Cortison bei Epilepsie: Eine umfassende Übersicht

Kortikosteroide (KST) und adrenocorticotropes Hormon (ACTH) werden seit über 70 Jahren zur symptomatischen Behandlung von Epilepsien im frühen Kindesalter eingesetzt, insbesondere wenn diese gegenüber konventionellen Anfallssuppressiva (ASM) resistent sind.

Einleitung

Die Behandlung von Epilepsie, insbesondere bei Kindern, stellt eine besondere Herausforderung dar. Konventionelle Anfallssuppressiva (ASM) sind oft nicht ausreichend wirksam, was den Einsatz von Kortikosteroiden (KST) und adrenocorticotropem Hormon (ACTH) erforderlich macht. Dieser Artikel fasst die aktuelle Evidenz zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Cortison bei verschiedenen Epilepsieformen im Kindesalter zusammen.

Systematische Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit von ACTH und Kortikosteroiden

Eine systematische Übersichtsarbeit (SR) untersuchte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von ACTH und KST bei Kindern mit anderen Epilepsien als dem infantilen epileptischen Spasmussyndrom (IESS), die nicht auf ASM ansprachen. Die SR umfasste retrospektive und prospektive Studien mit mehr als fünf Patienten, klaren Falldefinitionen sowie Beschreibungen der Behandlung und der Ergebnisse.

Studiendesign und Patientencharakteristika

Die Übersichtsarbeit umfasste 38 Studien (2 kontrollierte und 5 unkontrollierte prospektive, 31 retrospektive) mit insgesamt 1152 Patienten. In 30 von 38 Studien wurde die Indikation zur Steroidbehandlung mit schwerer, ASM-resistenter Epilepsie, schweren Spike-Waves im EEG und kognitiver Verschlechterung angegeben. Fünf Studien schlossen ausschließlich Patienten mit DEE-SWAS (entwicklungsbedingte und/oder epileptische Enzephalopathie mit Spike-and-Wave-Aktivierung im Schlaf) oder Landau-Kleffner-Syndrom ein, die meisten jedoch verschiedene Syndrome. Die Erfassungsperiode betrug bei den prospektiven Studien 1 bis 5 Jahre, bei den retrospektiven Studien jedoch 2 bis 26 Jahre.

Ergebnisse der Metaanalyse

Die Metaanalyse der aggregierten Daten zur Anfallsreduktion > 50 % und zur Verringerung der EEG-Spikes am Ende der Initialbehandlung ergab gepoolte Raten (PR) von 0,60 (95 %-KI 0,52-0,67) bzw. 0,56 (95 %-KI 0,43-0,68). Die Rückfallquote war hoch (PR 0,33, 95 %-KI 0,27-0,40). Subgruppenanalysen und eine Metaregression zeigten keinen signifikanten Unterschied zwischen den eingesetzten Substanzen, eine etwas bessere Wirkung bei DEE-SWAS und eine schwächere Wirkung bei Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung und „symptomatischer“ Ätiologie. Die Höhe der kumulativen Dosis der initialen Behandlungsphase hatte keinen Einfluss auf die Behandlungsergebnisse.

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Unerwünschte Wirkungen

Adipositas und Cushing-Syndrom waren die häufigsten unerwünschten Wirkungen, die oft in Studien mit kontinuierlicher ACTH- (PR 0,73, 95 %-KI 0,48-0,89) oder KST-Gabe (PR 0,72, 95 %-KI 0,54-0,85), aber selten bei intermittierender intravenöser oder oraler KST-Gabe (PR 0,05, 95 %-KI 0,02-0,10) auftraten.

Einschränkungen der Ergebnisse

Die Aussagekraft dieser Ergebnisse wird durch ein hohes Verzerrungsrisiko der meisten eingeschlossenen Studien und eine große Heterogenität zwischen den Studiendaten eingeschränkt.

Spezifische Studien und Ergebnisse

Studie von Grosso et al.

Grosso et al. teilten Patienten mit therapierefraktärer Epilepsie einer offenen Behandlung mit oralem Hydrocortison oder Deflazacort (Oxazolinderivat von Prednisolon) abwechselnd in der Reihenfolge der Krankenhausaufnahme zu. Nach 6 Monaten gab es 44 % Responder (> 50 % Anfallsverbesserung) in der Hydrocortison-Gruppe und 47 % in der Deflazacort-Gruppe. Die Rückfallquote war in der Deflazacort-Gruppe signifikant niedriger (22 % vs. 87 %; p = 0,04). Unerwünschte Wirkungen traten in der Hydrocortison-Gruppe häufiger auf (37 % vs. 1 Patient in der Deflazacort-Gruppe).

Randomisierte, kontrollierte Studie mit ivMP

Eine kürzlich veröffentlichte randomisierte, kontrollierte Studie verglich die gepulste Behandlung mit intravenösem Methylprednisolon (ivMP) mit einer Standardtherapie mit ASM. Die ITT-Analyse zeigte, dass der mediane Prozentsatz der Veränderung der Anfallshäufigkeit nach ivMP + ASM signifikant höher war als in der reinen ASM-Gruppe (91,4 vs. 10; p < 0,001). Die Responserate (Rückgang um mehr als 50 %) lag in der Interventionsgruppe bei 0,75 im Vergleich zu 0,15 in der reinen ASM-Gruppe (p < 0,001).

