Viele Menschen erleben von Zeit zu Zeit Stress und Sorgen. Einige scheinen die Belastungen des Alltags jedoch außergewöhnlich gut zu verkraften, während andere deutlich stärker darunter leiden. Schlafstörungen, Depressionen oder auch Panikattacken können die Folge sein. Nicht selten verschreibt der behandelnde Arzt in solchen Fällen kurzfristig sedierende und angstlösende Medikamente. Eines davon ist das Medikament Tavor®, das nicht nur bei Einschlafproblemen helfen, sondern gleichzeitig negative Gefühlszustände wie Ängste oder Panikattacken dämpfen kann. Die schnelle und verlässliche medizinische Wirkung von Tavor® hat jedoch einen gravierenden Nachteil: Das Medikament kann innerhalb kürzester Zeit abhängig machen.
Was ist Tavor und wie wirkt es?
Tavor® enthält den Wirkstoff Lorazepam, ein Benzodiazepin, das angstlösend, beruhigend und schlaffördernd wirkt. Lorazepam überwindet die Blut-Hirn-Schranke und dockt an spezifischen Rezeptoren im Gehirn an. Dadurch wird die Wirkung des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA) verstärkt, was zu einer Reduktion der Erregbarkeit der Nervenzellen führt. Angstbesetzte Reize oder Signale können dann über die Rezeptoren nicht mehr oder in deutlich geringerer Ausprägung weitergeleitet werden. Gleichzeitig werden die Nervenzellen weniger empfänglich für ankommende Reize und der Erregungszustand des Nervensystems nimmt insgesamt ab.
Lorazepam zählt zu den mittellang wirksamen Benzodiazepinen. Es wird oral eingenommen und hat eine hohe Bioverfügbarkeit von 90%. Die maximale Plasmakonzentration wird nach etwa drei Stunden erreicht. Der Wirkstoff wird in der Leber mit Glucuronsäure konjugiert und der inaktive Metabolit vorrangig über die Nieren ausgeschieden. Die Halbwertszeit von Lorazepam beträgt etwa 10 bis 20 Stunden.
Anwendungsgebiete von Tavor
Tavor wird zur kurzzeitigen symptomatischen Behandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen sowie dadurch bedingten Schlafstörungen eingesetzt. Weitere Anwendungsgebiete sind:
- Beruhigung vor diagnostischen sowie vor und nach operativen Eingriffen
- Behandlung von Krampfanfällen
- Alkoholentzug
- Psychiatrische Notfälle wie Mutismus oder Stupor
Dosierung und Anwendung
Die Dosierung und Dauer der Anwendung müssen an das jeweilige Ansprechen auf die Behandlung, an das Anwendungsgebiet und die Schwere der Krankheit angepasst werden. Hierbei gilt der Grundsatz, die Dosis so klein und die Dauer der Behandlung so kurz wie möglich zu halten.
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- Angst-, Spannungs- und Erregungszustände sowie dadurch bedingte Schlafstörungen: Erwachsene nehmen in der Regel 0,5 bis 2,5 mg Lorazepam täglich, verteilt auf 2 bis 3 Einzeldosen oder als abendliche Einmaldosis. In Einzelfällen kann die Tagesdosis auf maximal 7,5 mg erhöht werden. Bei Schlafstörungen wird die Tagesdosis als Einmalgabe etwa eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen eingenommen.
- Beruhigung vor diagnostischen sowie vor und nach operativen Eingriffen: Erwachsene nehmen am Vorabend 1 bis 2,5 mg Lorazepam und/oder 1 bis 2 Stunden vor dem Eingriff 2 bis 4 mg Lorazepam. Nach dem Eingriff werden 1 bis 2,5 mg Lorazepam in geeigneten Zeitabständen eingenommen.
- Kinder: Die Dosis ist entsprechend herabzusetzen, Einzelgaben sollten 0,5 bis 1 mg Lorazepam bzw. 0,05 mg pro kg Körpergewicht nicht überschreiten.
- Ältere oder geschwächte Patienten: Die anfängliche Tagesgesamtdosis sollte um ca. 50 % gesenkt werden.
Die Tabletten werden unzerkaut mit etwas Flüssigkeit eingenommen. Bei der Anwendung als Schlafmittel sollte die Einnahme etwa eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen erfolgen.
