Chronisch progrediente Multiple Sklerose: Definition, Verlauf und Behandlung

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die das Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie wird auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt. Die Erkrankung ist durch Entmarkungsherde gekennzeichnet, die zu vielfältigen neurologischen Beschwerden führen können. Der Verlauf der MS ist sehr variabel und kann schubförmig oder progredient sein.

Was ist chronisch progrediente Multiple Sklerose?

Die chronisch progrediente Multiple Sklerose ist eine Verlaufsform der MS, bei der die Symptome von Beginn an kontinuierlich fortschreiten, ohne dass es zu deutlichen Schüben oder Remissionen kommt. Es gibt zwei Haupttypen:

  • Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS): Bei dieser Form nehmen die Symptome von Anfang an stetig zu, ohne dass Schübe oder ausgeprägte Remissionen auftreten. Sie betrifft etwa 10-15 % der MS-Erkrankten.
  • Sekundär progrediente Multiple Sklerose (SPMS): Diese Form entwickelt sich aus einer schubförmig remittierenden MS (RRMS). Nach einer anfänglichen Phase mit Schüben gehen die Symptome allmählich in einen fortschreitenden Verlauf über. Die Schübe werden seltener, und die Beschwerden nehmen kontinuierlich zu. Etwa 50 % der RRMS-Betroffenen entwickeln nach etwa 20 Jahren eine SPMS.

Symptome der chronisch progredienten MS

Die Symptome der chronisch progredienten MS sind vielfältig und hängen von den betroffenen Bereichen des zentralen Nervensystems ab. Häufige Symptome sind:

  • Motorische Störungen: Muskelschwäche, Spastik (erhöhte Muskelspannung), координации (Ataxie), Gangstörungen
  • Sensibilitätsstörungen: Missempfindungen (Kribbeln, Taubheitsgefühle), Schmerzen
  • Sehstörungen: Optikusneuritis (Entzündung des Sehnervs), Doppelbilder, неустойчивость зрения
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • Fatigue: Erschöpfung, Müdigkeit
  • Vegetative Symptome: Blasen- und Darmfunktionsstörungen, sexuelle Dysfunktion

Bei älteren Menschen mit MS stehen Gangstörungen und Gleichgewichtsstörungen oft im Vordergrund, während Sehstörungen seltener auftreten.

Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen der Multiplen Sklerose sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass verschiedene Faktoren zusammenwirken, darunter:

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  • Genetische Prädisposition: Es gibt eine familiäre Häufung von MS, und bestimmte Genvarianten erhöhen das Erkrankungsrisiko. Bislang wurden mehr als 110 genetische Variationen identifiziert, die bei MS-Erkrankten häufiger vorkommen.
  • Umwelteinflüsse: Verschiedene Umwelteinflüsse werden als mögliche Risikofaktoren diskutiert, darunter:
    • Vitamin-D-Mangel: Ein niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut könnte das Risiko erhöhen.
    • Infektionen: Bestimmte Virusinfektionen (z. B. Epstein-Barr-Virus) könnten eine Rolle spielen.
    • Rauchen: Rauchen erhöht das MS-Risiko und kann den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen.
    • Übergewicht: Insbesondere stark übergewichtige Kinder und Jugendliche scheinen ein erhöhtes Risiko zu haben.
  • Autoimmunprozesse: Bei der MS greift das Immunsystem körpereigene Strukturen im zentralen Nervensystem an, insbesondere die Myelinscheiden der Nervenfasern.

Diagnose

Die Diagnose der Multiplen Sklerose ist oft schwierig, da die Symptome vielfältig sein können und es keinen einzelnen „MS-Test“ gibt. Die Diagnose basiert in der Regel auf einer Kombination von:

  • Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte und der aktuellen Beschwerden
  • Neurologische Untersuchung: Überprüfung der neurologischen Funktionen (z. B. Reflexe, Sensibilität, Koordination)
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Darstellung von Entzündungsherden im Gehirn und Rückenmark
  • Liquoruntersuchung: Analyse des Nervenwassers, um Entzündungszeichen und oligoklonale Banden nachzuweisen
  • Ausschluss anderer Erkrankungen: MS ist eine Ausschlussdiagnose, d. h. andere mögliche Ursachen für die Symptome müssen ausgeschlossen werden.

Die Diagnose wird üblicherweise nach den international anerkannten McDonald-Kriterien gestellt. Dabei müssen Kriterien für die räumliche und zeitliche Dissemination von Läsionen im ZNS erfüllt sein.

