Eine Gehirnoperation, insbesondere die Öffnung des Schädeldachs (Kraniotomie oder Kraniektomie), ist ein komplexer Eingriff, der mit spezifischen Risiken verbunden ist. Dieser Artikel beleuchtet die potenziellen Gefahren und stellt neue neurochirurgische Therapieansätze vor, insbesondere im Kontext von Hirnblutungen und erhöhtem Hirndruck.
Was ist eine Kraniotomie/Kraniektomie?
Die Kraniotomie bezeichnet die operative Öffnung des knöchernen Schädels durch den Neurochirurgen, um Zugang zum Gehirn zu erhalten. Dabei wird eine Knochenplatte aus dem Schädel entfernt. Es gibt zwei Methoden zum Verschluss des entstandenen Lochs:
- Osteoklastische Kraniotomie: Das Knochenstück wird nicht wieder eingesetzt; das Loch wird lediglich mit der Kopfschwarte und Kopfhaut verschlossen. Diese Methode wird oft bei erhöhtem Hirndruck angewandt.
- Osteoplastische Kraniotomie: Das Knochenstück wird wieder eingesetzt und verwächst nach einigen Monaten mit dem umgebenden Knochen.
Im Gegensatz dazu wird bei einer Kraniektomie der Knochen nicht wieder eingesetzt, sondern kryokonserviert oder unter der Bauchdecke platziert, um dem Gehirn bei Schwellungen Raum zu geben.
Wann ist eine Kraniotomie notwendig?
Nahezu alle neurochirurgischen Operationen am Gehirn oder an den Hirnhäuten erfordern die Eröffnung des Schädels. Die Kraniotomie kann bei der operativen Therapie folgender Erkrankungen eingesetzt werden:
- Hirntumore
- Hirnblutungen
- Gesteigerter Hirndruck (Entlastungskraniotomie)
- Gewinnung von Gewebeproben
- Aussackungen von Hirnarterien (Aneurysmata)
- Hirnareale, die eine Epilepsie verursachen
- Hirnabszesse
Der Ablauf einer Kraniotomie
- Vorbereitung: Der Patient wird in Narkose versetzt. In einigen Fällen ist der Patient während der Operation wach, um neurologische Tests durchzuführen. Der Kopf wird mit einem Gestell fixiert, die Kopfbehaarung an der Operationsstelle rasiert und die Kopfhaut desinfiziert.
- Operation: Der Chirurg löst die Kopfhaut und die Kopfschwarte vom Knochen und klappt sie zur Seite. Mit einer Knochensäge wird eine Knochenplatte aus dem Schädel gesägt. Die Größe der Platte hängt von der Erkrankung ab.
- Eingriff am Gehirn: Der Chirurg hat nun Zugang zum Gehirn und kann die Operation durchführen (z. B. Entfernung eines Tumors).
- Verschluss: Nach dem Eingriff wird die Öffnung in der Schädeldecke entweder mit der osteoklastischen oder der osteoplastischen Methode verschlossen.
- Nach der Operation: Der Patient wird auf der Intensivstation überwacht, um das Risiko von Nachblutungen oder Hirnschwellungen zu minimieren.
Risiken einer Kraniotomie
Wie bei jedem chirurgischen Eingriff kann es im Einzelfall zu Komplikationen kommen. Mögliche Risiken sind:
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- Blutung und Bluterguss, eventuell mit operativer Entfernung
- Bildung von Blutgerinnseln
- Infektion
- Wundheilungsstörung
- Kosmetisch unbefriedigende Narbenbildung
- Narkosezwischenfälle
Besondere Risiken einer Eröffnung des Schädels und Operation am Gehirn können sein:
- Verletzung von gesundem Hirngewebe
- Anfallsleiden
- Austritt von Hirnflüssigkeit (Liquor)
- Gedächtnisstörungen
- Koordinations- oder Gleichgewichtsstörungen
- Lähmungen
- Schwierigkeiten beim Sprechen
- Ansammlung von Luft in der Schädelhöhle (Pneumocephalus)
- Koma
Einige Komplikationen können auch erst einige Zeit nach der Operation auftreten, weil sie erst durch Vernarbungen im Gehirn entstehen.
