Polyneuropathie: Ursachen, Symptome und Behandlungsansätze

Die Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Erkrankungen, bei denen das periphere Nervensystem außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks geschädigt ist. Diese Schädigung kann die Reizweiterleitung der Nerven beeinträchtigen, was zu einer Vielzahl von Symptomen führt.

Was ist Polyneuropathie?

Der medizinische Fachbegriff Neuropathie bedeutet Nervenkrankheit. Von einer Polyneuropathie spricht man, wenn viele („poly“) Nerven gleichzeitig betroffen sind. Das periphere Nervensystem besteht aus Nerven, die die Muskeltätigkeit steuern, das Körpergefühl und die Wahrnehmung auf der Haut vermitteln und die Funktion der inneren Organe beeinflussen. Bei einer Polyneuropathie ist die Reizweiterleitung der Nerven gestört. Reize werden nicht, zu stark oder abgeschwächt an das Gehirn geleitet. Kommandos vom Gehirn werden nicht mehr zuverlässig an die Muskeln und die inneren Organe weitergeleitet.

Es gibt zwei Haupttypen der Schädigung bei Polyneuropathie:

  • Demyelinisierende Polyneuropathie: Hier zerfällt die Isolation um die Nervenfasern herum (Myelinschicht), was zu einer fehlerhaften Weiterleitung elektrischer Impulse führt.
  • Axonale Polyneuropathie: Hier geht die Nervenfaser selbst kaputt.

Beide Formen können auch in Kombination auftreten.

Ursachen von Polyneuropathie

Es sind über 300 verschiedene Ursachen einer Polyneuropathie bekannt. Die Erkrankung betrifft Männer und Frauen gleichermaßen und nimmt mit dem Alter zu. Etwa 5% der über 55-Jährigen leiden unter einer Polyneuropathie. Die häufigsten Ursachen sind:

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  • Diabetes mellitus: Experten schätzen, dass jeder zweite Diabetiker im Laufe seines Lebens an einer diabetischen Polyneuropathie erkrankt. Der erhöhte Blutzucker spielt eine wesentliche Rolle und begünstigt die Nervenschädigung. Diabetiker, die Probleme mit der Einstellung ihres Blutzuckers haben oder diese vernachlässigen, entwickeln besonders früh und besonders schwer eine Polyneuropathie.
  • Alkoholmissbrauch: Bei der Polyneuropathie als Folge eines chronischen Alkoholmissbrauchs werden die Nerven toxisch geschädigt und dadurch die Reizleitung gestört. Hoher Alkoholkonsum schädigt direkt die Nerven und die Leber.
  • Weitere Stoffwechselerkrankungen: Schilddrüsenerkrankungen, Nierenerkrankungen oder Lebererkrankungen können die peripheren Nerven schädigen.
  • Infektionen: Einige Infektionen mit Bakterien oder Viren können ebenfalls eine Polyneuropathie auslösen (z.B. HIV, Borreliose, Diphtherie, Pfeiffersches Drüsenfieber). Eine akute Erkrankung, das so genannte Guillain-Barré-Syndrom wird autoimmun ausgelöst und zerstört die Nervenscheiden der peripheren Nerven. Sind die Nerven selbst entzündet, so nennt man das Polyneuritis. Eine besonders rasch innerhalb von zwei bis drei Tagen auftretende Polyneuritis ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS).
  • Medikamente und Gifte: Bestimmte Medikamente, vor allem solche, die in der Therapie von Krebserkrankungen eingesetzt werden (z.B. Cisplatin), und Gifte (z.B. Arsen) können eine Polyneuropathie verursachen.
  • Vitaminmangel: Ein Mangel an Vitamin B12, oft nach Magen-Operationen, kann ebenfalls eine Polyneuropathie verursachen. Mangelernährung oder einseitige Kost führen zu Vitamin- und Nährstoffmangel.
  • Erbkrankheiten: Erbkrankheiten können eine Polyneuropathie zur Folge haben.
  • Tumorerkrankungen
  • Autoimmunerkrankungen
  • Nierenerkrankungen
  • Lebererkrankungen

In etwa 20 % der Fälle bleibt die Ursache unklar (idiopathische Polyneuropathien).

