ADHS im Gehirn nachweisen: Methoden und Möglichkeiten

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten psychiatrischen Störungen, die sowohl Kinder als auch Erwachsene betrifft. Die Diagnose von ADHS ist oft aufwändig und stützt sich hauptsächlich auf die Krankengeschichte und psychologische Tests. In den letzten Jahren wurden jedoch Fortschritte bei den Methoden zur objektiven Messung von ADHS im Gehirn erzielt. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Ansätze, die zur Diagnose und zum Nachweis von ADHS im Gehirn eingesetzt werden können.

Zunahme der ADHS-Diagnosen

In Deutschland hat sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit ADHS-Diagnose zwischen 2006 und 2014 verdoppelt. Dies könnte daran liegen, dass die Erkrankung stärker ins Bewusstsein von Lehrern, Ärzten und Therapeuten gerückt ist. Es gibt aber auch Bedenken, dass Verhaltensweisen, die für Kinder und Jugendliche normal sind, fälschlicherweise als krankhaft angesehen werden und die Diagnose zu schnell gestellt wird.

Diagnostische Verfahren bei ADHS

Die Diagnostik von ADHS ist sehr aufwändig und umfasst verschiedene Aspekte, die der Untersucher berücksichtigen muss:

  1. Symptomatik: Feststellung von Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit.
  2. Zusätzliche Kriterien: Überprüfung, ob die notwendigen zusätzlichen Kriterien für eine Diagnose erfüllt sind.
  3. Differentialdiagnose: Abklärung, ob die Symptomatik durch eine andere Störung besser erklärt werden kann.
  4. Komorbidität: Feststellung, ob weitere behandlungsbedürftige Probleme oder Störungen vorliegen.

Kriterien nach ICD-10 und DSM-5

Die in Deutschland angewendeten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-5 legen Kriterien für Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität fest. Für eine Diagnose muss eine bestimmte Anzahl dieser Kriterien erfüllt sein.

A) Kriterien für Unaufmerksamkeit

  • Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler.
  • Hat oft Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Spielen aufrechtzuerhalten.
  • Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn ansprechen.
  • Führt Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Aufgaben nicht zu Ende bringen.
  • Hat Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren.
  • Vermeidet Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern.
  • Verliert häufig Gegenstände, die für Aufgaben benötigt werden.
  • Lässt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken.

B) Kriterien für Hyperaktivität

  • Zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum.
  • Steht häufig in Situationen auf, in denen Sitzenbleiben erwartet wird.
  • Läuft herum oder klettert exzessiv in unpassenden Situationen.
  • Hat Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen.
  • Ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er „getrieben“.

C) Kriterien für Impulsivität

  • Platzt häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist.
  • Kann schwer warten, bis er an der Reihe ist.
  • Unterbricht und stört andere häufig.
  • Redet übermäßig viel.

Differentialdiagnostische Überlegungen

Es ist wichtig, andere mögliche Ursachen für die Symptome auszuschließen:

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  • Medikamente: Sind die Symptome durch Medikamente ausgelöst worden?
  • Schulische Über- oder Unterforderung: Können die Symptome durch schulische Über- oder Unterforderung verursacht sein?
  • Körperliche oder psychische Erkrankungen: Sind die Symptome besser durch eine andere körperliche Erkrankung oder psychische Störung erklärbar?

Komorbide Störungen

Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ADHS haben weitere psychische Störungen. Diese müssen ebenfalls diagnostiziert und behandelt werden.

Untersuchungsmethoden

Fachverbände haben Leitlinien für die diagnostischen Untersuchungen bei ADHS entwickelt. Eine solche Abklärung dauert üblicherweise mehrere Sitzungen und kann folgende Bestandteile enthalten:

  • Untersuchungsgespräch (Exploration): Gespräche mit Eltern, Kind/Jugendlichem, Erziehern oder Lehrern.
  • Fragebögen: Erhebung von ADHS-Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten durch standardisierte Fragebögen.
  • Verhaltensbeobachtung: Beobachtung des Kindes/Jugendlichen in der Untersuchungssituation.
  • Testpsychologische Untersuchungen: Überprüfung des Entwicklungsstandes, der Intelligenz, einzelner Fertigkeiten (Lesen, Schreiben, Rechnen) sowie der Konzentrationsfähigkeit und Impulsivität.
  • Körperliche Untersuchung: Ausschluss anderer körperlicher Ursachen für ADHS-Symptome.

Beteiligte Berufsgruppen

An der Untersuchung eines Kindes oder Jugendlichen können verschiedene Berufsgruppen beteiligt sein:

  • Hausärzte
  • Kinder- und Jugendärzte
  • Kinder- und Jugendpsychiater
  • Approbierte Psychotherapeuten
  • Beratungsstellen
  • Ambulanzen und sozialpädiatrische Zentren

Neurophysiologische Messungen und ADHS

Elektroenzephalographie (EEG)

Das EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns über Elektroden, die auf der Kopfhaut platziert werden. Bei ADHS-Patienten können bestimmte EEG-Muster auffällig sein. Diese Methode wird oft als ergänzende Diagnostik eingesetzt, um neurologische Erkrankungen auszuschließen.

