Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur akute gesundheitliche Herausforderungen mit sich gebracht, sondern auch langfristige Folgen für viele Betroffene. Im dritten Jahr der Pandemie rücken die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion immer stärker in den Fokus. Erste Langzeitstudien zeigen, dass viele Long-COVID-Patienten auch zwölf Monate nach der Infektion noch nicht vollständig genesen sind. Es wird geschätzt, dass weltweit etwa 200 Millionen Menschen von Long-COVID betroffen sein könnten oder es waren.
Was ist Long-COVID?
Als Long-COVID werden anhaltende Symptome nach einer Corona-Infektion bezeichnet, die länger als vier Wochen bestehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt als häufigste Symptome krankhafte Erschöpfung (Fatigue), Kurzatmigkeit, Atembeschwerden sowie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme. Diese Symptome können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen und den Alltag stark einschränken.
Häufige neurologische und neuropsychiatrische Symptome
Eine Metaanalyse hat die häufigsten neurologischen und neuropsychiatrischen Symptome des Post-COVID-19-Syndroms bei Erwachsenen identifiziert:
- Fatigue (37 %): Unverhältnismäßige Erschöpfung, die durch Schlaf nicht zu beseitigen ist.
- Gehirnnebel (Brain Fog) (32 %): Kognitive Beeinträchtigungen, die sich als Konzentrations- und Gedächtnisprobleme äußern.
- Gedächtnisprobleme (28 %): Schwierigkeiten, sich Dinge zu merken oder sich an Informationen zu erinnern.
- Aufmerksamkeitsstörungen (22 %): Probleme, die Aufmerksamkeit zu fokussieren und bei einer Aufgabe zu bleiben.
- Muskelschmerzen (17 %): Schmerzen in den Muskeln, oft in Verbindung mit Fatigue.
- Kopfschmerzen (15 %): Anhaltende oder wiederkehrende Kopfschmerzen, die teilweise migräneartig sein können.
- Geruchsverlust (12 %): Verlust des Geruchssinns, der über längere Zeit andauern kann.
- Geschmacksstörungen (10 %): Veränderungen oder Verlust des Geschmackssinns.
Fatigue: Mehr als nur Müdigkeit
Fatigue ist eines der häufigsten Symptome nach einer Corona-Infektion. Es ist wichtig, die verschiedenen Formen von Fatigue zu unterscheiden, um die Beschwerden richtig einordnen zu können:
- Chronische Fatigue: Fatigue im Rahmen einer chronischen Erkrankung.
- Postvirale Fatigue: Übermäßige Erschöpfung nach einer Viruserkrankung.
- Postexertionelle Malaise (PEM): Unverträglichkeit gegenüber körperlicher und geistiger Belastung, die zu einem „Crash“ führen kann, der Tage oder Wochen andauert.
Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit Long-COVID häufig fällt, ist die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue Syndrom (ME/CFS). Dabei handelt es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild, das durch PEM, neurokognitive Beschwerden, Schmerzen, immunologische und autonome Symptome gekennzeichnet ist. Einige Long-COVID-Betroffene erfüllen auch die Kriterien für ME/CFS.
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Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentration und Gedächtnis
Kognitive Beschwerden wie Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen gehören ebenfalls zu den häufigsten Symptomen nach einer Corona-Infektion. Studien zeigen, dass ein erheblicher Teil der Betroffenen sich dadurch im Arbeitsalltag stark beeinträchtigt fühlt. Kognitive Störungen treten oft zusammen mit Fatigue auf und können länger anhalten als andere neurologische Symptome. Bildgebungsstudien haben Veränderungen in bestimmten Hirnbereichen von Long-COVID-Patienten festgestellt, die diese kognitiven Beschwerden teilweise erklären könnten.
Geruchs- und Geschmacksstörungen
Ein plötzlicher Geruchsverlust mit begleitender Minderung des Geschmackssinns tritt häufig bei einer SARS-CoV-2-Infektion auf. Bei einigen Erkrankten hält dieser Geruchsverlust jedoch über längere Zeiträume an. Studien haben gezeigt, dass auch mehr als ein Jahr nach der Infektion noch ein erheblicher Teil der Betroffenen unter Geruchsproblemen leidet. Die Ursache für diese Geruchsstörungen ist noch nicht vollständig geklärt, könnte aber mit Veränderungen in den Geruchszentren des Gehirns zusammenhängen.
Psychiatrische Erkrankungen
Es gibt einen bekannten Zusammenhang zwischen psychiatrischen Erkrankungen und RNA-Viren, insbesondere Coronaviren. Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) wurden nach einer Corona-Infektion beschrieben. Personen mit schweren Infektionen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, leiden häufiger unter PTBS. Das Vorliegen einer zuvor diagnostizierten psychiatrischen Störung ist ein wichtiger Risikofaktor für psychische Folgeerscheinungen nach einer Corona-Infektion.
