Alkoholische Polyneuropathie: Behandlung, Ursachen und Perspektiven

Die alkoholische Polyneuropathie, auch alkoholbedingte Neuropathie genannt, ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die durch chronischen Alkoholmissbrauch entsteht. Sie ist eine der häufigsten neurologischen Folgeerkrankungen von Alkoholismus und kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. In diesem Artikel werden wir uns eingehend mit den Ursachen, Symptomen, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten der alkoholischen Polyneuropathie befassen.

Was ist Polyneuropathie?

Eine Polyneuropathie ist eine Schädigung des peripheren Nervensystems, das alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks umfasst. Diese Nerven sind für die Übertragung von Informationen zwischen dem Gehirn, dem Rückenmark und dem Rest des Körpers verantwortlich. Eine Schädigung dieser Nerven kann zu einer Vielzahl von Beschwerden führen, darunter Schmerzen, Empfindungsstörungen, Fehlempfindungen und sogar Lähmungen.

Polyneuropathien werden in verschiedene Kategorien unterteilt, z. B. nach Innervationsgebiet, Nervenfasertyp oder Entstehungsursache. Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen sensomotorischen Polyneuropathien, die sowohl Schmerzen als auch Empfindungs- und Bewegungsstörungen verursachen, und anderen Formen, bei denen spezifischere Symptome im Vordergrund stehen.

Ursachen der alkoholischen Polyneuropathie

Die alkoholische Polyneuropathie wird in erster Linie durch die toxische Wirkung von Alkohol und seinen Abbauprodukten auf die Nerven verursacht. Alkohol ist eine neurotoxische Substanz, die eine exotoxische Schädigung im Nervensystem hervorrufen kann. Dies bedeutet, dass die Schäden im Organismus durch Zufuhr einer äußeren Substanz entstehen.

Neben der direkten toxischen Wirkung des Alkohols spielen auch Begleitumstände des chronischen Alkoholismus eine Rolle, wie z.B.:

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  • Mangelernährung: Alkoholiker leiden häufig unter Mangelernährung, insbesondere einem Mangel an B-Vitaminen, die für die Gesundheit der Nerven unerlässlich sind.
  • Lebererkrankungen: Alkoholmissbrauch kann zu Leberschäden führen, die wiederum die Nerven schädigen können (hepatische Enzephalopathie).
  • Erhöhte Entzündungswerte: Alkohol führt zur Entzündung von Nervengewebe. Er erhöht die Zahl entzündungsfördernder Zytokine, die die Blut-Hirn-Schranke (BHS) überwinden und Entzündungen im Gehirn verursachen können.

Schätzungen zufolge betrifft die alkoholische Polyneuropathie in Deutschland mindestens ein Fünftel aller Alkoholiker. Männer leiden deutlich häufiger an der Erkrankung als Frauen. Die meisten Betroffenen konsumieren über mehrere Jahre hinweg mehr als 60 g Ethanol täglich, bevor sie an einer Polyneuropathie durch Alkohol erkranken.

Symptome der alkoholischen Polyneuropathie

Die Symptome einer alkoholischen Polyneuropathie können von Patient zu Patient variieren und hängen davon ab, welche Nerven geschädigt sind. In den meisten Fällen entwickeln sich die Symptome schleichend über einen Zeitraum von Monaten oder Jahren. In seltenen Fällen können sie jedoch auch plötzlich auftreten.

Typische Symptome der alkoholischen Polyneuropathie sind:

  • Empfindungsstörungen: Kribbeln, Taubheit, Brennen oder "Ameisenlaufen" in Füßen und Beinen, später auch in Händen und Armen.
  • Schmerzen: Ziehende, drückende oder brennende Schmerzen in verschiedenen Körperteilen, oft nachts stärker.
  • Muskelschwäche: Schwäche oder Abbau der Muskelzellen, was zu Muskelkrämpfen, Muskellähmungen und Muskelschwund führen kann.
  • Koordinationsprobleme: Gangunsicherheit, Schwierigkeiten beim Stehen oder Gehen.
  • ** vegetative Symptome:** Impotenz, Verdauungsbeschwerden, Herzrhythmusstörungen (bei Beteiligung des vegetativen Nervensystems).
  • Hirnnervenschädigungen: Störungen der Pupillenfunktion oder Lähmung der Augenmuskeln (in seltenen Fällen).

Die Symptome beginnen meist in den Zehen und Füßen und breiten sich dann auf die Beine und später möglicherweise auf die Hände und Arme aus.

