Heterotopie des Gehirns: Ursachen, Diagnose und Behandlungsansätze

Die Heterotopie des Gehirns ist eine Entwicklungsstörung, bei der Nervenzellen (Neuronen) während der Gehirnentwicklung nicht richtig an ihren vorgesehenen Platz wandern. Dies kann zu einer Vielzahl von neurologischen Problemen führen, darunter Epilepsie, Entwicklungsverzögerungen und geistige Behinderung.

Was ist Heterotopie?

Unter Heterotopie versteht man in der Medizin die Bildung von Gewebe oder Zellen an atypischen Stellen. Dies kann auch im Gehirn auftreten, wenn sich während der Entwicklung des ungeborenen Kindes in der Schwangerschaft Nervenzellen nicht richtig anordnen können. Heterotopie ist eine Erbkrankheit, bei der die Wanderung von Neuronen während der Gehirnentwicklung gestört ist. Dadurch ist die äußerste Schicht des Gehirns, der Kortex, deformiert.

Formen der Heterotopie

Es werden 3 unterschiedliche Formen unterschieden.

  • Periventrikuläre Heterotopie: Die häufigste Form, bei der sich Nervenzellen in der Nähe der Hirnventrikel ansammeln.
  • Subkortikale Heterotopie: Nervenzellen bilden Bänder oder Knoten unterhalb der Hirnrinde (Kortex). Bei dieser Form erstreckt sich heterotope graue Substanz kontinuierlich, in dünnen unregelmäßigen Bändern subkortikaler Heterotopie beidseits sowohl ins Frontal- als auch ins Parietalhirn sowie nach hinten in den Okzipitallappen. Die Bänder sind in ihrem Mittelteil am dünnsten. Nach unten nähern sie sich den Ventrikeln an und scheinen mit periventrikulärem heterotopen Gewebe in Verbindung zu stehen.
  • Noduläre Heterotopie: Ansammlungen von Nervenzellen bilden Knoten in verschiedenen Bereichen des Gehirns. Subkortikal oder subependymal gelegene, periventrikuläre noduläre Heterotopien sind ein morphologisches Korrelat pharmakoresistenter Epilepsien, das einer epilepsiechirurgischen Resektion in aller Regel nicht zugänglich ist.

Ursachen von Heterotopie

Die Ursachen für Heterotopien im Gehirn werden zur Zeit untersucht. Die Ursachen dieser Erkrankung sind noch weitgehend unbekannt und entsprechende Therapien fehlen. Die Ursache dieser Fehlentwicklung wird mit einer Vielzahl an genetischen, vaskulären und umweltbedingten Störungen assoziiert. Spezifische Formen bilateraler periventrikulärer und subkortikaler Heterotopie scheinen auf Mutationen zurückzugehen.

Genetische Faktoren

Mutationen in Genen, die für die neuronale Migration wichtig sind, können zu Heterotopie führen.

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Umweltfaktoren

Bestimmte Umweltfaktoren, wie z. B. Infektionen während der Schwangerschaft, können ebenfalls das Risiko für Heterotopie erhöhen.

Symptome von Heterotopie

Die Symptome von Heterotopie können je nach Lage und Ausdehnung der fehlplatzierten Nervenzellen variieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Epilepsie: Betroffene leiden häufig an Epilepsie. Die Kortex-Dysgenesie gilt als eine wichtige Ursache der therapierefraktären Epilepsie.
  • Entwicklungsverzögerungen: Die Patienten mit Heterotopie zeigen ein breites Spektrum an neurologischen Symptomen von myoklonalen Störungen, Epilepsie bis zur Intelligenzminderung.
  • Geistige Behinderung
  • Lernschwierigkeiten
  • Neurologische Beeinträchtigungen
  • Psychomotorische Entwicklungsstörungen

Einzelfallbeispiele

Ein 24-jähriger Mann ohne erwähnenswerte Eigen- oder Familienanamnese hatte seit dem 19. Lebensjahr einfach-partielle Anfälle. Sie beinhalteten entweder Bewusstseinstrübung oder aufblitzende Sternformen im oberen Gesichtsfeld, die nie gemeinsam auftraten. Dann zeigten sich zwei unterschiedliche Typen komplex-partieller Anfälle mit oder ohne Aura. Der eine Typ bestand in Bewusstseinsstörung, Blässe und Reiben der Hände, der andere in somatischen Sensationen, Bewusstseinsstörung, dem Greifen nach nahestehenden Personen und unzusammenhängenden Äußerungen.

