Seltene Komplikationen nach Impfungen: Aneurysmen, Thrombosen und neurologische Effekte

Die Impfung gegen SARS-CoV-2 löst Reaktionen des Immunsystems aus. In sehr seltenen Fällen können im Zusammenhang mit der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin Hirnvenenthrombosen auftreten. Dabei kommt es zum Verschluss einer Vene im Gehirn - ausgelöst durch ein Blutgerinnsel. Transfusionsmediziner um den Greifswalder Forscher Professor Dr. Andreas Greinacher haben herausgefunden, was diese Thrombosen auslöst und wie diese behandelt werden können. „Dies ist ein echter Fortschritt, denn die Menschen können sich nun bedenkenlos mit diesem Impfstoff impfen lassen“, so Greinacher zur Bedeutung der Forschungsergebnisse. Die Komplikationen treten ohnehin nur in extrem seltenen Fällen auf. „Sollten die Hirnvenenthrombosen zukünftig auftreten, können wir sie erfolgreich behandeln“, so der Experte, der Leiter der Abteilung Transfusionsmedizin am Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald ist.

Immunreaktionen und Hirnvenenthrombosen nach Impfung

Nach einer Impfung bildet der Körper Abwehrstoffe. In sehr seltenen Fällen bilden Geimpfte spezielle Antikörper, die sich an Thrombozyten, auch Blutplättchen genannt, binden. Die Blutplättchen werden durch die Bindung aktiviert. Normalerweise dichten diese Thrombozyten bei der Wundheilung Schädigungen an Gefäßen ab, damit es zum Stopp einer Blutung kommt. Werden Blutplättchen aktiviert, ohne dass eine Blutung besteht, können sich Gerinnsel im Blut bilden, welche die Gefäße verstopfen können. Es kommt zu einer sogenannten Thrombose.

Transfusionsmediziner um Professor Greinacher haben jetzt das Blut von sieben Betroffenen untersucht, um die Entstehung der Thrombosen nachzuvollziehen. Außerdem haben die Forscher ein Testverfahren entwickelt, das hilft, die nach der Impfung auftretenden Antikörper zu erkennen. „Dieses Verfahren testet, ob die speziellen Abwehrstoffe im Blut vorhanden sind. Dieser Test kann angewendet werden, wenn es nach der Impfung zu entsprechenden Symptomen einer Thrombose kommt“, sagt Greinacher. Menschen, die nach der Impfung Schmerzen im Bein oder ungewöhnlich starke Kopfschmerzen spüren, sollten umgehend einen Arzt aufsuchen. Hierbei ist die Immunreaktion, die ein bis zwei Tage nach der Impfung auftritt, zu unterscheiden von Komplikationen, die sich in der Regel erst ab Tag vier nach der Impfung bemerkbar machen. „Ich rate Patientinnen und Patienten daher einen Arzt aufzusuchen, wenn sie nach drei Tagen noch immer Symptome haben oder diese nach kurzer Pause wieder neu auftreten“, so der Transfusionsmediziner. Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass sich Thrombosen nach einer Impfung bilden, betont der Experte, dass es keinen Grund gebe, bereits bei leichten Immunreaktionen ein bis zwei Tage nach der Impfung eine Untersuchung auf Thrombosen zu beginnen.

Die Forscher haben auch eine Behandlungsmethode gefunden. Durch ein intravenöses Immunglobulin (ivIgG) können die Blutplättchen blockiert werden, sodass der Mechanismus gehemmt wird. Die Blutgerinnsel können dann durch gerinnungshemmende Medikamente aufgelöst werden. Die Diagnosestellung erfolgt durch den behandelnden Arzt vor Ort, die Therapie sollte in jedem mittelgroßen Krankenhaus verfügbar sein. „Die Forschungsergebnisse sind von großer Bedeutung für die weitere Bewältigung der Pandemie, da der AstraZeneca-Impfstoff weiterhin angewendet werden kann und es nun für die sehr selten auftretenden Thrombosen Behandlungsmöglichkeiten gibt“, so Professor Dr. Hubert Schrezenmeier, 1. Vorsitzender der DGTI.

Persistierende Spike-Proteine und neurologische Langzeitfolgen

Forschende von Helmholtz Munich und der LMU haben einen Mechanismus identifiziert, der möglicherweise die neurologischen Symptome von Long COVID erklärt. Die Studie zeigt, dass das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten, und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleibt. Diese dauerhafte Präsenz des Spike-Proteins könnte bei den Betroffenen chronische Entzündungen auslösen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen. Das Team unter Leitung von Prof. Ali Ertürk, Direktor des Instituts für Intelligente Biotechnologien bei Helmholtz Munich, stellte zudem fest, dass mRNA-COVID-19-Impfstoffe die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn deutlich reduzieren.

