Unser Gehirn ist ein erstaunliches Organ, das sich ständig verändert und anpasst. Diese Fähigkeit zur kontinuierlichen Restrukturierung, bekannt als Neuroplastizität, begleitet uns ein Leben lang. Insbesondere das Erlernen des Geigenspiels stellt eine besondere Herausforderung für das Gehirn dar und führt zu faszinierenden Veränderungen.
Neuroplastizität: Das Gehirn im Wandel
Das Gehirn ist ein komplexes Netzwerk aus rund 100 Milliarden Nervenzellen, die miteinander kommunizieren. Beim Lernen werden neue Reize gesetzt, die das neuronale Netz verändern. Es bilden sich neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen, wodurch das Netzwerk dichter und größer wird. Dieser Prozess der Neuroplastizität ermöglicht es uns, uns an neue Situationen anzupassen, uns in unbekannten Umgebungen zu orientieren und komplexe Zusammenhänge zu verstehen.
Nicolas Schuck, Psychologe und Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin, erforscht mit seinem Team, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Gerade beim Geigelernen über Wochen und Monate hinweg, wird die Struktur des Gehirns verändert. Bestimmte Verbindungen zwischen den Nervenzellen und Hirnarealen werden aktiver, besonders diejenigen, die für das Geigespielen notwendig sind.
Die Fähigkeit des Gehirns, sich immer wieder neu zu strukturieren, hilft aber auch, dass wir uns in unbekannten Umgebungen orientieren können und mit neuen Situationen zurechtkommen. Diese Anpassungsleistung hilft uns Menschen bei komplexen Zusammenhängen den Durchblick zu bewahren. Wir können schnell reagieren, abwägen, was neu und wichtig ist und mit bereits gespeicherten Informationen verbinden.
Wenn Nervenzellen sich neu bilden, dann sprechen Forscher von einer Neurogenese. Diese Neubildung der Nervenzellen findet hauptsächlich im Hippocampus statt. Dieser Bereich im Gehirn ist für das Gedächtnis und Lernen zuständig. Ein Hirnareal, das aber auch zur räumlichen Orientierung notwendig ist. Bis ins hohe Alter können sich im Hippocampus Nervenzellen erneuern. Das ist für Menschen von Bedeutung, die aufgrund eines Schlaganfalls viele Dinge neu lernen müssen.
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Geigenspiel als Herausforderung für das Gehirn
Das Erlernen des Geigenspiels beansprucht eine Vielzahl von Hirnregionen gleichzeitig. Hören, Sehen, Denken und motorische Fähigkeiten müssen koordiniert werden, was die neuronalen Verbindungen stärkt und die gesamte Gehirnstruktur positiv beeinflusst.
Kognitive Fähigkeiten
Beim Geigenspiel müssen Kinder Noten lesen, Rhythmen verstehen und präzise Bewegungen ausführen. Dadurch werden wichtige kognitive Prozesse geschult, wie:
- Konzentration und Aufmerksamkeit: Das Geigenspiel erfordert ein hohes Maß an Konzentration und Aufmerksamkeit, um die komplexen Bewegungen und musikalischen Anforderungen zu koordinieren.
- Gedächtnisleistung: Das Auswendiglernen von Musikstücken und das Abrufen von musikalischem Wissen trainiert das Gedächtnis.
- Mathematisches und logisches Denken: Das Verständnis von Rhythmus, Intervallen und Harmonien fördert das mathematische und logische Denken.
Diese Fähigkeiten wirken sich oft auch positiv auf schulische Leistungen in Fächern wie Mathematik und Sprachen aus.
Motorik und Koordination
Die Geige verlangt eine ausgefeilte Feinmotorik: Die linke Hand greift Töne auf den Saiten, während die rechte den Bogen führt. Diese komplexe Koordination verbessert die beidseitige Gehirnaktivität und stärkt die Verbindung zwischen Körper und Geist - ähnlich wie beim Erlernen einer neuen Sprache.
