Einmaliger epileptischer Anfall: Ursachen, Diagnose und Vorgehen

Ein epileptischer Anfall kann ein einschneidendes Erlebnis sein, sowohl für den Betroffenen als auch für Augenzeugen. Doch was sind die Ursachen für einen einmaligen epileptischen Anfall, wie wird er diagnostiziert und welche Schritte sind danach wichtig? Dieser Artikel gibt einen umfassenden Überblick.

Was ist ein epileptischer Anfall?

Etwa jeder zehnte Mensch erlebt einmal im Leben einen epileptischen Anfall. Ein epileptischer Anfall ist eine kurzzeitige Funktionsstörung des Gehirns, bei der es zu einer plötzlichen, unkontrollierten Entladung von Nervenzellen kommt. Diese Entladung kann verschiedene Symptome verursachen, die von kaum merklichen geistigen Abwesenheiten bis hin zu schweren Krampfanfällen mit Bewusstseinsverlust reichen.

Typische Schilderungen von Anfallsereignissen

  • Generalisierter tonisch-klonischer Anfall (Grand-mal-Anfall): Ein Zeuge beschreibt: „Herr Mustermann hat plötzlich einen starren Blick bekommen, die Augen nach oben verdreht, alle Muskeln des Körpers durchgestreckt und ist umgefallen. Am Boden liegend hat er dann an Armen und Beinen rhythmisch gekrampft, heftig geatmet und Schaum vor den Mund bekommen. Die Krämpfe haben etwa 2 Minuten gedauert. Auf Ansprache oder Rütteln zeigte Herr Mustermann danach keine Reaktionen. Nach 5-10 Minuten kam er wieder zu sich, reagierte aber nicht der Situation entsprechend. Allmählich kam er wieder zur Orientierung. Er war sehr müde und abgeschlagen. Am Folgetag hatte er Muskelkater und ein seitlicher Zungenbiss tat weh. Auch Prellmarken und Hautabschürfungen traten auf.“
  • Absencen: Eine Mutter berichtet: "Mein Kind befindet sich im 2. Schuljahr. Mehrmals am Tag schaut es starr in die Luft und bewegt die Augenlider. In dieser Zeit ist es nicht ansprechbar. Nach wenigen Sekunden ist alles wieder normal und es setzt die angefangenen Tätigkeiten fort."
  • Synkope (Ohnmacht): Ein Ehemann schildert: "Meine Frau stand neben mir, als sie plötzlich sagte, dass ihr schwarz vor den Augen werde. Sie sackte in sich zusammen und lag 5 Sekunden ohnmächtig am Boden ohne sich zu bewegen. Auf Ansprache reagierte sie plötzlich sofort, wusste sofort wo sie war, stand auf und alles war wieder wie vorher."

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jedes Anfallsereignis ein epileptischer Anfall ist. Eine Ohnmacht (Synkope) beispielsweise ist kreislaufbedingt und keine Erkrankung des Gehirns.

Ursachen eines einzelnen epileptischen Anfalls

Ein einzelner epileptischer Anfall bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Epilepsie vorliegt. Etwa 10 % aller Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens einen spontanen oder provozierten epileptischen Anfall, der sich nicht wiederholt. Solche Gelegenheitsanfälle können verschiedene Ursachen haben:

  • Provozierte Anfälle: Diese Anfälle werden durch bestimmte Auslöser verursacht, wie z. B. deutlicher Schlafentzug, bestimmte Medikamente, übermäßiger Alkoholkonsum oder Drogenkonsum. Auch Fieberkrämpfe bei Kindern können einen provozierten Anfall auslösen.
  • Akute Erkrankungen: Eine Hirnentzündung (Enzephalitis), Meningitis oder eine Kopfverletzung können ebenfalls einen einmaligen Anfall verursachen. Nach Abklingen der Erkrankung hören die Anfälle dann häufig wieder auf.
  • Strukturelle Veränderungen im Gehirn: Verletzungen des Gehirns, wie z. B. Schlaganfälle oder Tumore, können Narben hinterlassen, die eine Instabilität in den Gehirnzellverbänden verursachen und zu Anfällen führen können.
  • Andere Faktoren: Blutzuckerschwankungen, Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenentzug sowie komplexe körperlich-psychische Belastungssituationen können ebenfalls einen epileptischen Anfall provozieren.

