Mit der zunehmenden Legalisierung und dem medizinischen Einsatz von Cannabis rückt die alte Frage nach den Auswirkungen von THC, dem psychoaktiven Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, auf unser Gehirn wieder in den Mittelpunkt. Es ist unbestreitbar, dass diese Substanz therapeutische Vorteile haben kann, insbesondere bei chronischen Schmerzen. Gleichzeitig mehren sich die Hinweise auf potenzielle Risiken, insbesondere bei regelmäßigem oder sehr frühem Konsum.
Das Endocannabinoid-System (ECS) verstehen
Um die Wirkung von THC im Gehirn zu verstehen, ist es unerlässlich, sich mit einem zentralen biologischen Netzwerk vertraut zu machen: dem Endocannabinoid-System (ECS). Dieses komplexe Netzwerk von Enzymen, Lipiden und Rezeptoren spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulation zahlreicher physiologischer Prozesse im Körper.
Die Rolle der CB1- und CB2-Rezeptoren
Das ECS besteht hauptsächlich aus Cannabinoidrezeptoren, von denen die CB1-Rezeptoren vor allem im Gehirn vorkommen. Sie sind an der Regulation kognitiver Prozesse und der Wahrnehmung beteiligt. Der Körper produziert selbst körpereigene Cannabinoide, sogenannte Endocannabinoide, die an diese Rezeptoren binden und verschiedene Funktionen regulieren. THC, als pflanzliches Cannabinoid, dockt ebenfalls an die CB1-Rezeptoren an, oft jedoch stärker und länger als die natürlichen Botenstoffe.
CB2-Rezeptoren hingegen befinden sich hauptsächlich im Immunsystem, insbesondere in der Milz, den Mandeln und den peripheren Nerven. Sie sind vor allem mit der entzündungshemmenden Wirkung von Cannabis verbunden.
Wie THC das Gehirn beeinflusst
THC kann zentrale Hirnregionen wie den Hippocampus (Gedächtnis), den präfrontalen Cortex (Impulskontrolle) und das Belohnungssystem (Motivation, Emotionen) beeinflussen. Dies kann zu veränderter Wahrnehmung, Euphorie oder gesteigerter Kreativität führen. Langfristiger Konsum - vor allem in jungen Jahren - kann strukturelle Veränderungen begünstigen: Die Großhirnrinde könnte sich ausdünnen, der Hippocampus an Volumen verlieren. Wie genau Cannabis das Gehirn beeinflusst, ist noch nicht abschließend geklärt.
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Besonders heikel kann der THC-Konsum in der Jugend sein. Das Gehirn reift bis in die Mitte der 20er-Jahre - Nervenzellen werden umgebaut, Synapsen gekappt, neue Verbindungen gestärkt. Die betroffenen Hirnareale enthalten besonders viele CB1-Rezeptoren - also die Andockstellen für THC. Die Forschenden vermuten, dass THC auf diesem Weg direkt in die Hirnentwicklung eingreift.
Auswirkungen von THC auf die neuronale Kommunikation
THC, das hauptsächlich den CB1-Rezeptor aktiviert, beeinflusst die neuronale Kommunikation und Signalübertragung auf verschiedene Weisen:
Freisetzung von Neurotransmittern
Endocannabinoide wirken nicht wie die meisten Neurotransmitter oder Endorphine vom prä- zum post-synaptischen Nervenende, sondern umgekehrt. Dies wird als retrograder Kontrollmechanismus bezeichnet. Endocannabinoide wirken funktionell dabei ähnlich dämpfend auf die Reizweiterleitung wie Endorphine und verursachen somit veränderte Stimmungs- und Verhaltenseffekte.
Eine nähere Betrachtung der Weiterleitung von Schmerzreizen verdeutlicht diesen Prozess: Ein Schmerzreiz löst in Nervenfasern ein Aktionspotenzial aus. Dieses elektrische Signal löst am Ende der Nervenzelle die Freisetzung von erregenden Neurotransmittern aus, wodurch es in ein chemisches Signal umgewandelt wird. Die Neurotransmitter gelangen über den synaptischen Spalt zur postsynaptischen Membran der nachfolgenden Nervenzelle und depolarisieren diese. Dadurch wird der Reiz in Form von elektrischen Impulsen weitergleitet. Die Depolarisation führt jedoch auch zur Synthese von Endocannabinoiden. Diese werden in entgegengesetzte Richtung in den synaptischen Spalt abgegeben. Dort führen sie zu einer Aktivierung von präsynaptischen CB1-Rezeptoren und somit zum retrograden Signal. In der Folge wird die Freisetzung weiterer Neurotransmitter gebremst und der Reizstrom abgeschwächt.
