MS oder Polyneuropathie: Ein Vergleich

Multiple Sklerose (MS) und Polyneuropathie (PNP) sind zwei unterschiedliche neurologische Erkrankungen, die jedoch ähnliche Symptome aufweisen können, was zu Verwechslungen führen kann. Dieser Artikel soll die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen MS und PNP beleuchten, um eine bessere Unterscheidung und ein besseres Verständnis beider Erkrankungen zu ermöglichen.

Einführung

MS ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die das Gehirn und das Rückenmark betrifft. PNP hingegen ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems (PNS), das die Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks umfasst. Obwohl beide Erkrankungen unterschiedliche Teile des Nervensystems betreffen, können sie ähnliche Symptome wie Sensibilitätsstörungen, Schmerzen, Lähmungen und Muskelatrophie verursachen.

Pathologie und betroffene Bereiche

Der Hauptunterschied zwischen MS und PNP liegt in der Pathologie und den betroffenen Bereichen des Nervensystems. MS ist eine Erkrankung des ZNS, während PNP eine Erkrankung des PNS ist. Bei MS greift das Immunsystem die Myelinscheiden an, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umgeben, was zu Entzündungen und Schädigungen führt. Bei PNP sind die peripheren Nerven geschädigt, was zu einer Beeinträchtigung der Nervenfunktion führt.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Auswirkungen beider Erkrankungen nicht auf das jeweilige Nervensystem beschränkt sind. MS-Patienten können Symptome im PNS entwickeln, und PNP-Patienten können Symptome im ZNS entwickeln. Dies liegt daran, dass das ZNS und das PNS eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen.

Einige Patientinnen und Patienten äußerten in Internetforen die Frage, ob eine Schädigung der Myelinscheiden des Hinterstrangs des Rückenmarks bei Polyneuropathie bedeuten würde, dass es sich um eine ZNS-Erkrankung handelt, da das Rückenmark zum ZNS gehört. Es ist richtig, dass das Rückenmark zum ZNS gehört. Bei Polyneuropathien sind jedoch hauptsächlich die peripheren Nerven betroffen, die außerhalb des ZNS liegen. Die Schädigung der Myelinscheiden im Rückenmark kann sekundär durch die Schädigung der peripheren Nerven verursacht werden.

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Symptome im Vergleich

MS und PNP können ähnliche Symptome verursachen, was die Diagnose erschweren kann. Beide Erkrankungen können Sensibilitätsstörungen wie Kribbeln, Taubheit, Brennen oder Schmerzen verursachen. Auch Lähmungen und Muskelschwäche können bei beiden Erkrankungen auftreten.

Es gibt jedoch auch einige Unterschiede in den Symptomen. MS betrifft häufig das Sehvermögen, was zu Sehstörungen wie Doppelbilder, verschwommenes Sehen oder Entzündungen des Sehnervs (Neuritis nervi optici) führen kann. Auch Koordinationsstörungen, Gleichgewichtsprobleme und Spastik sind häufige Symptome bei MS.

PNP äußert sich häufig zuerst an Händen, Füßen und Beinen, kann sich aber auch weiter ausdehnen oder innere Organe betreffen. Abhängig von der Art der betroffenen Nervenfasern entstehen unterschiedliche Symptome:

  • Sensible Beschwerden: Fehlempfindungen wie Taubheit, Kribbeln, Jucken, Brennen oder Stechen. Betroffene berichten oft von schmerzlosen Wunden und dem Gefühl, wie auf Watte zu gehen. Temperaturen werden häufig verfälscht wahrgenommen, oder es entstehen schon bei leichtesten Berührungen extreme Schmerzen.
  • Motorische Beschwerden: Muskelzuckungen, -krämpfe, Muskelschwäche und nachlassende körperliche Ausdauer.
  • Autonome Beschwerden: Übermäßiges oder vermindertes Schwitzen, Ohnmachts- und Schwindelanfälle, Herzrasen oder zu langsamer Herzschlag, Schluckbeschwerden, Völlegefühl, Verstopfung und Durchfall, erschwertes oder ungewolltes Wasserlassen, Wassereinlagerungen und Hautveränderungen an den Füßen, Erektionsstörungen und fehlende Pupillenbewegungen.

Einige Patienten berichten auch von Erschöpfungszuständen bei PNP. Oft leiden Betroffene unter brennenden, schneidenden oder stechenden Schmerzen.

