Kann das Gehirn Gesichter erfinden? Die faszinierende Welt der Gesichtserkennung im Traum und in der Realität

Träume sind ein faszinierendes Phänomen. Wir träumen von den merkwürdigsten Leuten, von der eigenen Chefin bis zum Mitschüler von damals, und erleben oft sehr unrealistische Dinge. Menschen versuchen seit jeher, Träume zu deuten und Erklärungen dafür zu finden. Eine häufige Annahme ist, dass unser Gehirn im Traum keine neuen Gesichter erzeugt. Doch stimmt das wirklich? Und wie erkennen wir überhaupt Gesichter, sowohl im Wachzustand als auch im Traum?

Die Schwierigkeit der Gesichtserkennung im Traum

Im Traum erscheinen uns vertraute Menschen häufig mit undeutlichem Gesicht. Das Antlitz wirkt verschwommen oder ist gar nicht im Fokus. Oft wissen wir zwar, wer es ist, aber meist sind sie gesichtslos. Es gibt neurologische und psychologische Gründe, warum wir im Traum keine klaren Gesichter erkennen.

Während des Träumens fährt die Gehirnaktivität herunter. Die Abteilung, die für das logische Denken und die Verarbeitung von Details zuständig ist, macht Pause. Deswegen fällt es uns schwer, uns in diesem Zustand an detaillierte und klare Bilder, wie Gesichter, zu erinnern. Im Wachzustand werden Informationen direkt vom Auge zum Gehirn geschickt. Im Traum dagegen muss das Gehirn auf Erinnerungen zurückgreifen, die wesentlich ungenauere Informationen als visuelle Reize liefern. Bei der Kombination dieser Meldungen kommt es zu Überlagerungen und Verzerrungen, und dir erscheint alles etwas verschwommen.

Zudem vergisst man Träume oft, da das Geträumte nicht ins Langzeitgedächtnis übermittelt wird, um zu verhindern, dass Geträumtes sich mit der Erinnerung an wirklich erlebte Ereignisse überschneidet. Traum- und Schlafforschung ist eine schwierige Angelegenheit, da es aufwändig ist, die Vorgänge im Gehirn zu messen und zu interpretieren. Schlafforscher nehmen das EEG (Elektroenzephalogramm) zu Hilfe, um zu erfassen, wann jemand träumt. Das EEG misst die elektrischen Vorgänge des Hirns, auch neuronale Aktivität genannt. Im wachen Zustand sind die Neuronen aktiver als im Schlaf. Das lässt sich grafisch abbilden. Die Messungen sagen aber nichts über die Trauminhalte aus. Zu den Inhalten müsste man die Personen befragen, was sich wegen der Traumamnesie schwierig gestaltet. Es gibt aber durchaus Unterschiede im Erinnerungsvermögen der Träumenden. Französische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass bei Menschen mit lebhaften Traumerinnerungen auch während des Schlafs zwei für die Aufmerksamkeit wichtige Hirnareale aktiv sind.

Die Rolle der Erinnerung und Fantasie im Traum

Trotz der undeutlichen Gesichter im Traum geht die Forschung davon aus, dass im Traum nur Gesichter von Personen auftauchen, die wir gut kennen. Schlafforscher Michael Schredl erklärt: „Im Prinzip ist es so, dass wir uns im Traum mit den Dingen befassen, die wir tagsüber wahrgenommen haben und die uns tagsüber beschäftigen sowie mit Dingen, die wir seit längerem im Gedächtnis abgespeichert haben.“

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Allerdings ist das nur die eine Seite der Medaille. Denn wir können darüber hinaus viel mehr träumen als das, was wir kennen. Das ist durch viele Studien gesichert. Genauso wie im Wachzustand können wir im Traum mit unserer Fantasie neue Dinge schöpfen. Zu träumen, dass wir plötzlich in Tokio sind, obwohl wir noch nie in Tokio waren und auch noch keinen Film über Tokio gesehen haben, ist kinderleicht. Das Monster im Traum muss nicht das Monster sein, das wir im Kino gesehen haben. Es kann ein Monster sein, das wir im Traum neu kreieren. Es ist geradezu ein Wesenszug des Traums, dass er innovativ sein kann. Der Traum greift vorwiegend Dinge aus der Erinnerung ab, bastelt sich aber immer wieder Neues zusammen. Das Schöpfen neuer Kombinationen von Erlebtem oder von komplett neuen Dingen ist sehr häufig. Die Basis ist fast immer die Erfahrung der Wachrealität, die Fantasie ist das Sahnehäubchen.

