Neue S2k-Leitlinie der DGN zur Parkinson-Krankheit: Ein umfassender Überblick

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat eine neue, vollständig überarbeitete S2k-Leitlinie für die Diagnostik und Therapie der Parkinson-Krankheit herausgegeben. Diese Leitlinie, an deren Konsensusprozess 19 Fachgesellschaften, Berufsverbände und Organisationen beteiligt waren, bietet eine umfassende Aktualisierung der Empfehlungen für die Behandlung von Menschen mit Parkinson. Federführend bei der Leitlinienkoordination waren Prof. Dr. Günter Höglinger, Direktor der Neurologischen Klinik des LMU Klinikums München, und Prof. Dr. Claudia Trenkwalder.

Hintergrund und Notwendigkeit der Aktualisierung

Die letzte Leitlinie zur Parkinson-Krankheit stammte aus dem Jahr 2015. Seitdem hat die Parkinson-Forschung erhebliche Fortschritte gemacht. Neue Diagnoseverfahren wurden entwickelt, neue Medikamente zugelassen und neue Therapieansätze, wie der Einsatz einer weiteren Medikamentenpumpe, etabliert. Zudem liegen aktuelle Erkenntnisse vor, wie Parkinson-Symptome, die nicht die Bewegung betreffen, erkannt und behandelt werden können. Die überarbeitete Leitlinie trägt diesen Entwicklungen Rechnung und zielt darauf ab, die Versorgung der Betroffenen zu optimieren.

Geänderte Begrifflichkeiten

Ein wichtiger Punkt der neuen Leitlinie ist die Empfehlung, den Begriff „Parkinson-Krankheit“ anstelle von „Idiopathisches Parkinson-Syndrom“ (IPS) zu verwenden. Bislang wurden diese Begriffe häufig synonym verwendet. Jedoch wurde in den letzten Jahren immer deutlicher, dass eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Fällen durch genetische Varianten bzw. Mutationen verursacht wird und somit nicht idiopathischer Natur ist. Die Leitlinie trägt dieser Erkenntnis Rechnung, indem sie den allgemeineren Begriff „Parkinson-Krankheit“ empfiehlt.

Früherkennung und Diagnose

Ein Schwerpunkt der neuen Leitlinie liegt auf der Diagnose und Früherkennung der Parkinson-Krankheit. So wird empfohlen, im Fall erster Symptome, die im Frühstadium auf eine Parkinson-Krankheit hinweisen können, ergänzende Diagnostik wie eine Geruchstestung oder eine polysomnographische Untersuchung im Schlaflabor miteinzubeziehen. Auch eine kraniale Magnetresonanztomographie (MRT) sollte bei Parkinson-Verdacht frühzeitig erfolgen, um andere Erkrankungen auszuschließen.

Genetische Diagnostik

Erstmals empfiehlt die Leitlinie auch konkret, auf Wunsch der Betroffenen eine humangenetische Diagnostik durchzuführen, vor allem wenn Parkinson in der Familie auftritt oder wenn die Krankheitssymptome vor dem 50. Lebensjahr auftreten. Eine diagnostisch genetische Untersuchung sollte bei Patientenwunsch angeboten werden, wenn entweder zwei Verwandte ersten Grades oder eine verwandte Person ersten und eine verwandte Person zweiten Grades an Parkinson erkrankt sind oder bei einer Krankheitsmanifestation vor dem 50. Lebensjahr. Genetische Befunde tangieren die Therapie zurzeit noch nicht.

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Bildgebung

Eine kraniale MRT (nicht CT) soll bei klinischem PK-Verdacht ebenfalls schon frühzeitig erfolgen, auch um andere Erkrankungen auszuschließen. Zur Differenzialdiagnostik können je nach Fragestellung und erwartbaren klinischen Konsequenzen eine transkranielle Hirnparenchymsonographie, eine FDG-PET und eine Dopamin-Transporter-SPECT (DAT-SPECT) erfolgen.

Biomarker

Biomarker zur Diagnosesicherung stehen klinisch noch nicht zur Verfügung. Das Neurofilament (NFL aus Liquor oder Serum) ist nicht spezifisch genug, es kann ggf. aber zur Abgrenzung der PK gegen atypischen Parkinson-Syndromen hilfreich sein.