Diagnostik

Um eine sichere Diagnose zu stellen und MS von PNP zu unterscheiden, sind verschiedene diagnostische Verfahren erforderlich.

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Multiple Sklerose

Die Diagnose von MS basiert in der Regel auf den McDonald-Kriterien, die klinische Befunde, MRT-Ergebnisse und Liquoranalyse berücksichtigen.

  • Klinische Untersuchung: Der Neurologe untersucht die neurologische Funktion des Patienten, einschließlich Sehvermögen, Koordination, Reflexe und Sensibilität.
  • MRT: Die Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns und des Rückenmarks ist ein wichtiges diagnostisches Instrument, um Läsionen (Entzündungsherde) im ZNS nachzuweisen, die typisch für MS sind.
  • Liquoranalyse: Bei der Lumbalpunktion wird Nervenwasser (Liquor) entnommen und auf Entzündungszeichen und oligoklonale Banden untersucht, die auf eine Entzündung im ZNS hindeuten können.
  • Evozierte Potentiale: Diese Tests messen die elektrische Aktivität des Gehirns als Reaktion auf sensorische Reize. Sie können helfen, Schäden an den Nervenbahnen zu erkennen.

Polyneuropathie

Die Diagnose von PNP umfasst in der Regel die folgenden Schritte:

  • Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten nach seinen individuellen Beschwerden, Vorerkrankungen und seiner familiären Krankengeschichte.
  • Neurologische Untersuchung: Der Neurologe prüft die Funktion der Nerven, ermittelt Empfindungsstörungen, testet das Lageempfinden und prüft mit einer Stimmgabel, ob Vibrationen wahrgenommen werden können. Abschließend werden Koordinations- und Gleichgewichtsübungen sowie Reflextests durchgeführt.
  • Blutuntersuchung: Eine Blutprobe kann Aufschluss über den Langzeit-Blutzuckerspiegel sowie die Vitamin-B12- und Folsäurewerte geben.
  • Elektroneurografie (ENG): Bei dieser Untersuchung wird ein Nerv gezielt über eine auf der Haut angebrachte Elektrode gereizt. Gleichzeitig wird gemessen, ob und wie schnell dieser Reiz im Nerv weitergeleitet wurde.
  • Elektromyografie (EMG): Hierbei wird entweder eine feine Nadel in den Muskel selbst eingeführt oder eine Elektrode auf der Haut darüber angebracht. So kann gemessen werden, ob ein bestimmter Muskelabschnitt ausreichend starke Signale von den jeweiligen Nerven erhält.
  • Weitere Untersuchungen: Bei Bedarf können weitere Untersuchungsmethoden wie eine Nerven-Muskel-Biopsie, molekulargenetische Tests oder eine Hirnwasseruntersuchung veranlasst werden. Darüber hinaus kann eine Magnetresonanztomografie (MRT) oder eine Ultraschalluntersuchung sinnvoll sein.

Ursachen

Die Ursachen von MS und PNP sind unterschiedlich. MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Myelinscheiden im ZNS angreift. Die genauen Ursachen für MS sind noch nicht vollständig geklärt, aber genetische und Umweltfaktoren spielen eine Rolle.

PNP kann durch eine Vielzahl von Faktoren verursacht werden, darunter:

  • Diabetes mellitus: Ein chronisch erhöhter Blutzuckerspiegel kann die Nerven schädigen.
  • Alkoholsucht: Chronischer Alkoholmissbrauch kann in Kombination mit vitaminarmer Ernährung zu Nervenschäden führen.
  • Medikamente: Manche Medikamente, insbesondere Chemotherapeutika, können Nebenwirkungen auf das Nervensystem haben.
  • Umweltgifte: Schwermetalle wie Blei, Arsen und Thallium sowie Quecksilber und einige Lösungsmittel können das Nervensystem schädigen.
  • Genetische Veranlagung: Seltene erblich bedingte Neuropathien wie die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT) werden durch Gendefekte verursacht.
  • Fehlgeleitetes Immunsystem: Autoimmunerkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder die chronisch-inflammatorische Polyradikuloneuropathie (CIDP) können zu Nervenschäden führen.
  • Infektionen: Borreliose, Diphtherie oder Gürtelrose können ebenfalls eine PNP verursachen.
  • Weitere Ursachen: Erkrankungen der Leber, Mangelernährung (z.B. bei Zöliakie), Vitaminmangel (z.B. Vitamin B12), Krebserkrankungen, hormonelles Ungleichgewicht (z.B. Schilddrüsenunterfunktion) und HIV-Infektionen.