Was ist nach einer Kraniotomie zu beachten?
Der Verband wird in der Regel am dritten Tag nach dem Eingriff geöffnet. Die Klammern oder Nähte werden meist zehn Tage nach der Operation entfernt. Die Wunde sollte trocken gehalten und nicht gekratzt werden. Haare waschen sollten Sie erst 48 Stunden nachdem die Klammern oder Nähte entfernt wurden. Das Färben der Haare ist erst nach drei bis vier Wochen möglich.
Da es nach einer Kraniotomie zu epileptischen Anfällen kommen kann, gelten Sie als nicht fahrtauglich und dürfen erst drei Monate nach der Operation wieder Auto fahren.
Ob und wann Sie nach einer Kraniotomie Sport treiben können, hängt von der Grunderkrankung und dem Heilungsprozess ab. Grundsätzlich sollten Sie starke körperliche Belastung vermeiden; leichte sportliche Aktivitäten sind erlaubt.
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Neue Therapieansätze bei Hirnblutungen: Die SWITCH-Studie
Eine aktuelle Studie, die sogenannte SWITCH-Studie, liefert Hinweise auf einen wirksamen neurochirurgischen Ansatz bei tiefen Hirnblutungen. Die Studie untersuchte die Wirkung einer Kraniektomie zur Druckentlastung bei Patienten mit schwerem, tiefliegendem hämorrhagischem Schlaganfall.
Hintergrund: Blutungen in tief liegenden Regionen des Gehirns sind besonders gefährlich und führen oft zu schweren Behinderungen, Pflegebedürftigkeit und hoher Sterblichkeit. Die Behandlungsmöglichkeiten sind derzeit begrenzt.
Methode: In der SWITCH-Studie wurde ein Teil der Schädeldecke entfernt, um den Druck im Gehirn zu mindern. Nach Rückgang der Schwellung wurde der Knochen wieder implantiert.
Ergebnisse: Die Studie zeigte, dass ein Öffnen der Schädeldecke und damit eine Druckminderung im Gehirn zu weniger schweren Verläufen führt. Ein halbes Jahr nach dem Eingriff wurden 44 Prozent der Patient*innen nach Kombinationstherapie den schlechtesten Stufen 5-6 zugeordnet, ohne neurochirurgischen Eingriff waren es 58 Prozent.
Bedeutung: Die SWITCH-Studie liefert erstmals starke Hinweise für einen wirksamen Therapieansatz beim tiefen hämorrhagischen Schlaganfall.
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Dekompressive Kraniektomie bei erhöhtem Hirndruck
Eine dekompressive Kraniektomie (Entlastungstrepanation) wird durchgeführt, wenn es zu Platzproblemen für das Gehirn durch den unnachgiebigen Knochen kommt. Ursachen für eine Anschwellung des Gehirns können sein:
- Schweres Schädel-Hirn-Trauma (führt zu einem Hirnödem)
- Maligner Mediainfarkt (großflächiger Infarkt im Bereich des Großhirns)
- Hirnblutungen
- Hydrocephalus (Aufstau von Hirnwasser)
- Subarachnoidalblutungen
- Entzündungen (Meningitis, Enzephalitis)
- Hirnvenen- oder Sinusthrombosen
Ablauf der dekompressiven Kraniektomie:
- Der Kopf wird seitlich gelagert und in einer Halterung fixiert.
- Nach Haarrasur, sterilem Abwaschen und Abdecken des OP-Gebietes wird ein großer Hautmuskellappen präpariert.
- Über das Setzen von Bohrlöchern wird ein großes Knochenstück ausgesägt.
- Die harte Hirnhaut (Dura) wird eingeschnitten und erweitert.
Nach der Operation:
- Behandlung auf einer Intensivstation
- Überwachung des Hirndrucks
- Lagerung unter Berücksichtigung des fehlenden Knochens
Nach einiger Zeit nimmt die Schwellung ab, und der Knochen kann in einer späteren Operation wieder eingesetzt werden (Kranioplastie).
