Axonale Schädigung bei Multipler Sklerose: Von der Immunmodulation zur Neuroprotektion

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die durch Demyelinisierung und axonale Schädigung gekennzeichnet ist. Diese Schädigung der Nervenfasern, insbesondere der Axone, ist ein entscheidender Faktor für den Schweregrad der Erkrankung und ihren Verlauf. Die moderne MS-Therapie zielt darauf ab, das Immunsystem zu modulieren, die Immunabwehr zu erhalten und Umweltfaktoren anzupassen.

Immunmodulation als Therapieansatz

Immunmodulatorische Therapien haben die Behandlung der MS revolutioniert. Ein besseres Verständnis der Krankheitsbiologie und des genetischen Hintergrunds hat zur Entwicklung neuer therapeutischer Interventionen geführt, die auf die Funktion spezifischer Immunpopulationen abzielen. B-Zell-gerichtete Therapien haben sich als vielversprechend erwiesen, und es wird erwartet, dass sie bald zugelassen werden. Mit einer breiten Palette von Basis- und Eskalationstherapien sowie weiteren in der Entwicklung befindlichen Optionen ist es wichtig, deren Rolle in individualisierten Therapieansätzen zu bestimmen. Das Therapieziel bei schubförmiger MS ist die "Freiheit von klinisch relevanter und messbarer Krankheitsaktivität" (NEDA), was keine Schübe, kein Fortschreiten der Behinderung und keine kernspintomografische Aktivität bedeutet. Die Zulassung von Ocrelizumab als erster Therapieansatz zur Verlangsamung der Behinderungsprogression weckt auch bei Patienten mit primär progredienter MS neue Hoffnung.

Allerdings stellt das erhöhte Risiko für lebensbedrohliche Nebenwirkungen unter Immuntherapeutika eine Herausforderung dar. Mit dem wachsenden Spektrum an hochwirksamen Substanzen sind genaue Kenntnisse der therapieassoziierten Nebenwirkungen und entsprechender Schutzmaßnahmen erforderlich. Eine individuelle Stratifizierung des Nebenwirkungsrisikos ist sowohl bei der Auswahl des Immuntherapeutikums als auch beim Monitoring und nach serieller Applikation verschiedener Wirkstoffe notwendig.

Einfluss von Umweltfaktoren und Ernährung

Umweltfaktoren wie Virusinfektionen, Vitamin-D-Mangel, salzreiche Ernährung, übermäßige Aufnahme von langkettigen Fettsäuren und Zigarettenkonsum werden als Auslöser der MS-Manifestation und -Progression diskutiert und stehen im Fokus aktueller Forschungsanstrengungen.

Ernährung kann den Verlauf der MS beeinflussen. Langkettige Fettsäuren fördern die Entstehung von Entzündungszellen in der Darmwand, während kurzkettige Fettsäuren (z.B. Propionsäure) die Entstehung regulatorischer Immunzellen fördern. Die Darmbesiedlung von MS-Patienten unterscheidet sich von der gesunder Menschen und kann durch Faktoren wie salzreiche Ernährung, Stress, Infektionen oder Rauchen beeinflusst werden. Dies führt zu einer geringeren Anzahl regulatorischer T-Zellen und einer erhöhten Anzahl proinflammatorischer Th17-Zellen, die mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht werden. Studien haben gezeigt, dass Rauchen den MS-Krankheitsverlauf negativ beeinflusst, und dass sowohl niedriger Vitamin-D-Spiegel als auch Zigarettenrauchen mit einer stärkeren Behinderung bei progredienter MS verbunden sind.

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Hochdosiertes Vitamin D kann positive Effekte zeigen. In der SOLAR-Studie führte hochdosiertes Vitamin-D3-Öl zu einer signifikant niedrigeren kernspintomografischen Krankheitsaktivität. Eine weitere Studie zeigte ähnliche gute Effekte von hochdosiertem Vitamin D bei Patienten mit schubförmiger MS und Interferon-b.

