Trotz intensiver Forschung ist die Frage, wie stark und wie lange sich Cannabiskonsum auf das Gehirn und das Gedächtnis auswirkt, noch nicht vollständig geklärt. Neuropsychologen liefern jedoch überraschende Ergebnisse, die neue Perspektiven eröffnen. In den vergangenen Jahren hat die Forschungslage um das Thema Cannabis dank der Bereitstellung von Cannabisprodukten im medizinischen Bereich zugenommen und sich verbessert. Es wurde festgestellt, dass Marihuana bei Angstsymptomen oder chronischen Schmerzen helfen kann. Wie stark Cannabiskonsum unsere kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt, ist weitestgehend noch unklar. Dies spielt besonders für Jugendliche und junge Erwachsene eine entscheidende Rolle, da sie oft in jungen Jahren zu dieser Droge greifen, in einer Phase, in der ihr Gehirn noch nicht vollständig ausgebildet ist. Die Beeinträchtigungen durch Cannabis auf die kognitiven Fähigkeiten können für sie daher verhängnisvoller sein als für Erwachsene.
Aktuelle Forschungsergebnisse und Studien
Studie von Randy Schuster: Auswirkungen auf junge Menschen
Neuropsychologe Randy Schuster von der Psychiatrischen Abteilung des Massachusetts General Hospital (MGH) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Auswirkungen des Cannabiskonsums auf die kognitiven Fähigkeiten junger Menschen in Schule und Beruf genauer zu untersuchen. Eine frühere Studie des gleichen Forschungsteams aus dem Jahr 2016 hatte bereits ergeben, dass eine intensive Nutzung über mehrere Jahre zu Gedächtnisverlust führen kann. Außerdem zeigte sich damals, dass Cannabiskonsumenten unter 16 Jahren Schwierigkeiten hatten, neue Informationen zu erlernen - ein Problem, das bei Nutzern ab 17 Jahren nicht beobachtet werden konnte.
Lern- und Gedächtnisleistung im Fokus
Schuster und sein Team konzentrierten sich in ihrer aktuellen Studie, die im „Journal of Clinical Psychology“ veröffentlicht wurde, vor allem auf die Lern- und Gedächtnisleistung der jungen Cannabiskonsumenten. Ihr Ergebnis: Die Gedächtniskapazität wird durch Cannabis unterdrückt. Gleichzeitig konnten sie jedoch aufzeigen, dass die Beeinträchtigung schnell nachlässt, wenn man den Konsum stoppt.
Experimentelle Untersuchung mit Jugendlichen
Für sein Experiment rekrutierte das Team 88 Jugendliche aus der Region Boston im Alter zwischen 16 und 25 Jahren. Alle konsumierten mindestens einmal pro Woche Marihuana. Die Hälfte der Gruppe wurde aufgefordert, den Konsum für 30 Tage vollständig einzustellen, während die andere Hälfte nichts an ihrem Cannabiskonsum verändern sollte. Beide Gruppen wurden während der Testphase durch Urintests überwacht. Durch die Kontrollgruppe konnten Schuster und sein Team Unterschiede in Bezug auf kognitive Fähigkeiten, Stimmung, Motivation und den Grad des Cannabiskonsums berücksichtigen.
Kognitive Leistungstests und Ergebnisse
Im Vorfeld und während der gesamten Testphase führten die Forscher einen bekannten und häufig verwendeten kognitiven Leistungstest durch, um die Aufmerksamkeit und die Gedächtnisfähigkeit der Probanden zu messen. Die Analyse der Ergebnisse zeigte, dass die Abstinenzler im Vergleich zum Ausgangswert eine signifikante Verbesserung des verbalen Lernens und des Gedächtnisses aufwiesen. Sie konnten sich insgesamt auch mehr merken als die Kontrollgruppe, bei der sich keine Verbesserung in den einzelnen Bereichen zeigte. Die Fähigkeit der Abstinenzler, neue Informationen zu erlernen und sie sich einzuprägen, hatte sich also nach nur einem Monat verbessert und normalisiert.