Ein 42-jähriger Mann wurde im Notfallzentrum zur Abklärung eines im Schlaf aufgetretenen, zerebralen Krampfanfalls vorgestellt. In der computertomographischen Bilddarstellung des Schädels (nativ, CT-Angiographie) zeigten sich keine pathologischen Auffälligkeiten. In der T1-gewichteten Sequenz der Magnetresonanztomographie (MRT) konnten periventrikulär Heterotopien der grauen Substanz dargestellt werden. Es handelt sich um angeborene Veränderungen der grauen Substanz, die sich erst später im Leben durch epileptische Anfälle manifestieren können. Umfang und Lokalisation der Heterotopie bedingen den Grad der klinischen Ausprägung, der vom asymptomatischen Zufallsbefund bis zu nicht therapeutisch beeinflussbarer Epilepsie und/oder mentaler Retardierung reicht.

Diagnose von Heterotopie

Die Diagnose von Heterotopie erfolgt in der Regel durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns. Die MRT kann die fehlplatzierten Nervenzellen sichtbar machen. Die vorliegende periventrikuläre subependymale Heteropie ist die häufigste Malformation der kortikalen Entwicklung im Erwachsenenalter und Ursache zerebraler Krampfanfälle. Diese seltene Störung der neuronalen Migration sollte differenzialdiagnostisch auch beim Erwachsenen berücksichtigt werden. Sie kann nur mittels MRT-Untersuchung ausgeschlossen werden.

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Zusätzliche diagnostische Maßnahmen

  • Elektroenzephalogramm (EEG): Um die elektrische Aktivität des Gehirns zu untersuchen und epileptische Anfälle zu erkennen.
  • Neurologische Untersuchung: Um die neurologische Funktion des Patienten zu beurteilen.
  • Genetische Tests: Um Mutationen in Genen zu identifizieren, die mit Heterotopie in Verbindung stehen.

Behandlung von Heterotopie

Die Behandlung von Heterotopie zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Da die Ursachen der Erkrankung noch weitgehend unbekannt sind, gibt es keine Heilung für Heterotopie.

Medikamentöse Therapie

  • Antiepileptika: Zur Kontrolle von epileptischen Anfällen. Ein Forscherteam konnte zeigen, dass die Überaktivität der Nervenzellen mittels des antiepileptischen Wirkstoffs Lamotrigin rückgängig gemacht werden konnte.
  • Andere Medikamente: Zur Behandlung von Begleitsymptomen wie Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensproblemen.

Chirurgische Therapie

In einigen Fällen kann eine Operation erforderlich sein, um die fehlplatzierten Nervenzellen zu entfernen oder zu isolieren. Subkortikal oder subependymal gelegene, periventrikuläre noduläre Heterotopien sind ein morphologisches Korrelat pharmakoresistenter Epilepsien, das einer epilepsiechirurgischen Resektion in aller Regel nicht zugänglich ist.

  • Stereotaktische Thermoablation: Die stereotaktische Thermoablation stellt in dieser Situation eine effektive Behandlungsmöglichkeit mit geringem Risiko interventionsassoziierter Defizite dar. Vorausgehen muss eine bildgebende und elektrophysiologische Diagnostik einschließlich Ableitung mit Tiefenelektroden, um die Epileptogenizität der Heterotopie zu belegen.

Weitere unterstützende Maßnahmen

  • Physiotherapie: Um die motorischen Fähigkeiten zu verbessern.
  • Ergotherapie: Um die Alltagsfähigkeiten zu verbessern.
  • Logopädie: Um die Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern.
  • Psychologische Beratung: Um den Patienten und seine Familie bei der Bewältigung der Erkrankung zu unterstützen.

Forschung zu Heterotopie

Die Forschung zu Heterotopie ist aktiv und zielt darauf ab, die Ursachen der Erkrankung besser zu verstehen und neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Gehirn-Organoide