Neurofeedback

Neurofeedback ist eine spezielle Form des Biofeedbacks, bei der Patienten lernen, ihre Hirnaktivität gezielt zu beeinflussen. Die Hirnaktivität wird über ein EEG erfasst und dem Patienten visuell oder akustisch rückgemeldet. Durch positive Rückmeldungen für erwünschte Hirnaktivitätsmuster lernen die Patienten, ihre Aufmerksamkeit und Konzentration besser zu steuern. Die Neurofeedback-Therapie basiert auf Studien, die an der Universität Tübingen durchgeführt wurden. Sie ist für Kinder ab dem Schuleintritt, für Jugendliche und Erwachsene geeignet und völlig schmerzfrei. Ein Training umfasst ca. 25 Sitzungen und dauert mit allen Vorbereitungen etwa 60 Minuten.

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Muster-Elektroretinogramm (ERG)

Forscher des Universitätsklinikums Freiburg haben mit einem Schachbrett-Muster-Elektroretinogramm (ERG) die Aktivität der Ganglienzellen in der Netzhaut gemessen. Sie fanden heraus, dass bei erwachsenen Testpersonen mit ADHS das Hintergrundrauschen in den Nervenzellen der Netzhaut verstärkt war. Dies könnte ein erster Test sein, mit dem ADHS im Gehirn objektiv diagnostiziert werden kann. Die Freiburger Wissenschaftler untersuchten je 20 erwachsene Probanden mit und ohne ADHS. Dieser Test wird bereits in vielen Augenkliniken zur Diagnose des Grünen Star eingesetzt.

Dopamin und ADHS

ADHS wird mit einem Dopaminmangel in bestimmten Hirnregionen in Verbindung gebracht. Es gibt verschiedene Ansätze, um die Dopamin-Funktion im Gehirn zu untersuchen:

Messung von Dopamin und seinen Metaboliten

Die Messung der Konzentration von Dopamin und seinen Metaboliten (z.B. Homovanillinsäure) kann Hinweise auf die zentrale Dopaminfunktion geben. Allerdings benötigen dopaminerg vermittelte Einflüsse auf das Verhalten nicht zwingend eine Veränderung des Dopaminspiegels oder seiner Metaboliten.

Voltammetrie

Verschiedene Verbindungen erzeugen während des Scans Oxidations- und Reduktionsströme bei unterschiedlichen Spannungen; Spitzenstrom für Dopamin bei ca. Diese Methode hat jedoch eine begrenzte Spezifität für Dopamin.

Genetically Encoded Reporters

Genetisch codierte Reporter (GRAB-Sensoren) ermöglichen eine schnelle und spezifische Detektion von Dopamin in lebenden Organismen. Diese Methode nutzt die GPCR-Signaltransduktion, die eine Verzögerung von ca.

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Messung der Dopaminfreisetzung auf Flächenebene

Früher konnte Dopamin nur punktuell gemessen werden. Zwischenzeitlich wurden Methoden entwickelt, mit denen die Dopaminfreisetzung auf Flächenebene gemessen und aufgezeichnet werden kann.

Augenblinzelrate

Es gibt Hinweise darauf, dass die spontane Augenblinzelrate mit der Dopamin-vermittelten kognitiven Funktion zusammenhängt. Allerdings gibt es auch Studien, die keine Zusammenhänge zwischen der striatalen Dopaminsynthesekapazität und der spontanen Augenblinzelrate gefunden haben.

Dopamin-Transporter

Die Methylierung des Dopamin-Transporter-Gens im Blut ist mit der Verfügbarkeit des striatalen Dopamin-Transporters bei ADHS assoziiert.

Therapieansätze bei ADHS

ADHS wird in der Regel mit einer multimodalen Therapie behandelt, die verschiedene Bausteine umfasst:

  • Psychoedukation: Aufklärung und Beratung der Betroffenen und ihres sozialen Umfelds.
  • Psychosoziale Methoden: Elterntraining, Elternschulung und Elternberatung.
  • Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie zur Verbesserung der Selbstorganisation und des Umgangs mit Problemen.
  • Medikamente: Stimulanzien (z.B. Methylphenidat) oder Antidepressiva (z.B. Atomoxetin) zur Reduktion der Kernsymptome.
  • Ergänzende Methoden: Neurofeedback zur Verbesserung der Konzentration und Aufmerksamkeit.
  • Eliminationsdiät: Weglassen bestimmter Nahrungsmittel in Absprache mit Ärzten und Ernährungsberatern.
  • Teilstationäre oder stationäre Reha: Unterstützung außerhalb des familiären Umfelds.

ADHS im Erwachsenenalter

Lange Zeit wurde angenommen, dass sich ADHS mit zunehmendem Alter von alleine ‚auswachsen‘ würde. Doch bleibt die Störung oft bis ins Erwachsenenalter bestehen. Erwachsene mit ADHS zeichnen sich häufig durch Kreativität, Lebendigkeit und Spontaneität aus. Typische Symptome im Erwachsenenalter sind:

  • Konzentrationsprobleme
  • Impulsivität
  • Stimmungsschwankungen
  • Unaufmerksamkeit
  • Desorganisiertheit
  • Ablenkbarkeit
  • Innere Unruhe

Eine ADHS kann im Straßenverkehr Risiken bergen oder Einschränkungen für das Berufs- und Privatleben bedeuten. Die Symptome einer ADHS können in der Partnerschaft für Herausforderungen sorgen und diese belasten.

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