Hirnläsionen: Ursachen, Auswirkungen und aktuelle Forschung

Schon Hippokrates erkannte vor über 2300 Jahren, dass Verletzungen einer Gehirnhälfte zu Funktionsausfällen in der gegenüberliegenden Körperhälfte führen können. Diese Beobachtung legte den Grundstein für das Verständnis, dass Gehirnverletzungen Aufschluss über die Organisation des Gehirns geben können. Wenn nach einer Läsion einer Hirnstruktur eine bestimmte Funktion ausfällt, liegt die Vermutung nahe, dass die geschädigte Struktur an diesem Prozess beteiligt ist. Diese sogenannten Läsionsstudien erleben derzeit ein Comeback, jedoch nicht am menschlichen Gehirn, sondern im Bereich der Computerwissenschaften.

Historische Läsionsstudien am menschlichen Gehirn

In den letzten 200 Jahren haben einige wenige Patienten unser Verständnis vom Gehirn maßgeblich geprägt. Zu diesen zählt der Patient H.M., dem im Rahmen einer Operation der Hippocampus entfernt wurde. In der Folge war er unfähig, neue Erinnerungen dauerhaft zu bilden. Obwohl er sich noch an die Zeit vor der Operation sowie an die letzten fünf bis zehn Minuten erinnern konnte, war er nicht mehr in der Lage, neue Langzeiterinnerungen aufzubauen. Dank H.M., der 55 Jahre mit diesem Zustand lebte, wissen wir um die Bedeutung des Hippocampus für das Langzeitgedächtnis.

Ein weiterer bemerkenswerter Fall ist Louis Victor Leborgne, ein Patient, der Sprache verstehen, aber nur die Silbe "Tan" artikulieren konnte. Nach seinem Tod wurde bei einer Autopsie eine Schädigung im linken Frontallappen festgestellt. Heute wissen wir, dass dieses Areal eine entscheidende Rolle bei der motorischen Planung der Sprache spielt.

Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Auswirkungen von Hirnläsionen ist der Fall von Phineas Gage. Bei einer Sprengung durchbohrte eine Eisenstange seinen vorderen Schädel. Obwohl die Stange ohne größere Komplikationen entfernt werden konnte, führte die Läsion zu einer deutlichen Wesensveränderung. Gage blieb intellektuell unverändert, wurde aber zunehmend impulsiver, kindischer und unzuverlässiger. Diese Symptome sind heute als Frontalhirnsyndrom bekannt, da der Frontallappen eine wichtige Rolle bei der rationalen Planung und Analyse unseres Handelns spielt.

Modulare Organisation des Gehirns

Die Zuordnung spezifischer Funktionen zu bestimmten Hirnregionen setzt voraus, dass unser Gehirn modular aufgebaut ist und einzelne Funktionen in separaten Bereichen bearbeitet werden können. Zudem muss der Aufbau unseres Gehirns so identisch sein, dass die Befunde einer einzelnen Person verallgemeinert werden können. Nach aktuellem Wissensstand treffen beide Annahmen in hohem Maße zu.

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Ein Beispiel hierfür ist unser visuelles System. Die Verarbeitung visueller Informationen spaltet sich grob in einen "Was"- und einen "Wo"-Pfad auf. Nach einer grundlegenden Verarbeitung des Gesehenen am hinteren Ende unseres Gehirns teilt sich die Verarbeitung auf und beantwortet die Fragen, was wir sehen und wo sich etwas befindet, separat. Diese Informationen werden anschließend wieder zusammengeführt. Eine isolierte Schädigung im "Was"-Pfad kann dazu führen, dass man nicht mehr erkennt, was man sieht, aber durch den "Wo"-Pfad unterbewusst noch weiß, wo sich etwas befindet. Dieses Phänomen wird auch als Blindsehen bezeichnet.

Diese Spezialisierung der Gehirnareale ermöglicht eine schnellere und akkuratere Informationsverarbeitung. Das Prinzip lässt sich mit einem Team vergleichen, in dem jede Person für einen bestimmten Bereich zuständig ist (z.B. Herstellung, Vertrieb, Wartung). Die Aufgaben können schneller und fehlerfreier gelöst werden, wenn es für jeden Bereich einen Spezialisten gibt.

