Polyneuropathie der Füße: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Polyneuropathie ist eine häufige neurologische Erkrankung, bei der mehrere periphere Nerven geschädigt sind. Die peripheren Nerven sind wie die immer feiner werdenden Verästelungen eines Baumes, die aus dem Rückenmark entspringen und das Gehirn mit Muskeln, Haut und inneren Organen verbinden. Eine Schädigung dieser Nerven kann die Informationsübertragung zwischen Gehirn, Rückenmark und dem Rest des Körpers stören. Typische Symptome sind Kribbeln, Brennen und Taubheit, die oft zuerst in den Füßen und Beinen auftreten. Die Polyneuropathie gehört zu den häufigsten neurologischen Krankheiten.

Ursachen der Polyneuropathie

Es gibt über 300 bekannte Ursachen für Polyneuropathie. In Deutschland sind Diabetes mellitus (Zuckererkrankung) mit etwa 35 % und Alkoholkonsum mit etwa 20 % die häufigsten Ursachen. Bei etwa einem Viertel aller Polyneuropathien bleibt die Ursache auch nach ausführlicher Abklärung ungeklärt (idiopathische Neuropathie).

Weitere mögliche Ursachen sind:

  • Erkrankungen: Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion, Nierenversagen, bestimmte Leber- und Krebserkrankungen, Bluteiweißerkrankungen, HIV/AIDS, Porphyrie, Amyloidose
  • Entzündliche Erkrankungen: Borreliose (Zeckenbisserkrankung), Gefäßentzündungen (Vaskulitis), Autoimmunerkrankungen nach stattgehabter Entzündung
  • Vitaminmangel: Mangel an Vitamin B1, B2, B6, B12, E
  • Schwermetallvergiftung: Blei, Arsen, Thallium, Quecksilber, Gold
  • Medikamente: Bestimmte Chemotherapeutika, Interferone, Virustherapeutika bei HIV und viele weitere Einzelsubstanzen
  • Genetische Faktoren: Es sind mehrere genetisch bedingte Polyneuropathien bekannt.

Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie können je nach den betroffenen Nerven variieren. Es können sensible, motorische und vegetative Nerven betroffen sein. Manche Menschen leiden auch unter mehreren Formen der Polyneuropathie gleichzeitig. Die Symptome entwickeln sich meist symmetrisch, seltener asymmetrisch.

  • Sensible Symptome: Kribbeln, Ameisenlaufen, Stechen, Elektrisieren, Taubheitsgefühl, Pelzigkeitsgefühl, Gefühl des Eingeschnürtseins, Schwellungsgefühle, Gefühl, wie auf Watte zu gehen, vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden. Häufig sind zuerst die Zehen und der Fußballen beidseitig betroffen, später können sich die Symptome auf die Füße und Unterschenkel ausweiten (sockenförmige Verteilung). Auch die Fingerspitzen und Hände können betroffen sein (handschuhförmige Verteilung).
  • Motorische Symptome: Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken, Muskelkrämpfe, Lähmungen (z.B. Fußheberlähmung), Muskelschwund, Gangstörungen.
  • Vegetative Symptome: Schwindel, Blasenschwäche, Durchfall, Verstopfung, verstärktes Schwitzen, mangelnde Regulation des Herzschlages bei Anstrengung, Blasenlähmung, Darmträgheit.

Viele Patienten klagen über kalte Füße, Krämpfe (insbesondere nachts oder bei Belastungen) und Gangunsicherheit. Das Schmerzempfinden kann herabgesetzt sein, was zu unbemerkten Verletzungen am Fuß führen kann.

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Diagnose der Polyneuropathie

Die Diagnose und Therapie der Polyneuropathie fallen in das Fachgebiet des Neurologen. Die Diagnose beginnt mit einer ausführlichen Anamnese (Erhebung der Krankengeschichte) und einer körperlichen, neurologischen Untersuchung.

Folgende Untersuchungsmethoden können zum Einsatz kommen:

  • Neurologische Untersuchung: Prüfung der Muskelkraft, Sensibilität und Muskeleigenreflexe.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen:
    • Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG): Hierbei wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt, um die Nervenleitgeschwindigkeit zu messen.
    • Elektromyographie (EMG): Elektrische Untersuchung der Muskeln mit einer Nadel, um die Muskelaktivität zu messen.
  • Quantitative Sensorische Testung (QST): Durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut werden 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist.
  • Thermode: Computergesteuerte Temperaturreize zur exakten Messung des Temperaturempfindens.
  • Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen zur Abklärung möglicher Ursachen (z.B. Diabetes, Vitaminmangel, Entzündungen).
  • Liquoruntersuchung: Bei Verdacht auf eine entzündliche Erkrankung wird das Nervenwasser (Liquor) untersucht.
  • Bildgebende Verfahren: Kernspintomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule oder Halswirbelsäule bei Verdacht auf zusätzliche Erkrankungen (z.B. Spinalkanalstenose).
  • Hautbiopsie: Entnahme und mikroskopische Untersuchung einer Gewebeprobe aus der Haut, insbesondere bei Verdacht auf Small-Fiber-Neuropathie.
  • Nerven-Muskel-Biopsie: Entnahme und feingewebliche Untersuchung einer Gewebeprobe aus dem Schienbein, um den Schaden am Nerven oder seiner Hüllsubstanz (Myelin) festzustellen.
  • Genetische Untersuchungen: Bei Verdacht auf eine genetisch bedingte Polyneuropathie.

