Die Hirnforschung gehört zu den spannendsten und dynamischsten Feldern der Medizin. Unser Gehirn, ein etwa 1,3 Kilogramm schweres Organ von der Konsistenz eines Gels, ist der leistungsstärkste und komplexeste "Supercomputer", den wir besitzen. Es steuert Bewegungen, Emotionen, Hunger, Stoffwechsel und Herzschlag. Es organisiert alle Wahrnehmungen, die uns durch unsere fünf Sinne erreichen, und trennt Wichtiges von Unwichtigem. Doch trotz aller Fortschritte ist die Funktionsweise des Gehirns noch immer nur in Bruchteilen verstanden. Ein vertieftes Verständnis des gesunden und kranken Gehirns ist entscheidend, um gezielte Therapien zu entwickeln und neurologische sowie psychiatrische Erkrankungen effektiver zu behandeln.
Das Gehirn als dynamischer Interpret der Welt
Keine Maschine kann die Welt so dynamisch interpretieren wie das Gehirn. Es ist nicht einfach nur größer als das einer Maus, sondern in seiner Komplexität einzigartig. Das Gehirn lernt aus Erfahrungen und trifft Vorhersagen über die Zukunft. Forschende haben herausgefunden, dass unser Gehirn ständig die eigene Wahrnehmung der Welt optimiert, indem es aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernt und Vorhersagen über die Zukunft trifft. Die in dem Fachjournal Nature Communications veröffentlichte Studie zeigt, dass das Gehirn seine neuronalen Strukturen so anpasst, dass es besser auf die Muster und Regelmäßigkeiten in unserer Umwelt reagieren kann. Dieses Vorhersagelernen könnte uns helfen, Informationen schneller zu verarbeiten und uns im Alltag leichter zurechtzufinden.
Die Vielschichtigkeit des Bewusstseins
Das Ich kommt uns wie eine bruchlose Einheit vor. Tatsächlich aber ist unser Selbst aufgesplittet in viele Bewusstseinszustände.
Gedächtnis und Lernen: Wie das Gehirn Informationen verarbeitet
Wie funktioniert das menschliche Gedächtnis? Hirnforscher haben herausgefunden, wie schräge Bilder, Düfte im Schlaf und gezielte Pausen eingesetzt werden können, um das Gedächtnis zu verbessern. Eine neue Studie Tübinger Forschender zeigt, wie Lernprozesse im Gehirn unsere Wahrnehmung formen. Das Gehirn baut ständig eine Art Modell der Umwelt auf, das es an die Realität anpasst. Dies könnte erklären, warum wir in vertrauten Umgebungen oder bei bekannten Aufgaben besonders effizient sind.
Was man nicht im Kopf hat, hat man im Smartphone - Einkaufslisten, Geburtstage, Hauptstadt von XY. Bequem, aber nicht so gut für unsere Gedächtnisleistung. Unsere Lebenserinnerungen speisen sich zu einem guten Teil aus Reisen, trotz weniger Urlaubstage im Jahr. Denn das Gedächtnis ist wählerisch.
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Die Rolle der Synapsen und Vesikel im Gehirn
Denken, fühlen, erinnern oder bewegen - diese Prozesse beinhalten die Übertragung von Botenstoffen zwischen den Nervenzellen im Gehirn. Daran beteiligt sind kleine Bläschen, sogenannte Vesikel, die die Botenstoffe durch die Nervenzelle transportieren. An den Synapsen, den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, setzen die Vesikel die Botenstoffe frei, damit diese mit der gegenüberliegenden Nervenzelle interagieren können, um so die Informationsweiterleitung sicherzustellen. Die Vesikel hingegen werden entweder abgebaut oder für kommende Transporte wiederverwendet. Fehlfunktionen in diesem Prozess können die Entstehung neurologischer Erkrankungen begünstigen.
Einem internationalen Team von Forschenden ist es gelungen, den vollständigen Vesikel-Zyklus in einem noch nie dagewesenen Detaillierungsgrad am Computer abzubilden. Das neue Modellierungssystem erweitert somit das Wissen über die Funktionalität von Synapsen und der Funktionsweise des Gehirns. Diese Erkenntnisse könnten als neue Ansatzpunkte für die Behandlung verschiedener neurologischer Erkrankungen dienen.
Neuartige Ansätze in der Behandlung neurologischer Erkrankungen
Die Hirnforscherin Emilie Caspar hat Täter eines Völkermords untersucht. Sie denken "Chitty Chitty Bang Bang". Monika Kelle kämpfte lange mit schweren Depressionen. Dann ließ sie sich eine Elektrode einsetzen - ins Gehirn.
Lecanemab bei Alzheimer
Lecanemab soll bei Alzheimer im Frühstadium helfen. Doch längst nicht alle Patienten profitieren. Die EU-Arzneimittelbehörde hat die Zulassung des Alzheimer-Wirkstoffs Lecanemab überraschend abgelehnt.
Tiefe Hirnstimulation bei Parkinson
Erst kürzlich erzielte die Forschung einen bedeutenden Durchbruch bei der Parkinson-Behandlung: Die neue sogenannte adaptive tiefe Hirnstimulation (aDBS, adaptive deep brain stimulation) kann die Hirnaktivität dynamisch beeinflussen, um Symptome wie Zittern oder Bewegungsverlangsamung zu lindern. Mit speziellen Algorithmen werde die elektrische Aktivität des Gehirns dabei ständig überwacht, die Impulse würden automatisch angepasst.
