Unbehandelte Epilepsie: Folgen und Behandlungsmöglichkeiten

Epilepsie ist eine weit verbreitete neurologische Erkrankung, von der etwa jeder zehnte Mensch im Laufe seines Lebens betroffen ist. Dank moderner Diagnoseverfahren und medikamentöser Behandlungen kann die Krankheit heutzutage sicher diagnostiziert und gut behandelt werden. Unbehandelte Epilepsie kann jedoch schwerwiegende Folgen haben, weshalb eine frühzeitige Diagnose und Behandlung entscheidend sind.

Was ist Epilepsie?

Epilepsien sind chronische neurologische Erkrankungen, die durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet sind. Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine plötzliche, unkontrollierte Entladung von Nervenzellen im Gehirn. Das Gehirn hat etwa 80 Milliarden Gehirnzellen, welche alle miteinander in Kontakt bzw. unter Spannung stehen. Wenn ein Kurzschluss in den Gehirnzellen entsteht bzw. eine übermäßige Aktivität auftritt, kommt es zu einem Anfall.

Ursachen und Auslöser

Die Ursachen der Epilepsie sind vielfältig und oft nicht vollständig geklärt. In vielen Fällen spielen genetische Faktoren eine Rolle, was eine familiäre Häufung der Erkrankung erklärt. Es gibt genetische Erkrankungen, die Epilepsie zur Folge haben können bzw. mit epileptischen Anfällen vergesellschaftet sind, wie z.B. das Landau-Kleffner-Syndrom oder die Trisomie 21.

Andere mögliche Ursachen sind:

  • Strukturelle Veränderungen im Gehirn: Verletzungen des Gehirns, wie Schlaganfälle, Tumore, Schädel-Hirn-Traumata oder Entzündungen, können Narben hinterlassen, die zu epileptischen Anfällen führen.
  • Infektionen: Hirnhautentzündungen oder andere Infektionen des Gehirns können ebenfalls Epilepsie auslösen.
  • Stoffwechselstörungen: Seltene Stoffwechselerkrankungen können Anfälle verursachen.
  • Immunologische Ursachen: Entzündungsvorgänge im Gehirn, bei denen das Immunsystem das Hirngewebe angreift, können Epilepsie zur Folge haben.

Neben den eigentlichen Ursachen gibt es auch Faktoren, die epileptische Anfälle begünstigen können, sogenannte Trigger. Dazu gehören:

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  • Schlafentzug: Ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus kann die Gehirnzellen instabiler machen und Anfälle auslösen.
  • Alkohol: Übermäßiger Alkoholkonsum kann ebenfalls Anfälle provozieren, insbesondere beim Abfall des Alkoholspiegels.
  • Stress: Starke körperliche oder seelische Belastungen können Anfälle begünstigen.
  • Fieber: Hohes Fieber, insbesondere bei Kindern, kann Fieberkrämpfe auslösen.
  • Flackerndes Licht: In seltenen Fällen kann flackerndes Licht, wie bei Computerspielen oder Stroboskopbeleuchtung, Anfälle auslösen.

Arten von Anfällen

Epileptische Anfälle können sich sehr unterschiedlich äußern. Es gibt verschiedene Arten von Anfällen, die sich in ihren Symptomen und ihrem Verlauf unterscheiden. Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat ein Klassifikationssystem entwickelt, um die Anfallsformen nach ihren Merkmalen zu ordnen.

Fokale Anfälle: Diese Anfälle beginnen in einer bestimmten Region im Gehirn. Die Symptome hängen davon ab, welcher Bereich des Gehirns betroffen ist. Fokale Anfälle können sich unterschiedlich äußern:

  • Mit Bewusstsein: Der Betroffene ist während des Anfalls bei Bewusstsein und kann sich an das Geschehen erinnern. Es können verschiedene Symptome auftreten, wie z.B. Muskelzuckungen, Kribbeln,Halluzinationen, Geschmacks- oder Geruchsstörungen, Angst oderDéjà-vu-Erlebnisse.
  • Ohne Bewusstsein: Der Betroffene verliert während des Anfalls das Bewusstsein oder ist in seinem Bewusstsein eingeschränkt. Es könnenAutomatismen auftreten, wie z.B. Schmatzen, Nesteln oder ziellose Bewegungen.