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Eine neuartige KI-gestützte Bildgebungstechnik, entwickelt von Prof. Ali Ertürks Team, liefert neue Einblicke, wie das SARS-CoV-2-Spike-Protein das Gehirn beeinflusst. Die Methode macht Organe und Gewebeproben transparent, wodurch die dreidimensionale Visualisierung von Zellstrukturen, Stoffwechselprodukten und in diesem Fall viralen Proteinen möglich wird. Durch diese Technologie konnten die Forschenden eine bisher nicht feststellbare Ablagerung des Spike-Proteins in Gewebeproben von Menschen mit COVID-19 und Mäusen aufdecken. Die im Fachjournal Cell Host & Microbe erschienene Studie zeigte signifikant erhöhte Konzentrationen des Spike-Proteins im Knochenmark des Schädels und in den Hirnhäuten, selbst Jahre nach der Infektion. Das Spike-Protein bindet an sogenannte ACE2-Rezeptoren, die in diesen Regionen besonders häufig vorkommen. „Das könnte diese Gewebe besonders anfällig für die langfristige Ansammlung des Spike-Proteins machen“, erklärt Dr. Zhouyi Rong, Erstautor der Publikation. Ertürk ergänzt: „Unsere Daten deuten auch darauf hin, dass das persistierende Spike-Protein an den Grenzen des Gehirns zu den langfristigen neurologischen Effekten von COVID-19 und Long COVID beitragen könnte.

Das Team um Ertürk entdeckte, dass der mRNA-COVID-19-Impfstoff von BioNTech/Pfizer die Anreicherung des Spike-Proteins im Gehirn signifikant reduziert. Andere mRNA-Impfstoffe oder Impfstofftypen wie Vektor- oder proteinbasierte Impfstoffe wurden nicht untersucht. Mit dem mRNA-Impfstoff geimpfte Mäuse zeigten niedrigere Spike-Protein-Werte sowohl im Gehirngewebe als auch im Knochenmark des Schädels im Vergleich zu ungeimpften Mäusen. Die Reduktion betrug jedoch nur etwa 50 Prozent, sodass ein Rest des Spike-Proteins weiterhin ein toxisches Risiko für das Gehirn darstellt.

Weltweit haben sich 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung mit COVID-19 infiziert. Davon leiden fünf bis zehn Prozent unter Long COVID. Das entspricht etwa 400 Millionen Menschen, die möglicherweise signifikante Mengen an Spike-Proteinen in sich tragen. „Das ist nicht nur ein individuelles Gesundheitsproblem - es ist eine gesellschaftliche Herausforderung“, sagt Ertürk: „Unsere Studie zeigt, dass mRNA-Impfstoffe das Risiko langfristiger neurologischer Folgen erheblich senken können und somit einen entscheidenden Schutz bieten. Aber auch nach Impfungen kommt es zu Infektionen, die zu persistierenden Spike-Proteinen im Körper führen können. „Unsere Ergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung der langfristigen neurologischen Effekte von COVID-19“, sagt Ertürk. Im Gegensatz zu Gehirngewebe sind das Knochenmark des Schädels und die Hirnhäute für medizinische Untersuchungen leichter zugänglich. Kombiniert mit Protein-Panels - Tests zum Nachweis spezifischer Proteine in Gewebeproben - könnte dies ermöglichen, Spike-Proteine oder Entzündungsmarker im Blut oder der Gehirnflüssigkeit zu identifizieren. „Solche Marker sind für eine frühzeitige Diagnose von COVID-19-bedingten neurologischen Komplikationen wichtig", so Ertürk: „Darüber hinaus könnte die Charakterisierung dieser Proteine die Entwicklung gezielter Therapien und Biomarker unterstützen, um neurologische Beeinträchtigungen durch COVID-19 besser zu behandeln oder sogar zu verhindern.“

Prof. Ulrike Protzer, leitende Virologin bei Helmholtz Munich und an der Technischen Universität München, betont die weitreichende Bedeutung der Studie: „Angesichts der anhaltenden globalen Auswirkungen von COVID-19 und des zunehmenden Interesses an Langzeitfolgen ist diese Studie, die neue Erkenntnisse über Invasionswege ins Gehirn und unerwartete langfristige Wechselwirkungen mit dem Wirt liefert, besonders relevant.

