Myasthenia gravis, oft auch nur Myasthenie genannt, ist eine seltene neurologische Autoimmunerkrankung, die durch Muskelschwäche gekennzeichnet ist. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, wobei Frauen häufiger im jüngeren Erwachsenenalter (20-40 Jahre) und Männer eher im höheren Alter (50-80 Jahre) betroffen sind. Die Symptome sind vielfältig und können sich im Laufe der Zeit verändern, was die Diagnose erschweren kann. Dank moderner Behandlungsmethoden ist der Verlauf der Erkrankung in der Regel günstig und führt nicht zu einer Verkürzung der Lebenserwartung.
Definition und Ursachen
Myasthenia gravis ist eine chronische Autoimmunerkrankung, bei der die Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln gestört ist. Dies führt zu einer schnelleren Ermüdbarkeit der betroffenen Muskulatur. Die Erkrankung wird durch Autoantikörper verursacht, die sich gegen Strukturen an der motorischen Endplatte richten, der Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel. Bei der häufigsten Form der Myasthenia gravis richten sich diese Autoantikörper gegen die Acetylcholinrezeptoren (AChR), die für die Signalübertragung vom Nerv zum Muskel verantwortlich sind. In anderen Fällen können die Antikörper gegen das Enzym Muskelspezifische Kinase (MuSK), das Transmembranprotein Lrp4 oder den Stoff Agrin gerichtet sein, was zum gleichen Effekt führt: Die Signalübertragung auf den Muskel ist gestört.
Die genaue Ursache für die Entstehung der Autoimmunerkrankung ist bis heute ungeklärt. Es gibt jedoch oft einen Zusammenhang mit einer Entzündung, Vergrößerung oder einem Tumor des Thymus, einem Organ des Immunsystems. Wissenschaftler vermuten, dass Infektionen, etwa mit Viren oder Bakterien, die körpereigene Abwehr fehlleiten, sodass sich eine Myasthenie entwickelt. Auch bestimmte Medikamente, Krankheit, Stress oder Schwangerschaft können eine Verschlechterung des Krankheitsbildes (myasthene Exazerbation) auslösen.
Symptome
Die Symptome der Myasthenia gravis sind vielfältig und können sich im Laufe der Zeit verändern. Typisch ist eine belastungsabhängige Muskelschwäche, die sich bei wiederholten Bewegungen und gegen Ende des Tages verstärkt und durch Ruhe gemildert wird. Die ersten Symptome betreffen oft die Augen, wie hängende Augenlider (Ptosis) und Doppelbilder (Diplopie).
Weitere mögliche Symptome sind:
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- Sprach- und Schluckstörungen
- Probleme, den Kopf zu halten oder zu bewegen
- Muskelschwäche in Oberkörper, Armen und Beinen
- Atembeschwerden
In etwa 10-15 % der Fälle bleiben die Symptome auf die Augen beschränkt (okuläre Myasthenie). In den übrigen Fällen entwickelt sich innerhalb von 2-3 Jahren eine generalisierte Myasthenia gravis, die den ganzen Körper betreffen kann.
Eine lebensbedrohliche Situation kann entstehen, wenn die Atemmuskulatur betroffen ist (myasthene Krise). Dies ist ein medizinischer Notfall, der intensivmedizinisch behandelt werden muss. Anzeichen einer myasthenen Krise oder Exazerbation sind Einschränkungen von Schluck- und Sprechfunktionen, der Kopfhaltemuskulatur oder der Kraft in den Gliedmaßen, beginnende Atemschwäche sowie ein reduzierter Hustenstoß.
Diagnose
Die Diagnose der Myasthenia gravis wird in erster Linie aufgrund der geschilderten Beschwerden und einer körperlichen Untersuchung gestellt. Dabei wird die Ermüdung der Muskulatur anhand standardisierter Tests festgestellt.
Weitere diagnostische Maßnahmen sind:
- Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Hirnnervenfunktionalität.
- Blutuntersuchung: Nachweis von Antikörpern gegen Acetylcholinrezeptoren (bei etwa 80 % der Patient*innen mit generalisierter Myasthenie) oder andere relevante Antikörper (Anti-MuSK-AK, Anti-LRP4-AK, Anti-Titin-AK).
- Neurophysiologische Untersuchung: Messung der elektrischen Aktivität in den Nerven und Muskeln (Dekrement-Test, Einzelfaser-EMG).
- Bildgebung des Brustkorbs (CT oder MRT): Ausschluss eines Thymoms (Tumor des Thymus).
