Eine Lähmung, gekennzeichnet durch verminderte Muskelkraft, und Spastik, eine Form erhöhter Muskelsteifheit, sind Symptome, die aus unterschiedlichen neurologischen Ursachen resultieren können. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten, die zur Verfügung stehen, um die Auswirkungen dieser Zustände zu mildern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Was ist Spastik?
Bei einer Spastik sind Gelenke oder Körperabschnitte aufgrund erhöhter Muskelspannung steifer als normal. Die Bewegungen sind dadurch gestört, wobei die Steifheit mit zunehmender Bewegungsgeschwindigkeit des Gelenks zunimmt (spastische Tonuserhöhung). Nach einem Schlaganfall tritt Spastik bei bis zu 27 Prozent der Betroffenen innerhalb von drei Monaten auf. Oftmals gehen Spastiken mit Schmerzen in den betroffenen Muskeln oder Gelenken, Lähmungen und vorzeitiger Muskelermüdung einher. Faktoren wie Bewegungseinschränkung, Schmerzen, emotionale Anspannung, Entzündungen, Stuhl- oder Harndrang, Hautschädigungen, Thrombosen oder Knochenbrüche können eine bestehende Spastik verstärken und sollten daher behandelt werden.
Ursachen und Diagnose von Spastik
Spastik entsteht durch Schädigungen des Zentralnervensystems, die Veränderungen in Nerven, Muskeln und Weichteilen verursachen. Diese Veränderungen beeinflussen die mechanischen Eigenschaften und Strukturen der betroffenen Muskeln und Extremitäten. Nach einem Schlaganfall tritt Spastik häufiger bei Personen mit stärkeren Lähmungen, Gefühlsstörungen und Einschränkungen in der Alltagsbewältigung auf. Neben der körperlichen Untersuchung helfen spezielle Diagnoseverfahren, eine Spastik festzustellen. In seltenen Fällen kann Spastik auch bei Erkrankungen wie der hereditären spastischen Paraparese (HSP) auftreten, wobei genetische UntersuchungenAdditional information liefern können.
Therapieansätze bei Spastik
Die Behandlung von Spastik umfasst sowohl medikamentöse als auch nicht-medikamentöse Therapien. Die Auswahl der Therapie hängt davon ab, wie die Spastik über den Körper verteilt ist - ob es sich um eine fokale Spastik an einem oder zwei eng benachbarten Bewegungssegmenten handelt oder um eine segmentale Spastik einer Extremität mit mehreren Bewegungssegmenten.
Nicht-medikamentöse Therapien
- Physiotherapie: Regelmäßiges Durchbewegen und geräteunterstützte Bewegungen helfen, den spastischen Muskeltonus zu reduzieren. Passive Muskelstreckung ist besonders wichtig zusätzlich zur ausgewählten Standardtherapie.
- Arm-Basis-Training: Systematisches Arm-Basis-Training, häufige Wiederholungen und die Kombination mit muskulärer Elektrostimulation zeigen günstige Effekte auf Spastik.
- Robotik: Der Einsatz von Robotern zeigt vielversprechende Verbesserungen bei Standsicherheit, Gang, Treppensteigen oder der Arm-Hand-Funktion.
- Hilfsmittel: Schienen, Splints, Verbände (Casts) und Orthesen können eine Lähmung ausgleichen und günstige Effekte auf die Muskelspannung und Muskellänge haben. Bei Beinlähmungen ist das Aufrichten der Betroffenen die beste Mobilisationsform. Durch das Anlegen von Casts kann schrittweise ein eingeschränkter Bewegungsumfang wieder ausgedehnt werden.
- Elektrostimulation: Elektrostimulation aktiviert über angeklebte Elektroden auf der Haut Nerven und Muskelfasern mit kleinen Strömen (transkutane elektrische Nervenstimulation, TENS). Hier gibt es positive Effekte auf Spastik und den Bewegungsumfang. Auch die funktionelle Elektrostimulation (FES) für Bewegungen, die vom Patienten ganz oder teilweise selbst ausgeführt werden (z.B. Greifen und Hantieren, Gehen), kann neben der Verbesserung motorischer Funktionen einen Spastik-mindernden Effekt aufweisen. Günstige Auswirkungen auf die Spastik wurden zudem mittels Oberflächenelektrostimulation des Rückenmarks bzw.
- Magnetfeldtherapie: Eine spastische Tonuserhöhung lässt sich mit gezielten Magnetfeldreizen zur Stimulation ausgewählter Nerven, Nervenwurzeln oder Hirnarealen behandeln (periphere repetitive Magnetstimulation, prMS; repetitive transkranielle Magnetstimulation, rTMS).