Risikofaktoren

Nicht alle genannten Ursachen führen automatisch zu einer Polyneuropathie. Sie können jedoch das Risiko für Nervenschäden deutlich erhöhen - insbesondere, wenn weitere belastende Faktoren hinzukommen. Wer diese Risikofaktoren meidet oder reduziert, kann die Entstehung einer Polyneuropathie möglicherweise verhindern oder verzögern:

  • Hoher Alkoholkonsum
  • Rauchen
  • Mangelernährung oder einseitige Kost
  • Bewegungsmangel
  • Starkes Übergewicht
  • Drogen- oder Medikamentenmissbrauch

Symptome einer Polyneuropathie

Die Symptome von Polyneuropathien sind äußerst vielfältig und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. Erste Anzeichen treten häufig an den Füßen oder den Händen auf.

Sensible Symptome:

Die Symptome beginnen meistens an den Füßen, später an den Händen, und steigen dann langsam auf, Richtung Körpermitte.

  • Kribbeln ("Ameisenlaufen")
  • Stechen
  • Taubheitsgefühle
  • Schwellungsgefühle
  • Druckgefühle
  • Gangunsicherheit
  • Fehlerhaftes Temperaturempfinden
  • Neuropathische Schmerzen (brennend, stechend, einschießend)

Motorische Symptome:

Die motorischen Nerven beeinflussen die Muskulatur.

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  • Muskelzucken
  • Muskelkrämpfe
  • Muskelschwäche
  • Muskelschwund

Autonome Symptome:

Autonome Nerven beeinflussen die Funktion unserer Organe.

  • Herzrhythmusstörungen
  • Blähgefühl und Appetitlosigkeit, Aufstoßen
  • Durchfall und Verstopfung im Wechsel
  • Urininkontinenz, Stuhlinkontinenz
  • Impotenz
  • Gestörtes Schwitzen
  • Schlechte Kreislaufregulation mit Schwindel beim (raschen) Aufstehen (Orthostase)
  • Schwellung von Füßen und Händen (Wassereinlagerungen)

Diabetischer Fuß

Viele Menschen mit Diabetes mellitus entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung eine Polyneuropathie, die häufig an den Füßen beginnt. Erste Anzeichen sind Kribbeln, Brennen oder ein vermindertes Schmerzempfinden. Verletzungen bleiben oft unbemerkt und es können sich schwer heilende Wunden bilden (Diabetischer Fuß).

Diagnose

Der Verdacht auf eine Polyneuropathie besteht bei den obengenannten Symptomen. Für die Diagnose Polyneuropathie werden verschiedene neurologische Tests und Untersuchungen durchgeführt:

  • Anamnese: Gespräch zwischen Arzt und Patient über die Krankengeschichte, Medikamentengebrauch, Symptome und Entwicklung der Beschwerden, Ernährung, Lebensstil und Risikofaktoren.
  • Neurologische Untersuchung:
    • Test auf Berührungsempfindlichkeit
    • Test auf Vibrationsempfindlichkeit (Stimmgabeltest)
    • Untersuchung der Muskeleigenreflexe
  • Elektrophysiologische Untersuchungen:
    • Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurografie)
    • Untersuchung der Aktivität von Muskeln mithilfe der Elektromyografie
  • Laboruntersuchungen:
    • Kontrolle des Blutzuckerspiegels
    • Weitere Blutuntersuchungen (Leber- und Nierenwerte, großes Blutbild, Entzündungswerte, Vitamin-B-Mangel, spezielle Laboruntersuchungen des Immunsystems)
    • Urinuntersuchung
    • Laboruntersuchungen auf infektiöse Ursachen
  • Weitere Untersuchungen (bei Bedarf):
    • Proben des Nervengewebes (Nervenbiopsien) und ggfls. Proben des Muskelgewebes
    • Untersuchung des Druck- und Temperaturempfindens
    • Liquoruntersuchung (Nervenwasser)
    • Haut-Nerven-Muskelbiopsie
    • Genetische Tests und bildgebende Verfahren

Behandlung

Die Behandlung richtet sich immer nach der zugrunde liegenden Ursache. Wird diese erkannt und frühzeitig behandelt, können sich die Symptome häufig deutlich bessern. Bei idiopathischen Polyneuropathien, bei denen keine Ursache gefunden wird, konzentriert sich die Therapie auf die Linderung der Beschwerden und die Erhaltung der Lebensqualität. Ziel ist es, Schmerzen zu reduzieren, Beweglichkeit und Kraft zu fördern und den Alltag bestmöglich zu unterstützen. Eine Ausnahme ist die heriditäre Transthyretin Amyloidose (hATTR). Patient*innen mit dieser Erbkrankheit erleiden aufgrund einer fortschreitenden Amyloid-(Eiweiß)Ablagerung Schäden an multiplen Organen, die inzwischen erfolgreich behandelt werden können. Die Behandlung einer Polyneuropathie ist stets individuell und kann nicht verallgemeinert werden.