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Auswirkungen auf den akademischen Erfolg
Damit seien sie langfristig auch besser für den akademischen Erfolg positioniert, so Schuster. „Wir können mit Bestimmtheit sagen, dass der Cannabis-Verzicht jungen Menschen dabei hilft, zu lernen, während der anhaltende Konsum den Lernprozess stören kann.“ Überraschend für die Forscher: Weder bei den Abstinenzlern noch bei den Konsumenten zeigte sich in der Untersuchungszeit eine Veränderung der Aufmerksamkeitsspanne.
Zukünftige Forschung
Die aktuelle Studie ist die erste, die nicht nur feststellen konnte, ob eine kognitive Verbesserung auftritt, sondern auch, wann diese Verbesserung während der Abstinenz erkennbar ist. Dennoch müssen weitere Forschungen folgen, um offene Fragen zu klären, so Schuster. Einschließlich der Frage, ob sich die Aufmerksamkeit nach längerer Abstinenz verbessert und ob das Gedächtnis sich immer weiter verbessern wird. Um das zu testen, steht bereits eine weitere Studie des Teams in den Startlöchern, die junge Cannabiskonsumenten verfolgt, die über sechs Monate abstinent sind.
Die Auswirkungen von starkem Cannabiskonsum auf das Gehirn
Veränderungen der Gehirnstruktur
Nicht jeder Konsum ist schädlich. Aber vor allem starker Cannabiskonsum kann die Struktur des Gehirns verändern und die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Starker Konsum bedeutet, dass über Monate oder sogar Jahre täglich oder fast täglich konsumiert wird. Die Intensität des Konsums hängt auch von der Konzentration des Hauptwirkstoffs THC ab. Es gibt Hinweise aus der Forschung, dass hochpotenter Cannabis mit hohem THC-Gehalt stärker das Gehirn schädigt als niedrigpotenter Cannabis. Das trifft besonders auf synthetische Cannabinoide zu, die noch stärker wirken als THC. Niedrigpotenter Cannabis enthält hingegen das Cannabinoid CBD, dem eine eher nervenschützende Funktion zugesprochen wird.
Betroffene Hirnregionen
Starker Cannabiskonsum wirkt sich insbesondere auf jene Hirnregionen aus, wo die Dichte an Cannabinoidrezeptoren hoch ist. Cannabinoidrezeptoren gehören zum Endocannabinoid-System. Der Körper stellt selbst so genannte Endocannabinoide her, die an den Cannabinoidrezeptoren binden. Der pflanzliche Wirkstoff THC bindet ebenfalls an Cannabinoidrezeptoren.
Auswirkungen auf den Hippocampus
Eine hohe Dichte an Cannabinoidrezeptoren findet sich unter anderem in einer Hirnregion namens Hippocampus. Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass der Hippocampus bei starkem Cannabiskonsum schrumpft, Nervenzellen also abgebaut werden. Da der Hippocampus eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung spielt, haben Betroffene Einbußen in der Merkfähigkeit.
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Auswirkungen auf den präfrontalen Cortex
Eine weitere wichtige Hirnregion mit einer hohen Dichte an Cannabinoidrezeptoren ist der präfrontale Cortex. Dieser Bereich hinter der Stirn ist für „höhere“ geistige Leistungen wie Nachdenken oder Entscheiden zuständig. Studien zufolge nimmt die Dicke des präfrontalen Cortex stärker ab als üblich, wenn schon im Jugendalter viel Cannabis konsumiert wird.