Spezialisierung von Hirnregionen

Eine sehr spezifische Funktion, die ein eigenes Gehirnareal besitzt, ist das Erkennen von Gesichtern. Eine Schädigung in dieser Region führt zur sogenannten Prosopagnosie, der Unfähigkeit, Personen anhand ihres Gesichtes zu erkennen. Lange vermutete man, dass dies vor allem evolutionär bedingt ist, da das schnelle Erkennen von Gesichtern und die Einschätzung, ob wir einer Person trauen oder nicht, evolutionär sinnvoll ist.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie konnte jedoch zeigen, dass für eine funktionelle Spezialisierung nicht unbedingt eine evolutionäre Bedeutung notwendig ist, sondern dass eine Aufgabenverteilung sich auch einfach aus der Komplexität der Aufgabe selbst ergeben kann. In dieser Studie wurde ein künstliches neuronales Netz (KNN) gleichzeitig auf die Erkennung von Gesichtern und Objekten trainiert. Dabei stellten die Forscher fest, dass sich innerhalb des KNNs bestimmte Bereiche auf die Verarbeitung von Gesichts- und andere auf die Verarbeitung von Objektmerkmalen spezialisiert haben, ohne dass den Gesichtern mehr Wichtigkeit zugesprochen wurde. Der Grad der Spezialisierung kann also mit der Komplexität der Aufgabenstellung zusammenhängen.

Läsionsstudien in künstlichen neuronalen Netzen

Um das Maß der Spezialisierung in KNNs zu bestimmen, werden Läsionsstudien eingesetzt. Dabei wird ein bestimmter Bereich des Netzwerks deaktiviert. Wenn eine Funktion danach nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt möglich ist, ist der deaktivierte Teil des Netzes wahrscheinlich mitverantwortlich für diese Funktion. Im Gegensatz zum menschlichen Gehirn können KNNs systematisch kartografiert werden.

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Eine solche Studie zeigte, dass die grundlegenden Eigenschaften und Verteilungen von generalisierten zu spezialisierten Funktionen in KNNs denen des Gehirns entsprechen. Einer der größten Kritikpunkte bei der Anwendung artifizieller Netzwerke ist ihre sogenannte Opazität. Die Entscheidungen, die KNNs treffen, sind zwar häufig richtig, aber es ist oft unklar, wie die Lösungen zustande kommen.

Weitere Erkenntnisse aus Läsionsstudien

Gerade im Ersten Weltkrieg konnten aufgrund der Vielzahl an Kopfschüssen und Gehirnverletzungen systematische Läsionsstudien zwischen Verletzungen und Funktionen erhoben werden. Dabei fand man heraus, dass Schäden links im Gehirn zu Ausfällen rechts im Körper führten und umgekehrt. Heutzutage weiß man, dass die Nervenfasern die Körpermitte kreuzen, wenn sie aus dem Gehirn in den Körper ziehen. Dies ist beispielsweise auch der Grund, warum ein Schlaganfall in der rechten Gehirnhälfte zu Ausfallserscheinungen in der linken Körperhälfte führt.

Soldaten, die am hinteren Schädelende getroffen wurden, hatten häufig Probleme beim Sehen, während Verletzungen in der Stirngegend nicht selten Wesensveränderungen wie bei Phineas Gage auslösten.

Heutzutage sind systematische Beobachtungen von Gehirnläsionen vor allem durch die Schlaganfalldiagnostik und moderne Bildgebung möglich. Die Anwendung der recht simplen Methoden wiederholt sich jedoch. Sehr häufig werden "Läsionsstudien" nun zum Verstehen von künstlichen neuronalen Netzwerken verwendet.

Historische Anmerkung

Im 15. Jahrhundert stellte man fest, dass Kopfverletzungen durch Schwerter oder Säbel sich von denen der ersten Schusswaffen unterschieden. Während erstere häufig überraschend gut heilten, stellten sich letztere als deutlich schwerwiegender heraus. Für die Laien war der Grund schnell klar: Da das im Schwarzpulver enthaltende Salpeter als der Stoff des Teufels galt, muss ein böser Geist mit der Kugel geflogen sein. Erst viel später wurden innere Schädelbrüche und darauffolgende Blutungen sowie Infektionen als Ursache dieser Komplikationen erkannt.