Therapieempfehlungen

Die Leitlinie weist außerdem auf die Bedeutung einer frühzeitigen, altersgerechten und individuellen Therapie hin. Die detaillierten Empfehlungen zur Therapie der Parkinson-Krankheit wurden teilweise modifiziert, durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse gesichert oder ergänzt - in Bezug sowohl auf medikamentöse Therapien als auch auf die verschiedenen Formen invasiver Therapien wie Pumpentherapien und Tiefe Hirnstimulation, zu denen es inzwischen Langzeitstudien gibt.

Medikamentöse Therapie

Nahezu alle Therapieempfehlungen für motorische, kognitive, affektive, psychotische und dysautonome Symptome sowie Schlafstörungen, Schmerz, Dysarthrie und Dysphagie bei der Parkinson-Krankheit wurden teilweise modifiziert, durch neue Evidenz gesichert und/oder durch neue Inhalte ergänzt. Wichtig ist, die Therapie rechtzeitig, altersgerecht, effizient und entsprechend den individuellen Therapiezielen zu beginnen. Bei der individuellen Medikamentenwahl zur initialen Monotherapie sollen neben der Schwere der motorischen Symptome das Patientenalter, die unterschiedlichen Effektstärken/Wirkung der Substanzen, Nebenwirkungen, Komorbiditäten und psychosoziale Aspekte berücksichtigt werden - bevorzugt werden sollten, besonders bei jüngeren Betroffenen, Dopaminagonisten oder MAO-B-Hemmern (gegenüber Levodopa). Wenn Levodopa schon initial notwendig ist, soll es auch gegeben werden.

Im Krankheitsverlauf werden in der Regel verschiedene Substanzen kombiniert, die Leitlinien geben detaillierte Empfehlungen für spezielle Situationen und auch zu Substanzen, die nicht mehr eingesetzt werden sollen. Bei noch weiter fortschreitender Erkrankung verschlechtert sich oft die Medikamentenwirkung, es treten Phasen mit guter und schlechter Beweglichkeit auf (motorische Fluktuationen /„On-off-Phänome“) oder unkontrollierte Bewegungen (Dyskinesien). In dieser Situation kann eine Besserung durch Änderung oder Erweiterung des Therapiemanagements erzielt werden. Konkrete Hinweise dazu sind enthalten (Fraktionierung der Levodopa-Gaben und ggf. Dosisänderung, zusätzliche Gaben von Levodopa-Präparaten mit modifizierter Galenik (lösliches, inhalatives oder retardiertes Levodopa), zusätzliche Gaben von Dopaminagonisten, zusätzliche Gabe von MAO-B-Hemmern oder zusätzliche Gabe von COMT-Hemmern).

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Neu sind Empfehlungen zur Diagnose und Therapie einer akinetischen Krise (eine akute, potenziell lebensbedrohliche und transient doparesistente Symptomverschlechterung mit einer Letalität von 4−23 %). Die frühzeitige Diagnose bzw. Abgrenzung von einer schweren Off-Fluktuation und die adäquate Therapie (ggf. auf der Intensivstation) haben hier einen hohen Stellenwert.

Dopaminagonisten-Entzugssyndrom (DAWS)

Auch der aktuelle Wissensstand bzw. die Studienlage zum 2010 erstmals beschriebenen Dopaminagonisten-Entzugssyndrom (DAWS) wird dargestellt und Empfehlungen zu optimalen diagnostischen Kriterien und Therapie gegeben. Dopaminagonisten müssen manchmal aufgrund von Impulskontrollstörungen oder Halluzinationen abgesetzt werden. In 15−24 % kommt es daraufhin zum DAWS, wobei nun drei Risikofaktoren identifiziert werden konnten, bei deren Vorhandensein in 92 % ein DAWS entsteht (Impulskontrollstörungen, hohe Dopaminagonisten-Dosen, vorherige Tiefe Hirnstimulation - gegenüber nur in 3 % bei Abwesenheit aller drei Risikofaktoren). Eine spezifische DAWS-Therapie gibt es nicht, um ein DAWS früh zu erkennen. Das Absetzen von Dopaminagonisten sollte daher langsam erfolgen. Bei schwerem, protrahiertem DAWS sollte eine Wiederaufnahme der Behandlung mit Dopaminagonisten erwogen werden.