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Gen- und Zelltherapie bei Autoimmunerkrankungen
Demenz kann aber auch, ebenso wie Psychosen oder Wahnvorstellungen, Folge einer Autoimmunerkrankung sein. Im Gehirn können fehlgeleitete Antikörper oder Abwehrzellen Entzündungen auslösen und die Kommunikation zwischen Nervenzellen stören. Hier liegt ein weiterer Schwerpunkt der künftigen „NeuroCure“-Forschung. „Wir setzen dabei auf Gen- und Zelltherapie. Körpereigene Zellen werden genetisch verändert oder gezielt programmiert, um krankmachende Immunreaktionen zu stoppen und schädliche Antikörper zu eliminieren“, erläutert Dietmar Schmitz die innovativen Ansätze.
Neuroimaging: Ein Blick in das lebende Gehirn
Einen Blick in das lebende Gehirn werfen - die Neuro-Bildgebung macht es möglich. Dabei können Wissenschaftler mit nicht-invasiven Untersuchungen sowohl etwas über die Struktur als auch über die Funktion des Gehirns lernen. „Die hohe Auflösung der Bilder erlaubt mittlerweile Aufnahmen auf 1x1x1 Millimeter Genauigkeit. Das heißt, Forscher können heute bereits kleinere Veränderungen in der Hirnaktivität anschauen“, sagt Prof. Dr. Christian Büchel vom Neuroimage Nord in Hamburg, einem der deutschen Zentren für Neuroimaging.
Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)
Vor etwa 20 Jahren wurde die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) entwickelt, die sogenannte Kernspin-Tomographie, die ohne Radioaktivität auskommt. Die MRT arbeitet mit einem Magnetfeld, auf das die Atome in den Körperzellen reagieren. Im nächsten Schritt galt es nun, neben der Struktur auch die Funktion zu erfassen. Hier machten sich die Wissenschaftler zunutze, dass der rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin, seine magnetischen Eigenschaften ändert, wenn Sauerstoff transportiert wird. Das heißt, dort, wo gerade viel Sauerstoff unterwegs ist, erscheint das MRT-Bild nun beispielsweise heller. So wird statt eines externen Kontrastmittels das Blut selbst als Kontrastmittel genutzt, um aktive Bereiche im Gehirn zu visualisieren. Damit war die funktionelle MRT, kurz fMRT, geboren.
Diagnose von Cluster-Kopfschmerz
Eine weitere Erfolgsgeschichte der funktionellen Bildgebung ist die Diagnose von Cluster-Kopfschmerz. Bei dieser schwerwiegenden Form des Kopfschmerzes leiden die Betroffenen an einseitigen extremen Schmerzen im Bereich von Schläfe und Auge, die in Attacken auftreten. „Untersuchungen belegen, dass bei Cluster-Kopfschmerz-Patienten während einer Schmerzattacke einzelne Strukturen in einer bestimmten Hirnregion, dem Hypothalamus, besonders aktiv sind“, erklärt Prof. Dr. Büchel.
Einfluss von Haustieren auf die geistige Fitness
Hunde und Katzen sind gut für die geistige Fitness. Forschende haben untersucht, ob und welchen Einfluss Haustiere auf das alternde Gehirn haben.
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Sport und Neurogenese
Wie Sport die Neurogenese unterstützt, ist noch nicht genau geklärt. Wer regelmäßig balanciert, trainiert mehr als nur Muskeln.
Die Bedeutung von Motivation und Konzentration
Keine Lust? Gut! Wir verstehen Motivation als Werkzeug, um mehr zu leisten. Ablenkung, Druck und ständiger Input überfordern das Gehirn. Doch wer seine Bedürfnisse kennt, arbeitet konzentrierter - und mit mehr Freude.
Weitere interessante Aspekte der Hirnforschung
Schlaf und Träume: Einmal waschen, bitte! Sobald wir träumen, läuft im Hirn eine heimliche Reinigung. Können Hunde träumen? Selbst im Tiefschlaf bleibt das Gehirn auf Empfang.
Telepathie: Gedankenübertragung? Seit Jahrhunderten fasziniert Telepathie - doch was erklärt die Gänsehaut-Momente wirklich? Man denkt an jemanden, und genau dann ruft er an. Nur Zufall - oder steckt mehr dahinter? Das kann kein Zufall sein!
Zeitwahrnehmung: Die Zeitwahrnehmung ist trügerisch: Mal verfliegt die Zeit wie im Flug, mal zieht sie sich endlos.
Humor: Schimpansen tun es, Orang-Utans und Menschen: Sie kitzeln sich und müssen lachen. Schon wenige Wochen nach der Geburt entdecken Babys ihren Humor.
Wahrnehmung: Habe ich das wirklich gesehen, oder stelle ich mir das nur vor? Diese Frage stellt sich unserem Gehirn am laufenden Band.
Gehirnerschütterungen: Fußball, Eishockey, American Football: Dabei ist oft der Kopf besonders gefährdet.
Stimmen hören: Ein Psychiater erforscht, warum Menschen Stimmen hören.
Schmerz: Schmerzen, die nicht mehr verschwinden, haben meist eine psychische Ursache, davon geht die Forschung inzwischen aus.