Benzodiazepine wie Tavor (Wirkstoff: Lorazepam) sind weit verbreitete Medikamente zur Behandlung von Angstzuständen, Schlafstörungen und Panikattacken. Sie wirken schnell und effektiv, bergen jedoch bei längerem Gebrauch Risiken, insbesondere hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Gehirn. Dieser Artikel beleuchtet die Wirkungsweise von Tavor im Gehirn, die potenziellen Risiken einer langfristigen Einnahme und mögliche Alternativen.
Was ist Tavor und wie wirkt es?
Tavor ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, das zur Gruppe der Benzodiazepine gehört. Es enthält den Wirkstoff Lorazepam, der angstlösend, beruhigend, krampflösend und muskelentspannend wirkt. Lorazepam überwindet die Blut-Hirn-Schranke und dockt an spezifischen GABA-A-Rezeptoren im Gehirn an. Dadurch verstärkt es die Wirkung des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA), der eine hemmende Wirkung auf die Nervenzellen hat. Angstbesetzte Reize oder Signale können dann über die Rezeptoren nicht mehr oder in deutlich geringerer Ausprägung weitergeleitet werden. Gleichzeitig werden die Nervenzellen weniger empfänglich für ankommende Reize und der Erregungszustand des Nervensystems nimmt insgesamt ab.
Die Tavor-Wirkung tritt innerhalb weniger Minuten ein und hält über mehrere Stunden an. Die Halbwertszeit von Tavor bzw. Lorazepam kann bis zu 18 Stunden betragen. Aufgrund seiner angstlösenden, beruhigenden und muskelentspannenden Eigenschaften wird Tavor häufig bei Angstzuständen, Panikattacken, Schlafstörungen, Muskelverspannungen und zur Beruhigung vor operativen Eingriffen eingesetzt. Auch bei psychiatrischen Notfällen wie etwa Mutismus oder Stupor ist die Gabe von Lorazepam bzw. Tavor indiziert.
Langfristige Einnahme und ihre Folgen für das Gehirn
Obwohl Tavor bei kurzzeitiger Einnahme sicher und wirksam sein kann, birgt die langfristige Anwendung Risiken. Studien haben gezeigt, dass eine längere Einnahme von Benzodiazepinen wie Tavor die Gehirnleistung beeinträchtigen und möglicherweise sogar Demenz begünstigen kann.
Aktivierung von Mikroglia und Synapsenabbau
Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass Benzodiazepine wie Diazepam Hirnfresszellen, sogenannte Mikroglia, aktivieren können. Diese Immunzellen haben die Aufgabe, Zellreste im Gehirn abzubauen, einschließlich schadhafter Synapsen (Verbindungen zwischen Nervenzellen). Benzodiazepine binden im Inneren der Mikroglia an das Translokatorprotein (TSPO), wodurch die Mikroglia aktiviert werden. Diese beginnen daraufhin, Synapsen abzubauen und zu recyceln.
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Experimente mit Mäusen haben gezeigt, dass Tiere, die über mehrere Wochen täglich eine schlaffördernde Dosis des Benzodiazepins Diazepam erhielten, aufgrund eines Synapsenverlusts kognitive Beeinträchtigungen zeigten. Vor allem die Gedächtnisleistung der Tiere nahm in Tests deutlich ab. Nach Absetzen des Diazepams erholten sich die kognitiven Leistungen der Mäuse nach einiger Zeit wieder.
Erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen?
Der entdeckte Mechanismus wirft die Frage auf, ob Benzodiazepine auch langfristig schädlich auf die Nervenzellen im Gehirn wirken und so neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer begünstigen können. Eine viel diskutierte frühere Studie hatte Hinweise darauf geliefert, dass für Patienten über 65 Jahre, die mehr als drei Monate regelmäßig Benzodiazepine einnahmen, das Risiko für eine Alzheimererkrankung um 51 Prozent erhöht war. Nachfolgenden Untersuchungen zufolge war dieser Zusammenhang allerdings weniger deutlich.