Antikörpertherapien im Fokus

Daclizumab

Daclizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der die Alpha-Kette des Interleukin-(IL-)2-Rezeptors (CD25) auf T-Zellen inaktiviert. Die Blockade von CD25 reduziert die Stimulation autoreaktiver T-Zellen, erhöht die Verfügbarkeit von löslichem IL-2, was zur Expansion von CD56bright-NK-Zellen führt, verhindert die Präsentation von CD25 an T-Zellen und reduziert Zellen des angeborenen Immunsystems, die die Expansion von Lymphozyten im ZNS fördern.

In der SELECT-Studie reduzierte Daclizumab HYP die jährliche Schubrate signifikant. In der DECIDE-Studie war Daclizumab HYP wirksamer als Interferon beta-1a bei der Reduktion der jährlichen Schubrate und der Anzahl neuer Läsionen in der Kernspintomografie. Allerdings traten unter Daclizumab HYP häufiger Infektionen, Hautreaktionen und ein Anstieg der Leberenzyme auf. Nach einem Todesfall aufgrund fulminanter Leberinsuffizienz wurden die Anwendungsempfehlungen für Daclizumab eingeschränkt.

Alemtuzumab

Alemtuzumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an das Glykoprotein CD52 auf der Oberfläche der meisten Leukozyten bindet und diese zerstört. In den CARE-MS-Studien war Alemtuzumab wirksamer als Interferon beta-1a bei der Reduktion der jährlichen Schubrate und der Verringerung der Behinderungsprogression. Langzeitstudien zeigten, dass Alemtuzumab zu einer Krankheitsstabilisierung bei den meisten Patienten mit hochaktiver schubförmiger MS führt. Die Alemtuzumab-Therapie war mit einer niedrigeren jährlichen Rezidivrate assoziiert im Vergleich zu Interferon beta und Fingolimod, und mit einer ähnlichen jährlichen Rezidivrate im Vergleich zu Natalizumab.

Obwohl Alemtuzumab zu einer hochgradigen Lymphozytendepletion führt, wurde bisher kein erhöhtes Malignitätsrisiko festgestellt. Sekundäre Autoimmunerkrankungen sind jedoch eine häufige Nebenwirkung. Daten zeigten eine starke Depletion von CD4+- und CD8+-T-Zellen und eine Zunahme von unreifen B-Zellen, was mit der Entwicklung von neutralisierenden Antikörpern und sekundärer B-Zell-Autoimmunität assoziiert ist. Es wurde über Fälle von klinischer Verschlechterung mit massiver Zunahme der kernspintomografischen Aktivität berichtet, die auf eine B-Zellen-vermittelte Krankheitsexazerbation hinweisen. Weitere klinisch relevante sekundäre Autoimmunphänomene umfassen idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), Nephropathien und autoimmune Schilddrüsenerkrankungen. Eine 48-monatige Nachbeobachtung nach der letzten Infusion ist erforderlich, und die Patienten müssen über die Risiken und den Nutzen der Behandlung aufgeklärt werden. Es wurde auch über eine frühe Thrombozytopenie während des ersten Alemtuzumab-Zyklus berichtet. Bekannte Nebenwirkungen sind Infektionen, und es wurden Fälle von Listerien-Infektionen gemeldet.

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B-Zell-gerichtete Therapien

Die Rolle von B-Zellen in der Pathogenese der MS wird intensiv untersucht. Jüngste Ergebnisse von Studien mit monoklonalen Antikörpern (Rituximab, Ocrelizumab und Ofatumumab) haben das Interesse an CD20-depletierenden Strategien geweckt. Viele Fragen zur Rolle von B- und Plasmazellen bei MS sind jedoch noch offen.

Axonale Schädigung und Myelin: Ein neues Verständnis

Die Multiple Sklerose (MS) betrifft weltweit Millionen von Menschen, und es gibt derzeit keine Heilung für diese Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die Beschädigung von Nervenfasern, den Axonen, ist für den Schweregrad der Erkrankung und den Verlauf der MS verantwortlich. Die Schutzschicht der Axone, das Myelin, spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das bisher als schützend angesehene Myelin das Überleben der Axone sogar gefährden kann. Dies ist der Fall, wenn Myelinscheiden durch Immunzellen angegriffen wurden, aber weiterhin die Axone umhüllen und damit von der Außenwelt isolieren. Oligodendrozyten, die das Myelin bilden, leisten auch wichtige Unterstützungsfunktionen für den Energiestoffwechsel der Axone. Myelinisierte Axone sind stark von metabolischer Unterstützung abhängig, und diese Unterstützung erfordert eine intakte Myelinarchitektur mit engen Kommunikationskanälen zwischen Oligodendrozyten und Axonen.

