Neurologische Erkrankungen stellen eine erhebliche Belastung für die globale Gesundheit dar. Sie umfassen Störungen des zentralen und peripheren Nervensystems, wie Migräne, Hirntumore, Parkinson-Krankheit, Epilepsie, Alzheimer-Krankheit und traumatische Störungen des zentralen Nervensystems. Verschiedene Infektionen können ebenfalls das Nervensystem beeinträchtigen. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache für Demenz und trägt zu einem großen Teil der Fälle bei.
In den letzten Jahren hat Cannabidiol (CBD), ein nicht-psychoaktiver Bestandteil der Cannabispflanze, zunehmend Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der Behandlung neurologischer Erkrankungen erlangt. CBD ist fast schon ein It-Produkt geworden, was kritisch betrachtet werden sollte.
Was ist CBD?
CBD (Cannabidiol) und THC (Tetrahydrocannabinol) sind beides Cannabinoide. Bisher wurden mehr als 110 verschiedene Cannabinoide in der Pflanze entdeckt. THC ist am meisten erforscht, weshalb der Begriff den meisten Menschen geläufiger ist. Im Kern bedeutet das: Wenn wir über medizinische Möglichkeiten der Cannabis Pflanze reden, dann konzentrieren wir uns immer auf den CBD Wirkstoff.
CBD ist eine natürlich vorkommende Verbindung, die in der Cannabis-sativa-Pflanze vorkommt. Im Gegensatz zu THC erzeugt CBD keine psychoaktiven Wirkungen oder das mit dem Cannabiskonsum verbundene "High".
Das Endocannabinoid-System (ECS)
Der erste Schritt, um zu verstehen, was CBD bewirkt, ist zu verstehen, was das Endocannabinoid-System (ECS) bewirkt. Das Endocannabinoid-System ist ein kompliziertes Netzwerk von Enzymen, Lipiden und Rezeptoren, das die meisten Säugetiere besitzen. Die wissenschaftliche Entdeckung des Endocannabinoid-Systems im zwanzigsten Jahrhundert war ein entscheidender Wendepunkt für die menschliche Gesundheit. Dies sind nur einige der entscheidenden Funktionen, die das ECS überwacht. Sogar die Fortpflanzung ist in das Funktionieren des Endocannabinoid-Systems eingebunden. Die Entdeckung des ECS und der Art und Weise, wie Cannabis an seine verschiedenen Rezeptoren bindet, bedeutet, dass Cannabis zur Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten eingesetzt werden kann.
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Rechtlicher Rahmen
Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes "Cannabis als Medizin" im Jahr 2017 in Deutschland hat die Verschreibung von Cannabis-basierten Medikamenten, einschließlich Medizinalcannabisblüten, kontinuierlich zugenommen. Mittlerweile sind Cannabis-basierte Medikamente fester Bestandteil des Therapiespektrums bei verschiedenen Erkrankungen. Es ist wichtig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse erfüllt sind.
Anwendungsbereiche von CBD in der Neurologie
CBD zeigt signifikante therapeutische Potenziale bei der Behandlung verschiedener neurologischer Erkrankungen.
Epilepsie
Epilepsie nimmt nach Schlaganfall, Alzheimer und Migräne die vierte Position als häufigste neurologische Erkrankung ein. CBD ist in den Fokus der Epilepsiebehandlung gerückt, nachdem Berichte über seine antikonvulsiven Eigenschaften veröffentlicht wurden. Der Durchbruch kam mit der Zulassung von Epidiolex, einem reinen CBD-Präparat, durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) im Jahr 2018. Klinische Studien, die zur Zulassung von Epidiolex führten, haben beeindruckende Ergebnisse gezeigt. Eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie berichtete, dass die Verabreichung von CBD die Anfallshäufigkeit bei Patienten mit dem Dravet-Syndrom signifikant reduzierte. Ähnliche Ergebnisse wurden bei Patienten mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom beobachtet. Der CBD-Extrakt Epidyolex führt mehreren großen kontrollierten Studien zufolge zu einer zum Teil erheblichen Anfallsreduktion bei Kindern mit schwerer Epilepsie bei Dravet- und Lennox-Gastaut-Syndrom. Inwieweit Cannabis-basierte Medikamente auch zur Behandlung anderer Epilepsien geeignet sind, ist nicht bekannt. Einzelne Patient(inn)en berichten allerdings über erstaunliche Behandlungseffekte mit unterschiedlichen Substanzen einschließlich Medizinalcannabisblüten.