Es wird vermutet, dass Benzodiazepine aufgrund ihres Synapsen schädigenden Effekts die kognitiven Symptome neurodegenerativer Erkrankungen verstärken könnten. Menschen in einem Vorstadium der Erkrankung könnten zwar unter dem Einfluss von Benzodiazepinen frühzeitig symptomatisch werden, der eigentliche Krankheitsmechanismus werde durch die Medikamente aber mutmaßlich nicht oder kaum beeinflusst.
Weitere Nebenwirkungen und Risiken
Neben den potenziellen Auswirkungen auf das Gehirn kann die Einnahme von Tavor weitere Nebenwirkungen und Risiken mit sich bringen:
- Abhängigkeit: Tavor hat ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Bei regelmäßiger Einnahme kann sich bereits nach 14 Tagen eine Abhängigkeit entwickeln. Ein plötzliches Absetzen des Medikaments kann zu Entzugserscheinungen wie Angstzuständen, Depressionen, Zittern, Herzrasen, Schweißausbrüchen und Krampfanfällen führen.
- Toleranzentwicklung: Bei regelmäßiger Einnahme kann es zu einer Toleranzentwicklung kommen, sodass die Patienten immer mehr Milligramm Tavor® (Lorazepam) benötigen, um die intendierte Wirkung zu spüren.
- Eingeschränkte Reaktionsfähigkeit: Tavor kann die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen und zu Schläfrigkeit, Benommenheit, Konzentrationsschwierigkeiten und Schwindel führen. Daher sollte man nach der Einnahme von Tavor unbedingt davon absehen, Maschinen zu bedienen oder Fahrzeuge zu führen.
- Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten: Die Kombination von Tavor mit anderen Medikamenten oder Substanzen kann Wechselwirkungen hervorrufen. Insbesondere die gegenseitige oder einseitige Wirkungsverstärkung kann gefährliche Folgen haben, so dass der gleichzeitige Konsum mehrerer Wirkstoffe unbedingt vorab mit dem behandelnden Arzt abgeklärt werden sollte.
- Paradoxe Reaktionen: In seltenen Fällen kann es zu paradoxen Reaktionen wie verstärkter Angst, Aggressivität oder Wut kommen.
Alternative Behandlungsmöglichkeiten
Aufgrund der potenziellen Risiken einer langfristigen Einnahme von Tavor sollten alternative Behandlungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, insbesondere bei Menschen mit einem Demenzrisiko.
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Medikamentöse Alternativen
Es gibt Medikamente, die nicht auf den Rezeptor TSPO einwirken und daher möglicherweise eine geringere Gefahr für das Gehirn darstellen. Antidepressiva sind mittlerweile die Arzneimittel erster Wahl, wenn es darum geht, das seelische Gleichgewicht medikamentös wiederherzustellen.
Nicht-medikamentöse Alternativen
Neben Medikamenten gibt es auch nicht-medikamentöse Alternativen zur Behandlung von Angstzuständen und Schlafstörungen:
- Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, die Ursachen von Angstzuständen und Schlafstörungen zu erkennen und zu bearbeiten.
- Verhaltenstherapie: Die Verhaltenstherapie kann helfen, schädliche Verhaltensmuster zu verändern und gesunde Schlafgewohnheiten zu entwickeln.
- Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Yoga können helfen, Stress abzubauen und die Entspannung zu fördern.
- Pflanzliche Mittel: Pflanzliche Mittel wie Baldrian, Lavendel oder Johanniskraut können bei leichten Angstzuständen und Schlafstörungen helfen.
Tavor in der Zahnmedizin
In der Zahnmedizin wird Tavor häufig zur Beruhigung von Angstpatienten vor einem Eingriff eingesetzt. Die entspannende Wirkung kann den Behandlungsablauf erleichtern und Patienten helfen, ihre Angst zu überwinden. Allerdings ist der Einsatz von Tavor in der Zahnmedizin nicht für jeden Patienten geeignet. Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, wie schweren Atemwegserkrankungen, Leberproblemen oder einer bekannten Medikamentenabhängigkeit, sollten das Präparat nicht einnehmen. Auch Schwangere und stillende Frauen müssen auf andere Methoden der Beruhigung zurückgreifen.
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