Multiple Sklerose: Was ist das? Ein umfassender Überblick

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung. Auch die häufig verbreiteten Vorurteile, dass MS in jedem Fall zu einem Leben im Rollstuhl führt, sind so nicht richtig. Weltweit gibt es fast drei Millionen Menschen mit MS, über 280.000 davon in Deutschland.

Was ist Multiple Sklerose?

Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung. Eigentlich soll unser Immunsystem krankmachende Erreger abwehren. Doch bei Menschen mit einer sogenannten Autoimmunerkrankung liegt hier eine Fehlfunktion vor: Dabei greifen die Abwehrkräfte „unschuldiges“ Gewebe im Körper an, was zu Symptomen führen kann. Bei MS werden die Nervenfasern beschädigt, da die Entzündungen die Schutzschicht der Nerven angreifen, wodurch die Nerven Informationen nicht mehr einwandfrei übertragen können. Diese Schäden manifestieren sich oft als Läsionen, die im Verlauf der Krankheit Vernarbungen (Sklerosen) an den Nervenfasern hinterlassen.

Die Rolle des Immunsystems

Das Immunsystem spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Ausprägung der MS. Bei MS scheint ein Teilbereich dieses Abwehrmechanismus falsch programmiert zu sein, das heißt, er richtet sich gegen den eigenen gesunden Körper. So kommt es z.B. durch eine Fehlsteuerung innerhalb des Immunsystems zur Bildung von Abwehrelementen (Zellen und Eiweißstoffe/Antikörper, Entzündungsstoffe), die am Myelin, den Nervenzellen und ihren Nervenfasern Schädigungen und Störungen verursachen können.

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen für MS sind bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen, bei dem mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, um die MS auszulösen. Mediziner sprechen deshalb von einem „multifaktoriellen“ Geschehen. Genetische Komponenten können eine Rolle spielen. Von einer direkten Vererbung einer MS kann also nicht die Rede sein.

Zu den vermuteten Ursachen und Risikofaktoren gehören:

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  • Genetische Faktoren: Es gibt eine genetische Prädisposition für MS, d.h. eine vererbte Neigung, die Erkrankung zu entwickeln.
  • Umweltfaktoren: Infektionen im Kindesalter, Vitamin-D-Mangel, Rauchen und die Ernährung können das Risiko für MS erhöhen.
  • Immunologische Faktoren: Das Immunsystem spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Ausprägung der MS.
  • Geografische Faktoren: Je näher ein Mensch in Richtung Äquator aufwächst, desto geringer ist sein MS-Risiko. Weiter südlich und nördlich steigt das Risiko. Nordeuropa und Nordamerika haben die höchste Erkrankungsrate.
  • Geschlecht: Frauen sind von MS doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Umweltfaktoren im Detail

Es wird vermutet, dass Umweltfaktoren eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von MS spielen. Studien deuten darauf hin, dass etwa drei Viertel der Ursachen auf die Umwelt zurückzuführen sind, während ein Viertel auf genetische Faktoren entfällt. Mit Umwelt ist gemeint, wie und wo ein Mensch lebt.

Symptome der Multiplen Sklerose

MS ist eine Erkrankung mit tausend Gesichtern. Jede Multiple Sklerose verläuft individuell. MS-Symptome können an mehreren Stellen im Körper auftreten. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein, je nachdem, welche Bereiche des zentralen Nervensystems betroffen sind. Sie können sich innerhalb von Stunden oder Tagen entwickeln und teilweise oder vollständig wieder zurückbilden. Die Beschwerden treten, je nach MS-Form, schubartig oder langsam schleichend fortschreitend auf. Welche Symptome und Beschwerden sich entwickeln, hängt wesentlich davon ab, an welchen Stellen im Körper die Ursachen der Multiplen Sklerose auftreten.

Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Motorische Störungen: Muskelschwäche, verlangsamte Bewegungsabläufe, erhöhte Muskelspannung (Spastik), Koordinationsstörungen, Gangunsicherheit, Lähmungserscheinungen (vor allem in den Beinen). Viele Betroffene berichten zudem, dass sich ihre Arme oder Beine „pelzig“ anfühlen. Das Gehen fällt ihnen schwer, das Stehen wird anstrengend, weil „die Beine irgendwie nicht da sind“. Sind die Arme betroffen, wird oft das Greifen ungenau oder Gegenstände lassen sich nicht sicher festhalten.
  • Sensibilitätsstörungen: Kribbeln, Taubheitsgefühle, Schmerzen, Missempfindungen auf der Haut. Häufig sind bei Multipler Sklerose auch Missempfindungen auf der Haut - bekannt als das sogenannte Ameisenkribbeln - oder Taubheitsgefühle, ähnlich wie bei einem eingeschlafenen Arm oder Bein.
  • Sehstörungen: Verschwommen- oder Nebelsehen, Doppelbilder, Gesichtsfeldausfälle, Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis) mit Schmerzen beim Bewegen der Augen und Sehverschlechterung, unkontrollierte Augenbewegungen (Nystagmus).
  • Fatigue: Ausgeprägte körperliche und geistige Ermüdbarkeit nach geringer Belastung, anhaltende Müdigkeit, Mattigkeit, Konzentrationsstörungen. Fatigue (ausgesprochen: fatieg) - das Phänomen der Erschöpfung - haben viele Menschen mit Multipler Sklerose. Betroffene fühlen sich matt. Schon die kleinsten Anstrengungen fallen ihnen schwer. Ausruhen oder Schlaf wirken nicht erholsam. Viele Betroffene fühlen sich zusätzlich schuldig, weil sie nicht leistungsfähig sind.
  • Blasen- und Darmstörungen: Häufiger Harndrang, Inkontinenz, Verstopfung, ungewollter Harnverhalt (Ischurie). Bei einer Multiplen Sklerose treten häufig Blasen- und Darmstörungen auf. Dabei werden die „Kommandos“ nicht mehr oder nur verlangsamt über die Nervenbahnen weitergeleitet. Verstopfungen können sehr schmerzhaft sein. Ungewollter Harnverhalt (Ischurie; Wasserlassen kaum bis nicht möglich). In diesen Fällen ist die Blase zwar voll, aber die betroffene Person kann sie nicht entleeren. Harn- oder Darmstörungen sind für viele betroffene Menschen besonders unangenehm.
  • Kognitive Störungen: Konzentrationsstörungen, Gedächtniseinbußen.
  • Psychische Veränderungen: Depressionen, Stimmungsschwankungen, Wesensveränderungen. Eine Wesensveränderung ist bei MS durchaus möglich. Gerade bei langjährigen Verläufen treten psychiatrische Symptome häufig auf. Wobei sich die Medizin jedoch einig ist: Die psychischen Beschwerden müssen bei jedem MS-Patienten professionell erfasst und ganzheitlich beleuchtet werden.
  • Schmerzen: Multiple Sklerose verursacht vor allem Schmerzen in den Armen und Beinen. Häufig kommen die Arm- oder Beinschmerzen morgens direkt nach dem Aufstehen.
  • Sprech- und Schluckstörungen (Dysphagie): Weil die Gesichts- und Halsmuskulatur nicht mehr jene exakten Nervenimpulse erhält, die sie für ein reibungsloses Funktionieren benötigt, gehen meist auch Sprech- und Schluckstörungen (Dysphagie) mit einer MS einher.

Frühsymptome

Die meisten Anfangsbeschwerden können auch denen anderer Krankheiten entsprechen, daher kann es sogar für einen erfahrenen Arzt schwierig sein, die Krankheitszeichen bereits im Frühstadium exakt einzuordnen. Besonders im Frühstadium der Erkrankung entzündet sich häufig der Sehnerv von MS-Erkrankten. Zu Beginn der MS-Erkrankung treten häufig motorische Störungen auf - wie Lähmungen und Sehstörungen mit Verschwommen- oder Nebelsehen als Ausdruck einer Entzündung der Sehnerven (Optikusneuritis). Daneben kommen oft Gefühlsstörungen der Haut ("Sensibilitäts-Störungen") vor, meist in Form von Kribbeln, (schmerzhaften) Missempfindungen oder einem Taubheitsgefühl. Außerdem können unterschiedlichste Beschwerden wie Blasenstörungen, Unsicherheit beim Gehen oder beim Greifen, Doppelbilder und "verwaschenes" Sprechen auftreten.