Emotionale Intelligenz und Selbstbewusstsein
Geigenspielen ist auch ein emotionaler Ausdruck. Kinder lernen, Gefühle durch Musik zu verarbeiten und zu kommunizieren. Das fördert Empathie, emotionale Intelligenz und hilft beim Aufbau von Selbstvertrauen - besonders, wenn sie vor Publikum auftreten.
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Geduld, Ausdauer, Disziplin und Frustrationstoleranz
Das Erlernen der Geige erfordert regelmäßiges Üben. Dabei lernen Kinder, dranzubleiben, Frustration zu überwinden und Erfolge durch eigene Anstrengung zu erreichen - eine wertvolle Lebenslektion.
Soziale Kompetenzen durch gemeinsames Musizieren
Ob im Orchester oder bei der Kammermusik: Geigenspielen ist oft Teamarbeit. Kinder entwickeln dabei wichtige soziale Fähigkeiten wie Zuhören, Abstimmen und Verantwortung übernehmen.
Hyperscanning: Ein Blick in interagierende Gehirne
Die Neurowissenschaften haben in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere durch die Entwicklung von Hyperscanning-Techniken. Diese ermöglichen es, die Gehirnaktivität mehrerer Personen gleichzeitig zu messen, während sie miteinander interagieren. Dies eröffnet neue Perspektiven auf die neuronalen Grundlagen von Kommunikation, Zusammenarbeit und Empathie.
Was ist Hyperscanning?
Lange Zeit war die Hirnforschung lediglich auf das einzelne Gehirn fokussiert. Eine Person liegt im MRT-Scanner oder hat eine EEG-Haube auf dem Kopf, schaut auf einen Bildschirm oder löst eine Aufgabe - so die klassische Versuchssituation. Unser Leben funktioniert so allerdings nur selten: Wir sprechen, musizieren, lachen oder lernen gemeinsam mit anderen Menschen. Wir interagieren miteinander. Der Ansatz des Hyperscannings ist, die Aktivität mehrerer Gehirne gleichzeitig zu messen, während Menschen direkt miteinander interagieren oder das gleiche zusammen erleben. Es geht also nicht mehr nur darum, was in einer Person passiert, sondern darum, was gleichzeitig in beiden Personen oder zwischen Ihnen vor sich geht. Forschende sprechen deshalb oft von einem Schritt „vom Einzelgehirn zum Zwischenraum“. Dies geht über ähnliche Aktivität durch das Wahrnehmen des gleichen Reizes hinaus und erlaubt die Untersuchung funktioneller Kopplung zwischen Hirnen und der Korrelation von Aktivierungsmustern. Zwei Menschen können denselben Film schauen und dadurch ähnliche Hirnaktivierungen zeigen. Doch erst, wenn sie miteinander interagieren, wird sichtbar, wie ihre Hirne dies ermöglichen. Das Ziel ist also nicht nur das gleichzeitige Messen, sondern auch die funktionelle Kopplung zwischen Personen zu untersuchen und somit, wie ihre neuronalen Prozesse während sozialer Interaktion aufeinander abgestimmt sind.
Messmethoden im Hyperscanning
Für Hyperscanning-Studien werden verschiedene Methoden eingesetzt, darunter:
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- Elektroenzephalographie (EEG): Das EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns über Elektroden auf der Kopfhaut. Es ist besonders gut geeignet, um die feinen Rhythmen der Hirnwellen in sozialer Interaktion zu untersuchen.
- Funktionelle Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS): fNIRS nutzt Licht, um Veränderungen des Sauerstoffgehalts im Blut zu messen. Es ist tragbar und erlaubt natürlichere Interaktionen als das MRT.
- Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT): Das fMRT liefert detailreichere Bilder des Gehirns und zeigt, wo Aktivierungen stattfinden. Es ist jedoch weniger alltagsnah als EEG und fNIRS.
