Die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist eine seltene, autoimmun bedingte Erkrankung des peripheren Nervensystems. Sie betrifft schätzungsweise 4 bis 8 von 100.000 Menschen und tritt gehäuft im 6. und 7. Lebensjahrzehnt auf, wobei Männer häufiger betroffen sind. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat die Leitlinie für die CIDP aktualisiert, um denFortschritten in Diagnostik und Therapie Rechnung zu tragen.
Was ist CIDP?
Die CIDP ist eine entzündliche Erkrankung, die die Myelinscheiden der peripheren Nerven schädigt. Diese Schädigung führt zu motorischen und sensiblen Reizleitungsstörungen und Ausfällen, die sich über einen Zeitraum von zwei Monaten oder länger entwickeln. Im Gegensatz zum akuten Guillain-Barré-Syndrom (GBS) verläuft die CIDP subakut bis chronisch.
Das periphere Nervensystem umfasst Nerven, die motorische, sensible und autonome Funktionen übernehmen. Bei der klassischen CIDP klagen die Patienten über eine sich im Laufe von Wochen bis Monaten entwickelnde Schwäche der Beine und Arme, die sowohl körperstammnah (proximal) als auch körperfern (distal) auftritt. Schwierigkeiten beim Treppensteigen und der Fußhebung können auftreten, ebenso wie Probleme mit der Feinmotorik der Hände oder bei Überkopfarbeiten. Sensible Störungen äußern sich in Taubheitsgefühlen, Kribbelgefühlen oder Gangunsicherheit. Selten treten auch Brennschmerzen auf.
Ursachen
Die genaue Ursache der CIDP ist nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Autoimmunreaktion eine Rolle spielt, bei der das Immunsystem fälschlicherweise Bestandteile des peripheren Nervensystems angreift. Eine molekulare Mimikry, bei der eine Immunantwort auf eine Infektion aufgrund kreuzreagierender Epitope mit Komponenten des peripheren Nervensystems reagiert, könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Eine Vorschädigung der Nerven, die zur Freisetzung bestimmter Epitope führt, könnte ebenfalls entscheidend sein.
Diagnostik
Die Diagnose der CIDP basiert auf einer Kombination aus klinischen, elektrodiagnostischen und laborchemischen Untersuchungen. Die aktualisierte Leitlinie der DGN legt besonderen Wert auf die Differentialdiagnostik, um andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen. Sogenannte "Red Flags" wurden benannt, bei deren Vorhandensein die Diagnose CIDP unwahrscheinlich ist.
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Die diagnostische Sicherheit wird in zwei Stufen unterteilt: "CIDP" und "mögliche CIDP". Die Diagnosekriterien wurden spezifischer gestaltet und umfassen nun auch Kriterien für die sensible Neurographie.
Klinische Untersuchung:
- Anamnese: Erfassung von Grunderkrankungen und differenzialdiagnostisch relevanten Erkrankungen, insbesondere Störungen im Bereich der Wirbelsäule.
- Familienanamnese: Fragen nach Gehbehinderungen, Fußdeformitäten oder auffallend dünnen Waden.
- Neurologischer Status: Beurteilung der Hirnnervenfunktion, Sensibilität (Unterscheidung zwischen "small fibre" und "large fibre" Beteiligung), Reflexe und autonomes Nervensystem (Blutdruckmessung im Liegen und Stehen).
Elektrophysiologische Untersuchung:
Die Neurophysiologische Diagnostik gehört zum obligaten Diagnoseverfahren zur Erfassung der PNP. Hierbei werden die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) gemessen, um den Schädigungstyp (axonal, demyelinisierend oder gemischt) zu bestimmen und spezielle Schädigungsmuster zu erkennen. Die Elektromyographie (EMG) kann ergänzend zur Beurteilung des Verteilungsmusters bei akuten Fällen sinnvoll sein.
Laboruntersuchungen:
- Standardlabor: Differenzialblutbild, Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte, Immunfixation, Bence-Jones-Protein, Schilddrüsenparameter, CRP, Nüchternblutzucker, HbA1c und oraler Glukosetoleranztest (bei Verdacht auf diabetische PNP), Vitamin-B12-Spiegel und CDT (bei Verdacht auf Alkoholmissbrauch).
- Spezielle Labortests: Borrelienantikörper, Vaskulitisparameter, Anti-MAK-AK, Paraproteine, Angiotensin-Converting-Enzym, Anti-GM1-AK, Campylobacter-jejuni-AK, Zytomegalie-AK, Gangliosid-AK, Delta-Aminolävulinsäure und Untersuchungen auf Blei, Thallium und Quecksilber.
- Liquoruntersuchung: Bei 70-90% der Patienten mit CIDP zeigt die Liquoruntersuchung eine typische Eiweißerhöhung ohne sonstige entzündliche Veränderungen.