Verlaufsformen der Multiplen Sklerose

Der Verlauf einer MS kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. Deshalb ist es nicht möglich, eine genaue Voraussage des individuellen Verlaufes zu treffen. Es gibt verschiedene Verlaufsformen der MS:

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  • Schubförmig remittierende MS (RRMS): Dies ist die häufigste Verlaufsform, bei der die Symptome in Schüben auftreten, gefolgt von Phasen der Remission, in denen sich die Symptome vollständig oder teilweise zurückbilden. In insgesamt drei Viertel aller Fälle tritt die MS in Schüben auf. Zu Beginn der Krankheit ist das bei 85 Prozent so und die Betroffenen haben durchschnittlich alle zwei bis drei Jahre einen Schub. Ein Schub ist gekennzeichnet durch episodisches Auftreten und vollständige oder teilweise Rückbildung (Remission) neurologischer Symptome innerhalb von Tagen bis Wochen. Jeder Schub führt zu einer Beschädigung im zentralen Nervensystem.
  • Sekundär progrediente MS (SPMS): Bei dieser Verlaufsform geht die schubförmige MS in eine kontinuierliche Verschlechterung über, wobei die Symptome zwischen den Schüben nicht mehr vollständig zurückgehen. Bei etwa 15 Prozent der Betroffenen geht die schubförmige MS später in eine sekundär progrediente Multiple Sklerose über. Die Symptome zwischen den Schüben bilden sich nicht mehr zurück oder verstärken sich über die Zeit.
  • Primär progrediente MS (PPMS): Diese Verlaufsform ist durch eine von Beginn an kontinuierliche Verschlechterung der Symptome gekennzeichnet, ohne dass Schübe auftreten. Etwa 10% der Patienten haben von Beginn an einen primär-chronisch progredienten Verlauf, d.h. von Beginn an eine langsame Verschlechterung ohne klare Schübe. Dies ist die schwerste Verlaufsform der Krankheit.
  • Progressiv schubförmige MS (PRMS): Diese seltene Verlaufsform ist durch eine kontinuierliche Verschlechterung der Symptome von Beginn an gekennzeichnet, wobei zusätzlich Schübe auftreten.

Diagnose der Multiplen Sklerose

Eine verlässliche MS-Diagnose kann nur ein Arzt stellen. Die Diagnose der Multiplen Sklerose ist nicht einfach, da es nicht den einen „MS-Test“ gibt, der zweifelsfrei beweist, dass eine Multiple Sklerose vorliegt. Multiple Sklerose ist daher eine sogenannte Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, dass verschiedenen Untersuchungen gemacht werden. Die meisten Anfangsbeschwerden können auch denen anderer Krankheiten entsprechen, daher kann es sogar für einen erfahrenen Arzt schwierig sein, die Krankheitszeichen bereits im Frühstadium exakt einzuordnen. Eine gesicherte Diagnose beruht auf einer umfassenden Anamnese, das heißt einer möglichst detaillierten Erfassung der bisherigen Krankheitsgeschichte, und einer Reihe von weiteren Untersuchungen, die zumeist mit folgenden Methoden durchgeführt werden:

  • Anamnese und neurologische Untersuchung: Der Arzt erfragt die Krankheitsgeschichte und führt eine körperlich-neurologische Untersuchung durch.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Aufnahmen des Gehirns und Rückenmarks ermöglicht. Entscheidend ist, dass sich Entzündungsherde an mehreren Stellen im Gehirn oder Rückenmark nachweisen lassen. Dafür wird eine Magnetresonanz-Tomographie (MRT) des Kopfes durchgeführt. Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die den Kontrast zwischen Blutgefäßen und Gewebe verstärken. Sie können gesunde Blutgefäße nicht verlassen und gelangen normalerweise nicht ins Gewebe. An aktiven Entzündungsstellen werden Blutgefäße aber durchlässig, damit Abwehrzellen die Entzündung bekämpfen können. An diesen Stellen kann Kontrastmittel ins Gewebe gelangen und auf den MRT-Bildern dort gesehen werden.Die Magnetresonanztomografie erlaubt sehr genaue und frühe Diagnostik. Durch ein starkes Magnetfeld werden Signale aus unterschiedlichen Geweben des Gehirns und Rückenmarks aufgefangen und mit sehr hoher Auflösung in Schichtbilder umgewandelt.
  • Liquoruntersuchung (Lumbalpunktion): Bei der Lumbalpunktion wird eine kleine Menge Nervenwasser aus dem Wirbelkanal entnommen und untersucht. Gehirn und Rückenmark sind von Nervenwasser umspült. Die Lumbalpunktion ist eine neurologische Routine-Untersuchung dieses Nervenwassers. Sie dient zum Nachweis einer Entzündung des Nervensystems. Oligoklonale Banden sind sogenannte Immunglobuline, das heißt: Antikörper. Sie liefern Hinweise auf entzündliche Prozesse im Körper. Bei rund 95 Prozent aller MS-Patienten liegen sie vor. Weil sie aufgrund ihrer Größe die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können, befinden sie sich nur in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor) und nicht im Blut. Dies spricht für eine Entzündung, die ihren Ausgangspunkt im Gehirn hat. Allerdings liegen die oligoklonalen Banden erst im späteren Verlauf einer MS-Erkrankung vor, selten schon zu Anfang.
  • Evozierte Potentiale (EP): EP messen die Nervenleitgeschwindigkeit und Geschwindigkeit der Nervenbahnen. Bestimmte Eingänge in das Nervensystem lassen sich durch minimale elektrische, akustische oder visuelle Reize anregen.

Wie die Teile eines Mosaiks ermöglichen die verschiedenen Untersuchungsergebnisse die Diagnose. Es gibt keinen einzelnen Befund oder Untersuchungstechnik, die alleine die MS sichert. So kann beispielsweise auch bei "typischen" MRT-Veränderungen eine andere Erkrankung zugrunde liegen. Je mehr Teile vorliegen und zusammenpassen, desto sicherer wird das Bild, sprich die Diagnosesicherheit. Zur Orientierung gibt es international anerkannte Diagnosekriterien (die McDonald-Kriterien), die eine Diagnosestellung unterstützen.

SV2A-PET-Bildgebung

In jüngster Zeit zeigt sich in Studien zunehmend, dass die krankhaften Veränderungen der grauen Substanz für das Fortschreiten der Erkrankung entscheidend sind, vor allem für die bleibende Behinderung sowie für kognitive Einschränkungen und eine anhaltende Erschöpfung. Darüber hinaus sagen die Läsionen in der grauen Substanz das Risiko einer Verschlechterung und den Übergang von einer schubförmigen zu einer dauerhaft fortschreitenden Erkrankung voraus. Das Problem: Die üblicherweise zur Diagnostik eingesetzte Magnetresonanz-Tomografie (MRT) ist nicht in der Lage, die meisten Veränderungen in der grauen Substanz diagnostisch darzustellen.

Forscher arbeiten an neuen bildgebenden Verfahren, die die Veränderungen in der grauen Substanz besser darstellen können. Ein vielversprechender Ansatz ist die SV2A-PET-Bildgebung, die die Synapsendichte im Gehirn misst. Studien haben gezeigt, dass die SV2A-PET-Bildgebung aussagekräftige Ergebnisse liefert und das Ziel der Forschenden ist es, damit Therapien zu steuern, hochgefährdete Patienten für ein Fortschreiten der Erkrankung zu identifizieren und für diese Betroffenen eine gezielt auf das Krankheitsfortschreiten wirkende Therapie anzusteuern.