Bedeutung des Alters beim Konsum
Generell ist das Alter von Bedeutung. Je jünger die Person beim ersten Cannabiskonsum ist und je früher sie zum regelmäßigen Konsum übergeht, desto wahrscheinlicher sind strukturelle Hirnveränderungen und Einbußen in der geistigen Leistungsfähigkeit. Denn die Gehirnentwicklung ist erst mit etwa 25 Jahren weitestgehend abgeschlossen, und das Endocannabinoid-System spielt dabei eine wichtige Rolle. Langzeitstudien legen nahe, dass auch die allgemeine Intelligenz gemindert sein kann, wenn Jugendliche bereits intensiv Cannabis konsumieren und den Konsum bis ins Erwachsenenalter aufrechterhalten.
Erholung des Gehirns nach Abstinenz
Allerdings kann sich die geistige Leistungsfähigkeit nach Beendigung des Cannabiskonsums wieder erholen. Je länger die Abstinenz, desto stärker erholt sich das Gehirn. Dies gilt auch, wenn der Einstieg schon im Jugendalter erfolgt ist.
Cannabis und die Entwicklung des jugendlichen Gehirns
Veränderungen im Gehirn von Jugendlichen
Immer wieder flammt die Debatte um die Legalisierung von Cannabis auf. Doch wenn das Gehirn noch nicht voll ausgereift ist, kann Cannabis bleibende Schäden hervorrufen. Ein internationales Forschungsteam hat jetzt gezeigt, dass sich das Gehirn von Cannabis-Konsumentinnen deutlich verändert. Die betroffenen Jugendlichen waren impulsiver und konnten sich schlechter konzentrieren. Beim Start der Studie waren die Teilnehmerinnen etwa 14 Jahre alt und hatten noch keinen Kontakt mit Cannabis. Die Forschenden überprüften die Hirnstruktur der Proband*innen durch MRT-Aufnahmen. Zu Beginn der Studie sahen alle Hirnscans ähnlich aus.
Langzeitstudie mit MRT-Aufnahmen
Fünf Jahre später war das ganz anders: Ein Teil der Probandinnen hatte angefangen zu kiffen - manche nur gelegentlich, andere sehr häufig. Bei den Cannabis-Konsumentinnen zeigten die MRT-Aufnahmen ein deutlich verändertes Bild: Ihre Hirnrinde war dünner als bei der Vergleichsgruppe. Die Veränderungen zeigten sich in einem besonders wichtigen Bereich des präfrontalen Kortex. Dort befinden sich viele Andockstellen für Inhaltsstoffe aus Cannabis. Diese Hirnregion hilft uns, Impulse zu kontrollieren, Probleme zu lösen und Handlungen zu planen.
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Auswirkungen auf Verhalten und Konzentration
Deshalb überrascht es kaum, dass die Jugendlichen mit auffälligen Hirnscans sich auch im Verhalten von Gleichaltrigen ohne Kontakt zu Cannabis unterschieden: Die 19-jährigen Cannabis-Konsumentinnen reagierten impulsiver und hatten größere Schwierigkeiten, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Der Effekt bei Hirnscan und Verhaltenstests hing eindeutig mit der konsumierten Menge zusammen: Je mehr Cannabis die jungen Probandinnen zu sich nahmen, desto ausgeprägter waren die Folgen.
Einschränkungen und Bewertung der Studie
Aus der Studie in JAMA Psychiatry lassen sich aber keine Grenzwerte ableiten. Aus anderen Studien ist aber bekannt, dass beispielsweise bei Jugendlichen mit Neigung zu Psychosen bereits gelegentliches Kiffen psychische Krisen auslösen kann. Außerdem wurde nicht genauer gefragt, in welcher Form das Cannabis konsumiert wurde: ob die Jugendlichen also kifften, Haschkekse aßen oder Cannabisöl verwendeten. Trotz dieser Einschränkungen haben einige deutsche Fachleute die Studie sehr positiv bewertet. So bezeichnet Professor Maximilian Gahr, Psychiater an der Uniklinik Ulm, die Untersuchung als qualitativ hochwertig. Er unterstreicht im Interview mit „medscape“, dass die Entwicklung des Frontalhirns erst mit Mitte 20 abgeschlossen ist - bis dahin reagiere das Gehirn besonders empfindlich auf Drogen. Je jünger die Konsumierenden, desto höher das Risiko.
