Die Idee der Gehirntransplantation, lange Zeit als reines Science-Fiction-Konzept abgetan, rückt durch Fortschritte in der Neurotechnologie und Transplantationsmedizin zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher und ethischer Diskussionen. Während eine vollständige Gehirntransplantation im Sinne einer Übertragung des gesamten Gehirns in einen anderen Körper noch weit entfernt scheint, eröffnen sich durch aktuelle Forschungsprojekte und technologische Innovationen neue Perspektiven und werfen gleichzeitig komplexe ethische Fragen auf.
Neurotechnologische Fortschritte: Steuerung von Geräten durch Gedanken
Ein bedeutender Fortschritt in der Neurotechnologie ist die Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCIs). Das Start-up-Unternehmen Neuralink von Elon Musk hat beispielsweise erstmals einen drahtlosen Gehirn-Computerchip bei einem Patienten eingesetzt. Dieses Implantat soll es ermöglichen, durch Gedanken ein Smartphone zu bedienen und darüber auch andere technische Geräte zu steuern. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte dem Unternehmen im vergangenen Jahr grünes Licht für eine erste Studie mit dem Implantat am Menschen gegeben.
Das Implantat von Neuralink verfügt über 1.024 Elektroden, die ein Roboter mithilfe einer extrem feinen Nadel mit dem Gehirn verbindet. Für die klinische Studie suchte Neuralink Patienten mit Tetraplegie, einer Querschnittlähmung, bei der Beine und Arme betroffen sind. Wenn Menschen zu Bewegungen ansetzen, wird ein bestimmter Bereich im Gehirn aktiv. Die Elektroden fangen diese Signale auf. Musk schrieb, erste Ergebnisse zeigten eine vielversprechende Erkennung neuronaler Aktivität. Auch bei erfolgreichen Operationen kann es Monate dauern, bis Patienten lernen, Computer mit Gedanken zu kontrollieren.
An Hirn-Computer-Schnittstellen dieser Art wird schon seit Jahren geforscht. Seit 2016 entwickeln Neurotechnologie-Unternehmen Gehirnimplantate und einige Menschen haben auch bereits verschiedene Implantate eingesetzt bekommen. Neuralink hat auch mehrere Konkurrenten, die die Technologie ebenfalls kommerziell nutzen wollen. Die Firma Precision Neuroscience will ihr Implantat mit ebenfalls 1.024 Elektroden auf einem Film über einen sehr feinen Schnitt im Schädel minimalinvasiv am Gehirn anbringen.
Thomas Stieglitz, Professor für biomedizinische Mikrotechnik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, betont im Interview mit tagesschau24, dass das Implantat von Neuralink das neueste und komplexeste sei, das es gebe. Die einzelnen verwendeten Technologien seien alle schon bekannt gewesen, aber erstmalig seien diese in einem Gerät vereint. "Es ist sehr beeindruckend", meint Stieglitz. "Was es aber macht, das müssen wir hinterher noch herausfinden." Weiterführende Ziele, wie die Idee, Gedanken zu lesen oder den Geist in eine Cloud zu laden, hält Stieglitz dagegen für reine Science-Fiction, "weil wir noch nicht genau wissen, was überhaupt ein Gedanke ist."
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Die Herausforderungen der Gehirntransplantation
Die Idee, ein Gehirn von einem Körper in einen anderen zu verpflanzen, wirft eine Reihe technischer Herausforderungen auf. Das menschliche Gehirn, geschützt durch den festen Schädel, ist nur mit speziellen neurochirurgischen Instrumenten zugänglich. Mit Kraniotomie-Sägen können Teile des Schädels präzise entfernt werden, um Zugang zum Gehirn zu erhalten. Dabei ist höchste Präzision erforderlich, um das empfindliche Organ nicht zu beschädigen.
Sobald das Gehirn freigelegt ist, besteht die Herausforderung darin, es zu entnehmen, ohne es zu beschädigen. Die Konsistenz des Gehirns ähnelt der eines Puddings, was seine Handhabung außerordentlich schwierig macht. Nach dem Durchtrennen des Schädelknochens trifft man jedoch nicht direkt auf das Gehirn, sondern auf drei Schutzmembrane bzw. die Hirnhäute. Die erste, die Dura, ist hart. Die zweite, die treffend benannte Arachnoidea, ist wie ein Spinnennetz, während die dritte, die Pia, zart und unsichtbar dünn ist. Hat man Schädel und Hirnhäute geöffnet, folgt der wohl einfachste Teil der Operation - die Entnahme des Gehirns. Die Schaltkreise danach wieder korrekt anzuschließen ist ungleich schwerer.
