Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT): Definition, Ursachen, Symptome und Therapie

Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT), auch als hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN) bekannt, ist die häufigste Form der erblichen Neuropathien. Sie betrifft weltweit über 2 Millionen Menschen und in Deutschland schätzungsweise mindestens 30.000 Menschen. Mit einer Prävalenz von etwa 1:2.500 gilt die CMT als "seltene Erkrankung". Die Krankheit ist durch eine langsam fortschreitende Schädigung der peripheren Nerven gekennzeichnet.

Was sind hereditäre Neuropathien?

Hereditäre Neuropathien bilden eine Gruppe von klinisch und genetisch vielfältigen Erkrankungen des peripheren Nervensystems. In Abgrenzung zur CMT existieren rein motorische und rein sensible Neuropathien, wie die hereditären distalen motorischen Neuropathien (dHMN) und hereditären sensiblen Neuropathien (HSN) oder HSAN (mit autonomer Beteiligung). Eine Sonderform stellt die HNPP (hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen) dar.

Klinisch und elektroneurographisch lassen sich hereditäre und erworbene Neuropathien nicht voneinander unterscheiden.

Bedeutung der Familienanamnese und Genetik

Die Familienanamnese kann bei hereditären Neuropathien auch unauffällig sein, beispielsweise bei Spontanmutationen (De-novo-Mutationen) oder autosomal-rezessivem Erbgang. Die ersten Symptome müssen nicht zwangsläufig in der Kindheit oder Jugend auftreten; es gibt auch Neuropathien mit spätem Beginn (Late-Onset), bei denen die Symptome erst im mittleren bis späteren Lebensalter auftreten.

Seit der Entdeckung des ersten Neuropathie-Gens im Jahr 1991 für die häufigste Form, CMT1A (PMP22-Gen), sind mittlerweile über 130 Gene bekannt, die mit einer Neuropathie in Verbindung stehen können. Moderne Multi-Gen-Panels und Exom-Sequenzierungen sind heutzutage sehr hilfreich für die Diagnosestellung. Zukünftig werden nur Personen mit molekulargenetisch gesicherter Neuropathie an Therapiestudien teilnehmen können.

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Nervenbiopsien (in der Regel des N. suralis) werden dank der Fortschritte in der Molekulargenetik heutzutage seltener durchgeführt als früher. Sie spielen jedoch weiterhin eine Rolle bei akuten, entzündlichen und rasch fortschreitenden Neuropathien.

Ursachen der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung

Die CMT entsteht meist aufgrund eines Gendefektes. Bei der häufigsten Form, CMT1A, liegt eine Verdopplung des Gens für das periphere Myelinprotein 22 (PMP22) vor. Dieser Defekt führt zu einer langsam fortschreitenden Nervenschädigung.

Die Rolle der Schwann-Zellen und des Myelins

Die Axone, also die Fortsätze der Nervenzellen im peripheren Nervensystem, sind über ihre gesamte Länge von sogenannten Schwann-Zellen umgeben. Diese Stützzellen umhüllen die Axone mit einer isolierenden, fettreichen Schicht, dem Myelin. Das Myelin ermöglicht eine schnelle Weiterleitung elektrischer Impulse.

Forscher haben herausgefunden, dass erkrankte Schwann-Zellen aufgrund eines gestörten Fettstoffwechsels nicht ausreichend Myelin bilden können. Dies beeinträchtigt die Funktion der Nervenfasern erheblich.

Symptome der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung

Die ersten Symptome der CMT können bereits im Kindesalter auftreten. Dazu gehören:

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  • Gehschwierigkeiten
  • Fußdeformitäten

Im weiteren Verlauf der Erkrankung können Sensibilitätsstörungen wie Taubheit, Kribbeln und Schmerzen hinzukommen. Zudem nimmt die Kraft in Beinen und Armen zunehmend ab. In seltenen Fällen sind Patienten sogar auf einen Rollstuhl angewiesen.

Weitere typische Symptome sind:

  • Muskelschwäche bzw. Lähmungen (Paresen) in den Extremitäten, meist beginnend in Fuß und Unterschenkel
  • Muskelschwund (Atrophie), der zu sogenannten Storchenbeinen führt
  • Betroffenheit der oberen Extremitäten, insbesondere der kleinen Handmuskeln
  • Empfindungs- sowie Durchblutungsstörungen (sensorische, autonome, vegetative Störungen)

Typen der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung

Die HMSN wird in verschiedene Typen unterteilt, die sich in ihrem Verlauf und ihren Symptomen unterscheiden:

  • Typ 1 (HMSN1/CMT1): Diese demyelinisierende und häufigste Form entwickelt sich bis zum 35. Lebensjahr und ist durch einen meist langsamen und gutartigen Verlauf gekennzeichnet.
  • Typ 2 (HMSN2/CMT2): Die axonale Form ähnelt Typ 1, wobei das Erkrankungsalter höher liegt und sie durch einen noch langsameren Verlauf sowie mögliche Zusatzsymptome gekennzeichnet ist.
  • Typ 3 (Déjérine-Sottas-Krankheit): Diese demyelinisierende und seltene Form entwickelt sich bereits in den ersten zehn Lebensjahren und schreitet rasch voran.
  • Hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen (HNPP): Diese seltene Form kann klinisch der HMSN1 ähneln und beginnt im frühen Erwachsenenalter.