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Marklagerläsionen: Was sie bedeuten und wie man mit ihnen umgeht

In der medizinischen Bildgebung, insbesondere in der Radiologie, werden Bezirke mit verändertem Signalverhalten als Läsionen zusammengefasst. Der Begriff "Marklagerläsion" bezieht sich auf eine Verletzung im Gehirn, die das Marklager betrifft. Die Ursache für solche Läsionen kann vielfältig sein und reicht von Entzündungen über Parasiten und Tumore bis hin zu Verletzungen und Abnutzungserscheinungen.

Ursachen von Marklagerläsionen

Es gibt verschiedene Faktoren, die zur Entstehung von Marklagerläsionen beitragen können:

  • Multiple Sklerose (MS): MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Myelinscheiden angreift, die die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark umhüllen. Dies führt zu Entzündungen und Schäden, die als Läsionen sichtbar werden.
  • Schlaganfall: Ein Schlaganfall entsteht, wenn die Blutversorgung des Gehirns unterbrochen wird, was zu einer Schädigung des Hirngewebes führt.
  • Migräne: Studien haben gezeigt, dass Menschen, die häufig unter Migräne leiden, ein höheres Risiko für Marklagerläsionen haben.
  • Bluthochdruck und Diabetes: Diese Erkrankungen können die Blutgefäße im Gehirn schädigen und zur Entstehung von Läsionen beitragen.
  • Alter: Mit zunehmendem Alter können sich im Gehirn Läsionen entwickeln, die oft als unspezifisch gelten und keine spezifische Ursache haben.

Symptome und Diagnose

Marklagerläsionen verursachen nicht immer Symptome. Wenn Symptome auftreten, hängen sie von der Größe, Anzahl und Lokalisation der Läsionen ab. Mögliche Symptome sind:

  • Muskelzucken
  • Kopfschmerzen
  • Sehstörungen
  • Gleichgewichtsstörungen
  • Kognitive Beeinträchtigungen

Die Diagnose von Marklagerläsionen erfolgt in der Regel durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns. Das MRT kann die Läsionen sichtbar machen und Informationen über ihre Größe, Anzahl und Lokalisation liefern. In einigen Fällen kann eine Lumbalpunktion erforderlich sein, um andere Erkrankungen wie MS auszuschließen.

Umgang mit der Diagnose

Die Diagnose von Marklagerläsionen kann beunruhigend sein, besonders wenn man im Internet nach Informationen sucht. Es ist wichtig zu bedenken, dass nicht alle Läsionen auf eineMultiple Sklerose hinweisen. Viele Menschen haben Läsionen im Gehirn, ohne dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt.

Wenn bei Ihnen Marklagerläsionen festgestellt wurden, ist es wichtig, mit Ihrem Arzt über die möglichen Ursachen undBehandlungsoptionen zu sprechen. Ihr Arzt kann Ihnen helfen, die Diagnose zu verstehen und einen geeignetenBehandlungsplan zu entwickeln.

Tipps für den Alltag

Auch wenn Marklagerläsionen keine spezifische Behandlung erfordern, gibt es einige Dinge, die Sie tun können, um IhreGesundheit zu fördern und das Risiko weiterer Läsionen zu verringern:

  • Kontrollieren Sie Ihren Blutdruck und Blutzuckerspiegel.
  • Vermeiden Sie Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum.
  • Treiben Sie regelmäßig Sport.
  • Ernähren Sie sich gesund.
  • Reduzieren Sie Stress.

Fazit

Läsionsstudien haben unser Verständnis des Gehirns maßgeblich geprägt und tragen auch heute noch dazu bei, sowohl dieFunktionsweise des menschlichen Gehirns als auch die von künstlichen neuronalen Netzen besser zu verstehen. Die moderneBildgebung ermöglicht es, Gehirnläsionen detailliert zu untersuchen und ihre Auswirkungen auf verschiedene Funktionen zuanalysieren. Auch wenn die Diagnose von Marklagerläsionen zunächst beunruhigend sein kann, ist es wichtig, sich von einemArzt beraten zu lassen und die möglichen Ursachen und Behandlungsoptionen zu besprechen.

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