Christiane Hörbiger, eine der großen deutschen Charakterdarstellerinnen, hat in ihrer fast sechs Jahrzehnte währenden Karriere oft ihr außergewöhnliches Talent bewiesen. Besonders beeindruckend ist ihre Darstellung einer Alzheimer-Patientin in dem Drama "Stiller Abschied". Der Film, unter der Regie von Florian Baxmeyer, zeigt auf bewegende Weise, was die Diagnose Alzheimer für Betroffene und ihre Angehörigen bedeuten kann. Das Erste zeigte den Film in Erinnerung an Christiane Hörbiger, die am 30. November 2022 im Alter von 84 Jahren gestorben ist.
Die Handlung von "Stiller Abschied"
Der Film erzählt die Geschichte von Charlotte Brüggemann, einer energiegeladenen und durchsetzungsstarken Frau Anfang 70, die nach dem Tod ihres Mannes das familieneigene Unternehmen führt. Charlotte ist eine "Powerfrau", die mitten im Leben steht. Doch plötzlich häufen sich irritierende Vorfälle: Charlotte wird fahrig, vergisst Termine, bringt Dinge durcheinander und kann sich nicht einmal an die Namen ihrer Enkel erinnern. Zunächst gelingt es ihr, ihre Umwelt über ihren Zustand hinwegzutäuschen. Sie verdrängt das Problem, obwohl sie spürt, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie versucht, die Anfänge ihrer Krankheit zu vertuschen. Noch gelingt es, die Demenz nähert sich schleichend. Zunächst ist es ein Wort, das ihr nicht einfallen will, oder ein Gegenstand, den sie verlegt hat. Dann passiert es schon einmal, dass die Konzentration komplett weg ist, dass sie sich in ein falsches Auto setzt oder die falsche Haustür nimmt. Sie rettet sich über die Runden.
Ihr Sohn Markus, gespielt von Oliver Mommsen, und ihre Tochter Sandra, gespielt von Jeanette Hain, bemerken zwar die Veränderungen, wollen die Situation aber zunächst nicht wahrhaben. Markus will als Co-Inhaber gerne mehr Verantwortung tragen, doch Charlotte hält die Zügel fest im Griff - wenn da nicht diese Aussetzer wären. Doch es wird schlimmer. Immer öfter kann sie sich nicht mehr an alltägliche Begriffe erinnern, weiß bei Konferenzen plötzlich nicht mehr, worum es eigentlich geht, und fühlt sich in der Firma von allen Seiten hintergangen. Zugleich werden ihre Aussetzer und Angstzustände immer dramatischer, ihr seelischer Zustand immer labiler.
Erst Markus’ neue Lebensgefährtin Katrin, eine ausgebildete Krankenschwester, gespielt von Ulrike C. Tscharre, findet den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen: Charlotte leidet an fortschreitender Demenz. Zunächst weist die stolze Charlotte jeden Verdacht einer Erkrankung von sich, reagiert spöttisch und aggressiv auf die Hilfsangebote ihrer Kinder. Doch Markus, Sandra und Katrin sind machtlos: Denn Charlotte kann nur geholfen werden, wenn sie selbst es zulässt.
Christiane Hörbigers beeindruckende Darstellung
Christiane Hörbiger verkörpert in „Stiller Abschied“ eine Alzheimer-Patientin auf zutiefst bewegende Weise. Es ist beeindruckend, wie sich die Schauspielerin in alle Stadien dieser Krankheit einfühlt. Sie spielt jene Charlotte mit einer Intensität und so reich an Nuancen, dass es einen als Zuschauer ganz schön beunruhigen kann. Auch wenn sie sich immer wieder aufrappelt, um Stil und Haltung zu wahren, oder wenn sie auch noch eine offene, kluge Abschiedsrede für ihre Liebsten hinbekommt, so ist doch der Zerfall in die Geschichte und das Erscheinungsbild seiner Hauptdarstellerin eingeschrieben. Der lebendige Blick weicht einer erschreckenden Leere, die Bewegungen werden fahriger, die Haare zerzauster. Stets nur eine kleine Nuance.
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Regisseur Florian Baxmeyer, der bereits mit Hörbiger in dem Alkoholismus-Drama „Wie ein Licht in der Nacht“ zusammengearbeitet hat, inszeniert die Geschichte lebensnah und bewegend, aber ohne falsche Sentimentalität. Er zeigt, was die Diagnose Alzheimer für einen Betroffenen und seine Angehörigen bedeuten kann.
Die Bedeutung des Films
"Stiller Abschied" ist nicht nur ein Film über die Phänomenologie einer Krankheit, sondern auch über die Herausforderung, die die Alzheimer-Erkrankung der Mutter für die Familie bedeutet. Der Film wirft einen Blick auf die Ängste und Nöte der Betroffenen und ihrer Angehörigen und zeigt, wie wichtig der Zusammenhalt in der Familie ist. Er ist eine Aufforderung an die Familie mit alten Menschen, dass sie das annehmen sollen.
Autor Thorsten Näter geht es in „Stiller Abschied“ also nicht nur um die Phänomenologie einer Krankheit, sondern auch um die Herausforderung, die die Alzheimer-Erkrankung der Mutter für die Familie bedeutet. Mit den weitsichtigen Frauen bekommt die Kranken-Geschichte ein spannendes Gegengewicht. Die wunderbaren Jeanette Hain, Oliver Mommsen und Ulrike C. Tscharre bringen einen alltäglichen Ton ins Spiel, die ehrlichen Gefühle haben das Wort, die Augen werden immer glasiger, und dann hat auch die Mutter ihren letzten großen, wahrhaftigen Auftritt.
Christiane Hörbiger über ihre Rolle
Christiane Hörbiger selbst hat sich intensiv mit der Rolle der Charlotte Brüggemann auseinandergesetzt. Im Film sagt Charlotte: „Ich bin nicht zu alt zum Arbeiten, wenn ich nicht mehr arbeite, dann werde ich alt.“ Hörbiger betont, dass sie keine Sekunde daran gedacht habe, dass sie selbst von Alzheimer betroffen sein könnte. Sie sei jetzt aus dem Alter heraus, in dem sie das erwischen könnte.
Hörbiger ist es wichtig, mit ihren Filmen im Gedächtnis zu bleiben. Dass gesagt wird, erinnere dich an den Alzheimer-Film mit der Hörbiger. Im Film „Stiller Abschied“ steckt ein Appell, ein Carpe diem!
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Weitere bemerkenswerte Rollen von Christiane Hörbiger
Neben ihrer Rolle in "Stiller Abschied" hat Christiane Hörbiger in zahlreichen weiteren Filmen und Serienepisoden ihr Können bewiesen. Besonders hervorzuheben sind ihre Rollen in "Schtonk" und "Das Erbe der Guldenburgs". Auch in dem Obdachlosen-Drama „Auf der Straße“ zeigte sie eine beeindruckende Leistung. Alzheimer hat sie schon hinter sich, den Alkoholismus auch, jetzt wühlt sie in Mülleimern nach Pfandflaschen. Und schreit empört „Scheiß!“ Unter der Alsterbrücke. Über die die Hamburger in ihren BMW und Porsche wegbrettern. So gesehen waren das Alzheimer-Drama („Stiller Abschied“) und die Alkohol-Story („Wie ein Licht in der Nacht“) nur Präliminarien, jetzt geht’s - ohne Schminke und Weichzeichner - richtig zur Sache.
Regisseur Florian Baxmeyer hatte Hörbiger bereits in dem Alkoholismus-Drama "Wie ein Licht in der Nacht" zu einer darstellerischen Meisterleistung geführt.
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