Die Kranioplastie: Wiederherstellung der Schädeldecke
Bei der Kranioplastie wird der kryokonservierte Knochen oder ein individuell angefertigtes Implantat aus Titan oder PEEK wieder eingesetzt. Dies geschieht in einem geplanten Eingriff, bei dem der Knochen oder das Implantat mit Schrauben und Miniplättchen am Schädelknochen fixiert wird.
Komplikationen der Kranioplastie:
- Nachblutung
- Wundheilungsstörung
- Sinking Skin Flap Syndrom (SSFS)
- Krampfanfälle
- Hydrocephalus
- Infektionen
Wach-OPs zur Minimierung von Risiken
Eine besondere Form der Hirnoperation ist die Wach-OP. Hierbei ist der Patient während des Eingriffs bei vollem Bewusstsein, sodass die Neurochirurgen testen können, ob wichtige Hirnareale (z. B. Sprachzentrum, motorisches Zentrum) beeinträchtigt werden. Dies ermöglicht es, das Risiko von Verletzungen dieser Areale zu minimieren.
Ablauf einer Wach-OP:
- Der Patient wird zunächst in Narkose versetzt, bis die Hirnoberfläche freigelegt ist.
- Der Patient wird behutsam aus der Narkose aufgeweckt und beruhigt.
- Durch lokale Betäubung werden Schmerzen vermieden.
- Der Patient löst kleine Aufgaben (z. B. Bilder beschreiben, Rechenaufgaben), um die Funktion wichtiger Hirnareale zu überwachen.
- Der Neurochirurg arbeitet sich Millimeter für Millimeter zum Tumor vor und testet mittels elektrischer Impulse, an welchen Stellen ein unschädliches Vordringen möglich ist.
Hirntumor-Operationen: Ziele und Vorgehensweise
Die operative Entfernung von Hirntumoren ist ein weiterer Bereich, in dem Kraniotomien häufig eingesetzt werden.
Ziele der Operation:
- Vollständige oder weitestgehende Entfernung der Geschwulst unter optimaler Erhaltung der Hirnfunktionen
- Gewinnung einer möglichst großen Tumorprobe für die feingewebliche Untersuchung
Ablauf der Operation:
- Individuelle Planung und Vorbereitung der Operation und Narkose
- Abklärung weiterer Erkrankungen und Tumoren anderer Körperregionen
- Anfertigung hochauflösender Bilder zur Navigation während der Operation
- Am Operationstag Beginn des Hirneingriffs am Morgen
- Bei hirneigenen Tumoren Gabe von Gliolan-Saft, der zu einem fluoreszierenden Aufleuchten des Tumors unter Blaulichtbeleuchtung führt
- Nach der Operation Ausleitung der Narkose im Aufwachbereich oder auf der Intensivstation und 24-stündige Beobachtung
- Bei Auffälligkeiten Durchführung einer Computertomographie
- Bei Gliomen Durchführung einer Magnetresonanztomographie innerhalb von 48 Stunden, um Tumorreste auszuschließen oder für die Nachbehandlung zu erfassen
Komplikationen bei Hirntumor-Operationen:
- Hirnschwellung
- Blutung
- Infarkt
- Funktionsstörungen des Hirns (z. B. Wachheitsstörungen, Persönlichkeitsveränderungen, Lähmungen, Störungen von Sinneswahrnehmungen, epileptische Anfälle)
Aneurysma-Operationen: Clipping und Coiling
Auch bei der Behandlung von Hirnaneurysmen kommen Kraniotomien zum Einsatz. Ein Aneurysma ist eine Aussackung eines Blutgefäßes im Gehirn, die platzen und zu einer Hirnblutung führen kann.
Behandlungsmöglichkeiten:
- Clipping: Der Neurochirurg öffnet den Schädel und klemmt das Aneurysma mit einem Metall-Clip vom Blutgefäß ab.
- Coiling: Über einen Katheter, der in die Leistenarterie eingeführt wird, werden kleine Platin-Spiralen (coils) im Aneurysma platziert, um das Blut darin zu gerinnen. Manchmal werden zusätzlich Stents eingesetzt, um das Blut am Aneurysma vorbeizulenken.
Risiken:
Beide Verfahren bergen Risiken wie Blutungen, Gehirnschäden und Komplikationen durch den Eingriff selbst.
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