- Weitere spezielle Untersuchungen: Zum Ausschluss anderer Autoimmunerkrankungen, z. B. der Schilddrüse, oder anderer Ursachen der Beschwerden (z. B. Tumore).
Therapie
Die Therapie der Myasthenia gravis zielt auf eine Verbesserung der Muskelkraft und eine Wiederherstellung oder Beibehaltung der Lebensqualität ab. Da es sich um eine chronische Erkrankung handelt, ist eine regelmäßige Anpassung der Therapie notwendig.
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Die wichtigsten Therapieansätze sind:
- Medikamentöse Therapie:
- Acetylcholinesterasehemmer (z. B. Pyridostigmin): Erhöhen die Menge des Neurotransmitters Acetylcholin und verbessern so die Signalübertragung.
- Kortikosteroide (z. B. Kortison): Dämpfen die Überaktivität des Immunsystems.
- Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin): Bremsen die Neubildung von Antikörpern.
- Biologika (z. B. Rituximab, Eculizumab): Greifen spezifisch in den Krankheitsprozess ein und können das Krankheitsgeschehen in bestimmten Konstellationen nachhaltig positiv beeinflussen.
- Akuttherapie bei schweren Symptomen (z. B. myasthenen Krise):
- Intravenöse Immunglobuline (IVIg): Antikörper aus Spenderblut, die sich in die Immunantwort des Körpers einmischen.
- Plasmapherese/Immunadsorption: Austausch des Blutplasmas bzw. Entfernung der Autoantikörper aus dem Blutplasma.
- Thymektomie (Entfernung des Thymus): In vielen Fällen wirksam, insbesondere bei Vorliegen eines Thymoms oder einer Thymushyperplasie.
- Symptomatische Behandlung:
- Spezielle Brillen: Korrektur von herabhängenden Augenlidern oder Doppelbildern.
- Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie: Unterstützung bei der Bewältigung der Symptome und Verbesserung der Lebensqualität.
- Bewegungs-, Trainings- und Entspannungstherapie: Kann sinnvoll sein, um die körperliche und psychische Belastbarkeit zu verbessern.
Es ist wichtig zu beachten, dass bestimmte Medikamente die Symptome verschlimmern oder in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden sollten. Betroffene sollten sich daher immer ärztlich beraten lassen.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf der Myasthenia gravis ist individuell sehr unterschiedlich. Die Symptome können im Laufe der Zeit schwanken und von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden, wie z. B. Infektionen, Stress oder hormonelle Veränderungen.
Die Prognose ist jedoch dank moderner Behandlungsmethoden in der Regel gut. Bei den meisten Patientinnen lassen sich die Krankheitssymptome mit der medikamentösen Therapie gut unter Kontrolle bringen, sodass sie ein normales Leben mit wenigen bis keinen Symptomen führen können. Etwa 10 % der Patientinnen sprechen nicht auf die Therapie an, und etwa 5 % erleiden eine myasthene Krise.
Wird die Erkrankung frühzeitig erkannt und behandelt, können Betroffene mithilfe einer medikamentösen Therapie ein nahezu unbeeinträchtigtes Leben führen. Es ist jedoch wichtig, die individuellen Belastungsgrenzen zu kennen und den Alltag entsprechend anzupassen.
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Leben mit Myasthenia gravis
Patienten mit Myasthenia gravis können selbst einiges zum Behandlungserfolg beitragen:
- Gute Information über die Erkrankung und Behandlungsmöglichkeiten: Sich einen Spezialisten suchen, beispielsweise in einem integrierten Myasthenie-Zentrum.
- Psychische Bewältigung der Erkrankung: Neben professioneller psychologischer Hilfe kann beispielsweise eine Selbsthilfegruppe helfen.
- Therapietreue: Medikamente regelmäßig einnehmen und Laboruntersuchungen zur Überwachung der Therapie durchführen lassen.
- Vermeidung von Auslösern: Stress reduzieren, Infektionen vermeiden, bestimmte Medikamente meiden.
- Anpassung des Alltags: Belastbarkeit am Morgen ist oft größer als am Abend, Ruhephasen zur Erholung einplanen.
- Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen: Andere Ursachen der Beschwerden ausschließen, beispielsweise eine Schilddrüsen-Funktionsstörung oder einen Eisenmangel bei andauernder Müdigkeit.
- UV-Schutz: Bei Anwendung von Immunsuppressiva ist ein konsequenter UV-Schutz wichtig.
- Gespräch mit dem Betriebsarzt: Bei Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz kann ein Gespräch mit dem Betriebsarzt sinnvoll sein.
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