Der Zusammenhang zwischen Entzündungen im Gehirn und Depressionen: Neue Forschungserkenntnisse und therapeutische Perspektiven

Depressionen sind eine weit verbreitete und komplexe psychische Erkrankung, von der schätzungsweise 4 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Die Symptome sind vielfältig und umfassen Niedergeschlagenheit, Schlaf- und Appetitlosigkeit. Traditionell werden Depressionen als psychische Erkrankung betrachtet, doch die Forschung zeigt zunehmend, dass körperliche Faktoren, insbesondere Entzündungen im Gehirn, eine wichtige Rolle spielen könnten.

Entzündungen im Gehirn als möglicher Auslöser von Depressionen

Neueste Forschungen deuten darauf hin, dass die Symptome einer behandlungsbedürftigen Depression möglicherweise auf eine Entzündung des Gehirns zurückzuführen sind. Frühere Studien konnten bereits zeigen, dass die Gehirne depressiver Patienten oftmals entzündet sind. Allerdings war bisher unklar, ob es andere, also körperliche Ursachen gibt, die sowohl für die Depression als auch für die Entzündung im Gehirn verantwortlich sind.

Was bedeutet eine Entzündung des Gehirns?

Wie jedes andere Organ ist auch unser Gehirn anfällig für kleinere Verletzungen. Die Reparaturvorgänge werden dabei durch die sogenannte Mikroglia unterstützt. Je stärker deren Zellen aktiviert sind, desto stärker laufen die Reparaturprozesse - und desto entzündeter ist das Gehirn. Gemessen werden die Entzündungswerte in der Mikroglia.

Eine Studie des Center for Addiction and Mental Health in Toronto verglich die Gehirne von 20 Patienten, die unter Depressionen litten, aber keine körperlichen Leiden hatten, mit den Gehirnen von 20 gesunden Patienten mithilfe eines PET (Positronen Emissions Tomografen). Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Gehirne der Depressionspatienten zeigten deutlich höhere Entzündungswerte als die Gehirne gesunder Patienten. Außerdem stiegen die Entzündungswerte mit dem Schweregrad der Depression. Die Mikroglia zeigten bei den depressiven Patienten um 30% höhere Entzündungswerte.

Die Rolle des Immunsystems und der Zytokine

Die Kommunikation zwischen dem Immunsystem und dem zentralen Nervensystem (ZNS) läuft in beide Richtungen. Bei akuten Entzündungen in der Peripherie werden Zytokine freigesetzt, die die Immunantwort regulieren. Diese Botenstoffe können über Diffusion in bestimmte Bereiche des Gehirns gelangen oder selektive Transporter nutzen. Eine schnellere und effizientere Aktivierung erfolgt jedoch über den Vagusnerv.

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Im Gehirn reagieren vor allem Bereiche um die Ventrikel im Hirnstamm und Strukturen des limbischen Systems wie die Amygdala auf die Entzündungssignale. Die Amygdala spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung und Wiedererkennung von Situationen, und ihre Fehlfunktion wird mit der Entstehung von Depressionen in Zusammenhang gebracht.

Als Reaktion auf die Entzündungssignale wird die Mikroglia aktiviert, das Immunsystem des Gehirns, wobei vermehrt Zytokine wie IL-1b, IL-6 und TNF gebildet werden. Eine Infektion führt zu einem Anstieg der peripheren Zytokin-Level, was das Immunsystem im Gehirn ebenfalls zur Bildung von Zytokinen (vor allem IL-6) anregt. Dies kann zu einer Veränderung der neuronalen Funktionen und somit zu Sickness Behavior führen. Wird dieses Verhalten nach Abklingen der Infektion nicht korrekt beendet, kann eine Depression entstehen.

Entzündungen als fehlgeleitete Abwehrreaktion

Entzündungen werden nicht per se als etwas Negatives angesehen. Ähnlich wie Fieber eine Reaktion des Körpers ist, um sich gegen diverse Erkrankungen zur Wehr zu setzen, kann auch die Entzündung des Gehirns eine Möglichkeit des Körpers sein, sich selbst zu heilen. Allerdings, so eine Annahme, schießt dieser Prozess manchmal übers Ziel hinaus und könne so möglicherweise zu Depression führen. Die Betrachtungsweise folgend könnte Depression eine außer Kontrolle geratene Abwehrreaktion des Gehirns sein.

Neue Therapieansätze und vielversprechende Medikamente

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass viele an Depression leidende Patienten nicht auf die üblichen Medikamente ansprechen, ist der entzündungstherapeutische Ansatz sehr vielversprechend. Die meisten derzeit verfügbaren Antidepressiva erhöhen den Serotonin-Spiegel und verursachen erhebliche Nebenwirkungen.

Antiinflammatorische Therapien

Einem Teil der depressiven Patienten liegt vermutlich eine Entzündung der Depression zugrunde. Entsprechend könnte bei dieser Subgruppe eine antiinflammatorische Therapie hilfreich sein. Diese These wurde bereits in einer Reihe klinischer Studien getestet.