Diskussion der Studienergebnisse

Die Metaanalysen stützten sich auf aggregierte Daten der Studien wie Raten der klinischen und EEG-Besserung, Prozentsatz symptomatischer Ätiologie und kognitiv Beeinträchtigter und durchschnittliche kumulative Dosen der Medikation bei allerdings relativ einheitlich gehandhabter Studienmedikation. Die Beobachtungseinheit in den Analysen ist damit jeweils die Studie, nicht der einzelne Patient. Eine Sensitivitätsanalyse, in die nur die 19 Arbeiten eingeschlossen wurden, die kein schlechteres als mäßiges Verzerrungsrisiko für die Zielparameter aufwiesen, bestätigte die Ergebnisse der Metaanalyse mit allen 38 Studien.

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Cortison bei verschiedenen Epilepsieformen

Benigne Partialepilepsien des Kindesalters

Gerade bei den benignen Partialepilepsien des Kindesalters mit spontaner Remission in der Pubertät mit und ohne Therapie ist eine sehr sorgfältige Indikationsstellung zur Therapie zu treffen. Für diese Gruppe der Epilepsien ist Sultiam Mittel der 1. Wahl. Alternativ können Levetiracetam, Valproat und Carbamazepin/Oxcarbazepin eingesetzt werden, wobei unter Carbamazepin, wahrscheinlich auch unter Oxcarbazepin in Einzelfällen eine Verschlechterung bis hin zum bioelektrischen Status beobachtet wurde, wiederholte EEG-Ableitungen bei dieser Wahl der Therapie sind sinnvoll.

Landau-Kleffner- und CSWS-Syndrom

Beim Landau-Kleffner-Syndrom und auch beim CSWS-Syndrom ist ebenfalls Sultiam Mittel der ersten Wahl, bei Versagen in Kombination mit Clobazam, Levetiracetam wurde mehrfach erfolgreich eingesetzt. Vigabatrin kann in seltenen Fällen nützlich sein unter Beachtung des Risikos einer Gesichtsfeldeinschränkung. Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas kommen gerade bei massiven EEG-Befunden auch Steroide oder auch ACTH zum Einsatz.

Lennox-Gastaut-Syndrom

Durch seine Therapieresistenz zählt das Lennox-Gastaut-Syndrom zu den therapeutischen Herausforderungen. Mittel der Wahl ist Valproat in Monotherapie. Allerdings wird dadurch nur in wenigen Fällen Anfallsfreiheit erzielt, so dass auf andere Behandlungsstrategien gesetzt werden muss. Zur Basistherapie mit Valproat wird Lamotrigin, Topiramat oder Felbamat kombiniert.

Idiopathisch generalisierte Anfälle und Epilepsie-Syndrome

Bei den idiopathisch generalisierten Epilepsien sind Ethosuximid für die Absencen und Valproat bei Auftreten von Grand mal-Anfällen nach wie vor Mittel der ersten Wahl. Lamotrigin und Levetiracetam stellen eine wichtige Alternative zum Valproat dar, insbesondere bei Kindern mit einer Einnässproblematik oder erheblichen Appetitsteigerung mit Gewichtszunahme und Erkrankungen der Leber und des Gerinnungssystems sowie Mitochondriopathien.

Wirkmechanismus von Prednisolon

Prednisolon ist ein synthetisches Glukokortikoid, das seine Wirkung durch verschiedene Mechanismen auf zellulärer und molekularer Ebene entfaltet. Es bindet an spezifische Glukokortikoid-Rezeptoren im Zytoplasma der Zellen, woraufhin der Rezeptor-Liganden-Komplex in den Zellkern transloziert wird. Diese Genmodulation führt zur Synthese antiinflammatorischer Proteine und zur Hemmung proinflammatorischer Zytokine und Mediatoren wie Interleukin-1, Interleukin-2, Interferon-gamma und Tumornekrosefaktor-alpha. Zusätzlich inhibiert Prednisolon die Phospholipase A2, ein Schlüsselenzym im Metabolismus der Arachidonsäure, was die Produktion von entzündungsfördernden Eikosanoiden wie Prostaglandinen und Leukotrienen reduziert.

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Anwendungshinweise für Prednisolon

Prednisolon und andere Glukokortikoide sollten idealerweise morgens eingenommen werden, vorzugsweise vor 9 Uhr. Dieser Zeitpunkt ist empfohlen, um den natürlichen zirkadianen Rhythmus der körpereigenen Cortisolproduktion am besten nachzuahmen. Die empfohlene Dosierung hängt immer von der Art und Schwere der Erkrankung ab. Für Erwachsene liegen sehr niedrige Dosen bei 1,5 mg pro Tag, hohe Dosen bei bis zu 100 mg täglich. Tabletten sollten nach Mahlzeiten unzerkaut mit Flüssigkeit eingenommen werden.

Wechselwirkungen und Kontraindikationen

Bei der Anwendung von Prednisolon sind zahlreiche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bekannt. Während einer Schwangerschaft sollte Prednisolon nur unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung zum Einsatz kommen. Da Prednisolon in die Muttermilch übergeht, ist eine strenge Indikationsstellung während der Stillzeit unerlässlich, auch wenn bisher nicht bekannt ist, dass der Säugling Schaden nimmt.

Neue Therapieansätze

Wirkstoffe wie Cortison können das Immunsystem unterdrücken und damit eventuell auch die massive Produktion von Autoantikörpern unterbinden. Möglicherweise lassen sich diese aber auch gezielt durch bestimmte Medikamente abfangen und außer Gefecht setzen.

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