Karl Lauterbach und die Teillegalisierung von Cannabis
Diskussion mit Schülern in Berlin
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diskutierte mit Schülern des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums in Berlin-Prenzlauer Berg über die Teillegalisierung von Cannabis, die am 1. April in Kraft getreten ist. Selbstbewusst, diskutierfreudig und gut informiert zeigten sich die 170 Schüler der 10. und 11. Klassen bei dem sogenannten Townhall-Meeting. Humorvoll, gut gelaunt und sendungsbewusst gab sich der Minister.
Gründe für die Teillegalisierung
Lauterbach begann mit einer Erklärung darüber, warum er vom einstigen Cannabislegalisierungsgegner zu einem Befürworter des „schwierigen Gesetzes“ geworden ist. „Alle Justiz- und Innenminister der Länder waren gegen das Cannabisgesetz.“ Trotzdem sei die Teillegalisierung der Droge für Erwachsene notwendig gewesen, weil man nur so den Schwarzmarkt, die Drogenkriminalität und toxische Beimischungen aufhalten könne. Jetzt sei es möglich, durch die Enttabuisierung der Droge auch den Jugendschutz voranzutreiben. „Deswegen kann ich jetzt hier sein und mit euch über die Gefährlichkeit von Cannabiskonsum sprechen - vorher war das nicht möglich“, sagte Lauterbach.
Anstieg des Cannabiskonsums und des THC-Gehalts
Der Cannabiskonsum sei in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen, trotz aller Verbotsmaßnahmen sei allein zwischen 2011 und 2021 der Anteil der Cannabiskonsumierenden unter Kindern und Jugendlichen um 50 Prozent gestiegen, unter den 18- bis 25-Jährigen sogar um 100 Prozent. Gleichzeitig sei auch der Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt der Droge gestiegen. Auf dem Schwarzmarkt werde Cannabis inzwischen mit einem THC-Gehalt von 14 Prozent angeboten. In den mit dem Cannabisgesetz ermöglichten Cannabisclubs - laut Lauterbach „eine Art Genossenschaftsmodell“ - dürfe der THC-Gehalt der Pflanzen dort nicht höher als zehn Prozent sein.
Auswirkungen von THC auf junge Gehirne
„Je höher der THC-Gehalt, also der Anteil der psychoaktiven Substanz von Cannabis, desto größer ist der Schaden gerade für ein junges Gehirn“, erklärte der Minister und Arzt. Studien hätten gezeigt, dass gerade 18- bis 21-Jährige sehr vulnerabel seien. „Bei Konsum mit hohem THC-Gehalt wird die Nachreifung des Gehirns geschädigt mit Folgen für das Aufmerksamkeits- und Erinnerungsvermögen und das exekutive Denken im Erwachsenenalter“, erläuterte er. Auf die Frage einer Schülerin, warum die Droge denn dann nicht erst ab 25 Jahren freigegeben worden sei, wenn das Gehirn ausgereift sei, antwortete Lauterbach: „Die 18- bis 24-jährigen hätten sich dann auf dem Schwarzmarkt mit Cannabis mit hohem THC-Gehalt versorgt, obwohl sie besonders gefährdet sind.“
Aufklärung über Risiken in Schulen
Ein Schüler fragte, wie das Bundesgesundheitsministerium (BMG) denn gerade junge Personen über die Risiken des Cannabiskonsums aufklären wolle. Ob es nicht sinnvoll sei, die Aufklärung auch in den Lehrplan zu übernehmen, denn an den Schulen „passiert ganz viel“. Lauterbach erklärte, dass er ein großes Interesse daran hätte, wenn es an Schulen ein Fach Gesundheit geben würde, doch als Bundesgesundheitsminister wolle er sich nicht in die Bildungs- und Schulpolitik einmischen. Für Prävention und Aufklärungskampagnen sei aber das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) zuständig, das die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in dieser Aufgabe ablöse.
