Das Gehirn unterscheidet sich von anderen Organen dadurch, dass es sich im Laufe des Lebens nicht selbst erneuern kann. Nervenzellen werden nicht in großem Umfang neu gebildet, daher müssen wir mit der Anzahl an Neuronen, die uns bei der Geburt gegeben wurde, ein Leben lang haushalten. Wenn Nervenzellen beispielsweise durch einen Schlaganfall oder die Alzheimer-Krankheit absterben, kann dieser Verlust eine Zeit lang durch die neuronale Plastizität kompensiert werden, jedoch nur bis die Verluste zu groß werden. Wenn Hirngewebe geschädigt ist, wird eine Vermehrung der stützenden Gliazellen angeregt. Die Gliazellen füllen die entstandenen Lücken auf, um die Stabilität des Hirngewebes zu erhalten. Neurone, die eigentlichen impulsgebenden Zellen, vermehren sich dagegen nicht und entstehen nicht neu.
Was ist Gliose?
Eine Gliose ist eine Narbe im Gehirn, die aus Gliazellen besteht. Gliazellen sind das Stützgewebe des Gehirns, das die Nervenzellen einbettet und bei der Reizweiterleitung unterstützt. Im Gegensatz zu Hautnarben, die aus Bindegewebszellen (Fibroblasten) bestehen, bestehen Hirnnarben (Gliosen) aus Gliazellen. Sie haben keinen raumfordernden Charakter, sondern füllen lediglich die entstandenen Lücken auf, um die Stabilität des Hirngewebes zu erhalten.
Ursachen der Gliose
Eine Gliose kann durch verschiedene Schädigungen des Hirngewebes entstehen, darunter:
- Schlaganfall: Ein Schlaganfall führt zu einer Unterbrechung der Blutversorgung des Gehirns, wodurch Nervenzellen absterben können.
- Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen des Kopfes können zu direkten Schäden am Hirngewebe führen.
- Entzündungen: Entzündungen des Gehirns, wie z. B. Enzephalitis oder Meningitis, können Nervenzellen schädigen.
- Erkrankungen wie Morbus Alzheimer und Multiple Sklerose: Diese Erkrankungen sind durch einen fortschreitenden Verlust von Nervenzellen gekennzeichnet.
- Epiretinale Gliose: Eine Erkrankung der Grenzschicht zwischen Netzhaut und Glaskörper, bei der sich Zellen und Kollagene ansammeln und eine Membran bilden.
- Kraniopharyngeome: Gutartige Missbildungstumoren, die durch Kompression der nervalen Strukturen symptomatisch werden.
Symptome der Gliose
Abhängig vom Ort des geschädigten Hirngewebes kann die Funktionalität der betroffenen Hirnregion beeinträchtigt sein. So kann es zum Beispiel bei Schädigung des linken Schläfenlappens zu Sprachstörungen kommen. Oder die Verletzung des rechten Scheitellappens kann zu einer Halbseitenlähmung der linken Körperhälfte führen.
Die Symptome einer Gliose hängen stark davon ab, wo im Gehirn die Schädigung aufgetreten ist. Einige mögliche Symptome sind:
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- Motorische Störungen: Lähmungen, Schwäche oder Koordinationsprobleme
- Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Schmerzen
- Sprachstörungen: Schwierigkeiten, Sprache zu verstehen oder zu sprechen
- Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppelbilder oder Gesichtsfeldausfälle
- Kognitive Beeinträchtigungen: Gedächtnisprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten oder Verwirrtheit
- Epileptische Anfälle: Narben können zu einer Störung des elektrischen Gleichgewichts des Hirns führen, was ein Epilepsieleiden zur Folge haben kann.
- Hormonelle Störungen: Kraniopharyngeome verursachen häufig Sehstörungen durch Kompression der Sehnerven und Störungen der hormonellen Regulation.
Diagnose der Gliose
Die Diagnose einer Gliose erfolgt in der Regel durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns. Eine Gliose besteht dagegen aus Gliazellen. Es handelt sich dabei um das Stützgewebe des Gehirns, das die Nervenzellen einbettet und bei der Reizweiterleitung unterstützt. Es ist von der Konsistenz her derber als normales Hirngewebe und lässt sich in der Magnetresonanztomografie in der Regel gut abgrenzen. Kraniopharyngeome liegen im Bereich der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), des Hypophysenstiels oder in der 3. Hirnkammer und sind meist zystisch oder haben einen kontrastmittelaufnehmenden soliden Anteil. Bei epiretinaler Gliose kann die Diagnose durch eine Untersuchung mit dem Spaltlampenmikroskop, eine Bestimmung der Sehschärfe und des Grades der Metamorphopsie mit dem Amsler-Gitter-Test sowie eine SD-OCT Untersuchung erfolgen.