- Stoßwellentherapie: Stoßwellentherapie kann über Wochen anhaltend einen spastisch erhöhten Muskeltonus mindern mit einer begleitenden Erweiterung des Bewegungsumfangs (extrakorporale Stoßwellentherapie, ESTW).
- Lokale Vibrationstherapie: Viele Ergotherapeuten arbeiten heute in unterschiedlichen Anwendungsbereichen mit dem unterstützenden Einsatz von Schallwellengeräten, welche sich auch in der Behandlung von Spastiken erfolgreich bewährt haben. Die sanften Vibrationen tragen dazu bei, Schmerzen zu reduzieren sowie die Folgen eines Schlaganfalls zu lindern. Sowohl bei altersbedingten Gelenkerkrankungen als auch bei muskulären Problemen schafft die lokale Vibrationstherapie Abhilfe.
Medikamentöse Therapien
Die Auswahl einer medikamentösen Behandlung hängt davon ab, wo die Spastik am Körper vorkommt und ob sich eine zugrundeliegende Schädigung im Rückenmark oder im Gehirn befindet. Vor diesem Hintergrund müssen Nutzen und Nebenwirkungen, Akzeptanz und Umsetzbarkeit einer Behandlung gründlich abgewogen werden.
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Orale Therapie: Mit Tabletten oder Spray (orale Therapie) wird vermehrte Muskelaktivität bei Spastik behandelt. Patienten mit einer Spastik beider Beine (Paraspastik) und nicht mobile Patienten mit generalisierter spastischer Tonuserhöhung profitieren in der Regel von einer oralen Therapie.
- Baclofen: Wirkt im zentralen Nervensystem und reduziert die Muskelspannung.
- Dantrolen: Bewirkt Muskelentspannung durch Hemmung der Freisetzung von Kalziumionen im Muskel.
- Tizanidin: Ein weiteres zentral wirksames Muskelrelaxans.
- Tolperison: Kann ebenfalls zur Reduktion der Muskelspannung eingesetzt werden.
- Sativex®: Ist ein Spray für die Mundhöhle und ausschließlich für die bei Multipler Sklerose auftretende spastische Tonuserhöhung zugelassen.
Spastik-Medikamente, die im Zentralnervensystem wirken, führen dosisabhängig relativ häufig zu Müdigkeit, Antriebsminderung oder einer störenden Abnahme der Muskelkraft. Daher sollte die Erhöhung der Dosis vorsichtig erfolgen. Dantrolen sollte wegen der potenziell toxischen Leberschädigung und der Verstärkung bestehender Lähmungen nur eingesetzt werden, wenn es keine bessere Alternative gibt und die Symptome es wirklich erfordern. Die Verbesserungen einer Spastik mit Tabletten und Spray sind zwar messbar, werden von Betroffenen aber nicht immer im Alltag wahrgenommen. Für Tolperison gegenüber Baclofen und für Tizanidin gegenüber Diazepam wurden jedoch auch Alltagsvorteile für Schlaganfall-Betroffene) beschrieben.
Botulinumtoxin (BoNT): Bei fokaler Spastik (ein oder zwei eng benachbarte Bewegungssegmente sind betroffen, z. B. BoNT wird bei einer Überaktivität von Muskeln angewendet, also auch zur Behandlung einer Spastik. Es lässt Muskeln für eine bestimmte Zeit erschlaffen, indem es die Übertragung vom Nerv auf den Muskel für einige Wochen bis Monate blockiert. Sowohl im Hinblick auf die Nebenwirkungen einer oralen Therapie, als auch im Hinblick auf die Wirksamkeit ist eine BoNT-Behandlung Tabletten und Spray überlegen und mindert zudem Schmerzen, die von der Spastik herrühren. Schließlich mehren sich Daten, dass sich eine Spastik nach Schlaganfall durch eine frühzeitige Injektion in reduzierter Dosis vermeiden lässt. Nebenwirkungen sind unter BoNT in den empfohlenen Dosisbereichen pro Muskel und Injektionssitzung selten. Es kann zu Lähmungen kommen (wenn der falsche Muskel getroffen oder zu viel BoNt gespritzt wird). Möglich sind auch Effekte wie Mundtrockenheit oder eine allgemeine Schwäche und lokalen Problemen (Bluterguss und lokale Schmerzen). Bei wiederholtem Einsatz können neutralisierende Antikörper im Blut von Betroffenen können die Wirkung von BoNT abschwächen oder aufheben. Das kommt bei etwa 6 Prozent der Patienten mit Spastik-Behandlung vor. Das Risiko für das Auftreten neutralisierender Antikörper steigt mit der langjährigen Gesamtdosis und wenn das Behandlungsintervall kürzer als drei Monate ist.
