Gehirnaufbau: Unterschiede zwischen rechter und linker Gehirnhälfte

Das menschliche Gehirn, ein komplexes Organ, das Denken, Fühlen und Handeln steuert, besteht aus zwei Hälften, der rechten und der linken Hemisphäre. Obwohl äußerlich ähnlich, weisen diese beiden Hälften subtile, aber funktionell relevante Unterschiede auf. In der populären Vorstellung existiert der Mythos einer analytisch-logischen linken Gehirnhälfte und einer emotional-kreativen rechten Gehirnhälfte. Doch was steckt wirklich hinter dieser Vorstellung? Dieser Artikel beleuchtet den Aufbau des Gehirns, die Unterschiede zwischen rechter und linker Seite und räumt mit einigen gängigen Mythen auf.

Anatomie des Gehirns

Das Gehirn ähnelt von außen einer überdimensionalen Walnuss, gekennzeichnet durch Windungen und enge Spalten. Es wiegt etwa 1,5 Kilogramm und ist ungefähr so groß wie zwei geballte Fäuste. Das Großhirn, der größte Teil des Gehirns, besteht aus der rechten und linken Gehirnhälfte, die durch ein dickes Bündel aus Nervenfasern, dem Balken (Corpus callosum), miteinander verbunden sind. Jede Gehirnhälfte ist weiter in sechs Bereiche (Lappen) unterteilt, die unterschiedliche Funktionen haben:

  • Frontallappen: Kontrolliert Bewegungen, Planung, Entscheidungsfindung und Persönlichkeit.
  • Parietallappen: Verarbeitet sensorische Informationen wie Berührung, Temperatur, Schmerz und räumliche Orientierung.
  • Temporallappen: Verantwortlich für Hören, Sprache, Gedächtnis und Erkennung von Objekten.
  • Okzipitallappen: Verarbeitet visuelle Informationen.
  • Insellappen: Beteiligt an Geschmack, Geruch, Emotionen und Bewusstsein.

Das Gehirn bezieht seine Energie aus dem Blutkreislauf, wobei die vordere, mittlere und hintere Hirnarterie die verschiedenen Regionen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Die Blut-Hirn-Schranke schützt das empfindliche Gehirn vor schädlichen Substanzen im Blut.

Funktionelle Unterschiede zwischen den Gehirnhälften

Die beiden Gehirnhälften haben zum Teil unterschiedliche Funktionen. Während die linke Hälfte bei den meisten Menschen auf Sprache und abstraktes Denken spezialisiert ist, kommt die rechte in der Regel dann zum Einsatz, wenn es um räumliches Denken oder bildhafte Zusammenhänge geht. Die rechte Gehirnhälfte steuert die linke Körperseite, die linke Hälfte ist für die rechte Seite zuständig.

  • Linke Hemisphäre: Sprache, Logik, analytisches Denken, Mathematik, Faktenwissen, sequentielle Verarbeitung.
  • Rechte Hemisphäre: Räumliches Denken, bildhafte Zusammenhänge, Kreativität, Intuition, Musik, ganzheitliche Verarbeitung.

Lateralisierung von Gehirnfunktionen

Die Tendenz, dass Hirnregionen Funktionen eher in der linken oder rechten Gehirnhälfte verarbeiten, wird als Lateralisierung bezeichnet. So wird beispielsweise die Aufmerksamkeit bei den meisten Menschen überwiegend in der rechten Hemisphäre verarbeitet, die Sprache überwiegend in der linken. Die Lateralisierung ermöglicht eine Arbeitsteilung und Erweiterung des Aufgabenspektrums des Gehirns.

Lesen Sie auch: Faszination Nesseltiere: Wie sie ohne Gehirn leben

Sprachverarbeitung

Im Großhirn ist die Hirnrinde der linken Gehirnhälfte für die Sprache verantwortlich. Die Hirnrinde der rechten Gehirnhälfte vermittelt dem Gehirn die räumliche Stellung des Körpers - beispielsweise, wo sich der Fuß gerade befindet. Die Sprachverarbeitung findet hauptsächlich im Broca-Areal und im Wernicke-Areal statt, die sich in der linken Hemisphäre befinden. Das Broca-Areal ist hauptsächlich für die Sprachproduktion verantwortlich, während das Wernicke-Areal für das Sprachverständnis zuständig ist.

Aufmerksamkeit

Bestimmte Aspekte der Aufmerksamkeit sind eher in der rechten Gehirnhälfte lokalisiert. Mit zunehmendem Alter nimmt die Lateralisierung von Aufmerksamkeitsaufgaben ab, sodass sich die für die Aufmerksamkeit zuständigen Gehirnareale zunehmend symmetrischer in beiden Gehirnhälften verteilen.

Mythen und Realität

In der Trainingsbranche existiert der Mythos, das menschliche Gehirn teile sich in eine analytisch-logische linke Gehirnhälfte und eine emotional-kreative rechte Gehirnhälfte auf. Dieses Modell wird gern genutzt, um menschliches Verhalten zu erklären. Doch stimmt diese Annahme überhaupt?