Um das Gehirn zu entfernen, müssen die 12 Hirnnervenpaare und das Rückenmark durchtrennt werden. Diese müssten dann wieder alle korrekt angeschlossen werden. Doch die Forschung zur Nervenregeneration und -verbindung steckt noch in den Kinderschuhen. Innovative Ansätze wie biologische Klebstoffe und die Stimulation von Nervenzellen werden erprobt, bieten aber noch keine Erfolgsgarantie.
Die potenziellen Nachwirkungen einer Gehirntransplantation sind unbekannt und spekulativ. Fragen der Identität, des Bewusstseins und der körperlichen Funktionen nach der Operation bleiben unbeantwortet.
Alternative Ansätze: Transplantation von Hirngewebe und Nervenzellen
Eine vielversprechendere Alternative zur vollständigen Gehirntransplantation ist die Transplantation von Hirngewebe oder einzelnen Nervenzellen. In der Vergangenheit hat die Übertragung embryonaler Hirnzellen auf Alzheimerpatienten für großes öffentliches Aufsehen gesorgt. In der Schlaganfallforschung werden im Lauf der kommenden 10 Jahre weit darüber hinausgehende Ansätze zur Gehirntransplantation erwartet. Vorstellbar ist, dass bestimmte "befallene" Hirnpartien ausgetauscht werden und/oder dass die Regenerationsfähigkeit solcher von einem Schlaganfall betroffener Areale verbessert wird, z.B. durch die Einpflanzung von gesunden, noch wachstumsfähigen Hirnzellen.
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Besonders umstritten ist eine Entwicklung auf dem Gebiet der Neurochirurgie, nämlich die Transplantation von fetalem Hirngewebe. Weltweit wurde bereits über 200 Personen fremdes Hirngewebe implantiert, das von abgetriebenen Föten stammte. Erklärtes Ziel der Forschung an wie des Einsatzes von fetalem Hirngewebe ist es, neurologische Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Chorea Huntington oder Multiple Sklerose auf diese Weise heilen oder doch zumindest in ihren Folgen lindern zu können. Im Unterschied zu Schweden, Frankreich, den USA und anderen Ländern wird dieses Verfahren in Deutschland bisher nicht angewandt.
Ethische Implikationen und gesellschaftliche Verantwortung
Die Fortschritte in der Neurotechnologie und Transplantationsmedizin werfen eine Reihe ethischer Fragen auf, die einer breiten gesellschaftlichen Diskussion bedürfen.
Ein zentraler Aspekt ist die Frage der Identität und des Bewusstseins. Was passiert mit der Persönlichkeit und den Erinnerungen eines Menschen, wenn sein Gehirn in einen anderen Körper verpflanzt wird? Bleibt die Person dieselbe, oder entsteht eine neue Identität?
Auch die Frage der Autonomie und Selbstbestimmung spielt eine wichtige Rolle. Haben Menschen das Recht, über ihren eigenen Körper und ihr Gehirn zu verfügen? Dürfen sie entscheiden, ob sie sich einer Gehirntransplantation unterziehen wollen, auch wenn die Risiken und Folgen noch nicht vollständig absehbar sind?
Darüber hinaus stellt sich die Frage der Gerechtigkeit und des Zugangs zu neuen Technologien. Wer soll von den Fortschritten in der Neurotechnologie und Transplantationsmedizin profitieren? Werden diese nur einer kleinen, privilegierten Elite zugänglich sein, oder sollen sie allen Menschen zugute kommen?
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Es ist wichtig, dass die ethische Diskussion um die Gehirntransplantation mit maximaler Rationalität geführt wird. Die Philosophie kann hier eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Veränderungen in unserem Welt- und Selbstbild widerspiegelt, die Debatte rational strukturiert, bestimmte Zielsetzungen kritisch hinterfragt und als "Vermittler zwischen innovativen medizinischen Technologien und populärer Skepsis" wirkt.
Die Rolle der Forschung und die Minimierung des Leidens von Versuchstieren
Die Forschung im Bereich der Neurotechnologie und Transplantationsmedizin ist von großer Bedeutung, um neue Therapien für neurologische Erkrankungen zu entwickeln und die Lebensqualität von Patienten zu verbessern. Es ist jedoch wichtig, dass diese Forschung unter strengen ethischen Auflagen durchgeführt wird.
Objekte ethischer Überlegungen müssen auch solche empfindungsfähigen Wesen sein, die nicht denken können und sich selbst keine moralischen Verpflichtungen uns Menschen gegenüber auferlegen können. Die betroffenen Wissenschaftler sollten sich deshalb verpflichten, auch das Leiden von Versuchstieren immer weiter zu minimieren. Dies muss durch eine ständige, aktive und staatlich kontrollierte Optimierung der Haltungs- und Versuchsbedingungen für solche Tiere geschehen, sowie durch den vermehrten Einsatz von Computersimulationen und internationalen Datenbanken. Bei der Operation von Versuchstieren muss dieselbe Sorgfalt herrschen wie bei menschlichen Patienten.
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