Strafmaß für Abgabe an Minderjährige
Der Bundesgesundheitsminister wies vor den Schülern besonders auf eine mit dem Cannabisgesetz geregelte Erhöhung des Strafmaßes auf mindestens zwei Jahre Haft für die illegale Abgabe von Cannabis an Minderjährige hin. „Der große Bruder wird sich zweimal überlegen, ob er auf dem Schulhof Cannabis verkauft. Er kommt dann mit einer Bewährungsstrafe nicht mehr davon“, sagte er. Auch das Strafmaß für reguläre Dealer sei auf nennenswerte zwei Jahre Mindestmaß erhöht worden.
Keine Legalisierung weiterer Drogen geplant
Schließlich fragte ein Schüler, ob die Legalisierung weiterer Drogen seitens des Gesetzgebers geplant sei. Darauf hatte Lauterbach eine klare Antwort: „Das haben wir auf absehbare Zeit nicht vor“.
Aktuelle Gesetzeslage
Seit dem 1. April können Erwachsene öffentlich 25 Gramm Cannabis bei sich führen und zu Hause 50 Gramm lagern. Für Kinder und Jugendliche bleibt der Konsum verboten. Dazu kann jede Person drei weibliche Pflanzen zu Hause halten. Außerdem können ab dem 1. Juli bis zu 500 Personen gemeinschaftlich in sogenannten Cannabisclubs Pflanzen züchten. Clubmitglieder dürfen dann 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm im Monat beziehen.
Auswirkungen von Cannabis auf akademische Leistungen
Studie in Maastricht: Verkaufsverbot und Notenverbesserung
Am 1. Oktober 2011 war erst einmal Schluss. Zuvor konnten alle Personen über 18 Jahren legal Cannabis in niederländischen Coffee-Shops kaufen. In der Stadt Maastricht gab es jedoch Widerstände gegen den „Drogentourismus“ aus angrenzenden Ländern. Nach einer neuen Verordnung der lokalen Behörden war es fortan nur noch Personen mit einem niederländischen, deutschen oder belgischen Pass erlaubt, Coffee-Shops in Maastricht zu betreten. Personen anderer Nationalität, beispielsweise aus Frankreich oder Luxemburg, mussten draußen bleiben. Die Forscher Olivier Marie und Ulf Zölitz nutzten die Gelegenheit als eine Art „natürliches Experiment“. Denn an der Universität Maastricht sind üblicherweise viele Studierende unterschiedlicher Herkunft eingeschrieben, von denen ein Teil plötzlich keinen Cannabis mehr legal erwerben konnte.
Leistungssteigerung bei Studierenden
Marie und Zölitz schauten sich die Leistungen der Studierenden vor und nach Einführung der neuen Verordnung an. Dabei stellten sie bedeutsame Veränderungen fest. Für Studierende, denen der Zutritt zu Coffee-Shops verwehrt war, stieg die Wahrscheinlichkeit, einen Kurs zu bestehen, um durchschnittlich 5 Prozent. Insbesondere Studentinnen sowie jüngere und leistungsmäßig schwächere Studierende haben sich verbessert. Die Verbesserungen waren größer in Kursen, die numerische oder mathematische Fähigkeiten erforderten. Befragungen der Studierenden legten nahe, dass die Leistungsverbesserung mehr auf einem besseren Verständnis der im Kurs behandelten Themen beruhte als auf fleißigeres Lernen. Zum Vergleich hat sich das Team auch die Leistungen belgischer Studierender angeschaut, die weiterhin Cannabis kaufen konnten. Ihre Leistungen hatten sich nicht verändert.