Intrathekale Baclofen-Therapie (ITB): Zur Behandlung einer schweren Spastik kann man das Medikament Baclofen auch über ein spezielles Infusionssystem mit einer Pumpe einsetzen. Das Mittel wird dabei direkt in den Nervenwasserraum des Rückenmarks injiziert (intrathekal). Typische und erfolgversprechende Fälle sind Betroffene mit schwerer Spastik nach Rückenmarksverletzungen oder Hirnschädigung, Menschen mit Paraspastik oder multisegmentaler Spastik sowie Hemispastik mit einschießenden Tonussteigerungen. Patienten mit länger zurückliegendem Schlaganfall und Spastik profitieren von einer ITB im Vergleich zur Therapie mit Tabletten und Spray. Auch für Querschnittgelähmte ist die gute Wirksamkeit belegt. Die Indikation für eine ITB sollte erst erfolgen, wenn andere Behandlungen nicht zufriedenstellend waren. Unerwünschte Wirkungen können Infektionen und lokale Flüssigkeitsansammlungen (Serome) beinhalten. Die Diagnose und Betreuung bei Patienten mit ITB sollte daher von einem interdisziplinären Team mit ausgewiesener Kompetenz erfolgen. Die Abklärung und Behandlung von Nebenwirkungen und Komplikationen sollte zu jeder Zeit gewährleistet sein. Leichtere Nebenwirkungen in der Test- und Einstellungsphase verschwinden im Verlauf meist von alleine. Schwere Nebenwirkungen und Komplikationen können im Einzelfall zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.
Chirurgische Verfahren
Bei schwerster Spastik, die anders nicht zu behandeln sind, gibt es chirurgische Verfahren (dorsale Rhizotomie oder Eingriffe in die Eintrittszone der Hinterwurzel ins Rückenmark). Durch sie können ausgeprägte Fehlhaltungen vermieden werden und damit verbundene Pflegehemmnisse, hygienische Probleme und Komplikationen wie Kontrakturen oder Hautläsionen. Nach Versagen der Standardtherapieverfahren und damit verbundenen Schmerzen können in weiteren chirurgischen Verfahren bestimmte Stellen eines Nerven durchtrennt werden (motorische Endäste, z.B. Nervus tibialis bei spastischem Spitzfuß, „pes equinus“).
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Lähmungen: Ursachen, Diagnose und Therapie
Eine Lähmung, definiert als verminderte Kraft in den Muskeln, kann verschiedene Ursachen haben und unterschiedliche Formen annehmen.
Ursachen von Lähmungen
Eine Schädigung des motorischen Nervs, der die Bewegung in einem Muskel einleitet, liegt der Lähmung zu Grunde. Diese Nerven können durch verschiedene Faktoren geschädigt werden, darunter:
- Druckschäden: Tumore oder Bandscheibenvorfälle können Druck auf die Nerven ausüben und die Reizweiterleitung über den Spinalkanal einschränken.
- Entzündungen: Entzündungen der Nerven und Muskeln infolge einer Infektion können ebenfalls zu Lähmungen führen.
- Neurologische Erkrankungen: Multiple Sklerose, infantile Zerebralparese, Schlaganfall und Schädelhirntrauma sind einige der neurologischen Erkrankungen, die mit Lähmungen einhergehen können.
- Weitere Ursachen: Querschnittslähmung, Karpaltunnelsyndrom und Tumore können ebenfalls Lähmungen verursachen.
Formen von Lähmungen
Je nach Schädigungsort und betroffener Extremität werden verschiedene Formen von Lähmungen unterschieden:
- Zentrale Parese: Hier liegt die Ursache im Gehirn oder Rückenmark. Die gelähmte Muskulatur befindet sich immer auf der Gegenseite zur Gehirnschädigung.
- Monoparese: Betrifft nur eine Extremität.
- Paraparese: Betrifft beide Beine.
- Hemiparese: Betrifft Arm und Bein einer Körperseite.
- Tetraparese: Betrifft alle vier Gliedmaßen sowie die Rumpf- und Kopfkontrolle.
- Periphere Parese: Hier ist der Nerv in seinem Verlauf in Armen oder Beinen geschädigt. Die Parese ist immer gleichseitig zur Schädigung. Eine Schädigung mehrerer Nerven im Bereich des Nervengeflechts bezeichnet man als Plexusparese (Armplexusparese oder Beinplexusparese).