Erkenntnisse aus der Hyperscanning-Forschung
Hyperscanning-Studien haben gezeigt, dass sich die Gehirnaktivität von Menschen angleicht, wenn sie miteinander interagieren. In Gesprächen ähneln sich die Aktivitätsmuster von Sprecher und Zuhörer, besonders wenn sie sich gut verstehen. Beim gemeinsamen Musizieren synchronisieren sich bestimmte Gehirnfrequenzen. Auch in Klassenzimmern synchronisieren sich die Gehirne von Lehrern und Schülern, wenn die Aufmerksamkeit und das Engagement hoch sind.
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Denken, Fühlen und Verstehen keine isolierten Vorgänge innerhalb der einzelnen Personen sind. Wenn wir miteinander reden, mitfühlen oder Musik machen, entsteht so etwas wie ein gemeinsamer neuronaler Raum.
Profi vs. Amateur: Unterschiede in der Gehirnaktivität
Eine Studie des Instituts für Medizinische Psychologie der Universität Tübingen untersuchte die Gehirnaktivität von Profi-Geigern und Hobby-Violinisten während des Spielens des Violinkonzerts in G-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart (KV 216). Dabei zeigte sich, dass bei den Amateuren viele Gehirnregionen aktiv waren während des Geigenspiels. Zweitens auf die primäre akustische Hörrinde. Hier hat sich durch das jahrzehntelange Üben mit dem Instrument eine feste Verarbeitungsschleife gebildet, die automatisch beim Fingerspiel - auch ohne tatsächlich hörbare Musik - ein inneres Mithören aktiviert. Auch bei dem nur vorgestellten Spielen des Konzerts zeigen Amateure die für sie charakteristische unökonomisch weit verteilte Gehirn-Aktivierung im Gegensatz zu den Profis. Allerdings waren bei den Berufsmusikern die vorher beobachteten festen Verarbeitungsschleifen dann nicht aktiv. Dieser Weg ist wohl dem ausgeführten Spielen vorbehalten.
Im fMRT hingegen zeigten sie viel ökonomischere Aktivierungen des Gehirns. Diese verteilen sich nicht so stark wie bei den Amateuren über eine Vielzahl von Gehirnregionen, sondern konzentrieren sich vor allem auf drei Regionen: Erstens auf das kontralaterale primäre motorische Zentrum, das die präzise Bewegung steuert, zweitens auf die primäre akustische Hörrinde. Hier hat sich durch das jahrzehntelange Üben mit dem Instrument eine feste Verarbeitungsschleife gebildet, die automatisch beim Fingerspiel - auch ohne tatsächlich hörbare Musik - ein inneres Mithören aktiviert. Und drittens auf übergeordnete Areale im oberen Parietallappen, die motorische Bewegungsprogramme und sensorisches Feedback integrieren. Die gesteigerte Aktivität sowohl der taktilen als auch der auditiven Komponenten spiegeln eine bereits aus der Musikerforschung aufgezeigte verbesserte sensorische Kontrolle der Fingerbewegungen bei Profimusikern wider. Auch beim vorgestellten Spiel des Musikstückes zeigen Amateurmusiker die für sie charakteristische unökonomische weit verteilte Gehirnaktivierung im Gegensatz zu den Profis.
Musik als Jungbrunnen für das Gehirn
Studien haben gezeigt, dass Musizieren, insbesondere das Spielen eines Instruments wie der Geige, positive Auswirkungen auf das Gehirn in jedem Alter hat. Es fördert die kognitiven Fähigkeiten, verbessert das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Problemlösungsfähigkeiten. Musizieren kann auch die soziale Kompetenz, die emotionale Intelligenz und das Selbstvertrauen stärken.
Für ältere Menschen ist Musizieren wie ein Jungbrunnen. Die kognitiven, feinmotorischen und mentalen Anforderungen sind ein Krafttraining für das Gehirn und sorgen dafür, dass es langsamer altert. Das Erlernen eines Instruments ist keine Frage des Alters, sondern der Motivation. Es zwingt uns, genau hinzuhören, zu fühlen und ganz bei sich im Hier und Jetzt zu sein. Mit diesen Mußestunden baut man Stress ab und wird durch Erfolgserlebnisse aufgemuntert.
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