Behandlung

Die Behandlung von MS und PNP zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

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Multiple Sklerose

Die Behandlung von MS umfasst in der Regel:

  • Immunmodulatorische Therapien: Diese Medikamente sollen das Immunsystem modulieren und die Entzündung im ZNS reduzieren. Beispiele sind Interferone, Glatirameracetat, Natalizumab, Fingolimod und Dimethylfumarat.
  • Schubtherapie: Bei akuten Schüben werden Kortikosteroide eingesetzt, um die Entzündung zu reduzieren und die Symptome zu lindern.
  • Symptomatische Therapie: Medikamente und Therapien zur Behandlung spezifischer Symptome wie Spastik, Schmerzen, Fatigue und Blasenstörungen.
  • Rehabilitation: Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie können helfen, dieFunktion und Lebensqualität zu verbessern.

Polyneuropathie

Die Behandlung von PNP konzentriert sich auf die Behandlung der Grunderkrankung, die Schmerzlinderung und die Verbesserung derFunktion.

  • Ursachenspezifische Therapie: Die Behandlung der Grunderkrankung ist entscheidend, um das Fortschreiten der PNP zu verlangsamen oder zu stoppen. Bei Diabetes ist eine optimale Blutzuckereinstellung wichtig, bei Alkoholsucht ein Alkoholentzug, bei Vitaminmangel eine entsprechende Supplementierung und bei Autoimmunerkrankungen eine immunsuppressive Therapie.
  • Schmerztherapie: Verschiedene Medikamente wie Antikonvulsiva (z.B. Gabapentin, Pregabalin), Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Duloxetin) und Opioide können zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. Bei lokalisierten Schmerzen können Lidocain-Pflaster helfen.
  • Physio- und Ergotherapie: Physiotherapie kann helfen, geschwächte Muskelgruppen zu stärken und dieFunktion zu verbessern. Ergotherapie kann bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben helfen, insbesondere wenn die Hände betroffen sind.
  • Medizinische Fußpflege: Regelmäßige Fußpflege ist wichtig, um Wunden und Infektionen vorzubeugen, insbesondere bei Patienten mitSensibilitätsstörungen in den Füßen.
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Dieses Verfahren kann helfen, Schmerzen zu lindern, indem es die Nerven stimuliert und die Schmerzsignale blockiert.

Subklinische Beteiligung des peripheren Nervensystems bei MS

Obwohl MS hauptsächlich als Erkrankung des ZNS gilt, gibt es Hinweise darauf, dass auch das PNS subklinisch betroffen sein kann. Studien haben gezeigt, dass bei einigen MS-Patienten geringe Normwertabweichungen in der Standardneurographie gefunden wurden, was auf eine Beteiligung des PNS hindeutet.

Eine Studie untersuchte 54 MS-Patienten (43 mit schubförmigem, 11 mit sekundär progredientem Verlauf) mittels Standardneurographie der Nn. tibiales, peronei und surales. Bei 29,6% (n=16) der untersuchten Patienten und 14,2% (n=23) aller untersuchten Nerven wurden ein oder mehrere pathologische Ergebnisse gefunden. Diese Ergebnisse deuten auf eine subklinische Beteiligung des PNS bei MS hin.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Ergebnisse nicht bei allen MS-Patienten gefunden werden und dass die klinische Bedeutung dieser subklinischen Beteiligung des PNS noch nicht vollständig geklärt ist.

MS und Polyneuropathie: Können beide Krankheiten gleichzeitig auftreten?

In einem Internetforum wurde die Frage aufgeworfen, ob MS und PNP gleichzeitig auftreten können. Ein Neurologe antwortete, dass MS und PNP in keinem Zusammenhang stehen und unabhängig voneinander existieren können, falls der Arzt eine PNP gemessen und richtig untersucht hat (Elektroneurographie). Wenn er nicht gemessen hat, könnte er daneben liegen.

Es ist also möglich, dass ein Patient sowohl an MS als auch an PNP erkrankt ist, aber es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Erkrankungen.

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