Diagnose der alkoholischen Polyneuropathie

Die Diagnose einer alkoholischen Polyneuropathie erfolgt in der Regel in mehreren Schritten:

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  1. Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte des Patienten, einschließlich Angaben zum Alkoholkonsum, Vorerkrankungen und aktuellen Beschwerden. Eine ehrliche Antwort ist hierbei entscheidend, um die Diagnose korrekt zu stellen.
  2. Körperliche Untersuchung: Der Arzt untersucht die Reflexe, die Muskelkraft und die Sensibilität des Patienten, um Anzeichen einer Nervenschädigung festzustellen.
  3. Neurologische Untersuchungen:
    • Messung der Nervenleitgeschwindigkeit: Dabei wird die Geschwindigkeit gemessen, mit der elektrische Impulse durch die Nervenbahnen geleitet werden. Eine verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit deutet auf eine Nervenschädigung hin.
    • Quantitative Sensorische Testung (QST): Mit verschiedenen Gefühlstests werden die Wahrnehmung von Berührung, Vibration, Schmerz und Temperatur gemessen.
    • Elektromyographie (EMG): Hierbei wird die elektrische Aktivität der Muskeln gemessen, um festzustellen, ob die Muskeln durch Nervenschäden beeinträchtigt sind.
  4. Laboruntersuchungen:
    • Blutuntersuchungen: Es werden verschiedene Blutwerte bestimmt, um andere mögliche Ursachen der Polyneuropathie auszuschließen und Hinweise auf Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Nährstoffmängel zu finden. Dazu gehören Entzündungswerte (z.B. CRP), Vitamin-B12-Spiegel, Leber- und Nierenwerte.
  5. Nervenbiopsie: In seltenen Fällen wird eine Gewebeprobe aus einem Nerv entnommen und unter dem Mikroskop untersucht, um die Ursache der Nervenschädigung zu bestimmen.

Behandlung der alkoholischen Polyneuropathie

Die Behandlung der alkoholischen Polyneuropathie zielt in erster Linie darauf ab, die Ursache der Erkrankung zu beseitigen und die Symptome zu lindern.

  1. Alkoholabstinenz: Der wichtigste Schritt bei der Behandlung der alkoholischen Polyneuropathie ist der vollständige Verzicht auf Alkohol. Wenn die Erkrankung noch nicht zu weit fortgeschritten ist, können sich die Symptome bei Alkoholabstinenz in vielen Fällen zurückbilden. Da es Suchtkranken oft schwerfällt, aus eigenem Willen auf Alkohol zu verzichten, ist in vielen Fällen professionelle Unterstützung erforderlich. Ein stationärer Entzug unter medizinischer Aufsicht kann helfen, den Körper vom Alkohol zu befreien und die Entzugserscheinungen zu lindern.
  2. Ernährungsumstellung und Nahrungsergänzung: Eine ausgewogene Ernährung und die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, insbesondere von B-Vitaminen (insbesondere Thiamin/Vitamin B1), können helfen, Nährstoffmängel auszugleichen und die Nervenregeneration zu unterstützen.
  3. Schmerztherapie:
    • Antidepressiva: Bestimmte Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Duloxetin) können helfen, neuropathische Schmerzen zu lindern.
    • Antikonvulsiva: Medikamente gegen Krampfanfälle (z.B. Gabapentin, Pregabalin) können ebenfalls bei neuropathischen Schmerzen wirksam sein.
    • Capsaicin-Pflaster: Capsaicin, der Wirkstoff aus Chilischoten, kann in Form von Pflastern auf die Haut aufgetragen werden, um Schmerzen zu lindern und die Durchblutung zu fördern.
  4. Physikalische Therapie:
    • Physiotherapie: Gezielte Übungen können helfen, die Muskelkraft und Koordination zu verbessern.
    • Ergotherapie: Ergotherapeuten können Betroffenen helfen, ihren Alltag trotz der Einschränkungen durch die Polyneuropathie besser zu bewältigen.
    • ** Wärme- und Kälteanwendungen:** Diese können helfen, Schmerzen zu lindern und die Durchblutung zu fördern.
    • Reizstromtherapie (TENS): Dabei werden die Nerven durch elektrische Impulse stimuliert, um Schmerzen zu lindern.
  5. Weitere Maßnahmen:
    • Gleichgewichtstraining: Um die Gangunsicherheit zu verbessern.
    • Vibrationstraining: Dabei stellt man sich auf eine vibrierende Platte. Die Vibration stellt einen sehr starken Reiz für die Nerven dar.

Heilungschancen und Prognose

Ob eine alkoholische Polyneuropathie heilbar ist, hängt vom Stadium der Erkrankung und dem Ausmaß der bereits bestehenden Nervenschäden ab. Wenn die Erkrankung frühzeitig erkannt und behandelt wird und der Patient vollständig auf Alkohol verzichtet, bestehen gute Chancen, dass sich die Symptome zurückbilden und die Nerven sich regenerieren. In fortgeschrittenen Fällen, in denen bereits irreversible Nervenschäden vorliegen, können die Symptome möglicherweise nicht mehr vollständig geheilt werden. Eine geeignete Therapie kann jedoch dazu beitragen, die Symptome zu lindern und die Entstehung weiterer Schäden zu verhindern.

Es ist wichtig zu beachten, dass Polyneuropathien die Lebenserwartung in der Regel nicht direkt beeinflussen. Die zugrundeliegenden Ursachen wie Alkoholmissbrauch können jedoch zu einer verkürzten Lebensdauer beitragen.

Prävention

Die beste Möglichkeit, einer alkoholischen Polyneuropathie vorzubeugen, ist der Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum. Es ist wichtig, sich der Risiken des Alkoholkonsums bewusst zu sein und verantwortungsvoll damit umzugehen. Eine ausgewogene Ernährung und die Einnahme von B-Vitaminen können ebenfalls dazu beitragen, die Nerven gesund zu erhalten.

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