Die Frage, ob Medikamente Demenz verursachen können, ist komplex und von großer Bedeutung, insbesondere angesichts der alternden Bevölkerung und des zunehmenden Medikamentenkonsums im Alter. Es gibt wachsende Bedenken hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen bestimmten Medikamenten und einem erhöhten Demenzrisiko. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Forschungslage, diskutiert Risikofaktoren und gibt Empfehlungen für Patienten und Angehörige.
Anticholinergika und das Demenzrisiko
Eine große britische Studie mit Daten von über 284.000 Patienten ab 55 Jahren ergab, dass die Einnahme von Anticholinergika das Risiko für Demenz deutlich erhöhen kann. Anticholinergika sind eine gängige Medikamentengruppe, die gegen Parkinson-Krankheit, Psychosen, Depressionen, Epilepsien und Blasenschwäche eingesetzt wird. Frühere Studien hatten bereits auf ein erhöhtes Demenzrisiko hingewiesen.
Wie Anticholinergika wirken
Anticholinergika unterdrücken im Nervensystem die Wirkung von Acetylcholin, einem Botenstoff, der für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen wichtig ist. Diese Unterdrückung führt zur Entspannung der glatten Muskulatur, die Blutgefäße ummantelt oder Organe wie den Darm zusammenzieht. Da Acetylcholin auch im Gehirn aktiv ist, können Gedächtnisstörungen eine häufige Nebenwirkung dieser Medikamente sein.
Studienergebnisse im Detail
Die Studie der Universität Nottingham untersuchte die Einnahme von 56 Medikamenten mit starker anticholinerger Wirkung über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die statistische Analyse ergab ein allgemein erhöhtes Demenzrisiko bei der Einnahme von Anticholinergika. Allerdings betraf dies nicht alle Anwendungsgebiete der Medikamente gleichermaßen. Es gab keine klare Risikoerhöhung für Anticholinergika, die gegen Magenschleimhautentzündung, Allergien, Krämpfe im Magen-Darm-Trakt, Herzrhythmusstörungen oder chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) eingenommen werden. Patienten, die Antidepressiva, Parkinsonmittel und Blasenmedikamente einnahmen, hatten jedoch häufiger eine Demenz. Es ist wichtig zu betonen, dass die Studie nicht klären konnte, ob die Demenz durch die Medikamente selbst oder durch Eigenheiten der Patientengruppen bedingt war.
Empfehlungen für Patienten und Ärzte
Angesichts dieser Ergebnisse ist es wichtig, dass Angehörige der Gesundheitsberufe die Risiken und Vorteile von Anticholinergika sorgfältig abwägen und alternative Behandlungen in Erwägung ziehen. Patienten sollten Bedenken mit ihrem Arzt besprechen, um die Vor- und Nachteile ihrer Behandlung zu erörtern. Es ist wichtig, Anticholinergika nicht abrupt abzusetzen, da dies gravierende Folgen haben kann.
Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?
Weitere Medikamente im Fokus
Neben Anticholinergika gibt es weitere Medikamente, die im Verdacht stehen, das Demenzrisiko zu erhöhen. Dazu gehören:
- Benzodiazepine: Diese Medikamente werden häufig zur Behandlung von Angstzuständen und beim Alkoholentzug eingesetzt. Einige Experten vermuten, dass eine langfristige Einnahme eine Demenz auslösen kann, obwohl dies umstritten ist.
- Opiate: Substanzen wie Morphin wirken beruhigend auf das Gehirn und können möglicherweise zu Demenz führen.
- Protonenpumpenhemmer (z.B. Omeprazol): Diese Medikamente werden zur Verringerung der Magensäure eingesetzt und könnten mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden sein.
- Antihistaminika (z.B. Doxylamin): Einige ältere Antihistaminika, die als Schlafmittel rezeptfrei erhältlich sind, können das Delirrisiko erhöhen.