Multiple Sklerose (MS)
Bei der Behandlung von Multipler Sklerose zeigt CBD signifikante therapeutische Potenziale. Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische, entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu einer Vielzahl von Symptomen, einschließlich Schmerzen, Muskelspastizität und Bewegungsstörungen, führen kann. Die Behandlung der Symptome kann herausfordernd sein, und genau an dieser Stelle eröffnet CBD neue Perspektiven. Eine im Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry veröffentlichte Studie untersuchte die Wirkung von CBD auf Spastizität bei MS-Patienten. Ein weiteres Forschungspapier im European Journal of Neurology bestätigte diese Befunde und berichtete seinerseits über die positiven Effekte von CBD auf Schmerzmanagement und Muskelspastizität bei MS-Patienten. Die therapieresistente mittelschwere oder schwere Spastik bei Multipler Sklerose ist die einzige Indikation im Bereich Neurologie/Psychiatrie, für die mit dem Cannabisextrakt Nabiximols (Sativex®) ein betäubungsmittelgesetzpflichtiges Cannabis-basiertes Medikament zugelassen ist.
Parkinson-Krankheit
Cannabinoide scheinen in der Selbstbehandlung von Symptomen des M. Parkinson schon länger in Gebrauch zu sein. Eine 2004 veröffentlichte Umfrage unter Parkinson-Patienten in Prag ergab, dass 25 % der 339 Teilnehmer bereits Cannabis zu sich genommen hatten. Fast die Hälfte (46 %) berichtete, eine positive Wirkung auf Krankheitssymptome erlebt zu haben. Auch neuere, Internet-basierte Umfragen bestätigen den hohen Anteil von aktuell Cannabis-konsumierenden Parkinson-Patienten (37 %), die meisten nahmen bereits über ein Jahr Cannabis ein (70 %). Eine retrospektive Auswertung von 47 Patienten ergab eine deutliche Verbesserung von motorischen und nichtmotorischen Symptomen wie Reduktion von Stürzen, Tremor und Muskelrigidität sowie eine Verbesserung des Schlafs, der Stimmung und von Schmerzen. Als Nebenwirkungen wurden Verwirrung und Halluzinationen berichtet. Insgesamt ist die Datenlage für Cannabinoide im Hinblick auf motorische und nichtmotorische Symptome beim M. Parkinson sehr dünn. Aufgrund dessen sollten Cannabinoide erst nach Ausschöpfung der leitliniengerechten Therapie und am ehesten bei schwer behandelbaren Symptomen wie Levodopa-induzierten Dyskinesien, Schmerzen oder Schlafstörungen eingesetzt werden. Es empfiehlt sich, den Therapieerfolg mittels objektiver Skalen zu verifizieren.
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Alzheimer-Krankheit
Die Alzheimer-Krankheit (AD) ist gekennzeichnet durch fortschreitenden kognitiven Abbau, Amyloid-β-Plaques und neurofibrilläre Knäuel. CBD hat sich als vielversprechend bei der Behandlung nicht-motorischer Symptome von Morbus Parkinson erwiesen. Studien haben gezeigt, dass CBD Aβ-induzierte Toxizität mildern, die Tau-Hyperphosphorylierung hemmen und den Wnt/β-Catenin-Weg modulieren kann. Zusätzlich wurde festgestellt, dass CBD die Neurogenese fördert, die Ablagerung von Amyloid-Plaques reduziert und die kognitive Funktion in Alzheimer-Tiermodellen verbessert.
Andere neurologische Indikationen
Neben den genannten Indikationen gibt es eine Vielzahl weiterer medizinischer Anwendungen von CBD, die Gegenstand aktueller Forschung sind:
- Angststörungen und Depressionen: Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass CBD anxiolytische (angstlösende) und antidepressive Wirkungen hat. CBD bindet an den 5-HT1A-Rezeptor, einen Serotoninrezeptor. Serotonin ist ein chemischer Botenstoff, der mit unserer Stimmung verbunden ist.
- Schlafstörungen: CBD hat sich als potenziell nützlich bei der Behandlung von Schlafstörungen erwiesen.
- Psychische Erkrankungen: Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass CBD antipsychotische Eigenschaften besitzt, die bei der Behandlung von Schizophrenie und anderen psychischen Erkrankungen hilfreich sein könnten.
- Krebs: CBD wird auch in der Onkologie untersucht, primär wegen seiner möglichen antitumoralen Eigenschaften. Präklinische Studien haben gezeigt, dass CBD das Wachstum von Tumorzellen hemmen und deren Ausbreitung verhindern kann.
