Die Behandlung von Depressionen stellt eine große Herausforderung dar, insbesondere bei Patienten, die auf herkömmliche Therapien wie Medikamente und Psychotherapie nicht ansprechen. Für diese Patientengruppe könnte die tiefe Hirnstimulation (THS) eine vielversprechende Therapieoption darstellen. Die Forschung auf diesem Gebiet hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, und es gibt zunehmend Belege für die Wirksamkeit der THS bei schwersten Formen der Depression.
Tiefe Hirnstimulation: Ein Hoffnungsschimmer für therapieresistente Depressionen
Die tiefe Hirnstimulation ist ein Verfahren, bei dem Elektroden in bestimmte Bereiche des Gehirns implantiert werden, um diese durch elektrische Impulse zu stimulieren. Dieses Verfahren wird bereits erfolgreich bei Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson und Tremor eingesetzt. Bei der Behandlung von Depressionen werden die Elektroden in der Regel ins mediale Vorderhirnbündel (slMFB) gesetzt, einem Hirnbereich, der eine zentrale Rolle im Belohnungssystem spielt und bei Depressionen oft dysfunktional ist.
Frühe Studien und Erfolge
Die Neurologin Helen Mayberg führte zwischen 2003 und 2006 eine erste experimentelle Studie zur tiefen Hirnstimulation bei 20 Patienten mit schweren, therapieresistenten Depressionen durch. Die Ergebnisse waren vielversprechend: Bei den meisten Studienteilnehmern verbesserte sich der Zustand deutlich, und mehr als ein Drittel erlebte eine vollständige Remission der Depression. Diese Erfolge wurden als "eine neue Art, Depressionen zu verstehen" gewürdigt.
Freiburg als führendes Zentrum für tiefe Hirnstimulation
Am Universitätsklinikum Freiburg verfügen Prof. Dr. Volker A. Coenen und Prof. Dr. Thomas Schläpfer über die meiste Erfahrung in Deutschland mit der tiefen Hirnstimulation bei Depressionen. Sie haben bereits über 70 solcher Eingriffe durchgeführt. Ihre Forschung hat gezeigt, dass die THS bei vielen Patienten innerhalb weniger Tage zu einer deutlichen Linderung der depressiven Symptome führt, und dass dieser positive Effekt über Jahre anzuhalten scheint.
Wirkungsweise der tiefen Hirnstimulation
Was die Stimulation in den Nervenzellen genau bewirkt, ist noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass sie die Aktivität in verschiedenen Gehirnzentren verändert und pathologische Schwingkreise unterbricht. Die Stimulation des Nucleus accumbens, einem wichtigen Teil des Belohnungssystems, kann beispielsweise die Stoffwechselaktivität in anderen Hirnregionen des limbischen Systems beeinflussen, wo Emotionen verarbeitet werden.
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Klinische Studien und Ergebnisse
Mehrere klinische Studien haben die Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation bei therapieresistenten Depressionen untersucht. Eine Studie der Universitätskliniken Bonn und Köln, bei der Elektroden in den Nucleus accumbens implantiert wurden, zeigte bei der Hälfte der Probanden eine deutliche Verbesserung des Befindens. Auch in Freiburg wurden vielversprechende Ergebnisse erzielt. In der FORSEE-II-Studie erreichten acht von 16 schwerstdepressiven Patienten nach der Stimulation einen MADRS-Wert von unter 10 Punkten und galten damit als nicht depressiv.
Die FORESEE-III-Studie, die seit 2018 am Universitätsklinikum Freiburg durchgeführt wird, soll weitere Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit der THS liefern und den Weg für eine mögliche Zulassung als Standardtherapie ebnen.
Herausforderungen und ethische Aspekte
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse gibt es auch Herausforderungen und ethische Aspekte, die bei der tiefen Hirnstimulation berücksichtigt werden müssen. Die bisher veröffentlichten randomisiert-kontrollierten Studien konnten die Wirksamkeit der THS nicht immer eindeutig belegen. Dies könnte an zu kurzen Nachbeobachtungszeiten oder an der Komplexität der Erkrankung liegen.
Eingriffe ins Gehirn sind grundsätzlich mit Risiken verbunden, und es ist wichtig, die ethischen Faktoren sorgfältig abzuwägen. Bei der Auswahl von Patienten für die THS müssen strenge Kriterien angelegt werden, und es muss sichergestellt werden, dass die Patienten umfassend über die Risiken und Vorteile des Verfahrens aufgeklärt werden.
Alternative Hirnstimulationstechniken
Neben der tiefen Hirnstimulation gibt es auch andere nicht-invasive Hirnstimulationstechniken, die bei Depressionen eingesetzt werden können, wie beispielsweise die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS).
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Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS)
Bei der tDCS wird ein schwacher, konstanter Gleichstrom über Elektroden auf die Kopfhaut aufgetragen, um die Gehirnaktivität im Stirnhirn zu beeinflussen. Studien haben gezeigt, dass die tDCS geringe bis mäßige antidepressive Wirkungen hervorrufen kann. Eine aktuelle Studie, die an mehreren deutschen Kliniken durchgeführt wurde, konnte jedoch keinen Vorteil der aktiven tDCS im Vergleich zur Placebo-Stimulation feststellen.
Repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS)
Die rTMS ist eine weitere nicht-invasive Hirnstimulationstechnik, bei der Magnetimpulse eingesetzt werden, um die Gehirnaktivität zu beeinflussen. Die rTMS ist bereits seit 2010 als Behandlung der therapieresistenten Depression im Erwachsenenalter zugelassen.
Rhythmische Aktivität von Nervenzellen als möglicher Biomarker
Forscher der Charité - Universitätsmedizin Berlin haben mithilfe der tiefen Hirnstimulation charakteristische Aktivitätsmuster in einer bestimmten Gehirnregion bei chronisch depressiven Patienten dokumentieren können. Sie fanden heraus, dass sich auch der Schweregrad einer Depression an der Stärke der rhythmischen Aktivität ablesen lässt. Die Blockierung dieser neuronalen Schwingungen durch die tiefe Hirnstimulation könnte künftig eine Therapieoption bei Patienten mit schwerer Depression sein.
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