Nebenwirkungen von Tavor
Wie die meisten Medikamente kann auch Tavor Nebenwirkungen haben. Sie sind auf die herabgesetzte Erregbarkeit der Zellen im Gehirn zurückzuführen. Häufige Nebenwirkungen sind:
- Müdigkeit
- Benommenheit
- Muskelschwäche
- Konzentrationsstörungen
- Verwirrtheit
- Depression
- Schwindel
- Störung der Bewegungskoordination (Ataxie)
- Vermindertes sexuelles Verlangen
- Impotenz
- Vermindertes Orgasmusempfinden
- Übelkeit
Seltenere Nebenwirkungen sind unter anderem:
- Libidoverlust
- Abfall des Blutdrucks
- Mundtrockenheit
- Hautreaktionen
- Aggressivität
- Suizidgedanken
- Muskelkrämpfe
- Lichtempfindlichkeit
- Sehstörungen
- Veränderungen in der Blutbildung
- Erhöhte Leberwerte
Bei vorgeschriebener Anwendung von Tavor sind die Nebenwirkungen meist nur leicht ausgeprägt. Sie bilden sich bei kontrolliertem Absetzen des Medikaments in der Regel schnell zurück.
Paradoxe Reaktionen: In seltenen Fällen kann es zu paradoxen Reaktionen kommen, insbesondere bei Kindern und älteren Personen. Dabei treten gegenteilige Effekte auf, wie z.B. verstärkte Angst, Aggressivität oder Unruhe. In solchen Fällen sollte die Behandlung mit Lorazepam beendet werden.
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Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
Bei gleichzeitiger Anwendung von Tavor mit anderen zentral dämpfenden Arzneimitteln (z.B. Psychopharmaka, Schlafmittel, Beruhigungsmittel, Narkosemittel, Betablocker, Schmerzmittel vom Opiattyp, sedierende Antihistaminika, Antiepileptika) kann es zu einer wechselseitigen Verstärkung der zentral dämpfenden Effekte kommen. Die Wirkung von Mitteln zur Verringerung der Muskelspannung (Muskelrelaxanzien) und von Schmerzmitteln kann verstärkt werden.
Besondere Vorsicht ist geboten bei der gleichzeitigen Anwendung von:
- Clozapin: Es kann zu ausgeprägter Dämpfung, übermäßigem Speichelfluss und Störungen der Bewegungskoordination kommen.
- Valproinsäure: Es kann zu erhöhten Konzentrationen von Lorazepam im Blut kommen, weshalb die Dosis von Lorazepam um etwa die Hälfte reduziert werden sollte.
- Probenecid: Es kann zu einem schnelleren Wirkungseintritt oder einer verlängerten Wirkung von Lorazepam führen, weshalb die Dosis von Lorazepam zu halbieren ist.
- Theophyllin oder Aminophyllin: Sie können die sedierende Wirkung von Lorazepam vermindern.
- Opioiden Schmerzmitteln: Hierbei können die Wechselwirkungen eine Unterdrückung der Atemfunktion oder sogar Koma und Tod herbeiführen.
Der gleichzeitige Genuss alkoholischer Getränke ist zu vermeiden, da Alkohol die Wirkungen von Tavor in nicht voraussehbarer Weise verändern und verstärken kann.
Gegenanzeigen
Tavor darf nicht eingenommen werden bei:
- Überempfindlichkeit gegen Lorazepam oder andere Benzodiazepine
- Bestehender oder zurückliegender Abhängigkeitserkrankung von Arzneimitteln, Alkohol oder Drogen
- Krankhafter Muskelschwäche (Myasthenia gravis)
- Störungen der Bewegungskoordination (spinalen und zerebellären Ataxien)
- Akuter Vergiftung mit Alkohol oder zentral dämpfenden Arzneimitteln
- Atemfunktionsstörungen, z.B. Schlafapnoe-Syndrom oder chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung
Besondere Vorsicht ist geboten bei:
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- Depressiven Patienten (Gefahr der Suizid erhöhen)
- Nieren- oder Leberfunktionsstörungen
- Bestehender Herzschwäche (Herzinsuffizienz) und/oder erniedrigtem Blutdruck (Hypotonie)
- Älteren Patienten (erhöhtes Sturzrisiko)
- Schwangerschaft und Stillzeit
Abhängigkeitspotenzial
Tavor hat ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Bereits bei täglicher Einnahme über wenige Wochen besteht die Gefahr einer psychischen und körperlichen Abhängigkeitsentwicklung. Das Risiko steigt mit der Einnahmedauer und der Dosis und ist höher bei Patienten mit Alkohol- oder Arzneimittelmissbrauch in der Vorgeschichte sowie bei Patienten mit massiven Persönlichkeitsstörungen.
Eine Langzeitanwendung von Tavor wird nicht empfohlen. Nach zweiwöchiger täglicher Einnahme sollte vom Arzt bei einer schrittweisen Verringerung der Dosis geklärt werden, ob eine Behandlung mit Tavor weiterhin angezeigt ist.
