Die Frage, ob Antidepressiva wie Venlafaxin das Demenzrisiko erhöhen können, ist komplex und Gegenstand aktueller Forschung. Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Antidepressiva, insbesondere solche mit anticholinergen Eigenschaften, bei langfristiger Anwendung das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz erhöhen könnten. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage und diskutiert die möglichen Zusammenhänge zwischen Antidepressiva-Einnahme und Demenzrisiko.
REM-Schlaf-Unterdrückung und kognitive Funktion
Studien haben gezeigt, dass die Unterdrückung des REM-Schlafs, einer wichtigen Schlafphase für die Gedächtniskonsolidierung, durch bestimmte Antidepressiva Lernprozesse beeinträchtigen und Gedächtnisstörungen hervorrufen kann. Erinnerungen werden in den REM-Schlafphasen im Langzeitgedächtnis verfestigt, was für automatisierte Lernvorgänge wie Klavierspielen oder Fahrradfahren entscheidend ist. Die Einnahme von Antidepressiva wie Amitriptylin kann den Lernerfolg beeinträchtigen, was darauf hindeutet, dass kognitive Störungen bei depressiven Patienten zumindest teilweise durch diese Medikamente verursacht werden könnten.
Anticholinergika und Demenzrisiko
Eine große Fall-Kontroll-Studie aus England hat untersucht, ob eine Langzeitbehandlung mit Anticholinergika das Demenzrisiko begünstigt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Langzeitbehandlung mit stark wirksamen anticholinergen Antidepressiva, Antiparkinson-Mitteln, Antipsychotika, harnblasenwirksamen Antimuskarinika und Antikonvulsiva die Entwicklung einer Demenz begünstigen könnte. Interessanterweise wurde auch ein gesteigertes Risiko für vaskuläre Demenzen festgestellt.
Die Studie ergab, dass das Demenzrisiko mit der Gesamtexposition gegenüber Anticholinergika stieg. Patienten, die hohe Dosen erhielten, hatten ein deutlich höheres Risiko im Vergleich zu Patienten, die keine Anticholinergika einnahmen. Im Detail zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem erhöhten Demenzrisiko und der Einnahme von Antidepressiva, Anti-Parkinsonmittel, Antipsychotika, harnblasenwirksame Antimuskarinika und Antikonvulsiva.
Antidepressiva-Einnahme und kognitiver Abbau bei Demenz
Eine weitere Studie aus dem Jahr 2025 deutet darauf hin, dass die Einnahme von Antidepressiva, insbesondere selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), bei älteren Menschen mit kognitiven Störungen oder Demenz mit einem schnelleren kognitiven Abbau assoziiert ist. Dabei spielt auch die verordnete Dosis eine Rolle. Diese Ergebnisse müssen jedoch vorsichtig interpretiert werden, da das Studiendesign keine Rückschlüsse auf Kausalität zulässt.
Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?
Depressionen im Alter und Demenzrisiko
Depressionen sind die häufigste psychische Störung im höheren Lebensalter. Es ist wichtig zu beachten, dass Depressionen selbst das Risiko für Demenz erhöhen können. Umgekehrt ist auch das Risiko für depressive Störungen bei Menschen mit Demenz deutlich erhöht. Depressive Störungen können die kognitiven Fähigkeiten, Alltagsfunktionen und soziale Kompetenz von Menschen mit Demenz zusätzlich beeinträchtigen.
Die Diagnose, ob primär eine Depression oder eine Demenz vorliegt oder beides, ist nicht immer einfach. Klinische Merkmale wie Desorientiertheit, Konfabulationen, ein zeitlich unscharfer Beginn der Erkrankung und Hirnwerkzeugstörungen sprechen für eine Demenz. Schuldgefühle, Lebensüberdrussgedanken, Schlaflosigkeit, Gewichtsverlust, Interessensverlust und psychomotorische Hemmung oder Agitation sprechen für eine zusätzliche schwerere Depression bei Demenz.
Behandlungsstrategien bei Depressionen und Demenz
Bislang gilt die Behandlung mit Antidepressiva als Therapie der ersten Wahl bei Depressionen im Zusammenhang mit Demenz. Eine aktuelle Studie legt jedoch nahe, dass für die meisten Menschen mit Demenz und depressiver Störung nichtmedikamentöse Strategien angemessener und erfolgversprechender sein könnten. Antidepressiva sollten demnach auf Patienten mit schweren Depressionen beschränkt sein, die das Risiko der Selbstverletzung oder gar eines Suizids bergen.
Bei leichten oder mittelschweren Depressionen ist eine psychotherapeutische Behandlung mindestens ebenso erfolgversprechend wie Antidepressiva, und das Nebenwirkungsrisiko ist geringer. Allerdings ist das psychotherapeutische Angebot für Menschen mit Demenz noch nicht ausreichend.
Altersgerechte Medikation und das Demenzrisiko
Die Priscus-Liste dokumentiert Medikamente, die im Alter vermieden werden sollten, da sie mit verschiedenen erhöhten Risiken verbunden sind. Studien deuten darauf hin, dass unangebracht verschriebene Antidepressiva, die beim älteren Menschen besonders ungünstige Nebenwirkungen haben, mit einem erhöhten Demenzrisiko einhergehen können. Blutdruckerhöhende Nebenwirkungen durch das sogenannte anticholinerge System könnten beispielsweise zu Schäden an kleinen Blutgefäßen im Gehirn führen und in der Folge zu entzündlichen Prozessen, die mit Demenzsymptomen enden können.
Lesen Sie auch: Sicher Autofahren mit Parkinson: Ein Leitfaden für Deutschland
Anticholinerge Antidepressiva und Langzeitrisiken
Anticholinergika können bereits nach kurzfristiger Einnahme die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen. Sie können zu Verwirrtheitszuständen, Schlaf- und Gedächtnisstörungen sowie zu Halluzinationen führen. Eine Studie hat gezeigt, dass Antidepressiva aus der Gruppe der Anticholinergika noch 20 Jahre, nachdem man sie längst abgesetzt hat, zur Entwicklung einer Demenz beitragen können.
Lesen Sie auch: Corona und das Gehirn: Was wir wissen
tags: #Venlafaxin #Demenz #Risiko