Die aktivierende Pflege ist ein Pflegekonzept, das darauf abzielt, die Selbstständigkeit und die vorhandenen Fähigkeiten von pflegebedürftigen Menschen zu erhalten oder wiederherzustellen. Im Fokus steht die Hilfe zur Selbsthilfe, um das Selbstbewusstsein der Betroffenen zu stärken und ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie ihren Alltag selbstständig oder mit Unterstützung gestalten können. Besonders bei Menschen mit Demenz spielt die aktivierende Pflege eine wichtige Rolle, um ihre Lebensqualität und ihr Wohlbefinden zu verbessern.
Was ist aktivierende Pflege? Definition und Grundprinzipien
Aktivierende Pflege ist ein Pflegekonzept, das sich klar von rein versorgenden Pflegeformen unterscheidet. Sie verfolgt das Ziel, pflegebedürftige Menschen nicht zu entmündigen, sondern sie in ihrer Eigenständigkeit zu unterstützen. Jede Handlung, bei der die pflegebedürftige Person selbst aktiv werden kann - sei es beim Waschen, Ankleiden oder Essen - wird bewusst gefördert. Die aktivierende Pflege zielt also auf die Förderung der Selbstständigkeit und dabei Fähigkeiten zu erhalten, zu trainieren oder sogar zurückzugewinnen.
Dieser pflegerische Grundsatz ist in § 11 SGB XI klar geregelt: Soziale Pflegeeinrichtungen sollen „die selbstständige Lebensführung der Pflegebedürftigen soweit wie möglich erhalten oder wiederherstellen“ unter dem Grundsatz dabei stets die Menschenwürde der Pflegepersonen zu wahren.
Aufgaben und Ziele der aktivierenden Pflege
Das Hauptziel der aktivierenden Pflege ist die Aufrechterhaltung oder Wiedererlangung der Selbstständigkeit im Alltag. Das Pflegekonzept konzentriert sich auf die aktive Förderung der körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Dies betrifft nicht nur professionelle Pflegekräfte in stationären Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten, sondern auch pflegende Angehörige. Die aktivierende Pflege wird in die Grund- und Behandlungspflege integriert.
Die vier Grundsätze der aktivierenden Pflege
Die aktivierende Pflege setzt in verschiedenen Lebensbereichen an. Pflegepersonen bieten so wenig Unterstützung wie möglich, aber so viel wie nötig. Dadurch entsteht ein wiederkehrender Übungseffekt, der verhindert, dass körperliche und geistige Kompetenzen aufgrund von Nichtbeanspruchung nachlassen.
Lesen Sie auch: Mehr Lebensqualität durch aktivierende Pflege bei Parkinson
Die vier Grundsätze der aktivierenden Pflege sind:
- Förderung der Selbstbestimmung: Beteiligen Sie Ihr Familienmitglied an Entscheidungen, die beispielsweise das Mittagessen betreffen.
- Berücksichtigung der vorhandenen Bedürfnisse und Fähigkeiten: Ermutigen Sie Ihren Angehörigen, einzelne Tätigkeiten wie das Zähneputzen selbst zu übernehmen.
- Stärkung der Zusammenarbeit: Unterstützen Sie Ihr Familienmitglied dabei, eigene Ziele zu entwerfen (zum Beispiel alleiniger Toilettengang) und arbeiten Sie gemeinsam an der Erreichung.
- Berücksichtigung der sozialen und kulturellen Faktoren: Pflegebedürftige haben individuelle soziale und kulturelle Bedürfnisse. Berücksichtigen Sie diese und schaffen Sie damit eine Wohlfühlatmosphäre.
