Die Frage nach dem Bewusstsein und seiner Lokalisation im Gehirn beschäftigt die Menschheit seit Jahrhunderten. Wo genau entsteht unser Bewusstsein, unser "Ich"? Die moderne Neurowissenschaft versucht, dieses Rätsel durch die Erforschung der komplexen neuronalen Strukturen und Prozesse im Gehirn zu lösen.
Die Evolution des Nervensystems: Ein Blick auf die Ursprünge
Die Evolution des Nervensystems zeigt eine erstaunliche Beständigkeit grundlegender Strukturen und Mechanismen. Nervenzellen, ihre Polarisierung in Empfänger- und Senderbereiche sowie biochemische Bestandteile sind über Jahrmillionen hinweg konserviert worden. Sogar die chemischen Überträgersubstanzen, die Nervenzellen zur Kommunikation nutzen, finden sich in ähnlicher Form in einfachen Organismen wie Insekten und Schnecken.
Auch der allgemeine Bauplan von Gehirnen, insbesondere bei Chordaten, weist bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf. Vorderhirn, Riechhirn, Zwischenhirn, Mittelhirn, Kleinhirn und Hirnstamm lassen sich bei Fischen, Reptilien und Säugetieren gleichermaßen identifizieren. Diese Ähnlichkeiten sind besonders auffällig bei Säugetieren, wobei die hoch entwickelten Gehirne von Primaten sich vor allem durch die Volumenzunahme der Großhirnrinde unterscheiden.
Die Großhirnrinde: Zentrum höherer kognitiver Leistungen
Die Großhirnrinde, eine etwa zwei Millimeter dünne, gefaltete Schicht von Nervenzellen, spielt eine entscheidende Rolle bei höheren kognitiven Leistungen. Obwohl die interne Organisation der Großhirnrinde im Laufe der Evolution nahezu unverändert geblieben ist, beruhen die kognitiven Unterschiede zwischen Säugetieren und Menschen auf der Volumenzunahme und der Vermehrung von Hirnrindenarealen.
Die Hirnrinde lässt sich in verschiedene Regionen einteilen, die unterschiedliche Funktionen wahrnehmen. So befassen sich Areale im parietalen und temporalen Bereich mit der Verarbeitung visueller Signale, während andere Areale akustische Aktivität vermitteln oder sich mit der sensorischen Verarbeitung von Sprache auseinandersetzen. In frontalen Rindenfeldern werden Bewegungsprogramme erstellt und die Sprachproduktion verwaltet.
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Trotz dieser funktionellen Spezialisierung ist die interne Struktur der verschiedenen Hirnrindenareale praktisch identisch. Die Algorithmen, nach denen die Großhirnrinde arbeitet, haben sich im Laufe der Evolution kaum verändert, es sind lediglich mehr Areale hinzugekommen.
Abschied von der Konvergenzzentrale: Ein Netzwerk entsteht
Lange Zeit ging man davon aus, dass es im Gehirn ein Konvergenzzentrum geben müsse, in dem alle Signale zusammenlaufen und interpretiert werden. Doch die moderne Forschung hat gezeigt, dass das Gehirn ein hoch distributives und parallel organisiertes System ist, das auf komplexe Weise reziprok vernetzt ist. Es gibt keinen einzelnen Agenten, der interpretiert, kontrolliert und befiehlt.
Koordiniertes Verhalten und kohärente Wahrnehmung müssen als emergente Qualitäten eines Selbstorganisationsprozesses verstanden werden, der alle eng vernetzten Zentren gleichermaßen einbezieht. Die Frage, wie diese Koordination erfolgt, ist eine der großen Herausforderungen der Neurobiologie, bekannt als das Bindungsproblem.
Metarepräsentationen und das Selbstbewusstsein
Die Fähigkeit, nicht nur die Umwelt, sondern auch die eigene Wahrnehmung zu repräsentieren, scheint eine weitere wichtige Voraussetzung für Bewusstsein zu sein. Es gibt Hinweise darauf, dass die in der Evolution später hinzugekommenen Hirnrindenareale ihre Eingangssignale nicht mehr direkt von den Sinnesorganen beziehen, sondern von den bereits vorhandenen, stammesgeschichtlich älteren Arealen.