Wenn Oligodendrozyten einer akuten entzündlichen Umgebung ausgesetzt sind, könnten sie ihre unterstützende Funktion für die Nervenfasern verlieren, und das Myelin wird zu einer Bedrohung für das Überleben der Nervenfasern. Untersuchungen von Gewebeproben von MS-Patienten und Mausmodellen zeigten, dass die irreversible Schädigung fast immer in den noch mit Myelin ummantelten Axonen auftritt. "Nackte" Axone in einer akuten entzündlichen Region des zentralen Nervensystems sind besser vor der Degeneration geschützt.

Indem wir das vorherrschende Bild von Myelin als ausschließlich schützende Struktur hinterfragen, können wir ein tieferes Verständnis der Krankheit gewinnen und möglicherweise neue therapeutische Strategien entwickeln, um die Funktionalität der Nervenfasern zu bewahren.

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Serum Neurofilament Light Chain (sNfL) als Biomarker

Serum Neurofilament Light Chain (sNfL) gilt als Biomarker für axonale Schädigung bei MS. Studien haben gezeigt, dass sNfL-Spiegel mit akuter axonaler Schädigung in frühen MS-Läsionsstadien korrelieren und mit dem Expanded Disability Status Score (EDSS) sowohl bei der Biopsie als auch beim letzten klinischen Follow-up korrelieren. Axonaler Verlust in normal erscheinender weißer Substanz trägt unabhängig von Schüben zu den sNfL-Spiegeln bei.

Neuronales IL-4 als möglicher Schutzfaktor

Die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Frauke Zipp konnte zeigen, dass das Immunzytokin IL-4 in den Neuronen einen schnellen Signalweg in Gang setzen und die pathologischen Prozesse aufhalten kann. Die Behandlung von Mäusen mit experimenteller autoimmuner Enzephalomyelitis (einem MS-Modell) mit IL-4 führte zu verringerten klinischen Scores, verbesserter lokomotorischer Aktivität und verminderten Axonschäden. IL-4 kann auch Wachstumsprozesse der Axone aktivieren, unabhängig vom Immunsystem. Die neuronale IL-4-Behandlung könnte ein vielversprechender Ansatz sein, um axonale Schäden zu bekämpfen und den chronischen Verlauf der MS erheblich zu verbessern.

Simulation von Krankheitsmechanismen

Wissenschaftler simulieren am Computer, was bei der Arbeit der Neurone schiefläuft, um ein besseres Verständnis der Krankheitsmechanismen bei axonalen Degenerationserkrankungen wie MS zu erlangen. Axone leiten elektrische Impulse, die Informationen repräsentieren, und die Myelinscheide weist in regelmäßigen Abständen Lücken auf, die Ranvier-Schnürringe. In diesen Schnürringen sitzen Membranproteine, die für die Reizweiterleitung entscheidend sind. Da diese Ionenpumpen sehr viel Energie verbrauchen, ist das Axon vollgepackt mit Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen.

Differenzialdiagnose

Es ist wichtig, andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen wie MS auszuschließen, darunter Lyme-Borreliose, Vaskulitis des zentralen Nervensystems, Neuromyelitis optica (NMO), systemischer Lupus erythematodes (SLE) und andere Autoimmunerkrankungen. Auch Stoffwechselstörungen wie Vitamin-B12-Mangel und Adrenoleukodystrophie sollten in Betracht gezogen werden. Antikörper gegen EBV-gp350 zeigen die erfolgte Infektion mit dem Virus an. Einige Patienten scheinen zudem Autoantikörper gegen Anoctamin 2 (ANO2) zu bilden.

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