Bildgebung:
Die Magnetresonanztomographie (MRT) kann bei etwa 50 % der CIDP-Patienten entzündliche Veränderungen im Nervenplexus bzw. den -wurzeln zeigen. Auch in der ultrasonographischen Darstellung können multiple Nervenschwellungen als typischer Hinweis dargestellt werden. Der Nervenultraschall hat in der Diagnosestellung der Polyneuropathie sehr an Bedeutung gewonnen. Bei der CIDP (und anderen Neuropathien) findet man sehr häufig (> 90 %) multifokale Nervenschwellungen und diese vor allem in proximalen Segmenten.
Nervenbiopsie:
Eine Nervenbiopsie kann in Einzelfällen erforderlich sein, insbesondere wenn die Diagnose mit weniger invasiven Methoden nicht gestellt werden kann und sich aus der Diagnose eine Behandlungskonsequenz für den Patienten ergibt.
CIDP-Varianten
Neben der typischen CIDP gibt es auch verschiedene Varianten, die sich in ihren klinischen Merkmalen unterscheiden:
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- Typische CIDP: Beidseitig symmetrische Muskelschwäche an Armen und Beinen, verbunden mit Gefühlsstörungen an mindestens zwei Gliedmaßen.
- Distale CIDP (DADS): Sensibilitätsverlust in Händen und Füßen sowie Gangunsicherheit.
- Multifokale CIDP (MADSAM): Motorische und sensorische Symptome treten nicht symmetrisch auf beiden Körperseiten auf.
- Fokale CIDP: Betrifft einzelne Nervengeflechte, z. B. im Bereich der Schulter- und Brustmuskulatur oder der Gesäßmuskulatur und Beinrückseite.
- Motorische CIDP: Beidseitige, symmetrische Schwäche der Extremitäten ohne sensible Störungen.
- Sensible CIDP: Betrifft nur die Sensorik, ohne Muskelschwäche.
Differentialdiagnosen
Es ist wichtig, andere Erkrankungen auszuschließen, die ähnliche Symptome wie die CIDP verursachen können. Dazu gehören unter anderem:
- Andere immunvermittelte Polyneuropathien (z.B. multifokale motorische Neuropathie, vaskulitische Neuropathien, Anti-MAG-Polyneuropathie)
- Polyneuropathien bei rheumatischen Erkrankungen oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
- Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
- Hereditäre Neuropathien
- Vaskulitische Neuropathien
- Amyloidose
- Diabetes mellitus
- Borreliose
- Maligne Erkrankungen
Therapie
Bei der gesicherten CIDP sind wirksame Therapien die immunmodulatorische Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG), Glukokortikosteroiden (GS) und Plasmaaustauschverfahren, die in prospektiven und kontrollierten Studien Ansprechraten von ca. 50 - 75 % aufweisen konnten. Die Wahl der geeigneten Therapie hängt in erster Linie von der Gesamtsituation des Patienten ab. Bei Versagen dieser Therapien kommen auch immunsuppressive Medikamente wie Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat Mofetil, Ciclosporin A in Betracht. Unter Umständen kommen auch therapeutische Antikörper, wie z.B. Rituximab, in Betracht.
Die Therapie sollte immer individuell auf den Patienten abgestimmt sein und in enger Zusammenarbeit mit einem Neurologen erfolgen.
Kausale Therapien:
- Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Verabreichung von Antikörpern, um das Immunsystem zu modulieren.
- Glukokortikosteroide (GS): Entzündungshemmende Medikamente.
- Plasmaaustausch (Plasmapherese): Entfernung von Antikörpern aus dem Blut.
- Immunsuppressiva: Medikamente wie Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat Mofetil oder Ciclosporin A, die das Immunsystem unterdrücken.
- Therapeutische Antikörper: Z.B. Rituximab, das gegen B-Zellen gerichtet ist.
Symptomatische Therapien:
- Schmerztherapie: Medikamente gegen neuropathische Schmerzen, z.B. Gabapentin, Pregabalin, Amitriptylin oder Duloxetin.
- Physiotherapie: Zur Verbesserung der Muskelkraft, Koordination und Beweglichkeit.
- Ergotherapie: Zur Anpassung des Alltags an die Einschränkungen durch die Erkrankung.
- Hilfsmittelversorgung: Z.B. orthopädische Hilfsmittel, um die Mobilität zu unterstützen.
Neue Therapieansätze
Die Forschung im Bereich der CIDP schreitet stetig voran. In experimentellen und klinischen Studien werden die immunologischen Ursachen der Erkrankung sowie neue Therapieverfahren untersucht. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von therapeutischen Antikörpern, die gezielt in das Immunsystem eingreifen.
Bedeutung der Leitlinie
Die aktualisierte Leitlinie der DGN soll Ärzten bei der Diagnosestellung und Therapieplanung der CIDP helfen. Sie basiert auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und berücksichtigt die verschiedenen Varianten der Erkrankung. Die Leitlinie soll dazu beitragen, dass Patienten mit CIDP eine frühzeitige und optimale Behandlung erhalten.
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