Zerebrovaskuläre Ereignisse nach Impfung gegen SARS-CoV-2

Eine in Deutschland durchgeführte Studie unter der Projektleitung der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen beschreibt das Auftreten von zerebrovaskulären Ereignissen, insbesondere Sinus- und Hirnvenenthrombosen im Gehirn, nach Impfung gegen SARS-CoV-2. Auffällig war, dass nicht nur jüngere Frauen ein höheres Risiko für zerebrale Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach Impfung mit dem Vakzin ChAdOx1 (AstraZeneca) hatten, sondern auch ältere Frauen.

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Die DGN-Studie „Cerebral venous thrombosis associated with vaccination against COVID-19“[1] zeigt, dass es nach Impfung mit dem SARS-CoV-2-AstraZeneca-Impfstoff zu signifikant mehr zerebralen Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CVT) kam als nach Impfung mit den mRNA-Impfstoffen. Die Rate der aufgetretenen CVT-Ereignisse war nach einer Erstimpfung mit Vakzinierung mit ChAdOx1 um mehr als neunmal höher als nach Impfung mit den mRNA-Impfstoffen.

Alle neurologischen Kliniken in Deutschland waren von der DGN unter der Projektleitung von Univ.-Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz, Direktor der Klinik für Neurologie an der Uniklinik RWTH Aachen und korrespondierender Autor der Studie, am 6. April 2021 mit der Bitte angeschrieben worden, alle Fälle von zerebralen Sinus- und Hirnvenenthrombosen sowie ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfällen, die innerhalb eines Monats nach einer SARS-CoV-2-Impfung aufgetreten waren, mittels webbasiertem Fragebogen bis zum 14. April 2021 zu melden. Insgesamt gingen im Rahmen der Abfrage 87 Meldungen ein, von denen 62 durch das Expertenteam bestätigt wurden. In 95,2 Prozent der Fälle waren die unerwünschten Ereignisse nach erster Gabe des Impfstoffs aufgetreten: bei 45 Fällen handelte es sich um zerebrale Venenthrombosen, bei neun um ischämische Schlaganfälle, bei vier um Hirnblutungen und bei weiteren vier um andere thrombotische Ereignisse. 53 der insgesamt 62 bestätigten Fälle (85,5 Prozent) waren nach Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff ChAdOx1 aufgetreten, neun Fälle (14,5 Prozent) nach Impfung mit dem BioNTech-Vakzin BNT162b2. Es wurden keine Ereignisse nach Gabe des Impfstoffes mRNA-1273 von Moderna beobachtet. Letzteres lässt sich durch die verhältnismäßig geringere Verimpfungsrate des Vakzins in Deutschland erklären: Bis zum 18. April 2021 hatten in Deutschland 16.428.425 Personen die erste Gabe einer SARS-CoV-2-Impfung erhalten, 5.517.282 Personen waren vollständig geimpft; es waren in Deutschland 16,2 Mio. Dosen des Vakzins von BioNTech, 4,6 Mio. Dosen von AstraZeneca und 1,2 Mio. Dosen von Moderna verimpft worden.

37 von 45 Fällen einer Hirnvenenthrombose waren nach Impfung mit ChAdOx1 gemeldet worden, acht Fälle nach BNT62b2. Von den neun nach Impfung gemeldeten ischämischen Schlaganfällen waren acht nach Vakzinierung mit AstraZeneca und ein Fall nach Gabe des BioNTech-Impfstoffs aufgetreten. Gut Dreiviertel aller thrombotischer zerebralen Ereignisse (75,8 Prozent) waren bei Frauen aufgetreten. Von den 45 Menschen, die nach Impfung eine Hirnvenenthrombose hatten, waren 35 (77,8 Prozent) weiblich.