Therapie der Multiplen Sklerose

Obwohl die Multiple Sklerose bis heute nicht ursächlich heilbar ist, gibt es Behandlungsmöglichkeiten, die zum Ziel haben:

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  • die akute Entzündungs-Reaktion eines Schubes zu hemmen (Schubtherapie)
  • das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten
  • die beschwerdefreie/-arme Zeit zu verlängern (verlaufsmodifizierende Therapie)
  • die MS-Symptome zu lindern und möglichen Komplikationen vorzubeugen (Symptomatische Therapie)

Vor allem die letzten beiden Therapiebereiche werden in der Regel kombiniert angewendet. Die Therapie der Multiplen Sklerose stützt sich dabei auf mehrere Säulen:

Schubtherapie

Bei akuten Schüben kommen Cortison-Präparate zum Einsatz, um die Entzündung zu reduzieren und die Symptome zu lindern. Die Schubtherapie zielt darauf ab, die Beschwerden bei einem Schub schneller abklingen zu lassen. Auch ist wichtig, wie gut Betroffene Cortison bei vorherigen Behandlungen vertragen haben und wie wirksam es war. Berücksichtigt werden zudem Begleiterkrankungen und ob es Gründe gibt, die im Einzelfall gegen den Einsatz von Cortison sprechen. Seltener und unter bestimmten individuellen Voraussetzungen kann auch eine Blutwäsche zur Anwendung kommen. Dabei entfernt man jene körpereigenen Immunzellen, die die Entzündung verursachen.

Verlaufsmodifizierende Therapie (Basistherapie)

Die verlaufsmodifizierende Therapie zielt darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Häufigkeit der Schübe zu reduzieren. Hier hat es in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte bei der Entwicklung von Medikamenten gegeben. Die Immuntherapie beeinflusst bei MS das fehlgesteuerte Immunsystem, indem sie dieses verändert (immunmodulierend) oder dämpft (immunsuppressiv). Am wirksamsten sind speziell entwickelte Antikörper. Sie verhindern das Eindringen von bestimmten Immunzellen ins Gehirn oder reduzieren ihre Konzentration im Blut. Dadurch können diese Zellen keine Entzündungen mehr auslösen. Mittlerweile gibt es gut 20 Immuntherapie-Mittel (Stand: April 2023), einige davon auch für die sekundär oder primär progrediente MS. Das ermöglicht weitgehend individuell zugeschnittene Behandlungspläne. Ob man eine Immuntherapie beginnt und mit welchem Medikament, hängt an einer Vielzahl von Faktoren. Dabei geht es um Aspekte wie Krankheitsverlauf, Familienplanung oder das individuelle Risikoprofil. Grundsätzlich wird empfohlen, bei allen Menschen mit MS eine Immuntherapie zu beginnen. Immuntherapien können die MS nicht heilen, aber ihren Verlauf stark verbessern. Manchmal werden daher auch die Begriffe „verlaufsmodifizierend“ oder „verlaufsverändernde“ Therapien verwendet.

Medikamente für Patienten mit schubförmiger MS

Für Patientinnen und Patienten mit schubförmig verlaufender Erkrankung stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, die den Angriff des Immunsystems auf die Nervenzellen abschwächen. Zu den schon am längsten verfügbaren Basistherapeutika zählen die Betainterferon-Präparate und das synthetische Peptidgemisch Glatirameracetat; sie alle müssen regelmäßig gespritzt werden. Schlägt eins dieser Basistherapeutika an, kann das etwa ein Drittel bis die Hälfte aller neuen Schübe verhindern und die Schwere vermindern. Schon seit 2011 kamen aber auch Basistherapeutika in Tablettenform heraus, mit den Wirkstoffen Fingolimod, Siponimod, Ponesimod, Ozanimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin. Diese neueren Medikamente - und darin unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den älteren - eliminieren bestimmte Zellen des Immunsystems oder dämpfen ihre Aktivität, damit deren Angriffe im ZNS unterbleiben. Leiden Patienten trotzdem an einer hohen Schubrate, kann auch ein Antikörperpräparat oder ein Chemotherapeutikum (zur Schub- oder Dauerbehandlung) eingesetzt werden, was jedoch mit höheren Risiken für die Patienten durch belastende, in Einzelfällen auch schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Drei Antikörperpräparate (Natalizumab, Ocrelizumab und Ofatumumab) werden in Dauertherapie eingesetzt, für ein weiteres (Alemtuzumab) genügen zwei kurze Behandlungsphasen für eine langanhaltende Wirkung.