Aktivierende Pflege: Vorteile für Pflegebedürftige und Angehörige
Eine erfolgreiche aktivierende Pflege hat viele Vorteile:
- Stärkung des Selbstbewusstseins
- Förderung von Fähigkeiten
- Entlastung von Angehörigen
- Das Gefühl, als selbstständige Person wahrgenommen zu werden
- Zunahme von Lebensqualität
Maßnahmen, Planung und Umsetzung
Bei der aktivierenden Pflege ist es wichtig, sowohl Überforderung als auch Unterforderung zu vermeiden. Geduld und die richtige Planung sind wichtige Grundvoraussetzungen.
Bevor Sie starten, stellen Sie sich am besten folgende Fragen:
- Welche Aufgaben kann mein Angehöriger selbst ausführen?
- Wo sind Beaufsichtigung oder auch aktive Unterstützung erforderlich?
- Welche Vorbereitungen sind für einen optimalen Ablauf notwendig?
- In welchem Bereich bietet sich ein gelungener Start an (z.B. aktivierende Körperpflege)?
Neben der Bewältigung alltäglicher Aufgaben in Ihrem Beisein sind „Hausaufgaben“ sinnvoll, damit Ihr Familienmitglied auch in Ihrer Abwesenheit an der Stärkung der Fähigkeiten arbeiten kann.
Lesen Sie auch: Parkinson-Syndrome: Aktivierende Therapie
Voraussetzung für die aktivierende Pflege ist, dass pflegebedürftige Personen kognitiv in der Lage sind, Erklärungen zu verstehen und umzusetzen.
Beispiele für aktivierende Maßnahmen im Pflegealltag
- Sie führen die Hand Ihres Angehörigen beim Zähneputzen.
- Sie leiten Ihr Familienmitglied dazu an, den Oberkörper mit einem Waschlappen in kreisenden Bewegungen zu säubern - stellen Sie dafür notwendige Produkte bereit.
- Sie helfen Ihrem Angehörigen bei der Wahl der heutigen Kleidung.
Hilfsmittel zur Unterstützung der aktivierenden Pflege
Zur Förderung der Selbstständigkeit sind manchmal Hilfsmittel notwendig, die darauf ausgerichtet sind, das Wiedererlernen von Fähigkeiten zu unterstützen beziehungsweise vorhandene Fähigkeiten zu fördern.
Mögliche Hilfsmittel sind:
- Bewegungshilfen
- Betttisch
- Rollstuhl
- Badewannen- oder Duschsitze
- Haltegriffe
- Greifzangen
- Ess- und Trinkhilfen
- Strumpfanzieher
Die Pflegekasse bezuschusst eine Wohnraumanpassung mit bis zu 4.180 Euro je Maßnahme, wenn Umbaumaßnahmen zur Barrierefreiheit in der Wohnung sinnvoll sind, um die Selbstständigkeit Ihres Angehörigen zu fördern.
Konzepte der aktivierenden Pflege
Mediziner:innen, Therapeut:innen und Pflegekräfte unterscheiden bei der aktivierenden Pflege die aktivierende therapeutische Pflege von der aktivierenden Pflege bei Demenz. Während sich die aktivierende therapeutische Pflege für Menschen mit mehreren alterstypischen Erkrankungen anbietet, eignet sich die aktivierende Pflege bei Demenz für Demenz-Patient:innen.
Lesen Sie auch: Wie Beziehungsgestaltung die Demenzpflege verbessert
Aktivierende Pflege bei Demenz
Dieses Pflegekonzept zielt darauf ab, die noch vorhandenen Fähigkeiten, das Selbstwertgefühl und die Alltagskompetenz der betroffenen Person zu erhalten - trotz des fortschreitenden Abbauprozesses. Ein bewährter Ansatz hierfür ist das Pflegemodell nach Erwin Böhm. Es versteht Demenz als eine Erkrankung, bei der viele Fähigkeiten nicht verloren, sondern „verschüttet“ sind - etwa durch Stress, Umweltveränderungen oder Überforderung. Pflegekräfte arbeiten gezielt mit biografischem Wissen, festen Strukturen und emotional bedeutungsvollen Alltagsaufgaben, um diese Fähigkeiten zu reaktivieren. Entscheidend ist, dass Ihr Familienmitglied durch Vertrautes ein großes Maß an Sicherheit empfindet.