Das Team von Univ.-Prof. Dr. Dr. Tobias Kurth, Direktor des Instituts für Public Health an der Charité - Universitätsmedizin Berlin, hat die statistische Auswertung der Daten vorgenommen. Die aufgetretenen Fälle in den verschiedenen Gruppen wurden zur Gesamtzahl zu den in der jeweiligen Alters-, Geschlechts- und Vakzingruppe verabreichten Gaben des jeweiligen Impfstoffs in Beziehung gesetzt. Bei Frauen unter 60 Jahren, die eine Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin erhalten hatten, betrug die Ereignisrate für CVT innerhalb eines Monats nach der Erstimpfung 24,2/100.000 Personenjahre, bei gleichaltrigen Männern 8,9/100.000, lag damit also deutlich niedriger. Bei unter 60-Jährigen, die den BioNTech-Impfstoff erhalten hatten, betrug die Ereignisrate 3,6/100.000 Personenjahre bei Frauen und 3,5/100.000 bei Männern. „Bis dahin haben uns die Daten nicht überrascht. Allerdings haben wir ein neues Sicherheitssignal gesehen“, erklärt Prof. Kurth. „Die Inzidenzrate der Hirnvenenthrombosen bei Frauen unter 60 nach Gabe des AstraZeneca-Impfstoffs betrug 24,2/100.000 Personenjahre, die von Frauen über 60 nach Gabe des gleichen Impfstoffs 20,5/100.000 Personenjahre. Unsere Daten zeigen also: Auch ältere Frauen haben ein erhöhtes Risiko, Hirnvenenthrombosen nach Gabe des AstraZeneca-Vakzins zu erleiden.

Nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin ChAdOx1 kann es in sehr seltenen Fällen zu einer Vakzine-induzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) kommen. Der Pathomechanismus dieser seltenen Impf-Nebenwirkung ähnelt der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) Typ II, bei der es zur Antikörperbildung gegen den Komplex aus Plättchenfaktor 4 (PF4) und Heparin kommt. Erstmals beschrieben wurde die VITT in einer Arbeit des Instituts für Immunologie und Transfusionsmedizin der Universität Greifswald[2], die Anfang April veröffentlicht wurde. Auf die Frage, warum die VITT nicht nach Impfung mit mRNA-Impfstoffen auftritt, antwortet Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN: „Wir vermuten, dass die Antikörper gegen PF4 nicht mit dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 kreuzreagieren, sondern die Impfkomplikation mit dem adenoviralen Vektor in Zusammenhang steht. Das muss weiter untersucht werden.“ In der vorliegenden Studie konnten 57,8 Prozent der gemeldeten Fälle von Hirnvenenthrombosen mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit durch die Kliniker auf eine solche VITT zurückgeführt werden.

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„Wir denken, dass der AstraZeneca-Impfstoff mit einem sehr geringen Risiko für zerebrale Sinus-und Venenthrombosen bei Männern einhergeht. Bei Frauen aller Altersklassen traten zwar mehr Fälle thrombotischer Ereignisse auf, die Rate war aber in Anbetracht der vielen Millionen verimpften Dosen insgesamt immer noch sehr gering. Bei der Abwägung muss auch berücksichtigt werden, dass das Risiko einer Sinusvenenthrombose bei einer COVID-19-Infektion um den Faktor 10 erhöht ist, die Erkrankung führt verhältnismäßig häufig zu thrombotischen Ereignissen mit Todesfolge, die Impfung nur extrem selten“ so Prof. Dr. med. Prof. Dr. med. Christian Gerloff, Präsident der DGN, führt weiter aus: „Höchste Priorität, gerade auch vor dem Hintergrund neu aufkommender Mutationen, ist, die Bevölkerung so schnell wie möglich durchzuimpfen. Global gesehen überwiegt der Nutzen der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe die sehr geringen Risiken um ein Vielfaches. Doch das Sicherheitssignal, dass nicht nur jüngere, sondern auch ältere Frauen ein erhöhtes Risiko für thrombotische Ereignisse nach Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin haben, ist neu und muss transparent kommuniziert werden. Wir stellen damit also nicht die Impfung in Frage, auch nicht das AstraZeneca-Vakzin, denken aber, dass alle Personen, vor allem Frauen vor der Impfung über dieses Risiko aufgeklärt werden müssen, gerade auch im Hinblick darauf, auf welche Symptome sie im Nachgang zu achten haben. Das sehr geringe Risiko für Hirnvenenthrombosen ließe sich weiter minimieren, wenn Frauen grundsätzlich bevorzugt mit den mRNA-Vakzinen geimpft würden.

Fallbeispiel: Aneurysma nach mRNA-Impfung

Sarah Sprung erlitt nach der zweiten Impfung mit dem mRNA-Wirkstoff von Biontech eine „Subarachnoidalblutung links frontobasal”. Im Arztbrief liest sie später, dass ein „Coiling eines rupturierten Pcom-Aneurysmas” notwendig geworden war. Bis zum 6. Dezember lag die Patientin auf der Intensivstation, „wo lange nicht klar war, ob sie es schafft und ob es in diesem Fall bleibende Schäden geben wird”, sagt der Vater tief berührt: „Die Hirnblutung war offenbar schon ziemlich extrem gewesen.”