Medikamente für Patienten mit primär-progredienter MS

Für Patienten mit primär-progredienter MS (PPMS) gab es lange Zeit trotz intensiver Forschung kein zugelassenes Basis-Medikament. Im Jahr 2018 kam erstmals ein solches Medikament heraus; das Präparat enthält den Antikörper Ocrelizumab und kann die Krankheitsaktivität dämpfen. Besonders bei jüngeren Betroffenen mit kürzerer Erkrankungsdauer und nachweisbarer Krankheitsaktivität kann das Fortschreiten der Erkrankung durch die Behandlung mit Ocrelizumab gebremst werden.

Symptomatische Therapie

Die symptomatische Therapie zielt darauf ab, die MS-Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Dazu gehören:

  • Physiotherapie: Zur Verbesserung der Beweglichkeit, Kraft und Koordination.
  • Ergotherapie: Zur Verbesserung der Selbstständigkeit im Alltag.
  • Logopädie: Zur Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
  • Schmerztherapie: Zur Linderung von Schmerzen.
  • Medikamente: Zur Behandlung von Spastik, Fatigue, Blasenstörungen, Depressionen und anderen Symptomen.

Weitere Therapieansätze

Im täglichen Leben gibt es einiges, dass die Multiple Sklerose günstig beeinflussen kann. Ein wesentliches Element ist regelmäßige körperliche Aktivität. Ein Spaziergang oder eine Wanderung, eine Fahrradtour oder ähnliche Aktivitäten im Freien haben außerdem gleich mehrere positive Effekte: Man bewegt sich und kann schon durch kurzen, aber regelmäßigen Aufenthalt in der Sonne etwas gegen einen Vitamin-D-Mangel tun. Aber auch gezieltes Training ist wichtig. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) bietet weitergehende Informationen zu MS und Sport sowie ein spezielles MS-Funktionstraining an. Ein weiterer wichtiger Baustein, den jeder selbst in der Hand hat, ist die Umstellung auf eine gesunde Ernährung. Selbst zubereitete Mischkost mit viel Obst und Gemüse, Fisch und Vollkornprodukten, aber wenig Zucker und Salz, tierischen Fetten und Zusatzstoffen (wie in verarbeiteten Lebensmitteln) hat positive Effekte. Zudem sollten Menschen mit Multipler Sklerose nicht rauchen. Rauchen ist ein Risikofaktor und die Betroffenen sollten alles daran setzen, die Nikotinsucht zu überwinden.

Leben mit Multipler Sklerose

So massiv eine MS-Diagnose auch ist, nicht jede Erkrankung endet damit, dass der Betroffene fast bewegungsunfähig im Rollstuhl sitzen muss. Gerade zu Beginn der Erkrankung heilen die meisten Entzündungen wieder ab, sodass sich auch die Symptome zurückbilden.

Selbsthilfe und Unterstützung

Für Menschen mit MS und ihre Angehörigen gibt es zahlreiche Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen. Diese bieten Informationen, Unterstützung und Austauschmöglichkeiten. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) ist eine wichtige Anlaufstelle für Betroffene und bietet umfassende Informationen und Beratungsangebote.

Patientenverfügung

Eine Patientenverfügung stellt sicher, dass Ihre medizinischen Wünsche auch in unerwarteten Situationen respektiert werden und bewahrt so Ihre Selbstbestimmung. Sie greift in Situationen, in denen Sie aufgrund von Krankheit oder Verletzung nicht in der Lage sind, sie selbst auszudrücken. Dieses Dokument entlastet zudem Ihre Angehörigen von schwierigen Entscheidungen, vermeidet Missverständnisse und schützt vor unerwünschter Über- oder Unterbehandlung.

Pflegegrad und Grad der Behinderung

Beeinträchtigen die MS-Beschwerden die Selbstständigkeit der betroffenen Person, so hat sie unter Umständen Anspruch auf einen Pflegegrad. Sollten Sie oder eine Person in Ihrem Umfeld eine diagnostizierte MS haben, prüfen Sie am besten frühzeitig, ob möglicherweise Anspruch auf einen Pflegegrad besteht. Beeinträchtigt die MS-Krankheit die Teilhabe oder Funktionen der betroffenen Person, so kann sie beim Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) beantragen.

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