Wirkmechanismen von CBD
Die genauen Mechanismen, durch die CBD seine therapeutischen Wirkungen entfaltet, sind Gegenstand intensiver Forschung. Es wird angenommen, dass CBD auf das Endocannabinoid-System (ECS) einwirkt, ein komplexes Zellkommunikationssystem, das an der Regulierung einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt ist. Das ECS umfasst Cannabinoidrezeptoren (CB1 und CB2), endogene Liganden (Endocannabinoide) und Enzyme, die diese Liganden synthetisieren und abbauen. CBD hat eine geringe Affinität zu den CB1- und CB2-Rezeptoren, wirkt jedoch auf andere nicht-cannabinoide Rezeptoren und Ionenkanäle, darunter der Vanilloidrezeptor TRPV1, der für die Schmerzwahrnehmung und die Regulation der Körpertemperatur verantwortlich ist. CBD beeinflusst nachweislich die synaptische Plastizität, d.h. die Fähigkeit von Synapsen, sich im Laufe der Zeit als Reaktion auf eine erhöhte oder verringerte Aktivität zu verstärken oder zu schwächen. Dieser Prozess ist entscheidend für das Lernen, das Gedächtnis und die allgemeine Gehirnfunktion.
Sicherheit und Verträglichkeit
Ein entscheidender Faktor für die medizinische Nutzung von CBD ist seine Sicherheit und Verträglichkeit. Im Allgemeinen wird CBD gut vertragen und hat ein günstiges Sicherheitsprofil. Häufig berichtete Nebenwirkungen sind mild und umfassen Müdigkeit, Durchfall und Veränderungen des Appetits oder Gewichts. Nebenwirkungen treten insbesondere zu Therapiebeginn auf, sind meist transient und lassen im Verlauf der Behandlung nach.
Verschreibungsfähige Cannabisbasierte Medikamente
Alle THC-haltigen Cannabis-basierten Medikamente sowie alle Medizinalcannabisblüten (unabhängig vom THC-Gehalt) unterliegen der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung. In Deutschland zugelassen sind aktuell lediglich drei Präparate auf Cannabisbasis in folgenden Indikationen:
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- der Cannabisextrakt Nabiximols (Sativex®) für die Behandlung der therapieresistenten mittelschweren oder schweren Spastik bei Multipler Sklerose (MS)
- das THC-Analogon Nabilon (Canemes®) für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Krebschemotherapie
- der CBD-Extrakt Epidyolex® für die Begleitbehandlung zu Clobazam bei Kindern ab zwei Jahren bei Krampfanfällen im Zusammenhang mit dem Lennox- Gastaut-Syndrom und dem Dravet-Syndrom
Darüber hinaus sind weitere (nicht zugelassene) Cannabis-basierte Medikamente verschreibungsfähig, darunter Medizinalcannabisblüten mit unterschiedlichen Gehalten an THC und CBD, die Reinsubstanzen THC und CBD sowie seit Kurzem in zunehmender Anzahl Cannabis- Vollspektrum-Extrakte (mit unterschiedlichen THC- und CBD-Gehalten) in Tropfenform zur oralen Einnahme.
Das Cannabis-Dilemma
Wegen der ubiquitären (illegalen) Verfügbarkeit von Cannabis und seines Gebrauchs zu medizinischen Zwecken seit Jahrtausenden blicken wir auf ein umfangreiches Wissen zur potenziellen Wirkung von Cannabinoiden zurück. Daraus resultieren zahlreiche Berichte über positive Wirkungen bei einer großen Vielzahl von Erkrankungen. Dies reicht von Anorexie, Kachexie und chronischen Schmerzstörungen über chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Colitis ulcerosa und Rheuma bis hin zu psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen. Der anzunehmenden therapeutischen Breite Cannabis-basierter Medikamente steht ein eklatanter Mangel an großen kontrollierten Studien gegenüber. Dies ist nicht zuletzt in der fehlenden Patentierbarkeit von Cannabis begründet. Das "Cannabis als Medizin"-Gesetz hat den Rahmen geschaffen, Cannabis-basierte Medikamente auch heute schon therapeutisch nutzen zu können, damit Patient(inn)en, die von einer solchen "Off-label"-Therapie profitieren, nicht noch Jahre bis zum Vorliegen entsprechender Studien warten müssen.
Ausblick
Weltweit sind zahlreiche Studien in Planung oder Durchführung, um die Wirksamkeit und Sicherheit Cannabis-basierter Medikamente in zahlreichen verschiedenen Indikationen zu untersuchen. Allerdings wird es noch Jahre dauern, bis in allen aktuell diskutierten neurologischen und psychiatrischen Indikationen belastbare Studien vorliegen. Das Spektrum der verschreibungsfähigen Cannabis-basierten Medikamente hat sich in jüngster Zeit erheblich erweitert. In naher Zukunft werden weitere Cannabisextrakte verfügbar sein. Parallel werden sogenannte Endocannabinoid- Modulatoren in ersten klinischen Studien untersucht, die entweder den Abbau oder die Wiederaufnahme der Endocannabinoide Anandamid und 2-AG hemmen. Ob dieser weitaus spezifischere Wirkmechanismus Vorteile in der Behandlung mit sich bringt, bleibt abzuwarten.
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