Ferdinand Sauerbruch, einer der bedeutendsten deutschen Mediziner des 20. Jahrhunderts, war eine ambivalente Figur, deren Leben und Werk bis heute diskutiert werden. Seine medizinischen Errungenschaften, sein Verhältnis zum Nationalsozialismus und seine tragischen letzten Jahre werfen ein komplexes Bild auf diesen "Halbgott in Weiß".
Aufstieg eines Chirurgen von Weltruf
Ernst Ferdinand Sauerbruch wurde am 3. Juli 1875 in Barmen geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters fand er mit seiner Mutter ein neues Zuhause bei seinem Großvater in Elberfeld. Dort besuchte er das humanistische Gymnasium und begann anschließend ein naturwissenschaftliches Studium in Marburg. Nach einem kurzen Studienaufenthalt in Leipzig rät ihm sein Lehrer, der Anatom Wilhelm His, zu einem Studienaufenthalt in Jena. Seine medizinische Karriere begann er als Assistenzarzt in der Breslauer Chirurgischen Universitätsklinik bei Johann von Mikulicz.
Sauerbruch habilitierte sich in Breslau und wechselte nach dem Tod seines Lehrers Mikulicz als Assistenzarzt an das Universitätsklinikum in Greifswald zu Professor Paul Leopold Friedrich.
Im Jahr 1910 wurde Sauerbruch zum ordentlichen Professor der Chirurgie an der Hochschule Zürich und zum Direktor der chirurgischen Klinik und Poliklinik des Kantonspitals in Zürich berufen.
Während des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und wurde beratender Chirurg des XV. Armeekorps in Straßburg. Der Krieg konfrontierte Sauerbruch mit einer großen Zahl von Amputierten. Er konstruierte den "Sauerbruch-Arm", eine Prothese, die direkt in den Körper implantiert wird.
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1927 wurde er nach München berufen.
1928 folgte er dem Ruf an die Berliner Charité, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1949 als Direktor der Chirurgischen Klinik tätig war.
Sauerbruch starb am 2. März 1951 in Berlin nach einem Schlaganfall.
Medizinische Pionierleistungen
Sauerbruchs Ruhm gründet sich auf seine bahnbrechenden Entwicklungen in der Chirurgie. Besonders hervorzuheben ist das von ihm entwickelte Druckdifferenzverfahren, das Operationen am offenen Brustkorb ermöglichte und die Thoraxchirurgie revolutionierte. Diese Technik rettete unzähligen Menschen das Leben und machte ihn international bekannt.
Ein weiterer wichtiger Beitrag Sauerbruchs war die Entwicklung von Armprothesen für Kriegsversehrte. Seine "willkürlich bewegbare künstliche Hand" wurde direkt in den Körper implementiert und verbesserte die Lebensqualität vieler Invaliden des Ersten Weltkriegs erheblich.
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Sauerbruch wurde von 1912 bis 1951 insgesamt 65-mal für den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin nominiert.
Sauerbruch und der Nationalsozialismus
Sauerbruchs Verhältnis zum Nationalsozialismus ist ein dunkles Kapitel in seiner Biografie. Obwohl er kein Parteimitglied war und sich sogar für verfolgte jüdische Ärzte einsetzte, befürwortete er öffentlich die nationalsozialistische Regierungspolitik und ließ sich von dem Regime für seine Zwecke instrumentalisieren.
So beteiligte er sich 1933 am "Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat" und war von 1933 bis 1945 medizinischer Gutachter im Reichsforschungsrat. In dieser Funktion genehmigte er Forschungsprojekte, die teilweise Menschenversuche in Konzentrationslagern beinhalteten.
Sauerbruchs Handlungsspielraum gegenüber den politischen Machthabern nutzte er aber auch, um gegen die Mordaktionen an behinderten Menschen, als „Euthanasie“ beschönigt, in privaten Eingaben vorzugehen.
Diese Verstrickung in das NS-Regime warf nach dem Krieg einen Schatten auf Sauerbruchs Ruf und führte zu einem Entnazifizierungsverfahren, das ihn jedoch entlastete.
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Krankheit im Alter und erzwungener Rücktritt
In seinen letzten Lebensjahren litt Sauerbruch an fortschreitender Demenz. Trotzdem praktizierte er weiterhin als Chirurg in einer Privatklinik, was zu einer Häufung von Kunstfehlern führte. Schließlich wurde er 1949 von den (Ost-)Berliner Hochschulbehörden unter Mithilfe seiner Kollegen unter Druck gesetzt und trat von seinen Ämtern zurück.
Sauerbruchs zunehmende Vergesslichkeit und Konzentrationsschwäche führten dazu, dass er während Operationen Fehler machte, die für seine Patienten fatale Folgen hatten. Trotzdem gelang es weder seinen Kollegen noch der Gesundheitsverwaltung oder der Ärzteschaft, ihm eine weitere Berufstätigkeit unmöglich zu machen.
Das ambivalente Vermächtnis des Ferdinand Sauerbruch
Ferdinand Sauerbruch war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die sowohl Bewunderung als auch Kritik hervorrief. Seine medizinischen Leistungen sind unbestritten und haben die Chirurgie nachhaltig geprägt. Gleichzeitig bleibt seine Rolle im Nationalsozialismus umstritten und wirft Fragen nach seiner moralischen Verantwortung auf.
Sauerbruchs Biografie ist ein Spiegelbild der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt die Ambivalenz einer Zeit, in der wissenschaftlicher Fortschritt und politische Verblendung Hand in Hand gingen.
Sauerbruch in der Populärkultur
Sauerbruchs Leben und Wirken wurden mehrfach in Filmen und Fernsehserien thematisiert. Besonders bekannt ist die Serie "Charité", die ihn als gütiges Arbeitstier darstellt, das die Nazis innerlich hasste.
Die oft fälschlicherweise als „Autobiographie“ bezeichnete Buch „Das war mein Leben“ basiert auf einer von einem Journalisten zusammengestellten Sammlung seiner Erinnerungen. Es ist in zahlreichen Auflagen bis 1998 erschienen, kann jedoch nicht als verlässliche Quelle betrachtet werden.
Diese fiktionalen Darstellungen trugen dazu bei, den Mythos Sauerbruchs als "Halbgott in Weiß" zu festigen, der jedoch der komplexen Realität seiner Person nicht gerecht wird.
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