Obwohl das Gehirn selbst keine Schmerzrezeptoren besitzt, spielt es eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Verarbeitung von Schmerzen. Tatsächlich leiden etwa 70 Prozent der Deutschen unter Kopfschmerzen, wobei die eigentliche Ursache oft in den Blutgefäßen der Hirnhaut liegt, die sich entzünden. Interessanterweise deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass diese Entzündungen vom Gehirn gesteuert werden können.
Vielfalt der Kopfschmerzen
Mediziner unterscheiden mehr als 240 Arten von Kopfschmerzen. Die meisten davon sind primäre Kopfschmerzen wie Migräne oder Clusterkopfschmerz, bei denen der Schmerz selbst die Erkrankung darstellt. Sekundäre Kopfschmerzen hingegen treten als Symptom einer anderen Krankheit auf, beispielsweise bei einer Grippe oder nach einer Kopfverletzung.
Etwa 14 Prozent der Deutschen leiden unter Migräne, die oft mit Übelkeit, Licht- und Geräuschempfindlichkeit einhergeht. Eine genetische Veranlagung spielt dabei eine Rolle, aber auch Umweltfaktoren wie Stress können Migräneattacken auslösen.
Die Rolle des Gehirns bei Kopfschmerzen
Die Frage, ob das Gehirn selbst an der Entstehung von Kopfschmerzen beteiligt ist, wurde in einer Studie untersucht, bei der Migränepatienten und eine Kontrollgruppe im Hirnscanner Ammoniak schnupperten, um einen kurzen Schmerz auszulösen. Dabei zeigte sich, dass bestimmte Zellverbände im Hirnstamm bei den Migränepatienten weniger stark erregt waren als bei gesunden Probanden. Interessanterweise reagierte der Hirnstamm umso stärker auf den Schmerzreiz, je näher die nächste Migräneattacke bevorstand. Dies deutet darauf hin, dass der Hirnstamm eine Rolle bei der Ankündigung von Migräneanfällen spielen könnte, möglicherweise sogar Wochen vorher. Es wird vermutet, dass synchron feuernde Zellen im Hirnstamm Migräneattacken auslösen, während beim Clusterkopfschmerz ähnliche Prozesse im Hypothalamus ablaufen.
Schmerzgedächtnis und Chronifizierung
Chronischer Schmerz ist ein komplexes Phänomen, das oft mit der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses einhergeht. Im Gegensatz zur Gewöhnung bei anderen Sinnesreizen führt anhaltender oder wiederkehrender Schmerz nicht zu einer Minderung der Schmerzwahrnehmung, sondern zu einer Steigerung der Empfindlichkeit. Diese Erfahrung prägt sich im zentralen Nervensystem ein und bleibt bestehen, auch wenn der ursprüngliche Auslöser nicht mehr vorhanden ist. Die für den Schmerz zuständigen Rezeptoren und Nervenzellen werden leichter erregbar, was zu einer dauerhaft verstärkten Übertragung von Schmerzinformationen führt.
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Wie entsteht ein Schmerzgedächtnis?
Die Entstehung eines Schmerzgedächtnisses kann mit dem Lernen verglichen werden. Wiederholte oder starke schmerzhafte Erfahrungen werden gespeichert und können sich auf verschiedene Weise bemerkbar machen:
- Krankhaft gesteigerte Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie)
- Schmerzen nach Reizen, die normalerweise nicht schmerzhaft sind (Allodynie)
- Anhaltende, wiederkehrende oder spontan auftretende Schmerzen ohne erkennbaren Auslöser
Vorbeugung und Behandlung des Schmerzgedächtnisses
Der beste Weg, ein Schmerzgedächtnis und daraus resultierende chronische Schmerzen zu verhindern, ist die frühzeitige und zielgerichtete Behandlung akuter Schmerzen. Eine umfassende Schmerzunterdrückung bei vorhersehbaren Schmerzsituationen wie Operationen (präventive Analgesie) wird kontrovers diskutiert, könnte aber möglicherweise die Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses verhindern.