Invasive Therapien

Prinzipiell sollten invasive Verfahren insbesondere dann erwogen werden, wenn beeinträchtigende levodopaabhängige Wirkfluktuationen auftreten, die sich durch eine Optimierung der oralen oder transdermalen Therapie nicht ausreichend verbessern lassen.

Tiefe Hirnstimulation (THS)

Eine Tiefe Hirnstimulation ist auch bei monogener Parkinson-Krankheit möglich. Dabei gelten die gleichen Ein- und Ausschlusskriterien wie bei einer genetisch komplexen Parkinson-Krankheit. Bei Tiefer Hirnstimulation (THS) und plötzlichem Ausfall der THS kann ebenfalls ein Entzugssyndrom auftreten (ähnelt einer akinetischen Krise). Dies ist ein seltenes Ereignis (z. B. bei infektionsbedingter Explantation) und stellt eine große therapeutische Herausforderung bis zur THS-Reimplantation dar. In den neuen Leitlinien werden aktuelle Erkenntnisse und Empfehlungen dargestellt. Neu hinzugefügt bzw. aktualisiert wurden auch Daten und Empfehlungen zu Differenzialindikationen nicht oraler medikamentöser (invasiver) Therapien wie Pumpentherapien und der Tiefen Hirnstimulation (THS). So gibt es zu den THS-Formen (d. h. unterschiedliche Elektrodenlokalisationen) inzwischen Langzeitstudien. Man weiß inzwischen, dass die THS (z. B. des Nucleus subthalamicus/STN-THS) im Langzeitverlauf bis zu elf Jahre gegen motorische Symptome wirksam ist, die Verzögerung einer Demenz-Entwicklung war dabei nicht zu erkennen. Auch Langzeitdaten zu anderen THS-Formen und deren Unterschiede werden vorgestellt. Bei Pumpentherapien stehen mittlerweile auch verschiedene Optionen zur Verfügung, die hinsichtlich ihrer differenziellen Indikation, Wirksamkeit und Sicherheit dargestellt werden.

Ablative Verfahren

Außerdem werden operative, ablative Verfahren wie die Pallidotomie in ihrer aktuellen Bedeutung bei fortgeschrittener PK eingeordnet; Thalamo- und Subthalamotomie mittels Radiofrequenzablation sollen bei der PK nicht mehr durchgeführt werden und auch radiochirurgische Verfahren (Gamma-Knife, Cyber-Knife) sind mangels Studien und aufgrund des potenziell hohen Komplikationsrisikos nicht zu empfehlen. Das relativ neue, ablative Verfahren MRgFUS (MRT-gesteuerter, fokussierter Ultraschall), das von außen durch die geschlossene Schädeldecke zur Anwendung kommt, ist v. a. sehr effektiv gegen den Tremor. Allerdings sollen diese Interventionen aktuell nur im Rahmen von Studien oder Registern durchgeführt werden. Alle ablativen Verfahren werden bisher nur unilateral eingesetzt. Zum erweiterten Einsatz des MRgFUS werden aktuell die notwendigen Studien durchgeführt. Bis hier weitere Ergebnisse vorliegen, wird bei Fehlen von Kontraindikationen gegenwärtig primär die THS empfohlen.

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Therapie von Begleitsymptomen