Generalisierte Anfälle: Diese Anfälle betreffen von Anfang an beide Gehirnhälften. Der Betroffene ist in der Regel nicht bei Bewusstsein. Zu den generalisierten Anfällen gehören:

  • Absencen: Kurze Bewusstseinspausen, in denen der Betroffene nicht ansprechbar ist. Absencen treten häufig bei Kindern auf.
  • Myoklonische Anfälle: Plötzliche, kurze Muskelzuckungen.
  • Tonisch-klonische Anfälle (Grand Mal): Der bekannteste Anfallstyp, bei dem der ganze Körper verkrampft und zuckt. Der Betroffene verliert das Bewusstsein und kann sich verletzen.

Anfälle mit unbekanntem Beginn: Wenn der Beginn eines Anfalls nicht bekannt ist, wird er als Anfall mit unbekanntem Beginn klassifiziert.

Symptome

Die Symptome eines epileptischen Anfalls können sehr vielfältig sein und hängen von der Art des Anfalls und dem betroffenen Bereich des Gehirns ab. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

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  • Bewusstseinsveränderungen oder -verlust
  • Krampfanfälle
  • Muskelzuckungen
  • Verkrampfungen
  • Störungen der Wahrnehmung (z.B. Sehstörungen,Halluzinationen)
  • Geruchs- oder Geschmacksstörungen
  • Sprachstörungen
  • Verhaltensänderungen
  • vegetative Symptome (z.B. Schwitzen, Herzrasen, Übelkeit)

Einem epileptischen Anfall kann eine sogenannte Aura vorausgehen. Die Aura ist eine Art Vorgefühl oder eine Sensation, die sich schwer beschreiben lässt. Häufig sind epigastrische Auren bzw. eine aufsteigende Übelkeit.Es gibt unterschiedliche Formen: oft treten Geruchsstörungen auf - dann spricht man von einer olfaktorischen Aura. Außerdem können Geschmacksstörungen bzw. eine gustatorische Aura auftreten. Ein Anfall könnte aber auch durch ein ledigliches Zucken mit der Hand bewusst erlebt werden (motorische Anfälle).

Folgen unbehandelter Epilepsie

Eine unbehandelte Epilepsie kann schwerwiegende Folgen haben, sowohl körperlicher als auch psychischer Natur.

Körperliche Folgen

  • Verletzungen: Während eines Anfalls kann es zu Stürzen und Verletzungen kommen, wie z.B. Prellungen, Knochenbrüchen oder Kopfverletzungen. Häufig passieren durch Anfälle Rippen- oder Wirbelkörperbrüche, die dann unter Umständen auch zu Lähmungserscheinungen führen können. Wenn der Anfall während des Schwimmens passiert, kann er tödlich ausgehen, da mit einem Atemzug die Lunge voll mit Wasser sein kann und die Gefahr des Ertrinkens besteht.
  • Status epilepticus: Ein Status epilepticus ist einAnfall, der länger als fünf Minuten dauert oder eine Reihe von Anfällen, zwischen denen der Betroffene nicht wieder zu Bewusstsein kommt. Ein Status epilepticus ist ein medizinischer Notfall, der sofort behandelt werden muss, da er zu bleibenden Hirnschäden oder sogar zum Tod führen kann.
  • Plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie (SUDEP): SUDEP ist eine seltene, aber gefürchtete Komplikation der Epilepsie, bei der Menschen mit Epilepsie plötzlich und unerwartet sterben, ohne dass eine andere Ursache gefunden werden kann.
  • Gedächtnisstörungen: Wiederholte Anfälle können langfristig zu Gedächtnisstörungen führen.
  • Entwicklungsstörungen bei Kindern: Bei Kindern können häufige Anfälle die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und zu Lern- und Sprachschwierigkeiten, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen führen. Je jünger die Kinder bei Beginn der Epilepsie sind, desto eher erlernt das Gehirn eine Neigung zu weiteren Anfällen, falls eine Behandlung ausbleibt. Oft folgen auf harmlos wirkende Absencen oder myoklonische Anfälle - unkontrollierte Muskelzuckungen - auch große, generalisierte Anfälle.