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPI) konnten im Labor diese Entwicklungsstörung nachbilden, die zu geistiger Behinderung und Epilepsie führen kann. Sie verwendeten dazu sogenannte Gehirn-Organoide, bei denen sich menschliche Zellen in der Petrischale zu hirnähnlichen Strukturen formieren. Sie beobachteten, dass sich die in den Organoiden enthaltenen Zellen von Patienten in Aussehen und Wanderverhalten von denen Gesunder unterschieden. Insbesondere haben die Forscher einen kompletten Satz molekularer Signaturen entdeckt, der für die krankhaft veränderten Zellen spezifisch ist. Dadurch erhielten sie wertvolle Ansätze und Ideen für Therapiemöglichkeiten. Die Forschungsgruppe von Silvia Cappello am Max-Planck-Institut setzte in enger Zusammenarbeit mit anderen Forschern, vor allem mit dem Labor von Barbara Treutlein am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Gehirn-Organoide ein, um entwicklungsbedingte Fehlfunktionen des Gehirns nachzubilden. Diese Modelle für Gehirnentwicklung haben die Neurowissenschaften revolutioniert, da sie sehr realitätsnah nachstellen, wie sich Neuronen entwickeln. Während der Reifung des menschlichen Gehirns wachsen und verbinden sich neue Zellen in einer ganz bestimmten Reihenfolge. Die Gehirn-Organoide dieser Studie wurden aus Hautzellen von Patienten entwickelt. Forschungsleiterin Silvia Cappello erklärt: „Wir haben die Hautzellen in induzierte pluripotente Stammzellen umprogrammiert. Mit diesen Stammzellen können wir Hirnzellen erzeugen, die sich zu vielen verschiedenen Typen entwickeln können.“ Diese Zellen verhalten sich wie im menschlichen Gehirn. Die unterschiedlichen Typen und ihre Wechselwirkungen können dann unter dem Mikroskop genau untersucht werden. Cappello fügt hinzu: „Gehirn-Organoide geben uns ein viel genaueres Bild davon, wie Hirnzellen funktionieren als herkömmliche Zellkulturen. In Gehirn-Organoiden lässt sich die Wanderung von Neuronen während der Gehirnentwicklung in der Petri-Schale beobachten.

Vorteile von Gehirn-Organoiden

  • Realitätsnahe Modelle: Gehirn-Organoide bilden die Entwicklung des menschlichen Gehirns sehr realitätsnah nach.
  • Individuelle Forschung: Da ein Gehirn-Organoid aus den Zellen eines einzelnen Menschen entsteht, können Wissenschaftler genau erforschen, was bei genau diesem Patienten im Gehirn passiert.
  • Neue Therapieansätze: Die Entwicklung des menschlichen Gehirns in vitro nachzubilden, birgt deshalb enormes Potenzial, um aus Forschungsergebnissen Therapien zu entwickeln.

Grenzen von Tierversuchen

Wertvolle Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns erhalten Wissenschaftler in der Regel durch ihre Arbeit mit Tiermodellen. Mit Tierversuchen stoßen sie jedoch an ihre Grenzen, da die Gehirne von Tieren einen Entwicklungsprozess durchlaufen, der sich von dem des Menschen grundlegend unterscheidet. Untersuchungen am menschlichen Gehirn sind naturgemäß schwierig; dafür ist man auf Organspenden und Zellkulturverfahren angewiesen. Das macht den Bedarf nach neuen Verfahren zur Abbildung von Erkrankungen beim Menschen groß.

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HETER-OMICS

Ziel des Verbundes HETER-OMICS ist es, mit verschiedenen Tier- und Zellmodellen umfassende zelluläre und molekulare Analysen durchzuführen. Dadurch werden die Veränderungen, die der Erkrankung zugrunde liegen, in den Zellen weiter charakterisiert. Zudem werden klinische Daten von Betroffenen erhoben. Im Verbund forschen Arbeitsgruppen aus fünf Ländern gemeinsam an der Lösung dieser Fragen. Mit der Fördermaßnahme wird das Ziel verfolgt, ergänzende Expertisen und Ressourcen von einschlägig qualifizierten Arbeitsgruppen aus den teilnehmenden Ländern zusammenzuführen. Durch kooperative Forschungsansätze sollen Fortschritte bei der Therapie seltener Krankheiten ermöglicht werden, die allein auf nationaler Ebene nicht zu erreichen wären.

Aktuelle Forschungsergebnisse

Ein Forscherteam hat neue umfassende Einblicke in die zellulären Veränderungen, die den Symptomen der Heterotopie der grauen Substanz zugrunde liegen, gewonnen. Die Forschenden züchteten aus Stammzellen von Patientinnen und Patienten mit periventrikulärer Heterotopie ein dreidimensionales Mini-Gehirnmodell, ein sogenanntes zerebrales Organoid, und untersuchten die Funktionsweise des neuronalen Netzwerks im Organoid. Dabei stellen sie fest, dass betroffene Nervenzellen leichter erregbar sind und eine größere elektrische Aktivität zeigen. Besonders Mutationen in einem bestimmten Gen (DCHS1) senkten die Reizschwelle dieser Nervenzellen. Zusätzlich zeigte sich, dass diese Nervenzellen eine komplexere Morphologie und veränderte synaptische Verbindungen zu ihren Nachbarn haben. Das könnte erklären, warum sie überaktiv sind. Es wurden somit Beweise dafür geliefert, dass bestimmte Genmutationen sowohl allgemeine als auch spezifische molekulare und zelluläre Veränderungen verursachen können, die gemeinsam zur klinischen Ausprägung von periventrikulärer Heterotopie beitragen. Dies stehe im Einklang mit der Annahme, dass die Krankheit das Ergebnis einer Fehlregulation verschiedener molekularer Signalwege ist.

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