Einschränkungen der Studie
Einschränkend deuten die Forscher an, dass die Studierenden Cannabis natürlich noch über andere Wege erwerben könnten. Auch geht aus der Studie nicht hervor, ob und in welchem Maße die Verkaufsbeschränkung den Cannabiskonsum tatsächlich reduziert hat. Die Studie liefert aber zumindest Hinweise, dass sich Kiffen ungünstig auf die geistigen Leistungen auswirken könnte.
Gehirnentwicklung und Cannabiskonsum im Jugendalter
Reifung des Gehirns
Schon seit längerem besteht der Verdacht, dass Cannabis das Gehirn junger Menschen schädigen könnte und dies schlechtere Denkleistungen zur Folge hat. Denn die Reifung des Gehirns ist nicht mit Ende der Kindheit, sondern erst im jungen Erwachsenenalter weitestgehend abgeschlossen. Insbesondere in der Pubertät finden wie auf einer Großbaustelle umfangreiche Umbaumaßnahmen im Gehirn statt. Neue Verbindungen werden geknüpft und überschüssige Nervenzellen abgebaut. Nervenzellen werden auch als graue Substanz bezeichnet, weil ihre Zellkörper gräulich wirken. Ebenso wichtig wie die Entwicklung und Vernetzung von Nervenzellen ist die Ausbildung der so genannten Myelin-Scheide. Myelin ist eine weiße Schicht, die aus Fetten und Proteinen besteht, und sich wie ein Mantel um Nervenfasern wickelt. Myelinisierte Nervenbahnen verbessern die Signalübertragung und erhöhen dadurch die kognitiven Fähigkeiten. Myelinisierte Nerven werden auch als weiße Substanz bezeichnet.
Auswirkungen von THC auf die Gehirnentwicklung
Wenn Jugendliche regelmäßig Cannabis konsumieren, so die Vermutung, könnte der pflanzliche Wirkstoff THC die Reifung der grauen und weißen Substanz stören. Denn an der Gehirnentwicklung sind bestimmte Rezeptoren beteiligt, die zum Endocannabinoid-System gehören. Der Mensch produziert körpereigene Substanzen, die als Endocannabinoide bezeichnet werden. THC ähnelt diesen Substanzen. Es bindet an den Endocannabinoid-Rezeptoren und könnte so die Gehirnentwicklung beeinflussen. Ob dies bei kiffenden Jugendlichen der Fall ist und welche Auswirkungen sich zeigen, dazu gibt es zahlreiche Untersuchungen.
Studienübersicht von Hall, Lorenzetti und Hoch
Studienleiter Wayne Hall und seine Forschungskollegin Valentina Lorenzetti, beide in Australien tätig, haben sich gemeinsam mit Eva Hoch aus Deutschland einen Überblick verschafft und relevante Studien der letzten zehn Jahre gesichtet. In vielen Fällen wurden Jugendliche mit und ohne Cannabiskonsum im Rahmen so genannter Fall-Kontroll-Studien miteinander verglichen. Konsumierende bildeten die „Fälle“, abstinente Jugendliche die Kontrollgruppe. Teils wurden auch Konsumierende, die früh als Jugendliche angefangen haben zu kiffen, mit Späteinsteigern verglichen.
Gehirnveränderungen und Intelligenzminderung durch Cannabis?
Strukturelle Unterschiede im Gehirn
Die Befundlage ist nach Einschätzung von Hall und seinem Team aber gemischt. Mehrere Studien konnten zeigen, dass die Gehirne von Jugendlichen, die schon regelmäßig Cannabis konsumieren, strukturelle Unterschiede im Vergleich zu abstinenten Jugendlichen aufweisen. Beispielsweise konnte bei Cannabiskonsumierenden ein verkleinerter Hippocampus nachgewiesen werden. Der Hippocampus ist eine wichtige Region für die Speicherung neuer Gedächtnisinhalte. Auch wurden Veränderungen in Regionen gefunden, die wichtig sind für geistige Leistungen wie die Aufmerksamkeit oder die Kontrolle von Impulsen.