Diagnose der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung

Die Diagnose der CMT basiert auf verschiedenen Untersuchungen:

  • Klinische Untersuchung: Ein neurologisch ausgebildeter Arzt kann ALS-typische Symptome feststellen.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektromyographie (EMG), Elektroneurographie und motorisch-evozierte Potentiale können die Diagnose bestätigen und das Ausmaß der Nervenschädigung messen.
  • Molekulargenetische Untersuchung: Diese Untersuchung kann die genetische Ursache der CMT identifizieren.
  • Nervenbiopsie: In seltenen Fällen kann eine Nervenbiopsie erforderlich sein, um die Diagnose zu sichern.

Differenzialdiagnostik

Es ist wichtig, andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen. Dazu gehören:

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  • Mechanische Schädigung des Rückenmarks (zervikale Myelopathie)
  • Muskelerkrankungen (z.B. Einschlusskörperchenmyopathie)
  • Erkrankungen der peripheren Nerven (motorische Polyneuropathie)
  • Bestimmte Formen der Multiplen Sklerose
  • Neurologische Folgeerkrankungen durch Tumore (paraneoplastische Syndrome)
  • Sehr seltene Stoffwechselerkrankungen

Therapie der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung

Bisher gibt es keine Heilung für die CMT. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Medikamentöse Therapie

Bei schmerzhafter Neuropathie können verschiedene Substanzen zum Einsatz kommen, darunter Pregabalin, Gabapentin, Amitryptilin, Duloxetin und Tramadol.

Eine Ausnahme bildet die Neuropathie bei der hereditären ATTR-Amyloidose, für die seit 2011 ein Molekülstabilisator (Tafamidis) und seit 2018 Gene-Silencing-Therapien zur Verfügung stehen.

Nicht-medikamentöse Therapie

  • Physio- und Ergotherapie: Diese Therapien sind ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und sollten regelmäßig und fortlaufend erfolgen. Sie dienen der Vermeidung von Muskel- und Sehnenverkürzungen sowie Gelenkkontrakturen und Schmerzen.
  • Gangschulung und Gleichgewichtstraining: Bei sensibler Gang- und Standataxie sowie Schwindelsymptomatik kann Physiotherapie mit integrierter Gangschulung und Gleichgewichtstraining eingesetzt werden.
  • Hilfsmittelversorgung: Die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Innenschuhen, Peroneusschienen, Handschienen, speziellem Essbesteck und Werkzeug, Rollatoren oder Aktivrollstühlen ist ein fester Bestandteil der Versorgung von Patienten mit Neuropathien, um die Mobilität und Selbstständigkeit zu unterstützen und zu erhalten.
  • Operative Verfahren: In einigen Fällen können operative Eingriffe erforderlich sein, um bestimmte Beschwerden zu behandeln oder Folgeerkrankungen zu vermeiden.

Lecithin als potenzieller Therapieansatz

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das Nahrungsergänzungsmittel Lecithin die Myelinisierung erkrankter Schwannzellen verbessern könnte. Studien haben gezeigt, dass Phospholipide von Schwannzellen aufgenommen und für die Myelinproduktion genutzt werden können. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass eine Phospholipid-Therapie mit Lecithin die Myelinisierung fördert und den Krankheitsverlauf lindert.

Die beteiligten Neurowissenschaftler arbeiten nun daran, die neu gewonnenen Erkenntnisse für Patienten im Rahmen von klinischen Studien nutzbar zu machen.

Aktuelle Forschungsprojekte

Mehrere Forschungsprojekte beschäftigen sich aktuell mit der CMT:

  • Identifizierung neuer Biomarker: Ziel ist es, durch molekulare Analysen neue Biomarker für die CMT1A zu identifizieren, um die Diagnose und Überwachung der Krankheit zu verbessern und präzisere, individuell angepasste Therapien zu entwickeln.
  • Untersuchung autonomer Störungen: Diese Studie untersucht, wie häufig autonome Störungen bei CMT-Patienten vorkommen, welche Bereiche des autonomen Nervensystems am meisten betroffen sind und ob es Risikofaktoren für diese Störungen gibt.
  • Analyse des Tremors: Ziel ist es, den Tremor bei CMT-Patienten besser zu charakterisieren und zu verstehen, welche Einschränkungen dadurch entstehen und ob es genetische Prädispositionen für den Tremor gibt.
  • CMT-MODs Studie: Diese Studie untersucht genetische Veränderungen und klinische Messungen, um frühe Marker für die Schwere der CMT1A-Erkrankung zu finden.

CMT-Register

In Deutschland und Österreich gibt es ein CMT-Register unter www.cmt-register.de. Dies ist eine Informationsplattform für alle, die sich registriert haben.

Spezialambulanzen und Anlaufstellen

An verschiedenen Universitätskliniken gibt es Spezialambulanzen für neuromuskuläre Erkrankungen, die eine umfassende Diagnostik, Beratung und Behandlung anbieten.

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