Kopfschmerzen und Muskelschmerzen
Kopfschmerzen treten sehr häufig im Rahmen der Akuterkrankung, aber auch im Langzeitverlauf auf. Die Kopfschmerzintensität in der akuten Phase kann mit einer längeren Dauer der Kopfschmerzen verbunden sein. Die Kopfschmerzen ähneln teilweise einer Migräne mit begleitender Geräusch- oder Lichtempfindlichkeit sowie Übelkeit und Erbrechen. Überbelastung ist ein häufiger Auslöser. Muskelschwäche und -schmerzen werden ebenfalls sehr häufig angegeben und treten oft in Zusammenhang mit Fatigue auf.
Weitere neurologische Komplikationen
Langfristige Folgen einer Corona-Infektion können auch durch akute Ereignisse während der Infektion bedingt sein. Im Rahmen einer intensivstationären Behandlung kann es zu bleibenden sensiblen und motorischen Nervenschäden (Critical-Illness-Polyneuropathie/Myopathie, CIP/CIM) kommen. Besonders hoch ist das Risiko für Erkrankte, die während der Infektion auf einer Intensivstation behandelt werden mussten.
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Schwere neurologische Komplikationen wie Schlaganfälle und Hirnblutungen haben ihre Ursache in der Blutgerinnung. Störungen der Gerinnung sind bei COVID-19-Pneumonie eher die Regel als die Ausnahme und bilden eine eigene Entität der COVID-19-Erkrankung. Es bilden sich in der Folge Gerinnsel, die ischämische Schlaganfälle oder Embolien auslösen können.
Ursachen und Mechanismen
Die Mechanismen der Krankheitsentstehung von Long-COVID sind noch nicht vollständig verstanden. Es wird vermutet, dass eine Durchblutungsstörung kleinster Gefäße aufgrund einer chronischen Entzündungsreaktion, Autoimmunität und/oder Gerinnungsstörung eine Rolle spielen könnte. Zudem zeigen viele Symptome wie Fatigue, kognitive Beschwerden, psychische Symptome, Schmerzen und Schlafstörungen eine starke wechselseitige Beziehung und können gleichzeitig Ursache und Folge von Symptomen sein.
Neuere Studien deuten darauf hin, dass neurologische Symptome bei Long-COVID möglicherweise nicht durch eine direkte Infektion des Gehirns mit dem SARS-CoV-2-Virus verursacht werden, sondern eher durch die Reaktion des Immunsystems auf die Infektion. Immunzellen, die das Virus im Körper aufgenommen haben, können ins Gehirn wandern und dort Entzündungsreaktionen auslösen, die die neurologischen Beschwerden verursachen.
Es gibt verschiedene Theorien zur Entstehung von Long-COVID:
- Viruspersistenz im körpereigenen Gewebe: Das Immunsystem kann das Coronavirus möglicherweise nicht vollständig entfernen, sodass ein Teil der Viren im Körper verbleibt und immer wieder das Immunsystem herausfordert.
- Virenfragmente: Teile des Coronavirus könnten im Gewebe zurückbleiben und noch Monate nach der ursprünglichen Infektion eine Reaktion des Immunsystems auslösen.
- Bildung von Autoantikörpern: Infolge der Viruserkrankung könnten sich Autoantikörper bilden, die sich gegen das körpereigene Gewebe richten und eine Autoimmunerkrankung auslösen.
Auch weitere mögliche Ursachen wie starke oder übermäßige Entzündungen, Gerinnungsstörungen/Gefäßerkrankungen, Störungen des Nervensystems und Stoffwechsel- oder hormonelle Veränderungen werden untersucht und diskutiert.
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Diagnose und Behandlung
Die Diagnose von Long-COVID erfolgt in der Regel durch eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung. Derzeit gibt es keine spezifischen Laborwerte oder Untersuchungen, um Long-COVID eindeutig festzustellen. Es werden jedoch verschiedene Untersuchungen durchgeführt, um andere Erkrankungen auszuschließen, die für die Beschwerden verantwortlich sein könnten.
Eine unmittelbare Therapie des Long- oder Post-COVID-Syndroms existiert bislang noch nicht. Die Behandlung erfolgt symptomorientiert und zielt darauf ab, die Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Mögliche Therapieansätze sind:
- Symptomatische Behandlung: Schmerzen werden mit herkömmlichen Schmerzmitteln behandelt.
- Physiotherapie: Atemtherapie und andere physiotherapeutische Maßnahmen können bei Atembeschwerden und Muskelschwäche helfen.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann bei der Bewältigung von Alltagsproblemen und der Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten unterstützen.
- Psychotherapie: Eine begleitende Psychotherapie kann bei langandauernden und wechselhaften Symptomen sinnvoll sein.
- Komplementärmedizin: Naturheilkundliche Verfahren und Homöopathie können ergänzend zur schulmedizinischen Behandlung eingesetzt werden.
Prävention
Eine Grundimmunisierung gegen das Virus scheint einen schützenden Effekt auf die Langzeitfolgen zu haben. Es ist daher ratsam, sich impfen zu lassen und die empfohlenen Auffrischungsimpfungen wahrzunehmen.
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