Ist ein Schmerzgedächtnis bereits entstanden, ist die Therapie eine Herausforderung. Es gibt keine Medikamente, die ein Schmerzgedächtnis de facto löschen könnten. Der therapeutische Ansatz zielt daher auf eine Gegenirritation ab, um die gesteigerte Schmerzempfindlichkeit des zentralen Nervensystems so weit wie möglich zurückzunehmen oder zu überschreiben. Zu den angewendeten Verfahren gehören:
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)
- Physikalische Schmerztherapie (Wärme- oder Kälteanwendungen)
- Bestimmte Formen der (Elektro-)Akupunktur
Betroffene können auch selbst viel zur Besserung ihrer Schmerzen beitragen, beispielsweise durch regelmäßige Übungen zur Schmerzbewältigung wie Meditation und Entspannungsverfahren.
Psychosomatische Aspekte von Schmerzen
Nicht immer haben Schmerzen eine rein körperliche Ursache. Seelische Probleme wie Depressionen oder Angst können ebenfalls zu spürbaren Schmerzen führen. Unser Gehirn kann die Schmerzursache oft nicht differenzieren, und körperliche Schmerzen können auch zu seelischen Beeinträchtigungen führen. Psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Nacken- oder Rückenschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Herzrasen, Schweißausbrüche oder Atemnot können durch seelische Belastungen hervorgerufen oder verstärkt werden.
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Behandlung psychosomatischer Schmerzen
Bei leichteren Formen psychosomatischer Schmerzen kann es ausreichen, wenn der Arzt einfühlsam erklärt, woher die Beschwerden kommen und dass sie vermutlich harmlos sind. Wichtig ist, Alltagsaktivitäten, Sport und Hobbys beizubehalten und soziale Kontakte weiter zu pflegen. Entspannungsübungen wie Meditation, Yoga oder progressive Muskelentspannung können ebenfalls helfen. Bei schwereren Formen oder einer Chronifizierung sind spezialisiertere Therapieformate erforderlich.
Multimodale Schmerztherapie
Zur Behandlung chronischer Schmerzen, die im Zusammenhang mit einem Schmerzgedächtnis bestehen, kann eine individuell zusammengestellte multimodale Schmerztherapie eingesetzt werden. Diese umfasst neben den bereits genannten Verfahren zur Gegenirritation auch medikamentöse Maßnahmen, physiotherapeutische Maßnahmen sowie psychotherapeutische Maßnahmen, die die Resilienz gegenüber Schmerzen stärken sollen.
Die Neurologisch-Verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel
Die Neurologisch-Verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel unter der Leitung von Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Hartmut Göbel bietet eine spezielle Therapie für verschiedene Schmerzerkrankungen an, darunter Migräne, chronische Spannungskopfschmerzen, Clusterkopfschmerz, Nervenschmerz, Rückenschmerz und andere chronische Schmerzerkrankungen. Die Klinik bietet sowohl stationäre als auch ambulante Behandlungen an und hat mit zahlreichen Krankenkassen eine integrierte Versorgung ihrer Versicherten vertraglich geregelt.
Aufnahmeformalitäten
Für die Planung eines Aufnahmetermins sind folgende Schritte erforderlich:
- Der behandelnde Arzt stellt eine Verordnung von Krankenhausbehandlung aus.
- Der Arzt füllt die Aufnahme-Checkliste aus.
- Der Patient füllt den Schmerzkalender und den Schmerzfragebogen aus.
- Alle Unterlagen und Kopien relevanter Arztbriefe, Röntgenbilder etc. werden an die Klinik gesendet.
Schmerzkonferenzen
Im Zusammenhang mit der Einweisung sowie der prä- oder poststationären Behandlung können individuelle Fragen in den Schmerzkonferenzen der Klinik Kiel geklärt werden. Diese finden montags, dienstags, donnerstags und freitags von 8:30 Uhr bis 9:15 Uhr sowie mittwochs von 17:00 Uhr bis 17:45 Uhr im Konferenzraum der Schmerzklinik statt.
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