Die Neurowissenschaft der Gesichtserkennung

Die Neurowissenschaftlerin Erica Seigneur von der kalifornischen Stanford-Universität behandelt in einem Blog Leserfragen rund ums Gehirn. Sie sagt, dass diese Frage prinzipiell nicht durch wissenschaftliche Experimente zu beantworten sei. Die erste Frage, die man sich daraufhin stellen muss, lautet: Wie könnte eine Widerlegung dieser These aussehen?

Als Studentin am California Institute of Technology hörte die Neurowissenschaftlerin von den bahnbrechenden Experimenten von David Hubel und Torsten Wiesel. Die beiden hierfür mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Neurophysiologen hatten entdeckt, wie der primäre visuelle Kortex des Gehirns Kanten aus den von den Augen gelieferten Bildern extrahiert. Demnach lässt sich mit Neurowissenschaft verstehen, wie neuronale Aktivitäten eine bewusste Wahrnehmung erzeugen. Sie hatte ihren Lebenstraum gefunden: zu untersuchen, wie die visuelle Wahrnehmung funktioniert und wie das Gehirn aus elektrischer Aktivität wahrgenommene Gegenstände codiert - und zwar nicht nur simple Linien, sondern auch schwer definierbare Objekte wie Gesichter. Die Frage lautete also: Welche Hirnregionen sind damit befasst und welche Muster neuronaler Impulse versetzen uns in die Lage, unsere Mitmenschen zu identifizieren?

Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) hatte die Arbeitsgruppe eine Hirnregion aufgespürt, die auf Bilder von Gesichtern viel stärker reagierte als auf Darstellungen anderer Objekte.

Die Suche nach den "Großmutter-Neuronen"

Ob Familienangehörige, Arbeitskollegen oder enge Freunde - das Erkennen bekannter Gesichter ist für unser Sozialleben fundamental wichtig. Doch wo genau dies passiert und wie, ist erst in Teilen bekannt. So weiß man, dass ein Zentrum der Gesichtserkennung im sogenannten fusiformen Gesichtsareal liegt, einem kleinen Gebiet in der Spindelwindung des Schläfenlappens. Dieses Areal wird immer dann aktiv, wenn wir ein Gesicht sehen.

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Strittig war bisher jedoch, wo und wie unser Gehirn vertraute Gesichter erkennt. Denn dafür muss es nicht nur erkennen, dass es sich um ein Gesicht handelt, es muss auch das Gesehene mit abgespeicherten Erinnerungen abgleichen. Dies könnte über eine Verschaltung von Gesichtserkennungs-Arealen mit Gedächtniszentren passieren. Konkret würde das bedeuten, dass diese Neuronen für jeweils nur ein Gesicht zuständig sind. Eines reagiert nur auf das Gesicht unserer Großmutter, eines auf unser Kind oder die beste Freundin - so die Theorie. Nach ihr dürften diese „Großmutter-Neuronen“ zudem nur auf vertraute Gesichter reagieren, den Rest übernimmt das allgemeine Gesichtserkennungs-Zentrum.

Sofia Landi von der Rockefeller University in New York und ihre Kollegen haben eine kleine Gruppe von Neuronen entdeckt, die ganz ähnlich reagieren wie die lange postulierten „Großmutter-Neuronen“. „Diese Zellen reagieren nur auf Gesichter, die dem Individuum persönlich bekannt sind „, berichtet das Team. Für ihre Studie hatten die Forschenden die Hirnaktivität von Makaken mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) aufgezeichnet, während diese sich Portraitbilder von Artgenossen, Menschen und Objekte ansahen. Einige davon waren den Affen durch persönlichen Kontakt vertraut, andere dagegen hatten sie zuvor nur flüchtig auf einem Bildschirm gezeigt bekommen.