- Fazialisparese: Lähmung des Gesichtsnerven, die zu einer einseitigen schlaffen Lähmung der mimischen Muskulatur führt.
Diagnose von Lähmungen
Die Diagnose einer Lähmung erfolgt durch eine klinische Untersuchung, bildgebende Verfahren und optionale Zusatzuntersuchungen.
- Klinische Untersuchung: Bewertung der Muskelkraft anhand von Skalen wie dem "Medical Research Council" (MRC).
- Elektromyographie (EMG) und Elektroneurographie (ENG/NLG): Untersuchung der Nervenleitgeschwindigkeit und des Muskels.
- Bildgebende Verfahren (CT oder MRT): Aufschluss über zentrale Schädigungen.
Therapie von Lähmungen
Die Therapie von Lähmungen ist abhängig von der Ursache und dem Ausmaß der Beeinträchtigung. Im Wesentlichen kommen zwei Therapieansätze infrage, die auch miteinander kombiniert werden können:
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- Medikamentöse Behandlung:
- Behandlung der ursächlichen Erkrankung, z.B. durch Chemo- oder Strahlentherapie bei Tumorerkrankungen.
- Muskelrelaxantien zur Senkung des Muskeltonus bei spastischen Lähmungen.
- Injektion von Botulinumtoxin bei Spastik zur Reduktion der Muskelspannung.
- Physiotherapie:
- Erhaltung oder Verbesserung der Mobilität.
- Verhinderung von Muskelabbau (Atrophie).
- Senkung der Muskelspannung bei Spastik durch neurophysiologische Therapieansätze (z.B. Bobath, Vojta, PNF, Feldenkrais Methode).
- Individuelle Behandlungspläne, die passive krankengymnastische Behandlung (z.B. Dehnung, Wärme) mit aktiven Übungen (Krankengymnastik am Gerät, Wassertherapie) verbinden.
- Funktionelle Elektrostimulation (FES): Kann ausgezeichnet mit Aktivitäten des täglichen Lebens kombiniert werden.
- Weitere Therapieansätze:
- Wärmebehandlung (z.B. Fango oder heiße Rolle) und Massagen zur Muskelentspannung.
- Einbindung von Expertinnen und Experten aller relevanten Fachbereiche (Orthopädie, Neurologie, Physio- und Ergotherapie, Logopädie, Sportwissenschaft und Psychologie).
Operative Therapie bei Fazialisparese
Das gesamte Spektrum operativer Verfahren zur Behandlung der Fazialisparese wird angeboten. Hierzu gehören sowohl Techniken der Nervenrekonstruktion sowie sekundär plastisch-rekonstruktive Maßnahmen mit dem Ziel der Rehabilitation des Mundes bzw. des Auges.
- Nervenrekonstruktion:
- Primäre Nervennaht: Nach erlittenem Trauma bietet die primäre Versorgung die besten Aussichten für eine erfolgreiche Reinnervation.
- Sekundäre Nervennaht - Nerveninterponate: Unter Verwendung von sensiblen Hautnerven (z.B. N. suralis vom Unterschenkel) können Defekte im Verlauf des N.facialis erfolgreich überbrückt werden.
- Hypoglossus-Fazialis-Anastomose: Hierbei werden Teile des N. hypoglossus (Zungennerv) mit peripheren Enden des N. facialis verbunden um eine Reinnervation der gelähmten Muskulatur zu erzielen.
- Cross-Face Nerve Graft (CFNG): Bei Fehlen eines geeigneten zentralen N. facialis-Stumpfes kann unter Verwendung eines Nerventransplantates (z.B. N. suralis) von der gesunden Seite die Innervation der Muskulatur der gelähmten Seite erreicht werden. Zusätzlich kann die Technik des CFNG als additives Verfahren zum freiem funktionellen Muskeltransfer gesehen werden.
- Neuromuskuläre Transposition: Hierunter wird die Einbringung eines innervierten Fremdmuskels in die gelähmte mimische Muskulatur verstanden. Für die Gesichtsmuskulatur eignet sich hier insbesondere der M. temporalis oder der M. masseter. Auch die sog. freie neurovaskuläre funktionelle Muskeltransplantation gehört zum Routinerepertoire. Hierunter versteht man die Verwendung eines Muskel-Nerv-Gefäß-Transplantates, z.B. aus einem Oberschenkelmuskel (M. gracilis) als Ersatz für die gelähmte Gesichtsmuskulatur.
- Statische Ersatzoperationen.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit gewährleistet eine optimale Patientenversorgung mit weitgehender Wiederherstellung der Muskelfunktion und somit wesentlicher Verbesserung der Lebensqualität.
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