Ursache und Wirkung
Jedoch können die Studien nicht gänzlich klären, ob diese Veränderungen eine Folge des Konsums sind oder nicht schon vor dem Konsum vorhanden waren. So gibt es auch Studien, denen zufolge bestimmte strukturelle Unterschiede im Gehirn mit späterem Cannabiskonsum zusammenhängen. Das heißt, eine Neigung zum Cannabiskonsum wäre gewissermaßen im Gehirn „einprogrammiert“.
Kohortenstudien und Langzeituntersuchungen
Einige der methodischen Probleme bei Fall-Kontroll-Studien können durch Kohortenstudien umgangen werden. Bei diesem Studientyp wird eine größere Gruppe von Personen, eine Kohorte, meist über einen längeren Zeitraum begleitet. Wenn ein Teil der Kohorte anfängt, Cannabis zu konsumieren, ein anderer nicht, lässt sich überprüfen, ob dies Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung hat. Allerdings kommen auch diese Studien nicht zu eindeutigen Ergebnissen.
Intelligenz und genetische Unterschiede
So ließ sich aus einer Langzeitstudie beispielsweise ableiten, dass regelmäßiger Cannabiskonsum, der schon in der frühen Jugend beginnt, eine niedrigere Intelligenz im Erwachsenenalter zur Folge hat. Studien mit Zwillingen legten jedoch nahe, dass der Intelligenz-Unterschied nicht so sehr durch das Kiffen, sondern vielmehr durch genetische Unterschiede oder durch die Erziehung der Eltern bedingt sein könnte. Kiffen wäre dann nur eine Begleiterscheinung, nicht aber Ursache für Intelligenzunterschiede.
Bildungsweg und Cannabiskonsum
Schlechtere Bildungsabschlüsse
Ein Befund, der sich auch in Studien mit Zwillingen erhärtet hat, betrifft den Bildungsweg. Demzufolge beenden Cannabiskonsumierende die Schule häufiger ohne Abschluss oder haben schlechtere Noten als abstinente Jugendliche. Auch die Leistungen im Studium sind bei kiffenden jungen Erwachsenen häufig schlechter als bei abstinenten Studierenden, wie das Eingangs geschilderte Beispiel nahelegt. Zwar können auch diese Studien nicht ausschließen, dass andere Probleme wichtiger sind und Kiffen vielleicht nur ein Ausdruck, nicht aber Ursache dieser Probleme ist.
Auswirkungen auf Denkleistungen
Jedoch ist nach Einschätzung von Hall und seinem Team unabhängig von dieser Frage klar, dass sich täglicher Cannabiskonsum unzweifelhaft ungünstig auf die Denkleistungen auswirkt. Nicht nur vertrage sich ein akuter Cannabisrausch nicht mit dem Lernen beispielsweise für die nächste Matheklausur oder dem Erstellen einer Seminararbeit. Die „Nachwehen“ des Rauschs könnten sich auch noch an den Folgetagen bemerkbar machen.
Erholung des Gehirns nach Abstinenz
Geistige Leistungsfähigkeit
Trotz der vielen nicht ganz eindeutigen Ergebnisse zu den Auswirkungen des Kiffens in der Jugend, gibt es laut Hall und seinem Team aber einen Befund, der in zahlreichen Studien gefunden wurde: Die geistige Leistungsfähigkeit erhole sich, wenn der Konsum dauerhaft eingestellt wird. Dies gelte auch für mitunter langjährig regelmäßig Konsumierende, was dafürspreche, dass Cannabiskonsum eben doch ein wichtiger Faktor ist, der einen schlechten Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit hat.
Zunahme des Hippocampus-Volumens
So konnte nachgewiesen werden, dass das Volumen des Hippocampus bei längerer Abstinenz von Cannabis wieder zunimmt. Auch scheint sich das Gedächtnis ebenso wie die Intelligenz zu erholen. Entscheidend sei, dass die Abstinenz von Dauer ist. Je länger die Abstinenz, desto stärker erhole sich das Gehirn.