Bei der aktivierenden Pflege bei Demenz steht die Einhaltung einer festgelegten Tagesstruktur von großer Bedeutung. Diese Struktur verhilft dem Demenzkranken nach einem Gewöhnungsprozess zu einem besseren Zeitgefühl und damit zu mehr Kontrolle über seinen Tagesablauf.
Das Pflegemodell nach Böhm
Erwin Böhm fokussiert sich in seinem Pflegemodell auf ältere, an Demenz erkrankte Menschen und stellt deren Biografien in den Mittelpunkt. Pflegekräfte ermitteln zunächst, welche Gewohnheiten bei den zu Pflegenden früher fester Bestandteil des Alltags waren. Mit den entsprechenden Kenntnissen kann die Pflegeperson pflegebedürftige Menschen motivieren, Tätigkeiten wieder selbstständiger auszuüben - sich zum Beispiel Kleidungsstücke selbst auszusuchen oder sich mithilfe eines Positionskissens selbst zu rasieren.
Aktivierende Pflege: Praktische Beispiele im Pflegealltag
Aktivierende Pflegemaßnahmen lassen sich in vier zentrale Aktivierungsbereiche gliedern:
- Motorische (körperliche) Aktivierung: Ziel ist, die Beweglichkeit zu erhalten oder wieder aufzubauen. Gezieltes Training von Mobilität und Gleichgewicht ist wichtig, um Stürze vorzubeugen.
- Kognitive (geistige) Aktivierung: Fördert geistige Fähigkeiten wie Denken, Erinnern und Konzentration. Gezieltes Gedächtnistraining kann helfen, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen.
- Alltagspraktische Aktivierung: Unterstützt Menschen dabei, Tätigkeiten des täglichen Lebens möglichst eigenständig auszuführen - etwa beim Waschen, Essen oder im sozialen Miteinander. Hilfsmittel spielen hierbei eine zentrale Rolle.
- Sensorische (sinnliche) Aktivierung: Essentiell für Menschen mit starker Einschränkung oder Bettlägerigkeit. Sie hilft, die Sinneswahrnehmung aufrecht zu halten, damit die Umwelt weiterhin bewusst erlebt werden kann.
Körperpflege: Pflegekräfte oder Angehörige regen die pflegebedürftige Person dazu an eigenständig das Gesicht zu waschen, die Zähne zu putzen oder sich die Haare zu kämmen. Hilfsmittel wie Haltegriffe am Waschbecken oder ein rutschfester Duschstuhl können dabei helfen, Sicherheit zu geben und Eigenaktivität zu ermöglichen. Insbesondere wenn Bewegungsabläufe neu erlernt werden müssen, hilft es den Betroffenen Schritt für Schritt, in ruhigem Tempo anzuleiten.
Bewegung: Kleine Aktivitäten wie ein gemeinsamer Gang durch die Wohnung, das eigenständige Aufstehen vom Stuhl oder Greifübungen mit Alltagsgegenständen (z. B. Handtuch falten, Ball rollen) helfen dabei, die körperlichen Kräfte zu erhalten.
Kommunikation: Sie bedeutet Beziehungspflege, Motivation und Aktivierung zugleich. Pflegende sollten die gepflegte Person stets ansprechen, auch wenn diese nur eingeschränkt reagieren kann. Offene Fragen wie „Möchten Sie heute das blaue oder das grüne Hemd tragen?“ fördern die Selbstbestimmung und das Selbstwertgefühl. Gespräche über frühere Erlebnisse, Familienfotos oder Musik aus der Jugend können das Gedächtnis anregen und emotionale Nähe schaffen. Auch nonverbale Kommunikation spielt eine wichtige Rolle, besonders bei kognitiv eingeschränkten Menschen.
Wer kann aktivierende Pflege durchführen?