Das Problem der Polypharmazie
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Polypharmazie, also die gleichzeitige Einnahme von fünf oder mehr Medikamenten. Mit zunehmendem Alter steigt der Medikamentenkonsum, was zu einem Dilemma zwischen Multimorbidität und Vulnerabilität führt. Je älter ein Patient ist, desto mehr Medikamente nimmt er durchschnittlich ein und desto sensibler reagiert er auf diese Medikamente.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Demenz
Die Problematik der Polypharmazie erschwert es, demenzielle Zustände als mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu erkennen. Faktoren wie Überforderung oder Zeitmangel können dazu beitragen, dass Angehörige, Pflegekräfte und Ärzte den Übergang von einem medikamentös erzeugten Delir zur Demenz stillschweigend hinnehmen. Es gibt Hinweise darauf, dass chronische Delirzustände bei älteren Menschen fälschlicherweise als Demenz diagnostiziert werden, obwohl sie vom täglichen Tablettenkonsum herrühren.
Studien zum Zusammenhang zwischen Polypharmazie und Demenz
Studien deuten auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Demenz und Polypharmazie hin: Je mehr Medikamente eingenommen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Demenz(-Diagnose). Eine Studie zeigte, dass bereits zwei bis drei Medikamente die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen erhöhten.
Was tun bei Verdacht auf medikamenteninduzierte Demenz?
Wenn bei älteren Menschen Gedächtnisstörungen oder andere kognitive Einschränkungen auftreten, ist es wichtig, die eingenommenen Medikamente mit dem behandelnden Arzt durchzugehen. Ziel ist es, mögliche Wirkstoffe zu identifizieren, welche die Kognition einschränken und ein Delir verursachen können. Im Idealfall kann auf verträglichere Medikamente ausgewichen werden.
Lesen Sie auch: Sicher Autofahren mit Parkinson: Ein Leitfaden für Deutschland
Der Medikamentenplan
Wer drei oder mehr Medikamente dauerhaft einnimmt, sollte einen Medikamentenplan besitzen. Dieser wird in der Regel vom Hausarzt ausgestellt und sollte alle relevanten Informationen zu den verschriebenen Medikamenten enthalten. Es ist wichtig, dass der Medikamentenplan vollständig ist und auch die Selbstmedikation berücksichtigt.
Die Medikationsanalyse
Apotheken bieten Medikationsanalysen an, die von speziell ausgebildeten Apothekern durchgeführt werden. Diese Analysen sind seit 2022 für Kassenpatienten und privat Versicherte einmal jährlich kostenfrei. Im Rahmen einer Medikationsanalyse wird der Medikamentenplan überprüft und auf mögliche Wechselwirkungen und Risiken hin untersucht.
Positiv- und Negativlisten
Es gibt verschiedene Listen, die Ärzten bei der Verschreibung von Medikamenten für ältere Patienten helfen sollen. Dazu gehören die PRISCUS-Liste und die FORTA-Klassifikation. Die FORTA-Klassifikation teilt Medikamente in vier Kategorien ein:
- A (absolutes Muss): Für Ältere unverzichtbare Medikamente mit eindeutigen Vorteilen.
- B (Benefit): Vorteilhaft mit geprüfter oder offensichtlicher Wirksamkeit bei Älteren.
- C (cautious/careful): Medikamente mit fragwürdiger Nutzen-Risiko-Bewertung bei Älteren, die als Erstes weggelassen werden sollen.
- D (don’t/Das muss weg): Bei älteren Patienten zu vermeiden, Alternativen sollten gefunden werden.
Weitere Risikofaktoren für Demenz
Es ist wichtig zu betonen, dass Medikamente nur ein möglicher Risikofaktor für Demenz sind. Es gibt viele weitere Faktoren, die eine Rolle spielen können, darunter:
- Alter: Das Risiko für Demenz steigt mit zunehmendem Alter.
- Genetische Veranlagung: Demenz kann familiär gehäuft auftreten.
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Bluthochdruck, Diabetes und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen das Demenzrisiko.
- Lebensstil: Rauchen, Bewegungsmangel und eine ungesunde Ernährung können das Demenzrisiko erhöhen.
Lesen Sie auch: Corona und das Gehirn: Was wir wissen
tags: #kann #Demenz #durch #Medikamente #verursacht #werden