Diagnose nach einem ersten Anfall

Nach einem ersten Anfall ist eine ärztliche Abklärung unerlässlich, um die Ursache zu identifizieren und das Wiederholungsrisiko abzuschätzen. Dabei sind folgende Schritte wichtig:

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  1. Anamnese: Der Arzt wird den Betroffenen und eventuelle Augenzeugen ausführlich befragen, um den Anfallhergang genau zu rekonstruieren. Dabei sind folgende Aspekte von Bedeutung:
    • Anfallsvorgefühle (Prodromi): Gefühle, die der Patient vor dem Anfall erlebt hat, wie z. B. Spannungszustände oder Depressivität.
    • Aura: Der Beginn des Anfalls im Gehirn, der sich durch verschiedene Wahrnehmungen äußern kann, wie z. B. Blitze oder Bilder sehen, Worte oder Töne hören, einen komischen Geruch oder Geschmack wahrnehmen, ein Kribbelgefühl am Körper, das sich ausbreitet auf andere Körperregionen, ein gewisser Gedanke, ein Glücksgefühl oder ein depressives Gefühl, eine plötzliche Angst ohne erkennbaren Anlass, das Gefühl, alles schon einmal gesehen oder gehört zu haben (deja vu oder deja entendu Aura), eine aufsteigende Übelkeit vom Magen her (epigastrische Aura).
    • Bewusstseinsverlust: War das Bewusstsein eingeschränkt oder ganz ausgeschaltet?
    • Automatismen: Wiederholte Bewegungen im Gesicht oder an Armen oder Beinen, die der Situation nicht angemessen sind.
    • Verkrampfungen: Starre Verkrampfungen (tonische Anfälle) oder zuckende Verkrampfungen (klonische Anfälle)?
    • Nach dem Anfall: War der Patient umdämmert, d. h. nicht vollständig orientiert und erinnerungsschwach sowie müde? Traten vorübergehende Lähmungen oder Sprachstörungen auf?
    • Verletzungen: Platz- und Schürfwunden, Knochenbrüche oder ausgekugelte Gelenke?
    • Dauer des Anfalls: Vom Beginn der Aura bis zum Ende der motorischen (Bewegungs-)störungen.
    • Auslöser: Gibt es bestimmte Auslöser, wie z. B. Blitzlichte oder Lesen?
  2. Krankheitsvorgeschichte: Der Arzt wird auch nach der übrigen Krankheitsvorgeschichte fragen, insbesondere nach:
    • Schwangerschaft und Geburt
    • Entwicklungsstörungen in der frühen Kindheit
    • Kopf- oder Gehirnverletzungen oder Erkrankungen, die das Gehirn betreffen
    • Früheren Anfallstypen wie z. B. Fieberkrämpfe
    • Anderen Erkrankungen in der unmittelbaren Vorgeschichte
    • Regelmäßiger Einnahme von Medikamenten oder Alkoholkonsum
    • Epilepsie in der Familie
    • Ob es sich wirklich um den ersten Anfall handelt oder ob es schon zuvor Anfälle gab
  3. Körperliche und neurologische Untersuchung: Der Arzt wird die Hirnnerven, die Körperkraft, die Körperempfindungen, die Reflexe an Armen und Beinen, die Koordination und intellektuelle Leistungen wie z. B. die Sprache oder das Gedächtnis überprüfen. Es ist auch notwendig, auf mögliche psychiatrische Störungen wie z. B. Depressionen, Wahnvorstellungen oder Halluzinationen einzugehen.
  4. Apparative Untersuchungen:
    • EEG (Elektroenzephalographie): Das EEG misst die hirnelektrische Aktivität. Bei Epilepsie-Patienten können in der Ableitung epilepsietypische Potentiale gefunden werden. Es handelt sich dabei um steile und spitze Potentiale, die evtl. von einer langsamen Welle gefolgt sind (Spitze-Wellekomplex oder Spike-wave-Komplex). Sie sind auf eine Epilepsie hinweisend, beweisen aber nicht, dass der Patient auch wirklich an einer Epilepsie leidet.
    • Kernspintomographie des Kopfes (MRT oder MRI): Die Kernspintomographie ist eine Schichtaufnahme des Kopfes und des Gehirns mit Hilfe magnetischer Wellen. Sie ist ungefährlich und nicht belastend. Sie kann von daher beliebig wiederholt werden. Mit ihr erkennt man Veränderungen der Gehirnstruktur, wie z. B. Vernarbungen, Missbildungen, Entzündungen, Tumore, Schlaganfälle.
    • Laboruntersuchungen des Blutes und in einzelnen Fällen auch des Nervenwassers (Liquor): Hierbei wird vor allem nach Entzündungszeichen gesucht.

Differentialdiagnose: Was kann mit Epilepsie verwechselt werden?

Es gibt verschiedene Erkrankungen, die mit einem epileptischen Anfall verwechselt werden können:

  • Ohnmacht (Synkope): Eine momentane Minderdurchblutung des Gehirns, die zu einem Bewusstseinsverlust und zu einem Zusammensacken führt.
  • Schlaganfall: Insbesondere wenn er nur sehr kurz verläuft und sich vollständig zurückbildet.
  • Migräne: Migräne-Auren können aus Flimmern vor den Augen oder dunklen Flecken bestehen. Mitunter führt die Migräneaura auch zu Sprachstörungen oder Halbseitenlähmungen für die Dauer weniger Minuten.
  • Schlafstörungen (Narkolepsie-/Katapleksie-Syndrom): Kataplektische Anfälle mit Verlust der Körperspannung und Hinfallen, aber ohne Bewusstseinsverlust.
  • Psychogene Anfälle: Dissoziative Anfälle, die als unfreiwillige psychische Reaktion auf emotionale Belastung auftreten.