Die Zellen am Temporalpol feuerten nur, wenn die Makaken das Gesicht eines ihnen persönlich bekannten Artgenossen sahen. „Eine Beispielszelle aus dem Temporalpol reagierte bei keinem der 145 gezeigten Gesichtsstimuli - mit einer Ausnahme: dem Gesicht eines eng vertrauten Artgenossen“, schreiben Landi und ihre Kollegen. „Eine andere Zelle feuerte nur bei den Gesichtern einiger weniger bekannter Mit-Affen.“ Insgesamt reagierten 90 der 98 in diesem Areal identifizierten Neuronen spezifisch auf nur ein oder wenige bekannte Gesichter.

Weitere Tests ergaben, dass die Temporalpol-Zellen die vertrauten Gesichter ohne Hilfe durch verknüpfte Areale erkannten und dies extrem schnell. „Die Temporalpol-Zellen reagieren überraschend schnell auf Informationen“, berichten die Wissenschaftler. Nach Ansicht des Forschungsteams deuten alle Ergebnisse darauf hin, dass es sich um eine völlig neue Klasse von Neuronen handelt, die Sinneswahrnehmung und Erinnerung in sich vereinen. „Einerseits sind diese Zellen sehr sensorisch und visuell, andererseits arbeiten sie wie Gedächtniszellen“, sagt Landis Kollege Winrich Freiwald.

Interessant auch: Die „Großmutter“- Zellen reagierten nicht auf Gesichter, die die Makaken zuvor nur am Bildschirm gesehen hatten. Selbst wenn die Affen die entsprechenden Artgenossen oder Personen schon mehrfach virtuell betrachten konnten, blieben die Zellen am Temporalpol stumm. „Das unterstreicht möglicherweise die Bedeutung der persönlichen Begegnung - vor allem angesichts des Trends zum virtuellen Kontakt“, sagt Landi.

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Das Wissen um diese spezifischen „Großmutter“-Zellen wirft aber nicht nur ein neues Licht auf unsere Gesichtserkennung, es könnte auch Ansätze bieten, um Menschen mit Gesichtsblindheit zu helfen. Bei dieser sogenannten Prosopagnosia können die Betroffenen sich keine Gesichter merken und erkennen selbst enge Angehörige nur an der Stimme, der Kleidung oder bestimmten Körpermerkmalen.

Prosopagnosie: Wenn die Gesichtserkennung versagt

Wer schon einmal ein Phantombild anfertigen lassen musste, weiß wie schwer es ist, ein fremdes Gesicht möglichst genau zu beschreiben. Für zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ist allein die Vorstellung daran ein Graus. Sie leiden an angeborener Prosopagnosie, die auch als Gesichtserkennungsschwäche oder Gesichtsblindheit bezeichnet wird. Während die meisten Menschen andere problemlos nach einem kurzen Blick in deren Gesicht erkennen, haben betroffene Personen damit starke Probleme.

Menschen mit Prosopagnosie sehen ganz normal: Sie können Objekte erkennen und auch Gesichter wahrnehmen. Allerdings sind sie meist nicht in der Lage, andere Menschen - selbst enge Familienmitglieder und Freunde - nur anhand ihres Gesichts zu erkennen. Häufig scheinen sich Prosopagnosiker ihrer Einschränkungen in der Gesichtserkennung nicht bewusst zu sein und entwickeln unbewusst Vermeidungsstrategien. Störungen in der Gesichtserkennung können durch Hirnverletzungen auftreten, beispielsweise nach einem Schlaganfall. Deutlich häufiger ist jedoch die angeborene Form der Prosopagnosie.

Die Erforschung der angeborenen Prosopagnosie könnte nicht nur all denen helfen, die Schwierigkeiten haben, Gesichter zu erkennen, sondern auch wichtige Erkenntnisse über die Hirnfunktionen bei der Personenerkennung und der Verarbeitung von Gesichtern liefern.

Die "Feeling-of-Knowing"-Erfahrung

Kennen Sie das: Sie sehen ein bekanntes Gesicht in der Menge, können ihm aber auf die Schnelle keinen Namen zuordnen? Fast jeder hat diese Situation schon einmal erlebt, doch gerade für ältere Menschen kann sich die Namensvergesslichkeit zu einer dauernden Frustration und Peinlichkeit auswachsen. Wie werden Gesichter vom Gehirn erkannt und die passenden Namen herausgesucht? „In anderen Worten, woher wissen wir, wenn eine Erinnerung auftaucht, dass sie die richtige ist im Gegensatz zu etwas, was wir uns nur einbilden oder träumen?“, erklärt Alfred Kaszniak, einer der Autoren der Studie.