Die Aktivierung des CB1-Rezeptors verändert auch die Aktivität der Adenylatcyclase und die Öffnung von Ionenkanälen. Aufgrund der chemischen Ähnlichkeit wirkt THC analog zu den Endocannabinoiden und vermittelt folglich die gleichen Effekte.
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Wie verringert THC die Freisetzung von Neurotransmittern?
Die Adenylatcyclase ist ein wichtiges Enzym, welches die Umwandlung von Adenosintriphosphat (ATP) zu cyclischem Adenosinmonophasphat (cAMP) in Nervenzellen katalysiert. cAMP agiert als sogenannter sekundärer Botschafter, der unter anderem zur Öffnung von Kaliumkanälen an den Nervenzellen führt. Die Aktivierung des CB1-Rezeptors durch die Bindung von THC hemmt die Adenylatcyclase und führt somit letztlich zum Schließen der Kaliumkanäle. Dies wiederum vermindert die Freisetzung von Neurotransmitter und somit auch die Reizweiterleitung.
Neben den Kalium-Kanälen übt THC auch einen Effekt auf die Öffnung anderer spannungsabhängiger Ionenkanäle, den Calcium- und Natriumkanälen. Diese Kanäle sorgen dafür, dass erregende und hemmende Neurotransmitter wie GABA, Acetylcholin, Noradrenalin und L-Glutamat verringert abgegeben werden und die Reizweiterleitung gestört wird.
Beeinflussung der synaptischen Plastizität
THC kann die synaptische Plastizität, die Fähigkeit von Neuronen, ihre Verbindungen zu ändern, beeinflussen. Dies kann Auswirkungen auf die Lern- und Gedächtnisprozesse haben.
THC gegen das neuronale Ungleichgewicht
Eine häufig wiederholte Erregung von Nervenzellen führt zu einer Verstärkung der Reizübertragung. In der Folge kann es dazu kommen, dass sich der Prozess verselbstständigt und beispielsweise Schmerzimpulse an das Gehirn gesendet werden, ohne dass es einen auslösenden Reiz gibt. Endocannabinoide sind an dem neuronalen Regulationsmechanismus beteiligt. Es ist daher möglich, dass durch den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden die gesteigerte neuronale Aktivität wieder in ein Gleichgewicht gebracht werden kann.
THC und der Hunger
Neben den bereits aufgezählten Effekten in der Reizweiterleitung, bewirkt Cannabis auch die häufig beschriebenen Heißhungerattacken. Hunger ist ein Gefühl, welches seinen Ursprung im Hypothalamus hat. Benötigt der Körper Nahrung, so werden Signale ausgesandt, die im Hypothalamus zu einer gesteigerten Ausschüttung des Endocannabinoids Anandamid führen. Dieses bindet an CB1-Rezeptoren und löst schlussendlich das Hungergefühl aus. Aufgrund der chemischen Ähnlichkeit löst THC den gleichen Effekt aus und führt zur Appetitsteigerung.
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THC und der Lachflash
Sehr häufig wird der Effekt beobachtet, dass es nach der Einnahme eines THC-haltigen Präparates zu so genannten Lachflashes kommt. Lachen hat biochemisch betrachtet etwas mit dem Glücksgefühl zu tun. Freude und Tiefenentspannung spürt der Mensch vor allem infolge der Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin, welcher wiederum das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Die gleichzeitige Ausschüttung des Neurotransmitters GABA führt dazu, dass nicht unendlich viel Freude empfunden wird, sondern dosiert. THC bewirkt im Körper eine Hemmung der GABA-Ausschüttung, wodurch demzufolge Dopamin ungehemmt in hoher Konzentration ausgeschüttet wird. Die Ursache dafür liegt in der bereits oben beschriebenen Rezeptorbindung an der präsynaptischen Membran, welche die verminderte bzw. gehemmte Ausschüttung von GABA bewirkt.