Psychische Folgen

  • Angst und Depressionen: Die Angst vor einem erneuten Anfall kann zu erheblichen psychischen Belastungen führen. Menschen mit Epilepsie haben ein erhöhtes Risiko für Angststörungen und Depressionen.
  • Soziale Isolation: Die Angst vor Anfällen und die damit verbundenen Einschränkungen können zu sozialer Isolation führen. Betroffene ziehen sich möglicherweise zurück und vermeiden soziale Kontakte.
  • Vermindertes Selbstwertgefühl: Epilepsie kann das Selbstwertgefühl beeinträchtigen, insbesondere wenn Anfälle in der Öffentlichkeit auftreten.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Unbehandelte Epilepsie kann zu kognitiven Beeinträchtigungen führen, wie z.B. Konzentrationsschwierigkeiten,Gedächtnisproblemen und verlangsamterInformationsverarbeitung.

Erhöhtes Sterberisiko

Menschen mit Epilepsie haben ein drastisch erhöhtes Risiko für einen frühen Tod. Im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ist bei ihnen die Wahrscheinlichkeit mehr als verzehnfacht, vor dem Alter von 56 Jahren zu sterben. Besonders gefährdet sind demnach jene Menschen, die neben Epilepsie entweder eine psychische Erkrankung haben oder aber Alkohol oder andere Drogen konsumieren.

Diagnose

Ein erster epileptischer Anfall sollte immer ärztlich abgeklärt werden. Für die Diagnose und eine mögliche spätere Behandlung ist eine genaue Beschreibung des Anfalls durch Angehörige, Freunde oder Umstehende unerlässlich.

Die Diagnose von Epilepsie umfasst in der Regel folgende Schritte:

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  • Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten oder seine Angehörigen ausführlich nach der Anfallsgeschichte,Vorerkrankungen und eingenommenen Medikamenten.
  • Klinische Untersuchung: Der Arzt untersucht den Patienten neurologisch, um mögliche Ursachen für die Anfälle zu finden.
  • EEG (Elektroenzephalographie): Das EEG ist eine wichtige Untersuchung, um die Hirnströme zu messen. Dabei werden Elektroden auf der Kopfhaut befestigt, um die elektrische Aktivität des Gehirns aufzuzeichnen. Im besten Fall sollte das EEG früh gemacht werden (bis zu zwanzig Stunden nach dem Anfall). Dadurch könnte man schon eine epileptogene Bereitschaft erkennen. Wenn im EEG-Befund eine Aktivität auftritt, welche bei beiden Hemisphären gleichzeitig beginnt und danach abrupt wieder endet, weicht das von einem gesunden EEG ab.
  • Bildgebende Verfahren: Eine Kernspintomographie (MRT) des Gehirns kann helfen, strukturelle Ursachen für die Epilepsie zu identifizieren, wie z.B. Tumore, Narben oder Fehlbildungen.
  • Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen können durchgeführt werden, um Stoffwechselstörungen oder andere Erkrankungen auszuschließen, die Anfälle auslösen können.

Behandlung

Ziel der Behandlung ist es, die Anfälle zu kontrollieren und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie mit Antiepileptika ist die häufigste Behandlungsmethode bei Epilepsie. Antiepileptika verhindern Anfälle, beseitigen aber nicht die Ursache. Es stehen verschiedene Medikamente aus unterschiedlichen Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Die Wahl des Medikaments hängt von der Art der Epilepsie, dem Alter des Patienten und anderen Faktoren ab.

Die Wirkung eines antiepileptischen Medikaments hält nur solange an, wie eine ausreichende Menge davon im Gehirn vorhanden ist. Daher helfen sie nur bei ständiger und regelmäßiger Einnahme. Die meisten Wirkstoffe erhalten einen wirksamen Spiegel, wenn sie zweimal am Tag eingenommen werden.