Kausale Therapie:

  • Diabetes: Optimierte Einstellung der Blutzuckerwerte.
  • Alkoholmissbrauch: Absolute Alkoholabstinenz.
  • Vitaminmangel: Ausgleich des Mangels durch Nahrungsergänzungsmittel oder Ernährungsumstellung.
  • Infektionen: Behandlung mit Antibiotika oder antiviralen Medikamenten.
  • Autoimmunerkrankungen: Immunmodulierende Therapien wie Immunglobuline, Kortikoide oder Immunsuppressiva.
  • Medikamente/Gifte: Absetzen oder Wechsel der Medikamente, Vermeidung des Kontakts mit Giften.
  • Tumorerkrankung: Behandlung der Krebserkrankung.

Symptomatische Therapie:

  • Schmerztherapie:
    • Medikamente gegen neuropathische Schmerzen (Antidepressiva, Antikonvulsiva).
    • Pflaster mit lokalen Betäubungsmitteln oder Capsaicin.
    • Physikalische Therapien und Naturheilverfahren.
    • Elektrotherapien (TENS).
  • Physikalische Therapie:
    • Bäder, Elektrotherapie und Wärmeanwendungen zur Linderung sensibler und motorischer Symptome.
    • Krankengymnastik, Sporttherapie und medizinische Trainingstherapie zur Stärkung der Muskulatur.
    • Gangtraining im Rahmen einer intensivierten Physiotherapie und durch Eigenübungen ist ebenfalls sinnvoll, um Stürzen und der en Folgen vorzubeugen.
  • Ergotherapie: Verbesserung der Feinmotorik und Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben.
  • Psychologische Therapie: Psychische Krankheitsbewältigung.
  • Behandlung von Begleiterscheinungen:
    • Magen- und Darmprobleme: Häufigere, aber kleinere Mahlzeiten, Medikamente gegen Übelkeit und Durchfall.
    • Schwindel und körperliche Schwäche: Stützstrümpfe und regelmäßiges Muskeltraining.
    • Impotenz: Wirkstoffe wie Sildenafil.
    • Hautschädigungen und Wundheilungsstörungen müssen vermieden werden.
  • Rehabilitation:
    • Wiederherstellung gestörter Nervenfunktionen.
    • Entwicklung von alternativen Strategien für gestörte Nervenfunktionen.
    • Anpassung von Hilfsmitteln (Gehhilfen, Rollstühle).
    • Optimale Pflege und Regeneration der Haut und der chronischen Wunden.

Verlauf und Prognose

Der Verlauf einer Polyneuropathie ist je nach Ursache unterschiedlich. Akute Formen können sich oft innerhalb weniger Wochen bessern oder vollständig ausheilen. Häufig verläuft die Erkrankung jedoch über einen längeren Zeitraum. Wenn bleibende Nervenschäden bestehen oder eine chronische Grunderkrankung wie Diabetes mellitus vorliegt, ist meist eine langfristige Behandlung erforderlich. Erbliche Polyneuropathien können bislang nicht geheilt werden. Hier gilt es, die Beschwerden zu lindern, das Fortschreiten der Neuropathie zu verlangsamen sowie die Körperfunktionen und die Lebensqualität der Patient*innen zu verbessern.

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Tipps für die Vorsorge und mehr Lebensqualität

  • Blutzucker kontrollieren: Menschen mit Diabetes kontrollieren am besten regelmäßig ihren Blutzucker und nehmen ärztlich verordnete Medikamente ein.
  • Füße kontrollieren: Eine Polyneuropathie an Beinen oder Füßen erhöht das Risiko für Fußgeschwüre - eine regelmäßige Kontrolle auf Wunden ist also wichtig.
  • Bewegen: Menschen mit Polyneuropathie können bei Schmerzen und Missempfindungen von verschiedenen Angeboten wie Aquagymnastik oder Gehtraining profitieren.
  • Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen
  • Tragen von bequemem Schuhwerk
  • Meidung von Druck
  • Nutzung professioneller Fußpflege
  • Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (150 min Ausdauersport/Woche z. B.

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