Corona-Folgeschäden: Langzeitwirkungen auf das Gehirn

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur akute gesundheitliche Probleme verursacht, sondern auch langfristige Folgen, die als Long-COVID oder Post-COVID-Syndrom bekannt sind. Diese Langzeitwirkungen betreffen viele Organe, einschließlich des Gehirns, und können neurologische und kognitive Beeinträchtigungen verursachen.

Neurologische und kognitive Probleme nach COVID-19

Neurologische und kognitive Probleme treten häufig bei zwei Gruppen von COVID-19-Genesenen auf. Die erste Gruppe umfasst Patienten, die einen schweren Krankheitsverlauf hatten und intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Die zweite Gruppe besteht aus Personen, die nach einem leichten bis mittelschweren Verlauf zunächst scheinbar genesen sind, aber nach einer Latenzzeit von ein bis vier Monaten eine sogenannte Rebound-Symptomatik entwickeln.

Jördis Frommhold, Chefärztin der Median Klinik Heiligendamm und Gründerin der Long-COVID-Ambulanz in Rostock, beschreibt im Podcast der Ärztezeitung vom 19. April 2021, dass Long-COVID generell meist im Alter zwischen 20 und 50 Jahren auftritt. Die Symptome können vielfältig sein. Bei Patienten mit Rebound-Effekt zeigen sich ein massiver Leistungseinbruch, eine bleierne Erschöpfung, die zum Chronischen Fatigue Syndrom führen kann, Schwindel, Gangunsicherheiten oder demenzähnliche Symptome. Auch von neurologischen oder kognitiven Einschränkungen wie Gedächtnis-, Konzentrations- oder Empfindungsstörungen wird berichtet. Manchmal kommen bei dieser Gruppe von COVID-19-Genesenen noch Haarausfall oder Muskel- sowie Gelenkschmerzen hinzu. Wenn die Belastungen länger anhalten, kann das dazu führen, dass Patienten über Wochen und Monate nicht arbeitsfähig sind oder zumindest nicht voll arbeiten können. Laut Jördis Frommhold sind mehr Frauen als Männer von kognitiven Problemen nach einer Coronainfektion betroffen. Die Ärztin hält eine Beteiligung des Immunsystems - also Störungen durch autoimmunologische Prozesse im Körper - für wahrscheinlich. Darüber hinaus sind vor allem ältere Menschen von den Symptomen betroffen. Eine Studie der School of Medicine at Mount Sinai in New York zeigt, dass auch jüngere Menschen derartige Probleme entwickeln können. Die Querschnittsstudie, die am 22. Oktober 2021 in JAMA veröffentlicht wurde, bezieht Daten zu 740 Patientinnen und Patienten mit einem Durchschnittsalter von 49 Jahren mit ein, die stationär oder ambulant wegen Covid-19 behandelt wurden.

Symptome und Manifestationen

Zu den häufigsten neurologischen und neuropsychiatrischen Symptomen des Post-COVID-19-Syndroms gehören:

  • Erschöpfung (Fatigue): Ein Gefühl der extremen Müdigkeit, das durch Schlaf nicht verbessert wird.
  • Gehirnnebel (Brain Fog): Kognitive Beeinträchtigungen, die sich als Schwierigkeiten beim Denken, Konzentrieren und Erinnern äußern.
  • Gedächtnisprobleme: Schwierigkeiten, sich an neue Informationen zu erinnern oder sich an vergangene Ereignisse zu erinnern.
  • Aufmerksamkeitsstörungen: Probleme, die Aufmerksamkeit auf Aufgaben zu richten und aufrechtzuerhalten.
  • Muskelschmerzen: Schmerzen und Steifheit in den Muskeln.
  • Kopfschmerzen: Anhaltende oder wiederkehrende Kopfschmerzen.
  • Geruchsverlust (Anosmie): Verlust des Geruchssinns.
  • Geschmacksstörungen (Ageusie): Verlust des Geschmackssinns.

Einige COVID-19-Erkrankte berichten, dass sie auch nach der akuten Erkrankung noch das Gefühl haben, ihr Gehirn sei in Watte gepackt. Die Denkfähigkeit kann in der Folge dieser Viruserkrankung über eine gewisse Zeit eingeschränkt sein. Auch Gedächtnislücken können bei Betroffenen auftreten.

Lesen Sie auch: Seltene Fälle von Meningitis nach Impfung

Mögliche Ursachen und Mechanismen

Die genauen Ursachen für die neurologischen Langzeitfolgen von COVID-19 sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere Theorien und Forschungsansätze, die mögliche Mechanismen aufzeigen:

  • Direkte Virusinfektion des Gehirns: Obwohl die meisten Experten annehmen, dass der SARS-CoV-2-Erreger nicht direkt auf die Nervenzellen im Gehirn einwirkt, gibt es Hinweise darauf, dass das Virus über die Nervenzellen der Riechschleimhaut ins Gehirn gelangen kann. Eine Studie der Charité konnte intakte Coronavirusteilchen in der Riechschleimhaut nachweisen.
  • Entzündungsreaktionen: Eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus kann im Gehirn zu einer Entzündung führen. Pathologen konnten im Hirnstamm Entzündungsherde erkennen, die neurologische Probleme erklären könnten. Die Entzündung kann auch durch eine überschießende Immunreaktion des Körpers auf das Virus verursacht werden.
  • Schädigung der Blutgefäße im Gehirn: Eine Forschungsgruppe um den Lübecker Pharmakologen Markus Schwaninger zeigte, dass das Virus die innerste Zellschicht der Blutgefäße im Gehirn, die sogenannten Endothelzellen, angreifen und schädigen kann. Auch die Blut-Hirn-Schranke kann dabei von dem Virus angegriffen und zerstört werden.
  • Autoimmunprozesse: Jördis Frommhold hält eine Beteiligung des Immunsystems - also Störungen durch autoimmunologische Prozesse im Körper - für wahrscheinlich.
  • Persistenz des Spike-Proteins: Forschende von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität München konnten nachweisen, dass das Spike-Protein des Corona-Virus SARS-CoV-2 nach einer Infektion im Gehirn verbleiben kann. Diese Ablagerungen des Spike-Proteins könnten zu den langfristigen Effekten von COVID-19 auf das Nervensystem und Long COVID beitragen.

Erhöhtes Risiko für neurologische Erkrankungen

Es gibt Hinweise darauf, dass COVID-19 das Risiko für bestimmte neurologische Erkrankungen erhöhen könnte:

  • Schlaganfälle: COVID-19 erhöht das Schlaganfallrisiko. Störungen der Gerinnung sind bei Covid-19-Pneumonie eher die Regel als die Ausnahme und bilden eine eigene Entität der Covid-19-Erkrankung. Es bilden sich in der Folge Gerinnsel, die ischämische Schlaganfälle oder Embolien auslösen können.
  • Parkinson-Erkrankung: Drei Fallbeispiele legten nahe, dass neuartige Coronaviren eine Parkinson-Erkrankung auslösen oder zumindest fördern könnten. Ein Review vom Dezember 2021 machte jedoch klar, dass die bisher vorliegenden Daten nicht ausreichen, um dies zu bestätigen.
  • Demenz: In seltenen Fällen kann es zu demenzähnlichen Symptomen kommen.
  • Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Ähnlich immunvermittelte Erkrankungen treten auch an den peripheren Nerven in Form des sogenannten Guillain-Barré-Syndroms (GBS) auf.

Auswirkungen auf das Gehirn

Eine Studie, die am 5. Dezember 2022 im Fachblatt Nature Aging veröffentlicht wurde, deutet darauf hin, dass Coronaviren eine Art Gehirnalterung hervorrufen könnten. Gehirnproben verstorbener COVID-19-Patienten gaben in dieser Studie Hinweise darauf.

Die Forschenden der Universität Oxford konnten anhand von Hirnscans Veränderungen im Gehirn messen. Prof. Steinbrecher erklärte dazu: „Interessant ist, dass diese Veränderungen vor allem die sogenannten limbischen Hirnregionen betreffen. Dies könnte mit den häufig bei COVID-19 beobachteten Riechstörungen zusammenhängen."

Diagnose und Behandlung

Die Diagnose von Long-COVID und seinen neurologischen Folgen ist komplex, da es keine eindeutigen Marker gibt. Die Behandlung ist oft symptomatisch und individuell auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten.

Lesen Sie auch: Corona und das Gehirn: Was wir wissen

  • Rehabilitation: Die Deutsche Rentenversicherung und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung raten zu einer interdisziplinär ausgerichteten Rehabilitation. Bei der Long-Covid-Reha werden alle Patientinnen und Patienten zunächst komplett untersucht. Dazu gehören Herz, Lunge, Gehirn und auch die Psyche.
  • Pacing: Dabei lernen Betroffene Überanstrengung zu vermeiden.
  • Atemtherapie: Gezielte Atemtherapien werden in Reha-Kliniken eingesetzt.
  • Neuro-Training: Neuro-Training gehört ebenfalls zum Angebot.
  • Psychotherapie: Eine begleitende Psychotherapie kann bei langandauernden und wechselhaften Symptomen sinnvoll sein.
  • Medikamentöse Therapie: Schmerzen werden symptomatisch mit herkömmlichen Schmerzmitteln behandelt. Lungenfachärzte verordnen bei Lungenbeschwerden zum Teil Kortisonspray, um die überschießende Immunreaktion herunterzufahren.

Prävention

Eine vollständige Impfung gegen das Coronavirus kann das Risiko für Long COVID verringern. Forschende der Charité sehen einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Viruslast und dem Risiko für Spätfolgen einer Corona-Infektion.

Forschungsperspektiven

Freiburger Forscherinnen haben wichtige Fortschritte im Verständnis der immunologischen Veränderungen im Gehirn von COVID-19-Genesenen gemacht. Im Gehirn von Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden haben, fanden sie Anzeichen einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems. Diese Erkenntnisse, die am 25. Juli 2024 in Acta Neuropathologica veröffentlicht wurden, könnten entscheidend für die Entwicklung neuer Therapien für Patientinnen mit langfristigen neurologischen Symptomen nach COVID-19 sein.

Lesen Sie auch: Neueste Erkenntnisse zum Demenzrisiko nach COVID-19

tags: #Corona #Folgeschäden #Gehirn #Langzeitfolgen