Nach längerer Anwendungsdauer und plötzlichem Absetzen des Arzneimittels können Schlafstörungen, Angst- und Spannungszustände, innere Unruhe und Erregung vorübergehend verstärkt wieder auftreten. Daher sollte die Behandlung nicht plötzlich, sondern durch schrittweise Verringerung der Dosis beendet werden.
Hoch- und Niedrigdosisabhängigkeit: Experten unterscheiden zwischen einer Hoch- und einer Niedrigdosisabhängigkeit. Eine Hochdosisabhängigkeit ergibt sich meist aufgrund der Toleranzentwicklung, die bei der Einnahme von Lorazepam einsetzt. In diesem Fall muss die Tagesdosis stetig gesteigert werden, um die gewünschte Wirkung wahrzunehmen. Patienten mit einer Tavor®-Hochdosisabhängigkeit sind eher selten. Wer die Tabletten regelmäßig auf Rezept erhält, leidet stattdessen mit großer Wahrscheinlichkeit eher an einer Niedrigdosisabhängigkeit (low-dose-dependency). Hier wird das Medikament täglich genommen und zwar nur in der vom Arzt verordneten niedrigen Dosis. Trotzdem können sich beim plötzlichen Absetzen schwere bis mittelschwere Symptome eines Entzugs manifestieren.
Tavor in der Schwangerschaft und Stillzeit
In der Schwangerschaft sollte Tavor nicht eingenommen werden. Ein längerfristiger Gebrauch von Tavor durch die Schwangere kann zu Entzugserscheinungen beim Neugeborenen führen. Wird Tavor gegen Ende der Schwangerschaft oder während der Geburt verabreicht, können beim Säugling verminderte Aktivität, herabgesetzte Muskelspannung, Abnahme der Körpertemperatur und/oder des Blutdrucks (Hypothermie, Hypotonie), Atemdämpfung, Apnoe sowie Trinkschwäche auftreten (sog. "floppy infant -Syndrome”).
Da der Wirkstoff von Tavor in die Muttermilch übergeht, sollte es nicht während der Stillzeit eingenommen werden, es sei denn, dass der zu erwartende Nutzen das potenzielle Risiko für den Säugling übersteigt. Bei Einnahme von Tavor während der Stillzeit können beim Säugling Sedierung und Saugschwäche auftreten. Eine ärztliche Überwachung des Säuglings wird empfohlen.
Verkehrstüchtigkeit und das Bedienen von Maschinen
Auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch von Tavor sollten Sie, insbesondere während der ersten Tage der Behandlung, mit Einschränkungen Ihres Reaktionsvermögens rechnen. Sie können dann auf unerwartete und plötzliche Ereignisse nicht mehr schnell genug reagieren. Fahren Sie nicht Auto oder andere Fahrzeuge! Bedienen Sie keine gefährlichen elektrischen Werkzeuge oder Maschinen! Arbeiten Sie nicht ohne sicheren Halt! Beachten Sie besonders, dass Alkohol Ihr Reaktionsvermögen noch weiter verschlechtert.
Entzug von Tavor
Der Schlüssel zur erfolgreichen Überwindung der Sucht liegt immer im Verstehen der Ursachen und dem Entwickeln von individuellen Strategien für den Umgang mit suchtauslösenden Situationen.
Da bereits das Absetzen nach einer einmaligen Dosis Tavor®-Entzug-Symptome mit sich bringen kann, ist das langsame Ausschleichen die einzige Möglichkeit für einen möglichst sanften Entzug. Wichtig ist die kontrollierte ärztliche Begleitung, bei der in der Regel eine alternative Medikation eingesetzt wird. Da es bei einem Entzug bisweilen zu lebensbedrohlichen Krampfanfällen kommen kann, ist von einem abrupten Absetzen der Tabletten im häuslichen Rahmen unbedingt abzusehen. Patienten wird stattdessen zu einem stationären Aufenthalt in einer professionellen, auf Sucht spezialisierten Klinik geraten. Es empfiehlt sich auch, Angehörige in den Entzug einzubeziehen.
Die Entwöhnung bei einer Medikamentenabhängigkeit kann abhängig vom Betroffenen mehrere Wochen oder Monate dauern. Haben Sie Geduld und bleiben Sie entschlossen, sich von der Sucht zu befreien.
Alternativen zu Tavor
Aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials und der möglichen Nebenwirkungen wird Lorazepam inzwischen seltener und nur nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung von behandelnden Ärzten verschrieben. Antidepressiva sind mittlerweile die Arzneimittel erster Wahl, wenn es darum geht, das seelische Gleichgewicht medikamentös wiederherzustellen.
Auch pflanzliche Mittel können zur Beruhigung und Angstlösung eingesetzt werden. Bei Schlafstörungen sollte zunächst auf eine gute Schlafhygiene geachtet werden.
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