Botenstoffe im Gehirn und ihr Zusammenhang mit Depressionen

Depressionen sind komplexe psychische Erkrankungen, deren Entstehung auf einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren beruht. Neben psychosozialen Auslösern spielen auch körperliche Ursachen, insbesondere neurobiologische Veränderungen im Gehirn, eine wesentliche Rolle. Eine zentrale Rolle spielen dabei Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter, die die Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn ermöglichen.

Die Rolle der Neurotransmitter im Gehirn

Jedes Gefühl, jeder Gedanke und jedes Verhalten wird von einem spezifischen Aktivitätsmuster der Nervenzellen im Gehirn begleitet. Nervenzellen kommunizieren miteinander, indem sie elektrische Signale über ihre Axone (lange, kabelartige Ausläufer) an andere Nervenzellen weiterleiten. Da zwischen den Nervenzellen keine direkte Verbindung besteht, werden an den Synapsen (Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen) Botenstoffe, die Neurotransmitter, in den synaptischen Spalt (den Raum zwischen zwei Nervenzellen) ausgeschüttet. Diese Neurotransmitter aktivieren Rezeptoren an den nachgeschalteten Zellen und übertragen so die Aktivität von einer Zelle zur nächsten.

Die Monoaminmangel-Hypothese: Ein Ungleichgewicht der Botenstoffe

Die älteste und bekannteste Theorie zu den biologischen Vorgängen bei Depressionen ist die Monoaminmangel-Hypothese. Diese Hypothese besagt, dass ein Mangel an bestimmten Neurotransmittern, insbesondere Serotonin und Noradrenalin, im synaptischen Spalt zu einer gestörten Informationsübertragung im Gehirn führt und somit Depressionen verursacht.

Depressive Patienten weisen im Vergleich zu gesunden Menschen oft eine erniedrigte Aktivität von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin auf. Diese Annahme wird durch den Wirkmechanismus von Antidepressiva gestützt, die darauf abzielen, die Konzentration dieser Botenstoffe im synaptischen Spalt zu erhöhen und dadurch die Kommunikation zwischen den Nerven wiederherzustellen.

Es gibt viele Menschen, bei denen die Behandlung mit Antidepressiva auch nach mehreren Versuchen nicht anschlägt. Sie werden als “behandlungsresistent” bezeichnet. Auch wegen dieser Patient:innen werden immer wieder Zweifel an der Monoaminmangel-Hypothese laut.

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Serotonin: Mehr als nur ein "Glückshormon"

Serotonin ist ein wichtiger Neurotransmitter, der im zentralen Nervensystem vielfältige Prozesse beeinflusst, darunter Körpertemperatur, Appetit, Emotionen, das Belohnungssystem, Stimmung und Antrieb, Bewusstseinslage, Schlaf-Wach-Rhythmus und Schmerzbewertung.

Die Vorstellung, dass ein einfacher Serotoninmangel Depressionen verursacht, ist jedoch zu simpel. Studien haben gezeigt, dass ein hoher oder niedriger Serotoninspiegel im Gehirn nicht zwangsläufig einen Einfluss auf das Vorliegen einer Depression hat. Die Serotonin-Aktivität am Rezeptor ist bei den meisten gesunden und depressiven Menschen gleich, bei einem kleinen Anteil der depressiven Patient*innen sogar höher. Ein künstlich hervorgerufener Serotonin-Mangel, zum Beispiel durch spezielle Diäten, verursacht zudem keine depressiven Symptome.

Die Serotonintransporter-Variante

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass auch eine genetische Veranlagung, insbesondere eine Variante des Serotonintransporters, die Entwicklung von Depressionen begünstigen kann. Der Serotonintransporter ist ein Transportmolekül, das Serotonin aus dem synaptischen Spalt zurück in die Nervenzelle pumpt. Eine verkürzte Variante des Serotonintransporter-Gens (Variante „K“) führt zu einer Verminderung der Anzahl an Serotonintransporter-Molekülen auf der Nervenzelle und somit zu einem funktionellen Serotoninmangel an der Synapse auf Grund einer geringeren Ansprechbarkeit.

Wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass Träger zweier varianter Genkopien (Genotyp K/K) häufiger an Angststörungen und Depressionen leiden. Die variante Form des Serotonintransporter-Gens erscheint außerdem mit schlechtem Ansprechen auf selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) assoziiert zu sein.

Weitere Faktoren, die eine Rolle spielen

Neben den Neurotransmittern und der genetischen Veranlagung gibt es weitere Faktoren, die zur Entstehung von Depressionen beitragen können:

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  • Stresshormone: Menschen mit Depressionen haben oft erhöhte Cortisol-Level. In Tierstudien und bei Menschen wurde außerdem gezeigt, dass der Rückkopplungsmechanismus, über den Stressreaktionen im Körper runterreguliert werden, nach traumatischen Erfahrungen teilweise nicht mehr richtig funktioniert. Das führt zu einer dauerhaften Ausschüttung von Stresshormonen, was wiederum das Nervenwachstum im Gehirn hemmt.
  • Das Immunsystem: Chronische Entzündungen im Körper können sich auf das Gehirn übertragen und dort Immunzellen (Microglia) überaktivieren.
  • Störungen des limbischen Systems: Mithilfe bildgebender Verfahren wurde bei Betroffenen während einer depressiven Episode eine veränderte Aktivität des limbischen Systems im Gehirn festgestellt. Das limbische System, auch als stressregulierendes System bezeichnet, ist für das Empfinden und Verarbeiten von Gefühlen mitverantwortlich.
  • Fehlgeleitete Entwicklung in der Kindheit: Ein ängstlich-fürsorglicher Erziehungsstil, eine daraus resultierende „erlernte Hilflosigkeit“ sowie geringe Fähigkeiten der Betroffenen, Stress zu bewältigen, können Risikofaktoren für die Entwicklung einer Depression sein. Auch der frühe Verlust eines Elternteils, eine Störung der Mutter-Kind-Beziehung oder mangelndes Selbstwertgefühl seit frühester Kindheit können zu einer besonderen Verletzlichkeit gegenüber Enttäuschungen führen.
  • Belastende Lebensereignisse: Bei vielen Depressionen tritt die Erkrankung nach kritischen, belastenden oder negativen Ereignissen auf, z.B. dem Verlust eines Partners bzw. Angehörigen oder Probleme mit nahen Bezugspersonen, Scheidung/Trennung etc. oder einfach nur Veränderungen der gewohnten Lebensweise wie z.B. durch Pensionierung.

Genetische Faktoren und Vererbung

Eine erbliche Vorbelastung trägt wesentlich zur Entstehung einer Depression bei. Depressionen treten familiär gehäuft auf. Sind Verwandte ersten Grades betroffen, liegt die Gefahr, selbst eine Depression zu entwickeln, bei etwa 15%. Bei eineiigen Zwillingen steigert sich das Risiko, dass beide an einer Depression erkranken, auf mindestens 50%.

Es gibt jedoch kein einzelnes "Depressionsgen", das hauptverantwortlich für die Erkrankung ist. Die Gene können nicht alles erklären, da bei eineiigen Zwillingen auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen.

Weitere begünstigende Faktoren

Nach Untersuchung verschiedener depressiver Patienten scheinen folgende Faktoren neben den aufgeführten Mechanismen die Entstehung einer Depression zu begünstigen: weibliches Geschlecht, Single-Dasein, Leben in Großstädten, wenig gesellschaftliche Kontakte, niedriger Ausbildungsgrad, Arbeitslosigkeit, Cannabis-Konsum und Alkohol-Missbrauch.

Neue Therapieansätze

Forschungsarbeiten am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München mit genetisch veränderten Mäusen, welche auf Stressbelastung mit überschießender CRH-Produktion reagierten, haben gezeigt, dass diese Tiere Veränderungen im Schlaf-EEG aufwiesen. In Versuchsreihen konnten bei einem erheblichen Teil depressiver Patienten im Gehirn erhöhte Werte des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) nachgewiesen werden. Daraufhin wurden genetisch veränderte Mäuse gezüchtet, deren Ceramid-Haushalt sich gezielt beeinflussen lässt. Die Verminderung von Ceramid führt im Hippocampus (einem Teil des limbischen Systems) zu einer vermehrten Neubildung von Neuronen und zur Verbesserung der Depression.

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