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  • Nicht steroidale Antirheumatika: Studien zum selektiven COX-2-Inhibitor Celecoxib zeigen, dass die Substanz als Add-on zu einem Antidepressivum die antidepressive Wirkung verbessern kann. Ein hoher IL-6-Wert vor der Therapie sagte ein gutes Ansprechen auf Celecoxib als Add-on voraus.
  • Zytokin-Inhibitoren: TNF-Blocker milderten in drei Studien die depressiven Symptome bei Psoriasis-Patienten. Derzeit werden auch die IL-6-Hemmer Tocilizumab und Sarilumab auf ihre antidepressive Wirkung hin getestet.
  • Ketamin: Das Narkotikum Ketamin scheint das Immunsystem zu beeinflussen und gilt als Regulator der akuten Inflammation und von stressinduzierten Immunstörungen.

Minocyclin: Ein Antibiotikum gegen Depressionen?

Julian Hellmann-Regen und Vera Clemens vom Berliner Universitätsklinikum Charité untersuchen das Potential des Medikaments Minocyclin, das ursprünglich gegen Infektionen der Atemwege und Akne eingesetzt wird und hemmend auf bestimmte Entzündungszellen des Gehirns wirkt. Die Fresszellen des zentralen Nervensystems sind bei Depressiven dauerhaft aktiviert und verursachen so eine chronische Entzündung. Hellmann-Regen hofft, dass mit dem Antibiotikum vor allem schwer depressiven Patienten, die auf kein Medikament ansprechen, geholfen werden kann.

Minocyclin dringt ins Gehirn ein, hemmt dort die Mikrogliaentzündungszellen und verhindert den Abbau von Vitamin A. Das wiederum wirkt seinerseits antientzündlich. Wird die Entzündung einmal richtig behandelt, könnte die Krankheit ganz abheilen - im besten Fall für immer.

L-Dopa: Ein Parkinsonmedikament gegen Depressionen?

US-Forscher sehen in Molecular Psychiatry (2015; doi: 10.1038/mp.2015.168) die chronische Entzündung sogar als eine mögliche Mitursache der Gemütserkrankung, die sie demnächst mit dem Parkinson-Medikament L-Dopa behandeln wollen. Die Forscher vermuten, dass eine Störung des Belohnungszentrums im Gehirn an der Entstehung der Symptome beteiligt ist und dass die Therapie mit L-Dopa die Symptome wie Anhedonie und psychomotorische Verlangsamung abmildern könnte.

Weitere Forschungsansätze

  • Schlafentzug: Ein Ansatz besteht darin, durch Schlafentzug fehlgeleitete Prozesse in den Gehirnen Betroffener positiv zu beeinflussen.
  • Arbeitsgedächtnis-Training: Studien konnten zeigen, dass Arbeitsgedächtnis-Training die emotionale Regulation stärken kann. Dies, so die Annahme, könne Patienten besser helfen, die eigenen Emotionen zu regulieren.

Die Rolle der Darmgesundheit

Die Darmgesundheit spielt eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Entzündungen im Körper und somit auch bei Depressionen. Eine gestörte Darmflora kann zu einer erhöhten Freisetzung von Entzündungsbotenstoffen (Il-6, TNF-alpha) führen.

Patient*innen mit chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Rheuma, Psoriasis oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen haben ein erhöhtes Risiko für depressive Verstimmungen und Depressionen. Ebenso lassen sich bei einem Teil der Patienten mit Depressionen erhöhte Entzündungsmarker im Blut nachweisen wie Il- 6, TNF-alpha.

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In experimentellen Studien lässt sich eine Verhaltensänderung sogar herbeiführen, wenn eine Entzündung induziert wird. Eine in der Wissenschaft bekanntes Modell ist hierfür die Gabe von Lipopolysacchariden (LPS), die beim Zerfall von Bakterien - z.b. im Darm- freigesetzt werden. Gelangt dieses nun über eine gestörte Barrierefunktion des Darms in das Blut, entsteht eine sog. Endotoxämie. Die LPS-Toxine führen zu einer Immunzellaktivierung, was eine Zytokinfreisetzung zur Folge hat.

Personalisierte Behandlung von Depressionen

„Leider sind wir noch weit entfernt von einer personalisierten Behandlung der Depression“, sagt Stefan Gold. Bei einem Teil der Depressiven spielen Entzündungen im Körper sowie das Immunsystem ein wichtige Rolle.

Jonas Hagenberg und Forschende der Projektgruppe Medizinische Genomik haben über 40 Immunmarker im Blut von 237 Teilnehmenden gemessen. Das Team fand vier verschiedene Datencluster, die sich in Bezug auf depressive Symptome, Entzündungswerte und BMI unterschieden. Interessanterweise fanden die Forschenden, dass einige der mit Depression assoziierten Gene mit bestimmten Immunzellen zusammenhingen. Das weist darauf hin, dass bestimmte Arten von Immunzellen bei Depressionen möglicherweise eine größere Rolle spielen als andere.

Dank der entdeckten Marker können Forschende den Zusammenhang zwischen dem Immunsystem und Depressionen besser verstehen.

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