Diese neuen Areale scheinen die Signale, die sie von den primären Arealen bekommen, auf die gleiche Weise zu verarbeiten wie letztere die Signale, die sie von den Sinnesorganen erhalten. Diese Fähigkeit, Metarepräsentationen aufzubauen, ermöglicht es, Reaktionen auf Reize zurückzustellen, Handlungsentscheidungen abzuwägen, interne Modelle aufzubauen und den erwarteten Erfolg von Aktionen an diesen zu messen.
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Die aktive Rolle des Gehirns bei der Wahrnehmung
Wahrnehmung ist nicht als passive Abbildung von Wirklichkeit zu verstehen, sondern als das Ergebnis eines aktiven, konstruktivistischen Prozesses, bei dem das Gehirn ständig Hypothesen darüber bildet, wie die Welt sein sollte, und die Signale von den Sinnesorganen mit diesen Hypothesen vergleicht.
Das limbische System: Emotionen, Gedächtnis und mehr
Das limbische System, eine Gruppe von Hirnstrukturen, die eng miteinander verbunden sind, spielt eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, Gedächtnisprozessen und dem Antrieb. Zu den wichtigsten Bestandteilen gehören Hippocampus, Amygdala, Gyrus cinguli und Gyrus parahippocampalis.
Obwohl das limbische System lange Zeit als das Zentrum unserer Emotionen galt, wissen wir heute, dass seine Funktionen weit darüber hinausgehen. Es beeinflusst auch Gedächtnis, Antrieb und affektives Verhalten. Störungen im limbischen System werden mit verschiedenen psychischen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht, darunter Schizophrenie, Bipolare Störungen, Angst- und Aggressionsstörungen sowie Depressionen.
Das Claustrum: Ein möglicher Schalter für das Bewusstsein
Eine aktuelle Entdeckung deutet darauf hin, dass das Claustrum, eine dünne Schicht von Neuronen im Zentrum des Gehirns, eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Bewusstsein spielen könnte. Durch elektrische Stimulation des Claustrums konnte bei einer Epileptikerin das Bewusstsein gezielt aus- und wieder angeschaltet werden.
Das Claustrum steht schon lange in Verdacht, ein neuronales Schaltzentrum zu sein, das die Informationen der verschiedenen Hirnareale ordnet und Koalitionen von Nervenzellen organisiert. Es wird vermutet, dass das Claustrum die Informationen synchronisiert und so ein harmonisches "Weltbild" erzeugt, das bewusstes Erleben ermöglicht.
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Die Großhirnrinde: Sitz von Wahrnehmung, Gedächtnis und Verstand
Die Großhirnrinde, der Cortex cerebri, ist die äußerste Schicht des Großhirns und spielt eine entscheidende Rolle bei Wahrnehmung, Gedächtnis, Verstand, zielgerichteten Handlungen und dem Gefühlsleben. Sie ist stark gefaltet und durchzogen von zahlreichen Furchen, wodurch voneinander abgrenzbare Bereiche entstehen.
Die Großhirnrinde besteht aus dem entwicklungsgeschichtlich jungen Neocortex und dem älteren Paleocortex. Im Cortex entsteht aus den Signalen der Sinnesorgane und vorgeschalteten Hirnregionen ein zusammenhängender Eindruck der Umwelt. Zudem kann er Informationen speichern und ist somit die biologische Grundlage unseres Gedächtnisses.
Die Funktionsweise des Gehirns: Ein komplexes Netzwerk
Das Gehirn ist ein komplexes Netzwerk aus Milliarden von Nervenzellen, die durch Synapsen miteinander verbunden sind. Informationen aus dem Körper oder der Umwelt gelangen in Form von Hormonen oder elektrischen Impulsen ins Gehirn, werden dort bewertet und verarbeitet. Als Reaktion werden entsprechende Signale vom Gehirn wieder ausgesendet, beispielsweise an Muskeln, um sich zu bewegen, an Drüsen, um Sekrete zu produzieren, oder an Sinnesorgane, um Reize aus der Umwelt zu beantworten.
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