Behandlung der Polyneuropathie

Die Behandlung der Polyneuropathie richtet sich nach der jeweiligen Ursache. Am wichtigsten ist eine konsequente Behandlung der Grunderkrankung, wie z.B. Diabetes mellitus.

Behandlung der Ursachen

  • Diabetes mellitus: Optimale Einstellung des Blutzuckerspiegels, idealerweise durch eine Kombination aus diätetischen Maßnahmen, körperlicher Aktivität und optimierter Medikamenten- bzw. Insulingabe. Allerdings sollte eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte vermieden werden.
  • Alkohol: Vollständige und lebenslange Abstinenz.
  • Medikamente: Absetzen oder Austausch der Medikamente, die die Polyneuropathie verursachen.
  • Vitaminmangel: Ausgleich des Mangels durch entsprechende Ernährung oder Supplementierung.
  • Entzündliche Erkrankungen: Cortison-Infusionen, Plasmapherese (Blutwäsche) oder Gabe von Immunglobulinen.
  • Bakterielle Infektionen: Antibiotika-Gabe.

Symptomatische Behandlung

Neben der Behandlung der Ursache ist die Linderung der Symptome ein wichtiger Bestandteil der Therapie.

  • Schmerztherapie:
    • Schmerzmittel (Analgetika): Acetylsalicylsäure (ASS) oder verwandte Medikamente bei gelegentlich auftretenden Beschwerden (nach ärztlicher Beratung).
    • Thioctsäure (Alpha-Liponsäure): Kann Schmerzen und Wahrnehmungsvermögen bessern, die Wirkung ist aber unsicher.
    • Antidepressiva (z.B. Amitriptylin): Unterdrücken die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark und machen den Schmerz erträglicher. Die Medikamente werden einschleichend dosiert, um Nebenwirkungen zu minimieren.
    • Antikonvulsiva (z.B. Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin): Dämpfen die Erregbarkeit von Nervenzellen und werden ebenfalls einschleichend dosiert. Regelmäßige Blutuntersuchungen sind notwendig.
    • Capsaicin-Pflaster: Betäuben den schmerzenden Bereich, steigern die Durchblutung und scheinen die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Ein kleines elektrisches Gerät gibt über Elektroden elektrische Impulse ab, welche die Hautnerven reizen und Schmerzen lindern können.
  • Physikalische Therapie: Verbessert die Durchblutung, stärkt geschwächte Muskeln und erhält die Mobilität. Zum Einsatz kommen z.B. Krankengymnastik, Wechsel- und Bewegungsbäder, Elektrobehandlung oder warme und kalte Wickel.
  • Neural-Akupunktur: Kann Missempfindungen und Schmerzen lindern.
  • Gleichgewichtstraining: Wirkt der fortschreitenden Gangunsicherheit entgegen.
  • Fußpflege:
    • Richtige Fußhygiene: Tägliche Untersuchung der Füße auf Blasen, Rötungen, Schwielen etc. Reinigung mit warmem Wasser und milder Seife (nicht einweichen).
    • Regelmäßiges Schneiden der Fußnägel: Verhindert Einwachsen und Druckstellen.
    • Professionelle medizinische Fußpflege: Sinnvoll zur Vorbeugung von Komplikationen.
    • Gut passende Schuhe: Mit genügend Bewegungsfreiheit für die Zehen und ohne Druckstellen. Neue Schuhe langsam einlaufen.
  • Weitere Maßnahmen:
    • Bei Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen: Häufige kleinere Mahlzeiten. Metoclopramid oder Domperidon können gegen Übelkeit helfen.
    • Bei Verstopfung: Reichlich Flüssigkeit und ballaststoffreiche Ernährung, ergänzt durch körperliche Bewegung.
    • Bei Schwindel: Schlafen mit erhöhtem Oberkörper, Tragen von Stützstrümpfen, langsames Aufstehen, regelmäßiges Muskeltraining.
    • Bei Blasenschwäche: Regelmäßige Toilettengänge (alle drei Stunden).
    • Bei Potenzschwäche (erektile Dysfunktion): Erektionshilfesysteme (Vakuumpumpe) oder Wirkstoffe wie Sildenafil (nach Rücksprache mit dem Arzt).
    • Bei Trockenheit der Scheide: Spezielle Gleitmittel und Gele.

Prognose

Der Verlauf der Polyneuropathie ist je nach Ursache unterschiedlich. Einige Formen sind gut behandelbar und können sogar geheilt werden, während andere chronisch verlaufen. Wichtig ist eine frühzeitige Diagnose und Behandlung, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen oder zu stoppen.

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Leben mit Polyneuropathie

Eine Polyneuropathie kann die Lebensqualität beeinträchtigen. Folgende Tipps können helfen, das Wohlbefinden zu steigern und Risiken zu minimieren:

  • Regelmäßige Kontrolle der Füße: Achten Sie auf Druckstellen und Verletzungen.
  • Bequemes Schuhwerk: Vermeiden Sie Druckstellen.
  • Professionelle Fußpflege: Gehen Sie regelmäßig zur Fußpflege.
  • Regelmäßige körperliche Betätigung: Fördert die Durchblutung und stärkt die Muskeln.
  • Vermeidung von Risikofaktoren: Vermeiden Sie Alkohol und Nikotin.
  • Kontrolle des Blutzuckers: Bei Diabetes ist eine gute Blutzuckereinstellung wichtig.
  • Hilfsmittel: Nutzen Sie Hilfsmittel wie Orthesen oder Gehstöcke, um die Mobilität zu erhalten.

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