Aneurysmen allgemein

Ein Aneurysma stellt eine ballonartige Erweiterung eines Gefäßbereichs dar, welches das 1,5-fache der normalen Größe erreicht. Oftmals ist die Hauptschlagader unterhalb der Nierenarterien oder die Schlagader in der Kniekehle betroffen. Im Grunde kann aber jede Arterie des Körpers betroffen sein. Aneurysmen entwickeln sich meist an Schwachstellen in der Gefäßwand. Das große Risiko besteht darin, dass ein Aneurysma im Laufe des Lebens extrem an Größe zunehmen und platzen (Ruptur) kann. Dann kommt es zu lebensbedrohlichen Blutungen ins Innere des Körpers. Hierbei kommt es zu extremen Schmerzen, Kreislaufkollaps und Koma. Das Tückische an einem Aneurysma ist, dass diese Erkrankung über Jahre relativ symptomfrei bleiben kann und der/die Patient:in nichts von der Zeitbombe in seinem/ihrem Körper ahnt. Je nach Lage treten nur unspezifische Symptome wie Kopfweh, Husten, Atemnot, Sehstörungen, Verdauungsbeschwerden, Schmerzen oder Gesichtslähmungen auf. Entdeckt wird das Aneurysma meist durch einen Zufallsbefund bei einem Bauchultraschall. Zu nennen sind hier die angeborenen Fehlbildungen und die familiäre Veranlagung. Auch sind Männer häufiger betroffen als Frauen. Die meisten Aneurysmen entstehen aber als Folge einer Arteriosklerose. Ist der/die Patient:in noch jünger und das Aneursyma wird rechtzeitig erkannt, ist die Prognose gut. Wächst das Aneursyma schnell an, nehmen die Chancen allerdings ab.

Schlaganfälle als Komplikation von COVID-19

Schlaganfälle sind eine seltene Komplikation von COVID-19, die laut einer internationalen Studie in Stroke (2021; DOI: 10.1161/STROKEAHA.120.032927) jedoch häufig bei jüngeren Patienten auftritt und zu einer schweren Schädigung des Gehirns führt.

Eine genaue Analyse von mittlerweile 432 Schlaganfällen zeigt jedoch, dass es Unterschiede zu Schlaganfällen mit anderem Hintergrund gibt. Von den 283 ischämischen Schlaganfällen wurden 124 (44,5 %) durch eine Verlegung der großen Hirnarterien verursacht. Normalerweise beträgt der Anteil dieser „Large vessel occlusions“ (LVO) nur 24 % bis 38 % der ischämischen Schlaganfälle. Eine weitere Besonderheit von SARS-CoV-2 scheint ein höherer Anteil von jüngeren Patienten zu sein. Die meisten Schlaganfälle treten normalerweise jenseits des 65. Lebensjahres auf. In der Kohorte der hospitalisierten COVID-19-Patienten waren 46 % unter 65 Jahre und 36 % sogar unter 55 Jahren. In diesem Alter sind ischämische Schlaganfälle selten. Eine häufigere Ursache bei jüngeren Patienten sind rupturierte Hirnaneurysmen, die eine Subarachnoidalblutung auslösen. Bei 69,5 % der COVID-19-Patienten mit Subarachnoidalblutung wurden jedoch keine Hirnaneurysmen gefunden, so dass die Blutungen andere Ursachen haben müssen. Welche, ist derzeit unklar.

Bei insgesamt 18 Patienten wurde der Schlaganfall durch eine zerebrale Venen- und Sinusthrombose (CVST) ausgelöst. Eine CVST kann in seltenen Fällen auch als Komplikation nach einer Impfung mit vektorbasierten Impfstoffen von Astrazeneca oder Johnson & Johnson auftreten. Ähnlich wie bei den Impfkomplikationen wurde die CVST vor allem bei jüngeren und weiblichen Patienten beobachtet. Das Durchschnittsalter betrug 51 Jahre. 1/4 war unter 40 Jahre.

