Jahrhundertelang hatten die Menschen kaum eine Ahnung, was wirklich in ihnen steckt. Historische Zeichnungen und Funde erzählen eine Geschichte kurioser anatomischer Missverständnisse und faszinierender, teils makaberer Praktiken, insbesondere im alten Ägypten.
Herz oder Hirn? Wo sitzt der Verstand?
Die Frage, wo der Verstand sitzt, beschäftigte die Menschen lange. Die alten Ägypter glaubten, dass das Herz der Sitz des Denkens und Fühlens sei, weshalb es im Körper verblieb, während das Gehirn entfernt wurde.
Die altägyptische Mumifizierung: Vorbereitung auf das Jenseits
Die Mumifizierung war im alten Ägypten eine hoch entwickelte Kunst und ein zentraler Bestandteil der Bestattungsrituale. Sie diente dazu, den Körper für das Leben nach dem Tod zu erhalten, da man glaubte, dass der Körper im Jenseits benötigt wird und für die Wiedergeburt der Seele intakt sein muss. Der Prozess war komplex und aufwendig, variierte jedoch je nach sozialem Status und Wohlstand des Verstorbenen.
Die Entfernung des Gehirns: Ein makabres Detail
Ein besonders grausiger Aspekt der Mumifizierung war die Entfernung des Gehirns. Dem Toten wurde mit einem etwa 40 cm langen Eisenhaken das Gehirn durch die Nase rausgezogen. Damit das Gehirn überhaupt durch die Nase abfließen konnte, musste es zunächst mit dem Haken ordentlich durchgerührt werden. Diese Praxis, die bereits von dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. beschrieben wurde, erscheint uns heute makaber, war aber ein fester Bestandteil des Rituals. Es wird vermutet, dass die Ägypter glaubten, das Gehirn sei für das Leben im Jenseits nicht notwendig.
Die Behandlung der inneren Organe
Nach der Entfernung des Gehirns wurden die Eingeweide entweder durch einen Seitenschnitt oder durch den After entfernt und in speziellen Krügen, den sogenannten Kanopen, verwahrt. Das Herz blieb jedoch im Körper, da es als Sitz des Denkens und Fühlens angesehen wurde. Anschließend wurde dem Körper mittels Salz die Flüssigkeit entzogen. Die hohlen Körperstellen wurden mit Leinen oder Sägespänen gefüllt. Danach wurde der Körper wieder zugenäht und in Leinen gewickelt. Amulette wurden angelegt und eine Gesichtsmaske mit dem Antlitz des Toten aufgesetzt.
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Die Bedeutung von Natron
Ein Schlüsselelement bei der Mumifizierung war Natron, eine natürlich vorkommende Salzmischung aus Natriumchlorid, Natriumhydrogencarbonat und Natriumcarbonat. Dieses Salz wurde verwendet, um dem Körper die Feuchtigkeit zu entziehen und ihn so vor Verwesung zu schützen. Der Tote wurde auf die Salzmischung gebettet und dann vollständig damit bedeckt.
Balsamierung: Eine Kombination aus Wissenschaft, Hommage und Ritual
Die Balsamierung war ein zentraler Bestandteil des Mumifizierungsprozesses. Durch die Verwendung einer speziellen Mischung aus Harzen, Salben und Ölen schützten die Balsamierer den Körper vor dem Verfall und bereiteten ihn für die Bestattung vor. Die Ägypter legten großen Wert auf den Wiederaufbau des Körpers, nachdem die inneren Organe entfernt wurden, um den Körper intakt und lebensfähig für das Jenseits zu halten.
Das Umwickeln mit Leinenbinden: Schutz und Magie
Der abschließende Schritt der Einbalsamierung, das Umwickeln des Körpers mit Leinenbinden, diente mehreren Zwecken. Es hielt den Körper in Form, konservierte die Haut und diente auch dazu, Amulette und Zauber für den Schutz des Verstorbenen in das Jenseits einzufügen. Allein in der Brusthöhle von König Tutanchamun wurden mehr als 30 Amulette und kleine Statuetten platziert.
Moderne Forschung und Erkenntnisse
Die Mumienforschung hat im Laufe der Zeit viele neue Erkenntnisse gebracht. Moderne Techniken wie die Computertomografie und die Kernspintomografie ermöglichen es Forschern, das Innere von Mumien zu untersuchen, ohne sie zu beschädigen. So konnten beispielsweise Veränderungen im Muskelgewebe und in den Knochen von Mumien analysiert werden, was Rückschlüsse auf Krankheiten und Lebensumstände der Verstorbenen zulässt.
Der Fall des Katers Yes: Ein Beitrag zur Pharaonenforschung
Ein besonders interessantes Beispiel ist der Fall des Katers Yes, der von einem Anthropologieprofessor nach allen Regeln der ägyptischen Kunst mumifiziert wurde. Die Untersuchung von Yes' Mumie trug dazu bei, die Veränderungen im Muskelgewebe und im Gehirn während des Mumifizierungsprozesses besser zu verstehen. Diese Erkenntnisse halfen wiederum, die Diagnostik von Krankheiten bei menschlichen Mumien zu verbessern.
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Die Rolle von Herodot: Wahrheit oder Legende?
Die Beschreibungen des griechischen Geschichtsschreibers Herodot über die altägyptische Mumifizierung gelten nicht als besonders authentisch. Herodot kam erst nach Ägypten, als das Land schon im kulturellen Abstieg begriffen war, und viele seiner Informationen stammten aus zweiter Hand. Dennoch sind seine Schilderungen bis heute ein wichtiger Bestandteil unseres Wissens über die altägyptische Kultur.
Mumien in Kunst und Kultur
Mumien haben seit jeher die Fantasie der Menschen beflügelt und sind ein beliebtes Motiv in Kunst, Literatur und Film. Von gruseligen Horrorfilmen bis hin zu abenteuerlichen Schatzsuchen - Mumien sind ein fester Bestandteil unserer Popkultur.
Die Mumie als Filmmonster: Zwischen Schrecken und Trash
Im Vergleich zu anderen klassischen Monstern wie Vampiren und Werwölfen wurde die Mumie im Film oft stiefmütterlich behandelt. Sie erscheint oft unbeholfen und eindimensional, eingehüllt in Mullbinden und auf der Suche nach Rache. In den Trash-Blockbustern der 90er Jahre wurde dieses Problem oft durch das Hinzufügen von zusätzlichen Elementen wie fleischfressenden Riesenkäfern und humorvollen Sprüchen gelöst.
Mullbinden sind Pflicht!
Wer sich als Mumie verkleiden möchte, sollte auf die richtigen Utensilien achten. Mullbinden sind Pflicht, und zwar nicht das leuchtende Weiß, sondern eher ein Gelblich-Braun mit dezenter Erdnote. Wer es etwas einfacher mag, kann sich auch als wiederhergestellter Imhotep verkleiden, mit schicken Augenringen und einem orientalischen Gewand.
Deutsche Redewendungen und der Bezug zum Gehirn
Auch in der deutschen Sprache gibt es interessante Bezüge zum Gehirn. Die Redewendung "jemandem die Würmer aus der Nase ziehen" bedeutet, jemandem ein Geheimnis zu entlocken. Der Ursprung dieser Redewendung liegt in der alten Vorstellung, dass Gedanken wie Würmer im Gehirn sind.
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