Therapie

Multiple Sklerose ist derzeit nicht heilbar. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Schübe zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Die Therapie stützt sich auf mehrere Säulen:

  • Schubtherapie: Bei akuten Schüben werden Kortisonpräparate eingesetzt, um die Entzündung zu reduzieren und die Symptome zu lindern. In schweren Fällen kann eine Plasmapherese (Blutwäsche) oder Immunadsorption erforderlich sein.
  • Verlaufsmodifizierende Therapie (Immuntherapie): Diese Therapie zielt darauf ab, das Immunsystem zu modulieren oder zu unterdrücken, um die Häufigkeit und Schwere der Schübe zu reduzieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Es gibt verschiedene Medikamente, die als Tabletten oder Injektionen verabreicht werden. Zu den neueren Medikamenten gehören Fingolimod, Siponimod, Ponesimod, Ozanimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin.
  • Symptomatische Therapie: Diese Therapie zielt darauf ab, die verschiedenen Symptome der MS zu lindern, z. B. Spastik, Schmerzen, Fatigue, Blasenfunktionsstörungen und Depressionen. Es gibt verschiedene Medikamente und nicht-medikamentöse Maßnahmen, die eingesetzt werden können.
  • Rehabilitation: Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie können helfen, die körperlichen Funktionen zu verbessern und den Alltag besser zu bewältigen. Das Bobath-Konzept wird häufig bei pflegebedürftigen Menschen mit MS eingesetzt, um ihre motorischen Fähigkeiten zu fördern.
  • Komplementäre Therapien: Viele MS-Betroffene greifen zu Mitteln aus der Naturmedizin, um ihre Beschwerden zu lindern. Johanniskraut kann bei depressiven Verstimmungen helfen, und Homöopathie kann begleitend bei verschiedenen Symptomen eingesetzt werden. Propionsäure zeigte in Laborversuchen positive Effekte auf die Nervenzellen.

Spezifische Therapieansätze bei progredienter MS

Die Behandlung der primär und sekundär progredienten MS gestaltet sich oft schwieriger als bei der schubförmigen MS, da es weniger Medikamente gibt, die speziell für diese Verlaufsformen zugelassen sind. Einige der verfügbaren Medikamente können jedoch auch bei progredienter MS eingesetzt werden, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Darüber hinaus ist die symptomatische Therapie und die Rehabilitation von großer Bedeutung, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Leben mit Multipler Sklerose

Eine MS-Diagnose kann zunächst große Angst auslösen. Es ist wichtig, die Erkrankung anzunehmen und das Leben aktiv zu gestalten. Hier sind einige Tipps, die helfen können:

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  • Suchen Sie sich Unterstützung: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, Ihrer Familie und Freunden über Ihre Erkrankung. Treten Sie einer Selbsthilfegruppe bei, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
  • Achten Sie auf eine gesunde Lebensweise: Ernähren Sie sich ausgewogen, treiben Sie regelmäßig Sport (achten Sie jedoch auf Ihre Belastungsgrenzen) und vermeiden Sie Stress. Rauchen sollten Sie unbedingt vermeiden.
  • Nehmen Sie Ihre Medikamente regelmäßig ein: Die Immuntherapie kann den Verlauf der MS positiv beeinflussen.
  • Passen Sie Ihren Alltag an: Wenn das Gehen schwerfällt, nutzen Sie Hilfsmittel wie einen Rollator oder ein Elektromobil.
  • Bleiben Sie aktiv: Engagieren Sie sich in Vereinen oder Organisationen, pflegen Sie Ihre Hobbys und treffen Sie sich mit Freunden.
  • Planen Sie Ihre Zukunft: Erstellen Sie eine Patientenverfügung, um sicherzustellen, dass Ihre medizinischen Wünsche respektiert werden, falls Sie nicht mehr selbst entscheiden können.

Prognose

Die Prognose der Multiplen Sklerose hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Durch moderne Therapien können viele Patienten ein weitgehend selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen. Die Lebenserwartung von Menschen mit MS ist oft nicht wesentlich verkürzt. Allerdings gibt es auch schwere Verläufe, die schnell zu einer starken Behinderung führen können. Der individuelle Verlauf der Erkrankung hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. dem Verlaufsform, dem Alter bei Krankheitsbeginn, dem Ansprechen auf die Therapie und dem Vorhandensein von Begleiterkrankungen.

Forschung

Die Forschung an den Ursachen und der Behandlung von MS ist sehr aktiv. Wissenschaftler arbeiten daran, neue Medikamente und Therapien zu entwickeln, um die Erkrankung besser zu behandeln und möglicherweise eines Tages sogar zu heilen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung von Therapien, die das Fortschreiten der progredienten MS verlangsamen oder aufhalten können.

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