Empfehlungen für Schlaganfall-Betroffene und Impfungen

Etwa 70 Prozent der Deutschen sind bereits gegen Corona geimpft. Grundsätzlich sind die Verläufe einer Corona-Infektion sehr individuell und unterschiedlich ausgeprägt. Bei Schlaganfall-Betroffenen kann es gewisse Faktoren geben, die das Risiko für einen schwereren Verlauf oder ausgeprägtere Spätfolgen erhöhen - dies hängt unter anderem auch von den Ursachen und Folgen des Schlaganfalls ab.

Schlaganfall-Betroffene haben allein aufgrund des Schlaganfalls kein erhöhtes Risiko für Impf-Nebenwirkungen. Viele Patienten mit Vorhofflimmern oder Schlaganfällen nehmen allerdings Gerinnungshemmer zur Blutverdünnung. Grundsätzlich rät das Expertengremium der Ständigen Impfkommission auch Patienten unter Antikoagulation (Gerinnungshemmer) zur Covid-19-Impfung. Die Impfung muss intramuskulär, also in den Muskel, verabreicht werden. Bei einer intramuskulären Impfung besteht für Patienten, die Gerinnungshemmer einnehmen, eine erhöhte Gefahr von Einblutungen. Deswegen sollte eine sehr feine Injektionskanüle genutzt werden und die Einstichstelle sollte nach der Impfung mindestens zwei Minuten fest komprimiert werden. Bei den betroffenen Patienten ist eine verlängerte Nachbeobachtungszeit von bis zu 30 Minuten (statt 15 Minuten) nach der Impfung empfohlen.

Booster-Impfungen

Die Booster-Impfung stellt nicht nur den Immunisierungszustand nach der 2. Impfung wieder her, sondern die Immunität wird besser als nach der 2. Impfung. Es würde jeder - unabhängig von Alter oder Vorerkrankung - von einer dritten Impfung profitieren. Für Menschen mit geschwächtem Immunsystem ist die 3. Impfung allerdings relevanter. Außerdem bilden ältere Menschen weniger Antikörper, weswegen auch bei ihnen die 3. Impfung relevanter ist. Bei jüngeren, gesunden Menschen ist der Booster noch nicht notwendig.

Eine dritte Impfung kann bei der Omikron-Variante die meisten schweren Verläufe verhindern - auch bei Risiko-Patienteninnen und Patienten. Eine vierte Impfung kann für Schlaganfall-Betroffene trotzdem sinnvoll sein. Denn das Ansteckungsrisiko ist durch die neue Virusvariante hoch. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat hier eine entsprechende Empfehlung für Menschen ab 70 und Menschen mit Immunschwäche, beispielsweise nach Schlaganfall, bereits ausgesprochen. Die insgesamt vierte Impfdosis sollten entsprechende Personen frühestens drei Monate nach der ersten Auffrischung erhalten.

Virusinfektion und Schädigung der Blutgefäße im Gehirn

SARS-CoV-2 befällt nicht nur Lunge und Atemwege, sondern nimmt Einfluss auf viele Organe des menschlichen Körpers. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass das Coronavirus tatsächlich über den von einigen Endothelzellen gebildeten ACE2-Rezeptor in die Zelle eintreten und eine charakteristische, im Mikroskop erkennbare Pathologie auslösen kann. In den Endothelzellen zerstört das Virusenzym Mpro das körpereigene Protein NEMO und löst so ein Zelltod-Programm aus. Ein zentraler Befund der Studie ist, dass auf diesem Weg Endothelzellen und Blut-Hirn-Schranke zerstört werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten somit erstmals einen Mechanismus, wie Sars-CoV-2 die Mikrogefäße im Hirn direkt schädigt.

Kettenreaktion des Immunsystems durch Vektorimpfstoffe

Die Corona-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson werden in Deutschland nur noch für Menschen im Alter ab 60 Jahren empfohlen. Die Forschenden gehen demnach davon aus, dass der sogenannte Plättchenfaktor 4, der zum menschlichen Gerinnungssystem gehört, eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Blutgerinnsel spielt. Dieser wird den Analysen zufolge im Blut von den in den Impfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson als Vektoren genutzten Adenoviren wie ein Magnet angezogen und aktiviert. Diese seltene, aber schwere Komplikation wird TTS-Syndrom genannt - Thrombosen in Kombination mit einer Thrombozytopenie (Blutplättchenmangel).

Die Forschenden vermuten, dass der Körper außerdem den Plättchenfaktor 4 (PF4) mit Antikörpern angreift. Die Ursache könnte der Komplex aus PF4 und Adenovirus sein, den das Immunsystem als fremd einordnet.

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