Die Funktion des Schläfenlappens im Gehirn: Eine umfassende Betrachtung

Das menschliche Gehirn, die Steuerzentrale unseres Körpers, besteht aus verschiedenen Arealen, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen. Der Schläfenlappen (Lobus temporalis), nach dem Frontallappen der zweitgrößte der vier Hirnlappen, spielt eine entscheidende Rolle bei einer Vielzahl kognitiver Prozesse. Dieser Artikel beleuchtet die anatomische Struktur, die vielfältigen Funktionen und die klinische Bedeutung des Schläfenlappens.

Anatomie des Schläfenlappens

Der Schläfenlappen befindet sich seitlich im Gehirn, knapp vor und direkt über den Ohren. Er erstreckt sich zum Hinterhaupt und zum Scheitel hin, wobei die Grenzen zu Parietal- und Okzipitallappen fließend sind. Vom Frontallappen ist er durch eine tiefe Furche, die Fissura lateralis, getrennt, in deren Tiefe die Insula liegt. Die beiden Schläfenlappen umrahmen den Hirnstamm.

Mikroskopische Struktur

Unter dem Mikroskop betrachtet, zeigt der Temporallappen neben Zentren mit dem typischen Sechsschichten-Aufbau des Neocortex auch zahlreiche allocorticale Zentren, also "andersgeschichtete", nicht-sechsschichtige Cortices. Zudem beherbergt der Schläfenlappen die Amygdala, die aus schichtartigen und ungeschichteten Ansammlungen von Nervenzellen besteht.

Blutversorgung

Die Arteria cerebri posterior versorgt unter anderem den unteren und hinteren Bereich des Temporallappens mit sauerstoffreichem Blut, während die seitlichen, weiter vorne liegenden Anteile von Ästen der Arteria cerebri media versorgt werden. Das sauerstoffarme Blut sammelt sich in den venösen Gefäßleitern Sinus cavernosus und Sinus transversus.

Funktionen des Schläfenlappens

Der Schläfenlappen ist ein anatomisch und funktional abwechslungsreicher Hirnteil, der für verschiedene kognitive Prozesse unerlässlich ist.

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Hören

Die vielleicht bekannteste Funktion des Temporallappens ist das Hören. Das primäre Hörzentrum, die Heschl’schen Querwindungen, liegt in der tiefen Fissura lateralis und empfängt Signale von den Sinneszellen in der Cochlea des Ohrs. Nachgeschaltete sekundäre und tertiäre auditorische Zentren in der oberen und mittleren Windung des Temporallappens verarbeiten die Informationen weiter. Sprache und Musik erfordern einen hohen "Rechenaufwand" und nehmen daher fast die gesamte kortikale Fläche des Temporallappens ein, die man in der Seitenansicht sehen kann.

Sprachverarbeitung

Am Übergang zum Hinterhauptlappen "überschneiden" sich auditorische und visuelle Funktionen, was zur Erkennung geschriebener und gesprochener Worte beiträgt. Das sensorische Wernicke-Sprachzentrum, das sich meist in der linken Hemisphäre befindet, ist für das Sprachverständnis zuständig. Eine Schädigung dieses Areals führt zu einer sensorischen Aphasie, einer Störung des Wortverständnisses.

Gedächtnis

Der Temporallappen spielt eine wichtige Rolle für das Gedächtnis. Allocorticale Rindenfelder, die zum limbischen System gehören, sind an diesen Funktionen beteiligt. Der Gyrus parahippocampalis enthält den entorhinalen Cortex, eine Art "Schnittstelle" zwischen aktuellen Erlebnissen und dem System der Erinnerung. Die Hippocampusformation ist sowohl für das "Einlesen" neuer Gedächtnisinhalte als auch für den Abruf bereits vorhandener Erinnerungen zuständig. Erinnerungen ermöglichen uns die Orientierung im Alltag.

Visuelle Verarbeitung

Die Isocortices auf der hinteren Unterfläche des Temporallappens bilden wichtige Schnittstellen zwischen dem visuellen System und dem Gedächtnis. Im Gyrus fusiformis wurden Zentren gefunden, die mit der (Wieder-)Erkennung von Gesichtern zu tun haben.

Geruch

Auf der Innenfläche des Temporallappens, knapp hinter seinem stumpfen Vorderpol, liegt der Uncus, an dessen allocorticalen Oberfläche die Riechbahn endet.

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Emotionen

Die Amygdala, der Mandelkern, liegt unter den Riechrinden und gehört funktional zum limbischen System. Sie ist für die affektive Einfärbung unseres Erlebens zuständig. Der Gyrus cinguli spielt eine Rolle bei der Entwicklung des bewussten emotionalen Erlebens.

Klinische Bedeutung des Schläfenlappens

Schädigungen des Temporallappens können zu verschiedenen neurologischen und psychischen Störungen führen.

Phonagnosie

Eine Schädigung bestimmter Bereiche des rechten hinteren Schläfenlappens kann zu einer Phonagnosie führen, der Unfähigkeit, Stimmen wiederzuerkennen. Betroffene können selbst die Stimmen ihrer engsten Angehörigen nicht identifizieren.

Temporallappenepilepsie

Die Temporallappenepilepsie ist eine Form der Epilepsie, bei der die Anfälle im Temporallappen entstehen. Diese Anfälle können durch verschiedene sensorische Erlebnisse gekennzeichnet sein, darunter ungewöhnliche Gerüche oder Geschmäcker, Halluzinationen oder Rückblenden zu Erinnerungen oder Emotionen. In schweren Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um den Bereich des Temporallappens zu entfernen, der die Anfälle verursacht.

Aphasie

Eine Schädigung des Wernicke-Sprachzentrums im Temporallappen kann zu einer Wernicke-Aphasie führen, bei der das Sprachverständnis beeinträchtigt ist. Betroffene haben Schwierigkeiten zu verstehen, was andere Menschen sagen, und können selbst keine sinnvollen Sätze bilden.

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Gedächtnisstörungen

Schädigungen des medialen Temporallappens, einschließlich des Hippocampus, können zu Gedächtnisstörungen führen. Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit, die den medialen Temporallappen betreffen, führen oft zu signifikanten Veränderungen in der Hirnstruktur und -funktion.

Morbus Pick

Morbus Pick ist eine degenerative Hirnerkrankung, bei der der Temporallappen schrumpft. Dies kann zu Veränderungen der Persönlichkeit, des Verhaltens und der Sprache führen.

Hirntumoren

Hirntumoren im Temporallappen können zu einer Vielzahl von Symptomen führen, darunter Hör- und Sprachstörungen, Gedächtnisstörungen und epileptische Anfälle.

Vorbeugung und Behandlung von Erkrankungen des Schläfenlappens

Vorbeugung und Früherkennung sind Schlüsselfaktoren beim Umgang mit Temporallappenerkrankungen. Eine gesunde Ernährung, regelmäßige körperliche Übungen und ausreichender Schlaf können die Gesundheit des Temporallappens unterstützen. Die Behandlung von Temporallappenerkrankungen hängt von der Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung ab und kann Medikamente, Operationen oder andere Therapien umfassen.

Die Plastizität des Gehirns

Es ist wichtig zu beachten, dass das Gehirn eine bemerkenswerte Plastizität aufweist. Angeborene Schäden oder Schäden, die in der Kindheit aufgetreten sind, können oft kompensiert werden, da das kindliche Gehirn sich anpassen und neue Verbindungen bilden kann.

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