Auswirkungen von CBD auf das zentrale Nervensystem
Im Gegensatz zu THC ist CBD ein nicht-psychoaktives Cannabinoid und hat eine geringe Affinität zu den CB1- und CB2-Rezeptoren. Stattdessen wirkt CBD auf verschiedene andere Rezeptoren und Systeme im zentralen Nervensystem. Die Auswirkungen von CBD auf die neuronale Kommunikation und Signalübertragung sind komplex und noch nicht vollständig verstanden. Einige der bekannten Wirkungen von CBD sind:
- Modulation der CB1-Rezeptoren: CBD kann die Aktivität der CB1-Rezeptoren indirekt modulieren, indem es die Bindung von THC an diese Rezeptoren beeinflusst. Dies kann die psychoaktiven Effekte von THC abschwächen.
- Einfluss auf andere Rezeptoren und Kanäle: CBD interagiert mit einer Vielzahl von Rezeptoren und Kanälen im zentralen Nervensystem, einschließlich des Serotonin-Rezeptors 5-HT1A und des Vanilloid-Rezeptors TRPV1. Diese Interaktionen können entzündungshemmende, angstlösende und schmerzlindernde Wirkungen haben.
- Neuroprotektive Eigenschaften: CBD hat neuroprotektive Eigenschaften gezeigt, indem es vor neurodegenerativen Erkrankungen und oxidativem Stress schützt. Dies kann die neuronale Gesundheit und Kommunikation unterstützen.
Die Rolle von Cannabis bei neurologischen Erkrankungen
Cannabis, insbesondere CBD, wird zunehmend als potenzielle Therapieoption für verschiedene neurologische Erkrankungen untersucht. Neurologische Erkrankungen sind Störungen des zentralen und peripheren Nervensystems, zu denen Migräne, Hirntumore, Parkinson-Krankheit, Epilepsie, Alzheimer-Krankheit und traumatische Störungen des zentralen Nervensystems gehören.
CBD als vielversprechendes Nutrazeutikum
Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit von CBD als Anti-Angst-Nutrazeutikum. CBD bindet an den 5-HT1A-Rezeptor, einen Serotoninrezeptor. Serotonin ist ein chemischer Botenstoff, der mit unserer Stimmung verbunden ist. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass CBD das Potenzial hat, den TRPV1-Rezeptor zu „desensibilisieren“. Der TRPV1-Rezeptor trägt zur Regulierung unserer Körpertemperatur bei und ist auch ein Rezeptor für Wärme- und Schmerzempfindung. Ein weiterer Grund für die analgetischen Eigenschaften von CBD ist, dass es ein allosterischer Modulator von μ- und σ-Opioidrezeptoren ist. Das bedeutet einfach, dass CBD die Verarbeitung von Schmerzsignalen verändert. Allosterische Modulatoren heften sich an andere Stellen als die Hauptrezeptorstelle (sie werden als „orthosterische Modulatoren“ bezeichnet).
CBD bei Epilepsie
Epilepsie nimmt nach Schlaganfall, Alzheimer und Migräne die vierte Position als häufigste neurologische Erkrankung ein. Ihr Körper verfügt über ein System von Neurotransmittern und Rezeptoren, das Endocannabinoid-System.
Forschungsergebnisse und Studien
Moderne Untersuchungsmethoden ermöglichen es, die Auswirkungen des Cannabiskonsums auf den Hirnstoffwechsel direkt am Menschen zu untersuchen.
Auswirkungen von chronischem Cannabiskonsum
Eine Studie des National Institute of Mental Health und des National Institute on Drug Abuse in den USA untersuchte die Auswirkungen von chronischem Cannabiskonsum auf die Cannabinoid-Rezeptoren. Die Ergebnisse zeigten, dass starke Cannabiskonsumenten im Schnitt 20 Prozent weniger Cannabinoid-Rezeptoren aufwiesen als Mitglieder der Vergleichsgruppe. Je länger die Konsumentinnen und Konsumenten kifften, desto weniger Cannabinoid-Rezeptoren konnten in ihrem Gehirn nachgewiesen werden.
Allerdings konnte im Rahmen der Studie auch gezeigt werden, dass sich die Auswirkungen des Konsums wieder abschwächten, wenn dieser eingestellt wurde. So zeigten zusätzliche Hirnuntersuchungen nach einem Monat, dass sich die Zahl der Cannabinoid-Rezeptoren bei ehemaligen Konsumenten wieder deutlich erholte.