Wie hoch ist die Wiederholungsgefahr?

Unabhängig von der Ursache des Anfalls kann gesagt werden, dass wer einen Anfall hatte, eine Wahrscheinlichkeit von 30% hat, innerhalb der nächsten 2 Jahre einen weiteren Anfall zu erleiden. Innerhalb der nächsten 10 Jahre sind es 40-50% der Patienten, die einen weiteren Anfall erleiden. Sind bereits 2 Anfälle aufgetreten, so ist die Wahrscheinlichkeit einen dritten Anfall zu erleiden, deutlich höher. Sie liegt bei etwa 50% innerhalb der nächsten 2 Jahre und ca. 70% innerhalb der nächsten 10 Jahre.

Behandlung nach einem ersten Anfall

Die Entscheidung, ob nach einem ersten Anfall eine medikamentöse Behandlung eingeleitet werden soll, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B.:

  • Ursache des Anfalls: Handelt es sich um einen provozierten Anfall oder um einen unprovozierten Anfall?
  • Wiederholungsrisiko: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Anfälle auftreten?
  • Individuelle Situation des Patienten: Welche Risiken ist der Patient bereit einzugehen?

Wenn es keine auslösenden Mechanismen für den Anfall gab, wir also einen Gelegenheitsanfall ausschließen können, und das Wiederholungsrisiko hoch ist, kann eine medikamentöse Behandlung in Erwägung gezogen werden. Ziel der Behandlung ist es, die Entwicklung einer Epilepsie mit weiteren Anfällen zu verhindern.

Medikamentöse Therapie

Die Epilepsiebehandlung wird in der Regel medikamentös begonnen, mit sogenannten Antiepileptika. Diese werden zur Vorbeugung von epileptischen Anfällen, aber auch zur Unterbrechung akuter Anfälle eingesetzt. Antiepileptika wirken direkt auf das Nervensystem und die Nervenzellen. Sie sorgen dafür, dass die Reizweiterleitung der Nerven gehemmt und die Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn reduziert wird.

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Verhaltensmaßnahmen

Unabhängig von einer medikamentösen Behandlung können bestimmte Verhaltensmaßnahmen helfen, Anfälle zu vermeiden:

  • Ausreichend Schlaf: Ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus ist wichtig, um die Gehirnzellen zu stabilisieren.
  • Vermeidung von Alkohol und Drogen: Übermäßiger Alkoholkonsum und Drogenkonsum können Anfälle auslösen.
  • Stressreduktion: Starke körperliche oder seelische Belastung (Stress) kann ebenfalls Anfälle provozieren.

Verhalten bei einem epileptischen Anfall

Wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls bei einer anderen Person wird, ist es sehr wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Vor allem sollte man überlegen, wie man die Person vor Verletzungen schützt.

  • Leichte epileptische Anfälle mit wenigen Symptomen: Bei kurzen Absencen oder Muskelzuckungen besteht keine unmittelbare Gefahr. Danach können sich die Betroffenen unsicher fühlen und Unterstützung benötigen.
  • Anfälle mit eingeschränktem Bewusstsein oder Verhaltensänderungen: Wenn Menschen mit einem epileptischen Anfall verwirrt wirken, ist es wichtig, sie vor Gefahren zu schützen (z. B. im Straßenverkehr). Gehen Sie dabei mit der Person ruhig um und fassen Sie sie nicht hart an. Versuchen Sie dem oder der Betroffenen Halt und Nähe zu vermitteln.
  • Große generalisierte epileptische Anfälle: Bei einem großen generalisierten Anfall verkrampft der ganze Körper und die Person verliert das Bewusstsein. In diesen Fällen sollten Sie Folgendes tun:
    • Wählen Sie den Notruf 112 und rufen Sie professionelle Hilfe.
    • Sorgen Sie für Sicherheit, indem Sie z. B. gefährliche Gegenstände beiseite räumen.
    • Polstern Sie den Kopf des*r Betroffenen ab.
    • Nehmen Sie seine/ihre Brille ab.
    • Lockern Sie enge Kleidung am Hals, um die Atmung zu erleichtern.
    • Bitten Sie Menschen, die in der Situation nicht helfen können, weiterzugehen.
    • Bleiben Sie nach dem Anfall bei der Person und bieten Sie Ihre Unterstützung an.
    • Wenn die Person nach dem Anfall erschöpft ist und einschläft, bringen Sie sie in die stabile Seitenlage.

Was Sie in keinem Fall tun sollten:

  • Dieden Betroffenen festhalten oder zu Boden drücken
  • der betroffenen Person etwas in den Mund schieben - auch wenn sie sich in die Zunge beißt

Leben mit Epilepsie

Epilepsie ist in vielen Fällen gut behandelbar. Mit der richtigen Diagnose und Therapie können die meisten Betroffenen ein weitgehend normales Leben führen. Es ist jedoch wichtig, sich bewusst zu sein, dass die Angst vor einem Anfall die Betroffenen psychisch belasten kann. Es ist daher ratsam, sich psychologische Unterstützung zu suchen und sich mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen auszutauschen.

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