Behandlung der Gliose
Die Behandlung einer Gliose richtet sich nach der Ursache und den Symptomen. In vielen Fällen ist keine spezifische Behandlung erforderlich, insbesondere wenn die Gliose keine oder nur geringe Symptome verursacht. Bei Narben, die zu Epilepsie führen, ist es denkbar, das Narbengewebe operativ zu entfernen, wodurch sich mit einem gezielten chirurgischen Eingriff der „Epilepsieherd“ beseitigen und die Patienten von dem Krampfanfallleiden befreien lässt. Bei Kraniopharyngeomen stehen mehrere Therapieoptionen zur Verfügung, wobei die operative Therapie sich in der letzten Zeit geändert hat und es eine eindeutige Tendenz zur endonasalen Tumorresektion gibt.
In anderen Fällen kann eine Behandlung erforderlich sein, um die Symptome zu lindern oder die zugrunde liegende Ursache zu behandeln. Zu den möglichen Behandlungen gehören:
- Medikamente: Medikamente können eingesetzt werden, um Schmerzen, Krämpfe oder andere Symptome zu lindern.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, motorische Fähigkeiten zu verbessern und Muskelkraft aufzubauen.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, Alltagsaktivitäten zu erlernen oder anzupassen.
- Logopädie: Logopädie kann helfen, Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern.
- Operation: In einigen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um die Ursache der Gliose zu beseitigen oder den Druck auf das Gehirn zu verringern.
- Strahlentherapie: Bei Kraniopharyngeomen kann eine Strahlentherapie nach einer teilweisen Tumorentfernung durchgeführt werden.
- Pars-plana-Vitrektomie: Bei epiretinaler Gliose kann eine operative Entfernung der Membran durch eine pars-plana-Vitrektomie durchgeführt werden.
Forschung zur Behandlung von Hirnschäden
Die Stammzellforscherin Götz arbeitet mit Zebrafischen als Modellorganismen, die nach einer Verletzung des Gehirns eine narbenfreie Ausheilung der Wunde zeigen. Hierfür zuständig sind radiale Gliazellen, adulte neurale Stammzellen, die sich direkt in Nervenzellen ausdifferenzieren können. Bei Verletzungen wird ihre Teilung angeregt, und sie bilden neue Neuronen.
Götz’ Arbeitsgruppe hatte im Jahr 2000 entdeckt, dass Gliazellen in der Gehirnentwicklung als Stammzellen fungieren, aus denen auch Nervenzellen hervorgehen. Im Gehirn von erwachsenen Menschen kommen neurale Stammzellen nur in kleinen Nischen um den lateralen Ventrikel im Großhirn herum und in der subgranularen Region des Gyrus dentatus, einem Teil des Hippocampus, vor. Auf Verletzungen reagiert das Gehirn nicht mit verstärkter Neurogenese, sondern mit einer Gliose: Verschiedene Gliazelltypen wie Mikroglia, Oligodendrozyten und Astrozyten in der Umgebung der Verletzung beginnen, sich zu teilen oder zu wachsen, was zu einer Narbenbildung führen kann. Ein Zelltyp, der in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielt, ist die NG2-Gliazelle.
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Um die Narbenbildung zu verhindern und gleichzeitig neue Neuronen zu erhalten, könne man die NG2-Gliazellen direkt im Gehirn in Nervenzellen umwandeln. Der Fachbegriff hierfür ist »direkte Konversion« oder »Transdifferenzierung«. Dabei wird mittels verschiedener Faktoren eine ausdifferenzierte Zelle in eine andere umgewandelt, ohne einen Umweg über das Stammzellstadium machen zu müssen. Durch eine solche direkte Umprogrammierung ließen sich bereits Hirnzellen aus Hautzellen oder Herzmuskelzellen aus Fibroblasten gewinnen.
Dass diese Transdifferenzierung aber auch im Gehirn von lebenden Tieren funktioniert, konnte Götz vergangenes Jahr in Experimenten mit Mäusen nachweisen. Zuerst fügten die Forscher den Tieren Stichwunden im Gehirn zu und injizierten anschließend retrovirale Vektoren, die Gene für die zwei Transkriptionsfaktoren Sox2 und Ascl1 oder nur ein Gen für Sox 2 enthielten, in das beschädigte Areal. Durch die Expression der Transkriptionsfaktoren wandelten sich die NG2-Gliazellen in funktionsfähige Neuronen um.
Die benötigten viralen Vektoren können systemisch gegeben werden und gelangen über die Bluthirnschranke in das Gehirn, wo sie gezielt nur spezielle Zelltypen, in diesem Fall die NG2-Gliazellen, infizieren und somit genetisch verändern. »Unser Ziel ist es, endogene Zellen umzuprogrammieren«, sagte Götz. Damit wären invasive Methoden wie Transplantationen von Neuronen überflüssig.
Im Gehirn von Menschen ist eine solche Transdifferenzierung bislang noch nicht versucht worden. Bis die Methode beim Menschen eingesetzt werden kann, wird noch einige Zeit vergehen. Vorher sei noch einiges an Grundlagenforschung nötig, denn das Wissen über die vielen existierenden neuronalen Subtypen sei noch zu gering. »Es ist wichtig, die richtigen neuronalen Subtypen entstehen zu lassen«, sagte Götz. Dies sei mit der Wahl der richtigen Faktoren möglich.
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