Die aktivierende Pflege kann von verschiedenen Personengruppen durchgeführt werden - wichtig ist dabei nicht allein der berufliche Hintergrund, sondern vor allem das Verständnis für den Pflegeansatz, das Ziel der Förderung von Selbständigkeit sowie eine einfühlsame, motivierende Haltung.
- Professionelle Pflegekräfte: Altenpflegerinnen, Gesundheits- und Krankenpflegerinnen sowie Pflegefachkräfte setzen aktivierende Pflege im Rahmen ihrer täglichen Pflegemaßnahmen um - z. B. beim Waschen, Ankleiden, Essen oder der Mobilisation.
- Pflegende Angehörige: Auch pflegende Angehörige (z. B. Partner, Kinder, Freunde) können aktivierende Pflege leisten in Anleitung, Schulung oder Beratung durch Fachkräfte.
- Betreuungskräfte und Alltagsbegleiter: Pflegebedürftige haben Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die über die notwendige Versorgung hinausgeht.
Umsetzung der aktivierenden Pflege in der häuslichen Pflege
Aktivierende Pflege zu Hause bedeutet nicht, immer mehr zu tun - sondern gezielt weniger zu übernehmen. Pflegende Angehörige sind hier oft Schlüsselpersonen: Sie brauchen Geduld, Motivation - und manchmal selbst Unterstützung durch Schulungen, Beratung oder Pflegekräfte.
- Einbeziehen statt Übernehmen: Lassen Sie die pflegebedürftige Person möglichst viel selbst tun - auch wenn es länger dauert.
- Routinen gemeinsam gestalten: Integrieren Sie kleine Aufgaben in den Alltag: z. B. Tisch decken, sich waschen, mitkochen, Kleidung auswählen.
- Körperliche Bewegung fördern: Kleine Bewegungseinheiten, Spaziergänge oder Gymnastikübungen erhalten die Mobilität - wichtig zur Sturzvermeidung.
- Gedächtnis aktivieren: Spiele, Fotos anschauen, Lieder singen oder kurze Gespräche über „früher“ regen die geistige Aktivität an - hilfreich z. B. bei beginnender Demenz.
- Hilfsmittel richtig nutzen: Verwenden Sie unterstützende Hilfen (z. B. Anziehhilfen, Haltegriffe, rutschfeste Matten), um eigenständige Bewegungen zu ermöglichen.
- Lob & Geduld zeigen: Jede selbst bewältigte Aufgabe verdient Anerkennung. Bleiben Sie geduldig - kleine Fortschritte sind wichtig!
- Ruhe & Struktur geben: Ein fester Tagesablauf mit Wiederholungen bietet Sicherheit, besonders bei Demenz.
- Beraten & vernetzen: Nehmen Sie Beratungsangebote wahr - z. B. Pflegeberatung nach § 7a SGB XI oder Schulungen für pflegende Angehörige.
Grenzen der aktivierenden Pflege
Trotz der vielen positiven Ansätze der aktivierenden Pflege stößt sie auch an ihre Grenzen. Besonders bei fortgeschrittenen Krankheiten, schweren Behinderungen oder kognitiven Einschränkungen kann die aktivierende Pflege auf praktische Hindernisse stoßen. Manche Aufgaben können dauerhaft nicht mehr durchgeführt werden, wodurch die Umsetzung des Pflegekonzepts erschwert wird. Ein häufiges Problem ist auch der Mangel an Motivation oder Antrieb.
Ein weiteres Hindernis in der häuslichen Pflege ist der Zeitmangel. Aktivierende Pflege erfordert kontinuierliche Zuwendung und Zeit, die im häuslichen Umfeld oft schwer zu realisieren sind. Zudem kann ein Mangel an Erfahrung zu Problemen führen, da Laien oft nicht in der Lage sind, gezielt und ausreichend zu aktivieren, weil ihnen das notwendige Fachwissen fehlt.
tags: #aktivierende #pflege #bei #demenz #definition