Der Mythos der "linkshirnigen" und "rechtshirnigen" Persönlichkeiten

Häufig wird behauptet, dass es eine analytische, logische, rationale linke Gehirnhälfte und eine emotionale, kreative, künstlerische rechte Gehirnhälfte gibt. Weiter wird angenommen, dass bei Menschen eine Hälfte dominiert, was erklärt, warum einige Personen eher analytisch und andere eher kreativ denken und handeln. Stereotypen wie „IT-Fachmann“ und der „typische Künstler“ werden oft als Beispiele angeführt.

Neurowissenschaftlich betrachtet, ist diese Vorstellung jedoch Unsinn. Simple Testverfahren wie die berühmte Drehfigur einer Tänzerin können nicht zur Bestimmung der Hemisphärendominanz genutzt werden. Sie sagen nichts über die Präferenz eines Menschen aus, entweder emotional-kreativ oder kognitiv-analytisch zu denken.

Lesen Sie auch: Lesen Sie mehr über die neuesten Fortschritte in der Neurowissenschaft.

Die drehende Tänzerin: Eine optische Täuschung

Die drehende Tänzerin ist lediglich eine optische Täuschung in 2D, die von unserem Wahrnehmungsapparat als dreidimensionales Bild interpretiert wird. Durch das unterschiedliche Augenmerk auf Schatten oder Konturen wird eine Drehung in die eine oder andere Richtung vom Gehirn erzeugt. Die wahrgenommene Drehrichtung sagt also nichts darüber aus, ob jemand "mehr links oder rechts denkt".

Die Zusammenarbeit der Gehirnhälften

Das Gehirn arbeitet wie ein großer Computer. Es verarbeitet Sinneseindrücke und Informationen des Körpers und schickt Botschaften in alle Bereiche des Körpers zurück. Das Gehirn nutzt bei unterschiedlichen Aufgabentypen die eine oder andere Hirnregion mehr oder weniger. Im Großen und Ganzen ist das Gehirn aber als interagierendes System zu verstehen.

Emotionale und rationale Kompetenzen spielen fast immer eine zentrale Rolle im Denken und Handeln. In der Weiterbildung können diese beiden Komponenten vereint werden, um den Lernenden besser zu erreichen. Emotionales Storytelling und analytische Studien zur Untermauerung von Aussagen können eine Lösung sein.

Forschungsergebnisse und aktuelle Erkenntnisse

Die Hirnforschung hat in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht. Die Split-Brain-Forschung, bei der der Balken zwischen den Gehirnhälften durchtrennt wurde, hat wichtige Erkenntnisse über die funktionelle Asymmetrie und die Kommunikation zwischen den Gehirnhälften geliefert.

Split-Brain-Studien

Roger Sperry führte in den 1960er und 70er Jahren Experimente mit Epilepsiepatienten durch, bei denen die Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften getrennt wurde. Diese Studien zeigten, dass die linke Hemisphäre bei Sprache und Sprechen Regie führt, während die rechte Hemisphäre bei visuell-motorischen Anforderungen glänzt.

Lesen Sie auch: Tinnitus und Gehirnaktivität: Ein detaillierter Einblick

Die Split-Brain-Forschung hat auch gezeigt, dass die linke Hemisphäre bei anspruchsvollen kognitiven Leistungen, etwa dem Problemlösen, ziemlich dominant ist. Die rechte Hemisphäre hingegen versagt bei verzwickten Problemstellungen.

Der Interpretier-Mechanismus

Die linke Hemisphäre verfügt über einen Interpretier-Mechanismus, der plausible Erklärungen für Verhaltensäußerungen der stummen rechten Hemisphäre erfindet. Dieses Talent kreativen Erzählens beeinflusst auch das Gedächtnis. Die linke Hemisphäre produziert viele falsche Erinnerungen, im Gegensatz zur rechten, die sich viel mehr an die Wahrheit hält.

Vererbung und Umwelt

Studien haben gezeigt, dass individuelle Unterschiede in der Anordnung von Hirnregionen vererbbar sind und somit zum Teil genetisch bedingt. Ein Großteil dieser Asymmetrie im menschlichen Gehirn lässt sich hingegen nicht durch genetische Faktoren erklären. Das könnte wiederum darauf hindeuten, dass der durch die persönliche Erfahrung einer Person, also durch Einflüsse aus ihrer Umwelt, geprägt ist.

Unterschiede zwischen Mensch und Affe

Das Gehirn des Menschen ist asymmetrischer als das von Affen. Die Asymmetrie des menschlichen Gehirns ergibt sich vermutlich aus genetischen Faktoren und solchen, die sich aus persönlichen Erfahrungen ergeben.

Bedeutung für die Praxis

Das Verständnis der Unterschiede zwischen den Gehirnhälften kann in verschiedenen Bereichen von Nutzen sein:

  • Bildung: Berücksichtigung der unterschiedlichen Lernstile und Stärken der Schüler, um den Lernerfolg zu maximieren.
  • Therapie: Entwicklung gezielter Therapieansätze für Menschen mit Hirnschäden oder neurologischen Erkrankungen.
  • Persönlichkeitsentwicklung: Förderung der Zusammenarbeit beider Gehirnhälften, um kreative und analytische Fähigkeiten zu verbessern.

tags: #gehirn #aufbau #rechte #und #linke #seite