THC und Gedächtnisbeeinträchtigung
Eine andere Studie bringt Licht ins Dunkel der Frage, warum THC bei manchen Menschen das Gedächtnis beeinträchtigen kann. Die Forschenden fanden heraus: Wird THC über längere Zeit eingenommen, kann es im Gehirn ein Enzym aktivieren, das normalerweise bei Entzündungen eine Rolle spielt - COX-2. Wenn COX-2 aktiv ist, verändert sich die Struktur der Verbindungen zwischen den Nervenzellen - vor allem im Hippocampus, der für das Lernen und Erinnern zuständig ist. In Tierversuchen führte das dazu, dass weniger wichtige Signalstoffe (Glutamatrezeptoren) vorhanden waren und sich die Zahl der Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen verringerte. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Sobald COX-2 gehemmt wurde, verschwanden diese negativen Effekte - selbst wenn weiterhin THC gegeben wurde. Gedächtnis und Nervenzellverbindungen blieben stabil. Diese Ergebnisse legen nahe: Die unerwünschten Nebenwirkungen von THC auf das Gehirn lassen sich womöglich verhindern, wenn gleichzeitig COX-2 gehemmt wird.
Cannabis und Alterungsprozesse im Gehirn
Mit zunehmendem Alter nimmt die Gedächtnisleistung ab. Cannabis kann diese Alterungsprozesse im Gehirn umkehren. Das zeigen Wissenschaftler der Universität Bonn mit ihren Kollegen der Hebrew University (Israel) an Mäusen. Alte Tiere konnten durch eine längere niedrig dosierte Behandlung mit einem Cannabis-Wirkstoff in den Zustand von zwei Monate jungen Mäusen zurückversetzt werden. Dies eröffnet zum Beispiel für die Behandlung von Demenzerkrankungen neue Optionen.
Die Forscher verabreichten Mäusen im Alter von zwei, zwölf oder 18 Monaten über einen Zeitraum von vier Wochen eine geringe Menge an THC, dem aktiven Inhaltsstoff der Hanfpflanze (Cannabis). Danach testeten sie das Lernvermögen und die Gedächtnisleistungen der Tiere - darunter zum Beispiel das Orientierungsvermögen und das Wiedererkennen von Artgenossen. Mäuse, die nur ein Placebo verabreicht bekamen, zeigten natürliche altersabhängige Lern- und Gedächtnisverluste. Die kognitiven Funktionen der mit Cannabis behandelten Tiere waren hingegen genauso gut wie die von zwei Monate alten Kontrolltieren.
Risiken und Nebenwirkungen
Der Konsum von THC kann Nebenwirkungen haben, die je nach Dosierung und individueller Reaktion variieren können. Häufige Nebenwirkungen sind:
- Psyche und Wahrnehmung: Sedierung (Beruhigung), leichte Euphorie, gesteigertes Wohlbefinden, intensivere Wahrnehmung von sinnlichen Empfindungen, die Zeit scheint langsamer zu vergehen, Angstzunahme oder -linderung, Halluzinationen nach hohen Dosen
- Denken: Gedächtnis und Aufmerksamkeit sind gestört, Kreativität ist erhöht
- Bewegung: Verschlechterung oder Verbesserung der Koordination, undeutliche Sprache
- Nervensystem: Schmerzlinderung, Muskelentspannung, gesteigerter Appetit, Verminderung von Übelkeit und Erbrechen, Auftreten von Übelkeit
- Herz-Kreislauf-System: Zunahme der Herzfrequenz, Absinken des Blutdrucks, eventuell mit Schwindel
- Augen: Rötung der Bindehaut, weniger Tränenfluss, Absinken des Augeninnendrucks
- Atemwege: Erweiterung der Bronchien, Mundtrockenheit
- Magen-Darm-Trakt: Verminderte Darmbewegungen, geringere Magensäureproduktion
Der langfristige Konsum von THC kann sowohl körperliche als auch geistige Gesundheit beeinträchtigen. Mögliche Langzeitwirkungen umfassen Gedächtnisprobleme, verringerte kognitive Fähigkeiten, Atemwegserkrankungen bei Rauchkonsum und eine mögliche Entwicklung von psychischen Störungen.
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