Antiepileptika können Nebenwirkungen haben, wie z.B. Müdigkeit, Schwindel oder Konzentrationsstörungen. Es ist wichtig, die Nebenwirkungen mit dem Arzt zu besprechen und die Medikamente regelmäßig einzunehmen.

Wenn ein Medikament in einer niedrigen Dosierung nicht wirkt, kann zunächst die Dosis erhöht werden. Zeigt sich kein Erfolg, probiert man ein Medikament aus einer anderen Wirkstoffgruppe oder kombiniert mehrere Wirkstoffe.

Chirurgische Behandlung

Wenn die medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine Operation in Betracht gezogen werden. Voraussetzung für eine Operation ist, dass derAnfallsherd im Gehirn lokalisiert werden kann und dass die Entfernung des Herdes keine schwerwiegenden neurologischen Ausfälle verursacht.

Es gibt verschiedene operative Verfahren:

  • Resektive Chirurgie: Entfernung des Anfallsherdes.
  • Funktionelle Chirurgie: Unterbrechung der Nervenbahnen, die die Anfälle ausbreiten.
  • Vagusnervstimulation: Ein Schrittmacher wird unter die Haut im Brustbereich implantiert und mit dem Vagusnerv im Halsbereich verbunden. Der Schrittmacher gibt elektrische Impulse ab, die die Überaktivität der Nervenzellen hemmen sollen.

Ketogene Diät

Die ketogene Diät ist eine spezielleForm der Ernährung, bei der der Körper hauptsächlich Fette anstelle von Kohlenhydraten verwertet. Diese Diät kann bei einigen Kindern mit Epilepsie helfen, die Anfälle zu reduzieren. Die ketogene Diät sollte nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden.

Verhalten bei einem epileptischen Anfall

Wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls wird, ist es wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Vor allem sollte man überlegen, wie man die Person vor Verletzungen schützt.

  • Sorgen Sie für Sicherheit, indem Sie z. B. gefährliche Gegenstände beiseite räumen.
  • Polstern Sie den Kopf des Betroffenen ab.
  • Nehmen Sie seine/ihre Brille ab.
  • Lockern Sie enge Kleidung am Hals, um die Atmung zu erleichtern.
  • Bitten Sie Menschen, die in der Situation nicht helfen können, weiterzugehen.
  • Bringen Sie den Betroffenen nach dem Anfall in die stabile Seitenlage, wenn er bewusstlos ist.

Was Sie in keinem Fall tun sollten:

  • Die/den Betroffene/n festhalten oder zu Boden drücken
  • Der betroffenen Person etwas in den Mund schieben - auch wenn sie sich in die Zunge beißt

Wählen Sie immer den Notruf 112 und rufen Sie professionelle Hilfe, wenn:

  • Der Anfall länger als 5 Minuten dauert
  • Mehrere Anfälle kurz hintereinander auftreten
  • Sich der Betroffene verletzt hat
  • Der Betroffene nach dem Anfall nicht wieder zu Bewusstsein kommt
  • Es sich um den ersten Anfall handelt

Leben mit Epilepsie

Mit einer guten Behandlung können die meisten Menschen mit Epilepsie ein normales Leben führen. Es ist jedoch wichtig, sich über die Erkrankung zu informieren und bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

  • Regelmäßige Medikamenteneinnahme: Die Medikamente müssen regelmäßig und in der verordneten Dosis eingenommen werden, um Anfälle zu verhindern.
  • Vermeidung von Triggern: Bekannte Trigger, wie z.B. Schlafmangel, Alkohol oder Stress, sollten vermieden werden.
  • Ausreichend Schlaf: Ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus ist wichtig, um Anfälle zu vermeiden.
  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann dazu beitragen, das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.
  • Soziale Kontakte: Soziale Kontakte und Hobbys können helfen, die Lebensqualität zu verbessern und soziale Isolation zu vermeiden.
  • Unterstützung suchen: Es gibt viele Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen für Menschen mit Epilepsie und ihre Angehörigen.

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