Auch zu Diagnostik und Therapie der häufigen Begleitsymptomatik sind neue Empfehlungen enthalten. Zu nennen sind die Kapitel zu Schmerzen bei PK, zu Blasenfunktionsstörungen, erektiler Dysfunktion, orthostatischer Hypotonie (Blutdruckabfall beim Aufstehen) und nächtliche bzw. Liegend-Hypertonie sowie zur chronischen Obstipation. Aktualisiert oder ergänzt wurde auch das Vorgehen bei Tagesschläfrigkeit und bei nächtlichen Schlafstörungen, die insgesamt häufig sind (Ein- und Durchschlafstörungen, motorische Ursachen, Restless-Legs-Syndrom, Nykturie, Parasomnien, Atmungsstörungen, Albträume, REM-Schlafstörungen) und das aktuelle Management der Frage nach der Fahreignung von Erkrankten in Frühstadien. Bei den Therapieempfehlungen wurden sämtliche möglichen Parkinsonsymptome berücksichtigt; das heißt nicht nur die breite Palette der motorischen Symptome, sondern auch Schlafstörungen, Schmerzen, Sprech- oder Schluckstörungen sowie Begleitsymptome, wie zum Beispiel Blasenfunktionsstörungen oder Blutdruckabfall beim Aufstehen (orthostatische Hypotonie).

Multidisziplinäre Versorgung

Betont wird die große Bedeutung einer multidisziplinären, teambasierten Versorgung für die Verbesserung der Lebensqualität bei PK. Empfehlungen zu komplexen Therapieansätzen sind enthalten. Die sogenannten aktivierenden Verfahren beinhalten Physio- und Ergotherapie, Logopädie oder künstlerische Therapien (Musik-, Tanz-, Kunst- oder Theatertherapie). Physikalische Verfahren verbessern wahrscheinlich motorische Symptome, Mobilität, Gang und Gleichgewicht und verhindern möglicherweise muskuloskelettale Sekundärprobleme. Eine relativ umfangreiche Datenlage gibt es beispielsweise für die Physiotherapie, die bei Beeinträchtigung durch motorische PK-Symptome im Alltag mindestens 3 h/Woche erfolgen sollte, wenn möglich auch als Eigentraining. Ob die Progression der PK durch aktivierende Therapien verlangsamt wird, ist noch unklar, daher sollte dies auch nicht als Therapieziel benannt werden. Für eine gezielte Sporttherapie bei PK lässt die Datenlage dagegen derzeit keine klaren Empfehlungen zu.

Patientenleitlinie

Ergänzend zur S2k-Leitlinie für Fachkräfte gibt es auch eine Patientenleitlinie, die von der Deutschen Hirnstiftung, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen finanziert wurde. Diese beantwortet umfangreich Fragen von Betroffenen auf verständliche Weise und soll ihnen helfen, sich aktiv an den Entscheidungen zu ihren medizinischen Belangen zu beteiligen.

Fazit

Die neue S2k-Leitlinie der DGN zur Parkinson-Krankheit stellt eine umfassende Aktualisierung der Empfehlungen für Diagnostik und Therapie dar. Sie berücksichtigt die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und bietet praktische Handlungsempfehlungen für Ärzt*innen, Pflegekräfte und andere Fachleute im Gesundheitswesen. Ziel ist es, die Versorgung von Menschen mit Parkinson weiter zu verbessern, von der Früherkennung bis hin zur individuell passenden Behandlung. Die wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Überarbeitung und Aktualisierung der Leitlinie zur Diagnose und Therapie der Parkinson-Krankheit soll die klinische, die ambulante und die stationäre Versorgung von Menschen mit Parkinson weiter verbessern, von der (frühen) Diagnostik bis hin zur individuell passenden medikamentösen oder operativen Behandlung. „Das ist ein wichtiger Fortschritt für die bis zu 400.000 Menschen mit Parkinson in Deutschland“, sagt Prof.

Beteiligte Organisationen

Am Konsensusprozess der Leitlinie waren neben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) folgende Organisationen beteiligt:

  • Berufsverband deutscher Humangenetiker (BVDH) e.V.
  • Berufsverband deutscher Neurologen (BDN) e.V.
  • Berufsverband, Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) e.V.
  • Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) e.V.
  • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) e.V.
  • Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V. (DVSG)
  • Deutscher Bundesverband für Logopädie (dbl) e.V.
  • Deutscher Verband der Ergotherapeuten (DVE) e.V.
  • Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e.V.
  • Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP) e.V.
  • Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN)
  • Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG)
  • Deutscher Pflegerat (DPR) e.V.
  • Berufsverband der Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Deutschlands (BPM) e.V.
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT) e.V.
  • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
  • Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) e.V.
  • Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN)
  • Deutsche Parkinson-Gesellschaft (DPG)

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