordnung und Bewertung von Erlebnissen statt, auch von traumatischen Situationen. Der Mandelkern hingegen ist ein Teil des limbischen Systems, was im Gehirn auch als Gefühlszentrum gilt. Grafman:"”Der Mandelkern ist an Gefühlen beteiligt - an Angst, an Affekten. Dieses Hirngebiet ist sehr wichtig für die Emotionale Etikettierung von Erinnerungen. Wenn Soldaten also ihre Erinnerungen nicht emotional einordnen können, weil ihnen ein Mandelkern fehlt - dann haben sie auch nicht die Symptome eines Posttraumatischen Stresssyndroms.""

Wenn durch eine Hirnverletzung traumatische Erlebnisse vom Gehirn nicht mehr nach ihrem emotionalen Gehalt oder ihrer verstandesmäßigen Bedeutung eingeordnet werden können, dann bleibt eine posttraumatische Belastungsstörung offenbar aus oder ist zumindest relativ unwahrscheinlich - egal wie schwerwiegend ein Erlebnis auch gewesen sein mag.

Die Bedeutung der Forschung

Die Erforschung des limbischen Systems und seiner Funktionen ist von großer Bedeutung, um die Entstehung von psychischen Erkrankungen besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. Die Fortschritte in der Neurobiologie und den bildgebenden Verfahren ermöglichen es, immer tiefer in die komplexen Prozesse des Gehirns einzudringen und neue Erkenntnisse über die neuronalen Grundlagen von Emotionen und Verhalten zu gewinnen.

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