Die Ergebnisse zeigen, dass “es deutliche Unterschiede in der Überlagerung der Hirnaktivität gibt, wenn die Probanden in einem „feeling-of-knowing“ (FOK)-Status sind oder aber wenn sie erfolgreich einen Namen zugeordnet haben.“ Insbesondere der mittlere Präfrontale Kortex, die Stirnregion der Großhirnrinde, war während des FOK-Stadiums aktiv, nicht aber wenn das Gesicht entweder eindeutig erkannt wurde der aber gar nicht bekannt war. “Dieser Prozess könnte besonders während des feeling-of-knowing wichtig sein, in dem das Zielwort aktiv gesucht wird und dabei auch alternative Informationen mit auftauchen wie zum Beispiel Silben des Namens, der Beruf der gesuchten Person oder Filme und Ereignisse, in denen die Person eine Rolle spielte“, erklärt Pannu.

Doch auch eine andere Gehirnregion war während des FOK-Stadiums aktiv, aber auch dann, wenn der Name zwar erfolgreich gefunden wurde, es aber einige Zeit gedauert hatte. “Sie reagiert sehr sensibel auf Fehlzuordnungen zwischen einem „Template“, einem Set von Fakten über Personen und Gesichter, und den individuellen Gesicht, dem nicht auf Anhieb ein Name zugeordnet werden kann“, erklärt Kaszniak. „Es entdeckt diese Art von Diskordanzen. Die meisten Untersuchungen zum Gedächtnis konzentrierten sich in der Vergangenheit entweder auf erfolgreiche Erinnerung oder aber das Vergessen, ignorierten aber das gespeicherte, momentan aber nicht abrufbare Wissen, so Pannu. Diese Studie stellt daher einen ersten Versuch daher, zu verstehen, was das Gehirn in diesem Zwischenstadium tut. Der nächste Schritt der forscher wird eine Studie mit älteren Erwachsenen und dem Phänomen des „auf der Zunge liegens“ sein - das Gefühl, ein Wort fast im Kopf zu haben es aber im Moment nicht abrufen zu können. „Wir wollen wissen, was im Gehirn dafür verantwortlich ist.

Verzerrte Wahrnehmung: Wenn das Gehirn uns überlistet

Die Ursache für diese Täuschung liegt in unserem Gehirn. Nimmt es etwas in unserem Blickfeld nur unvollständig oder diffus wahr, ergänzt es die Wahrnehmung. Die aufgenommene visuelle Information wird so angepasst, dass sie einem vertrauten Bild entspricht. Pareidolien sind also Fehlinterpretationen durch unsere grauen Zellen.

Von Halluzinationen unterscheidet sich die Pareidolie dadurch, dass wir sie bewusst steuern können. Unser Gehirn verleiht uns auf diese Weise auch die Fähigkeit, zum Zeitvertreib Tiere in Wolkenbänken oder schlafende Riesen in großen Gebirgsketten zu sehen.

Allerdings kommt der Erkennung von Gesichtern eine Sonderstellung zu. Forscher des Instituts für Technologie in Massachusetts haben herausgefunden, dass unsere linke Hirnhälfte analytisch beurteilen kann, wie ähnlich ein Bild einem Gesicht ist. Die rechte Hemisphäre des Gehirns entscheidet dann innerhalb von kurzer Zeit, ob wir wirklich ein Gesicht vor uns haben.

Der Ursprung des Phänomens ist wahrscheinlich evolutionär begründet. Schließlich sind Gesichter das eindeutige Erkennungszeichen eines Menschen. Ein menschliches Gesicht als solches zu identifizieren, kann für Säuglinge und Kleinkinder überlebenswichtig sein. Im späteren Leben hilft es Menschen dabei, Personen in unübersichtlichen Situationen schnell zu erkennen. Und auch diese Fähigkeit kann uns in gefährlichen Situationen wichtige Hilfe leisten.

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